Orléans [2]

[126] Orléans (spr. -ang), Hauptstadt des franz. Depart. Loiret, liegt 102–120 m ü. M., am rechten Ufer der schiffbaren Loire, die durch den 74 km langen Kanal von O. mit dem Loing und durch diesen mit der Seine in Verbindung steht, und ist ein wichtiger Knotenpunkt der Orléansbahn sowie der Staatsbahnen.

Kärtchen zu den Gefechten bei Orleans (Dezember 1870).
Kärtchen zu den Gefechten bei Orleans (Dezember 1870).

Über die Loire führt eine 333 m lange, 1751–61 erbaute Brücke von neun Bogen zur Vorstadt St.-Marceau. Der zunächst dem Fluß gelegene Teil der Stadt besteht meist aus engen Gassen, wogegen an Stelle der alten Festungswerke breite Boulevards angelegt worden sind. Der Platz du Martroi, der größte und schönste der Stadt, der seit 1855 eine bronzene Reiterstatue der Jeanne d'Arc (von Foyatier) trägt, ist durch die breite Rue Royale mit der Loirebrücke, durch die Rue Bannier mit dem Platze dieses Namens verbunden. Zu den hervorragendsten öffentlichen Gebäuden der Stadt gehören: die Kathedrale Ste. – Croix, aus dem 13. Jahrh., nach der Zerstörung 1562 großenteils in spätgotischem Stile 1601–1790 neu erbaut, mit reichgeschmückter Fassade, einem 100 m hohen Mittelturm und zwei 82 m hohen Westtürmen, im Innern fünfschiffig und 34 m hoch; die Kirche St.-Aignan, aus dem 15. Jahrh., mit einer Krypte aus dem 9.–11. Jahrh., die Krypte des heil. Avitus, 1852 unter dem geistlichen Seminar entdeckt (Überrest einer Kirche aus der Merowingerzeit), das Stadthaus, 1530 erbaut, mit schöner Fassade, einem Standbilde der Jeanne d'Arc und schönen Sälen; das alte Stadthaus (15. Jahrh.), in dem gegenwärtig die Museen untergebracht sind; das Präfekturgebäude (ehemaliges Benediktinerkloster), der Justizpalast (1824) u.a. O. hat zahlreiche Bauwerke aus dem 15. und 16. Jahrh., darunter die Häuser der Jeanne d'Arc (1429 im Besitz des herzoglichen Schatzmeisters J. Bouchier), der Agnes Sorel (jetzt Stadtmuseum), Franz' I. und der Diana von Poitiers (jetzt historisches Museum). Die Gebäude in der Rue Royale zeigen dagegen den Stil des 18. Jahrh. O. besitzt noch ein Standbild der Jeanne d'Arc (von Gois, in der Vorstadt St.-Marceau), ferner Statuen des Rechtsgelehrten Pothier (1859) und der Republik (1882). Die Einwohner, deren Zahl (1901) 65,063 (als Gemeinde 67,311) beträgt, betreiben außer Gemüse- und Obstbau auch etwas Industrie, insbes. Fabrikation von Wolldecken, Wirkwaren, Weinessig, Branntwein, Ackergeräten, eisernen Möbeln, Haarnadeln, Porzellan, Konfitüren, Eisen- und Metallgießerei etc., ferner Handel, namentlich mit Schafwolle, Wein, Getreide und Öl. Für den Lokalverkehr besteht eine Pferdebahn. Die Stadt besitzt eine Handels- und eine Ackerbaukammer, eine Filiale der Bank von Frankreich, ein großes Krankenhaus und andre Wohltätigkeitsanstalten; ferner an Bildungsinstituten: ein Lyzeum, eine Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, ein Priesterseminar, eine Gewerbeschule, ein Taubstummeninstitut, eine Bibliothek von 55,000 Bänden, ein Museum für Gemälde und Skulpturen, ein historisches Museum, ein Museum Orléanais und Jeanne d'Arc, eine naturgeschichtliche Sammlung, einen Botanischen Garten und mehrere wissenschaftliche Gesellschaften. O. ist Sitz des Präfekten, eines Appellhofs, eines Assisengerichts, eines Handelsgerichts, eines Bischofs, eines protestantischen Konsistoriums und des Generalkommandos des 5. Armeekorps.

O. ist das altkeltische Genabum (Cenabum), eine Stadt der Karnuten, wo 52 v. Chr. der große Aufstand gegen Julius Cäsar ausbrach. Sie erhielt unter Aurelian (270–275) den Namen Civitas Aureliani,[126] woher der jetzige Name entstanden ist. Später kam sie unter die Herrschaft der Franken und war wiederholt die Hauptstadt eines der merowingischen Königreiche. Die Normannen plünderten sie zweimal (856 und 865). Dann ward sie als Hauptstadt einer Grafschaft unter Hugo Capet einer der wichtigsten Plätze seiner Besitzungen. 1309 wurde hier eine Universität errichtet. 1428 wurde O. von den Engländern unter dem Regenten, Herzog von Bedford, belagert, 8. Mai 1429 jedoch durch Jeanne d'Arc (s. d.), die Jungfrau von O., entsetzt. Während der Hugenottenkriege wurden hier 1560–61 die Generalstaaten abgehalten und das Edikt von O. erlassen (28. Jan. 1562), das den Hugenotten Amnestie und Toleranz bewilligte. 1562 machten es diese zu ihrem Hauptquartier, und 1563 ward es durch den Herzog Franz von Guise belagert, der vor der Stadt ermordet wurde. Auch im deutsch-französischen Kriege 1870/71 spielte O. eine sehr wichtige Rolle (vgl. das Kärtchen auf S. 126). Die Delegation in Tours bestimmte O. zum Ausgangspunkt der Operationen zum Entsatz von Paris, da es der geeignetste Punkt war, um Heere aus dem von der Invasion unberührt gebliebenen Süden zu vereinigen und von hier aus gegen die zernierte Hauptstadt vorzuschieben. Schon Anfang Oktober bildete sich in O. das 15. französische Korps unter General Lamotterouge. Gegen dieses wurden von der Armee vor Paris das 1. bayrische Korps und die preußische 22. Division entsendet, welche die Franzosen 10. Okt. bei Artenay angriffen und zurückwarfen und am 11. nach hartnäckigem Widerstand auch O. erstürmten. Die Bayern unter v. d. Tann hielten O. bis 9. Nov. besetzt und räumten es infolge des Angriffs der französischen Loirearmee bei Coulmiers (s. d.). O. wurde nun Hauptquartier des Generals Aurelle de Paladines und der großen französischen Loirearmee (200,000 Mann), die Ende November den Vormarsch auf Paris begann, aber nach dem Mißerfolg ihrer Vorstöße bei Beaune la Rolande (28. Nov.) und Loigny (2. Dez.) 3. und 4. Dez. von der zweiten Armee unter dem Prinzen Friedrich Karl (3., 9. und 10. Korps) und der Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklenburg (1. bayrisches Korps, 17. und 22. Division) konzentrisch angegriffen und nach heftigen, blutigen Gefechten auf O. zurückgeworfen wurde; dieses ward in der Nacht auf den 5. besetzt. O. blieb darauf bis Anfang März 1871 von den deutschen Truppen besetzt. Vgl. Bimbenet, Histoire de la ville d'O. (Orléans 1884–88, 5 Bde.); v. d. Goltz, Die Operationen der zweiten Armee an der Loire (Berl. 1875); General dAurelle de Paladines, Die erste Loirearmee (deutsch, Braunschw. 1874–75, 2 Bde.); General Chanzy, Die zweite Loirearmee (deutsch, Hannov. 1873); Kunz, Die Schlacht von O. (Berl. 1894); Hoenig, Der Volkskrieg an der Loire, Bd. 3–6 (das. 1896–97).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 126-127.
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