Geographie

[185] Geographie (die), auch Erdkunde oder Erdbeschreibung genannt, ist diejenige Wissenschaft, welche sich mit der Schilderung des gegenwärtigen Zustandes unsers Planeten beschäftigt. Man kann aber die Erde unter mehrfachem Gesichtspunkte betrachten. Das Verhältniß der Erde zu andern Weltkörpern, ihre Stellung und Bewegung im Sonnensysteme, ihre Gestalt und Größe schildert die mathematische oder astronomische Geographie. Die physische Erdkunde dagegen betrachtet die Erde lediglich als einen Körper für sich, nach ihren natürlichen Eigenschaften. Sie handelt über Vertheilung von Wasser und Land auf der Erdoberfläche, nimmt Rücksicht auf die Beschaffenheit des innern Baues der Erde, beschreibt die Oberfläche des festen Landes, das Meer, die Seen und Flüsse, Erdbeben und Vulkane, den uns umgebenden Dunstkreis und dessen Eigenthümlichkeiten, also Regen Schnee, Wind, Temperatur, Klima u.s.w. Die Culturgeographie sieht die Erde an als Wohnplatz denkender Geschöpfe, und gibt eine Schilderung der geistigen Lebensäußerungen, wie dieselben unter den einzelnen Menschenstämmen hervortreten; sie beschreibt die einzelnen Völker nach Sprache, Culturstufen, Religionen, Regierung, Nationalcharakter und Volksthümlichkeit überhaupt, nach dem Standpunkte, welchen sie in Wissenschaft und Kunst, in landwirthschaftlicher, gewerblicher und commercieller Hinsicht einnehmen. Die politische Geographie handelt von den einzelnen Staatsverbänden, in welchen die Völker leben, von den Bedürfnissen und Einkünften der Staaten, von den Instituten, mittels deren sie die Gerechtigkeit im Innern handhaben und die Selbständigkeit nach außen schützen, von Grenzen, Flächeninhalt, Bevölkerung, Erwerbs- und Nahrungszweigen derselben, von Städten, administrativen Eintheilungen und dergl. Der politische Zustand der einzelnen Staaten aber ist in verschiedenen Zeiten verschieden und die politische Geographie deshalb häufigen Veränderungen ausgesetzt. Viele Zweige der allgemeinen Erdkunde werden selbständig beschrieben; so gibt es z.B. eine zoologische Geographie, die sich mit der geographischen Vertheilung der lebenden Wesen, eine Pflanzengeographie, welche sich mit jener der Vegetabilien beschäftigt u.s.f.

Unsere Erde, die wir jetzt beinahe ihrer ganzen Oberfläche nach kennen, ist erst allmälig und im Fortgange der Zeiten bekannt geworden. Im hohen Alterthume fand selbst zwischen Völkern, die einander nahe wohnten, nur geringer Verkehr statt; sie lebten meist abgeschlossen für sich und kamen mit andern Völkern nur selten und dann gewöhnlich in feindliche Berührung. Und so ist es noch jetzt bei wilden und uncivilisirten Völkern. Erst als bei fortschreitender Entwickelung Handel entstand, als die Küstenbewohner sich auf das Meer wagten, traten viele Länder aus dem Dunkel hervor. So erhalten wir durch die Phönizier die erste Kunde von den Nordküsten Afrikas und von Spanien; sie segelten nach Britannien, um von dort Zinn, und noch weiter östlich, um von den Gestaden der Nordsee oder des baltischen Meeres den im Alterthum so hochgeschätzten Bernstein zu holen. Die Juden kannten, wie wir aus der Bibel sehen, Babylon, Medien, Persien, Assyrien, einen Theil Arabiens und Ägypten sehr genau, und noch von einigen andern Völkern Asiens hatten sie ebenfalls Kunde, während die Erdkunde der Griechen zu Homer's Zeiten nur eine sehr beschränkte war. Erst einige Jahrhunderte später, als die Griechen in Italien, am schwarzen Meere, auf Sicilien und andern Inseln des mittell. Meeres Colonien gründeten, erweiterte sich ihr Blick, und schon Herodot (s.d.), welcher der Vater wie der Geschichte, so auch der Erdkunde ist, kennt die von Griechenland nördlich liegenden Länder bis über Ungarn hinaus, Italien, Britannien, einen Theil von Gallien, das europ. Rußland, Vorderasien, Ägypten, und von dem bis auf den heutigen Tag noch so wenig bekannten Afrika gibt er vortreffliche Nachrichten. Durch das handeltreibende Volk der Karthager und in Folge von Alexander's Eroberungszügen ward die Erdkunde sehr erweitert; Pytheas, ein Grieche aus Marseille, segelte bereits über Schottland hinaus [185] nach Thule, d.h. bis an die Küsten Norwegens. Im dritten Jahrh. vor unserer Zeitrechnung waren solchergestalt eine Menge erdkundlicher Nachrichten den Griechen bekannt geworden, und diese in wissenschaftlicher Weise zusammenzustellen, unternahm um 270 ein Grieche, Eratosthenes, der als Bibliothekar in Alexandrien lebte, also in dem Hauptstapelplatze der damaligen Welt. Er gab der Erdkunde eine mathematische Grundlage. Es fehlte seitdem nicht an geographischen Lehrbüchern in Versen und in Prosa. Unter diesen letztern zeichnen sich besonders die Werke des Strabo, Pomponius Mela und die geographischen Bücher in des ältern Plinius Inbegriff der Naturwissenschaften aus. Im 2. Jahrh. nach Christo, um 160, zur Zeit des Ptolemäus, dem die Erdkunde viel verdankt, waren bereits beinahe ganz Europa, der größte Theil Asiens und das nördliche Asien mehr oder weniger bekannt und auf Landkarten verzeichnet. Mit dem 3. Jahrh. beginnt jenes Anstürmen der Barbaren gegen das röm. Weltreich, welches man gewöhnlich die Völkerwanderung (s.d.) zu nennen pflegt. Nun tauchen eine Menge neuer, bisher noch nicht genannter Völker- und Ländernamen auf, deren Kunde bis auf uns gekommen ist, wenn schon in jener Zeit der Unruhe und Noth an wissenschaftliche Behandlung der Erdkunde nicht zu denken war.

Im frühern Mittelalter leisteten der Erdkunde besonders wei Völker wichtige Dienste, die Normannen nämlich, welche im 9. Jahrh. Island und etwas später Grönland und einen Theil des östlichen Amerika entdeckten, im Norden, die Araber im Süden. Die slawischen Völker sind zum Theil durch die Deutschen, und die im Norden und Osten von Konstantinopel wohnenden durch die Byzantiner bekannt geworden. Durch die Kreuzzüge seit dem Ende des 11. Jahrhunderts wurden Morgenland und Abendland einander näher gebracht, die ital. Hafenstädte, namentlich Genua, Pisa und Venedig, trieben ausgedehnten Handel im Orient, Europäer reisten bis tief ins östl. Asien (z.B. Marco Polo) und überall war das Bestreben rege, fremde Länder kennen zu lernen und neue Handelswege aufzusuchen. Seit dem Anfange des 15. Jahrh. befuhren Portugiesen die Westküste Afrikas, die Azoren waren schon früher bekannt geworden, Madera ward entdeckt, das gefürchtete Cap Bojador umsegelt, der Senegal und Guinea wurden besucht; endlich verlor 1498 auch das Vorgebirge der guten Hoffnung seine Schrecken und Vasco de Gama (s.d.) fuhr nach Ostindien. Die Erfolge der Portugiesen regten die Nacheiferung und den Unternehmungsgeist anderer Völker an, namentlich der Spanier. Als Befehlshaber span. Schiffe entdeckte der Genuese Christoforo Colombo (s.d.) 1492 Amerika, und schon 1521 umsegelte der Portugiese Magellan (s.d.) gleichfalls auf span. Schiffen die Erde. Die Briten besuchten die Ostküsten Nordamerikas, die Spanier ließen sich in Mexico und in Südamerika nieder, Europäer fuhren nach dem ind. Archipel, nach China und Japan, man entwarf Weltkarten, der Welthandel bekam eine andere Richtung, dem Thatkräftigen ward ein unermeßliches Feld geöffnet und an vielen Orten in Europa bildeten sich Handelsgesellschaften. Während holländ. Seefahrer Neuholland finden, dringen im Anfange des 17. Jahrh. Russen zu Lande bis Kamtschatka. Einzelne Inseln im großen Ocean werden aufgefunden, die neuen Entdeckungen in unzähligen Werken bekannt gemacht, Hunderttausende wandern nach und nach aus Europa in die neue Welt und die Schiffahrt vervollkommnet sich immer mehr. Die Inseln in dem bisher nur theilweise erforschten großen Oceane zwischen Amerika und Asien wurden seit Bougainville (1769) und Cook (s.d.) häufig besucht, und in rascher Folge dringt seit dem kühnen Schotten Mungo Park ein Reisender nach dem andern ins Innere Afrikas, und so wenig wie vor diesen Gegenden, in denen eine senkrechte Sonne Eier im Sande gahr kocht, ist der Mensch vor dem ewigen Eise an den Polarländern zurückgebebt. (S. Nordpolexpeditionen.) Diesem kühnen Unternehmungsgeiste haben wir es zu danken, daß gegenwärtig der beiweitem größte Theil der Erde uns bekannt ist. Nur einzelne Gegenden Asiens und Amerikas, das Innere Afrikas und Neuhollands sind uns bisjetzt noch verborgen geblieben. Die Vervollkommnung der physischen und mathematischen Geographie ist mit der Erweiterung unserer Kenntnisse in Physik, Naturgeschichte, Sternkunde und Mathematik (s.d.) Hand in Hand gegangen. Die interessanten Bemerkungen, zu denen man auf diese Weise über die Beschaffenheit und die Verhältnisse des Erdkörpers gekommen ist, sind unter Erde und Geologie (s.d.) angeführt.

Abgesehen von dem hohen Genusse, welchen das Studium der Erdkunde jedem denkenden Menschen gewährt, ist die Bekanntschaft mit derselben nicht nur dem Gelehrten, dem Seefahrer u.s.w. unentbehrlich, sondern ist namentlich auch für den Kaufmann, den Soldaten, Gewerbtreibenden und Jeden, der den Blick nicht blos auf seinen unmittelbaren Umgebungen haften läßt, vom größten Interesse. An Hülfsmitteln zum Erlernen fehlt es nicht, wir haben Reise- und Ortsbeschreibungen in Menge, reichhaltige Hand- und vortreffliche Lehrbücher (z.B. von Zeune, von Raumer, Volger u.s.w.), endlich Globen und Landkarten (s.d.), welche das Studium ungemein erleichtern.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 185-186.
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