[494] Italien (Geographie). Der Garten der Hesperiden, das Land, wo »die Orangen in dunklem Laube glühn,« das Rom's[494] Größe und Fall sah, von wo aus St. Petri Stuhl die ganze Christenheit beherrschte; denkwürdig durch eine doppelte Vergangenheit, reich an Kunst- und Naturschätzen und noch jetzt das immer neue Ziel Tausender von Reisenden, um dort das Coliseum anzustaunen, in Tiburs heiligen Hainen zu wandeln, den Vesuv zu erklimmen und in Pompeji's untergegangener Herrlichkeit zu träumen. Italien ist noch immer das Land, wo die Citronen blühen, das Land der Frauen mit dunkelglühenden Augen, das Land der Abenteuer und Räuberanfälle, der eifersüchtigen Männer und der Cicisbeo's, der kolossalen Bauten, der reizenden Landschaften, des Gesanges und der ungezwungenen Heiterkeit. Man nennt seine Bewohner träge, sinnlich, leidenschaftlich, abergläubisch, aber da, wo der Mensch unter einem stets milden Himmel lebt, wo er mit geringer Thätigkeit dem Boden seinen Lebensunterhalt abgewinnt, da mag er sich leicht auch der Trägheit, der Indolenz hingeben. Hier, wie überall, gibt es Gegensätze, der Fremde fühlt sie freilich schärfer, eben weil er ein Fremder ist. Zwar schwängert Orangenduft die Abendlüfte, aber es weht auch der Pesthauch der Mal' Aria und des Sirokko erschlaffende Hitze; Marmorsäulen tragen das Dach glänzender Palaste, aber Scharen hungriger Bettler überfallen den Reisenden.. Italien ist weder so himmlisch schön, als es die Enthusiasten schildern, noch so häßlich, wie es hypochondrische Reisebeschreiber schelten. Jedes Land hat seine Eigenthümlichkeiten; daß sie hier scharfer ausgeprägt sind, liegt im Klima, in der Religion, in der Verfassung und in der Abstammung. Von dem Schneegürtel der Alpen erstreckt sich, links vom mittelländischen, rechts vom adriatischen Meere begrenzt, die Halbinsel tief hinab zu dem von ihr gewaltsam losgerissenen Sicilien. Die Apenninen durchschneiden ihre Mitte wie eine gewaltige Ader und dachen sich zu beiden Seiten gegen das Meer ab. So wechseln bewaldete Bergstrecken mit reizenden Thälern, Rebhügel mit grünenden Ebenen und Cypressenhainen ab. Wohl versengt oft die Sonnenhitze[495] das saftige Grün, aber auch die Winterkälte ist unbedeutend; viele Baume und Sträucher perenniren und an den Ufern klarer Bergbäche blühen stets Blumen. Jede Landschaft, mit Ausnahme der Sumpfgegenden in der Campagna, ist meist von malerischen Gruppen belebt; auf Wegen und Brücken begegnet man Kapellen und Heiligenbildern, pitoreske Ruinen ragen aus Epheugebüschen, stolze Tempel erheben ihre Kuppeln in die blaue Luft, harmonische Glockentöne läuten das Ave Maria, Züge von Wallfahrern bedecken die Landstraßen und um den Bänkelsänger, der sich hier zum Improvisadore emporgeschwungen, versammelt sich die gaffende Menge. Den nördlichen Alpen entströmen der Po, die Adda, der Tessino und die Etsch. Nach dem Süden zu sind die Flüsse unbedeutend und fast keiner eignet sich zur Schifffahrt. Malerisch sind die Meeresküsten und der schönste Punkt der Erde vielleicht ist der Golf von Neapel. Drum ruft der Italiener mit Stolz: vede Napoli e poi morire! Nur das nördliche I. hat Canäle zur Schifffahrt; jene im mittlern dienen bloß zum Trockenlegen der Sümpfe, z. B. die in der Maremma von Siena. Das Klima ist bei der langen Ausdehnung des Landes auch verschieden; in Savoyen, als Abdachung der Gletscher, rauher als im Florentinischen, in Neapel glühend, in Calabrien wieder gemäßigter. Der Boden ist. fruchtbar bei geringer Kultur und liefert Citronen, Pomeranzen, Apfelsinen, Oel, Wein, Kastanien etc. in Ueberfluß. Von Wichtigkeit ist der Seidenbau, dagegen wird außer türk. Weizen und Reis wenig Getreide erzeugt. Cactus, Aloen, Agaven und andere Verkünder der tropischen Zone, wachsen wild. Italiens Hauptländer sind: das Königreich Sardinien, das lombard.-venetianische Königreich, Neapel, Toscana, der Kirchenstaat, welchem sich noch die kleinern Besitzungen der Herzoge von Modena, Lucca, das Herzogthum Parma und Piacenza und die kleine Republik San Marino anschließen. Zu Italien werden noch die Inseln Sardinien, Corsica, Sicilien, Malta etc. gerechnet, (S. diese[496] Artikel. Wenn auch der Grundtypus des Volkes von den Alpen an bis zu Siciliens südlichen Grenzen sich im Allgemeinen gleich bleibt, so gibt es doch nationelle Abweichungen und auf den ersten Blick unterscheidet man den Lombarden von dem Neapolitaner, den Florentiner und Römer von dem Sicilianer. Alle zeichnet aber das Streben nach sorglosem Lebensgenusse, das die dumpfe Stubenluft scheut, eine lebhafte Phantasie, die zur schrecklichsten Leidenschaftlichkeit ausarten kann, Luft an öffentlichen Schaustellungen, Hang zum Müßiggang, eine leicht erregbare Sinnlichkeit, Liebe zum Gesange, Reizbarkeit und Eifersucht in der Liebe aus. Der Italiener ist gläubig, ohne gerade fromm zu sein; er befolgt die Religionsgebräuche nicht als ein Seelenbedürfniß, sondern als etwas Herkömmliches; er unterwirft sich allen Ceremonien der Kirche, aber er dispensirt sich häufig bei Unterlassungen selbst, da er für jedesmalige Reue auch Verzeihung erwarten darf. Seine Tracht (wir sprechen hier vom gemeinen Volke) ist malerisch, wie seine Umgebung. Selbst in Lumpen gehüllt, sieht er originell, wenn auch manchmal grotesk, aus. Das Klima zwingt ihn nicht, wie den Menschen des Nordens, sich ängstlich einzuhüllen; seine Gewänder sind fliegend, Brust, Arme und Hals frei. Er spricht laut, ja er schreit sogar; denn er spricht auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen, wo keine Stubenwände seine Stimme dämpfen. Er lebt sorglos und ist das Bedürfniß des heutigen Tages erschwungen, so ergibt er sich dem dolce far niente. Der Müßiggang ist seine liebste Beschäftigung, und wiefern man diesen zu einer solchen ausbilden konnte, das zeigen die Lazzaroni Neapels. Nur in solcher Umgebung, nur unter solchem Himmel konnte sich eine Menschenklasse der Art ausbilden. Der Gesammtflächeninhalt Italiens mit seinen Inseln beträgt 5760 Quadrat M., mit 22 Will. Einw.
n.
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