[45] Objectiv: zum Object (s. d.) gehörig, auf das Object bezüglich, im gesetzmäßigen, von unserem Wollen und Fühlen unabhängigen Zusammenhang der Erfahrungen und Begriffe enthalten. Das Objective ist a. das vom Individuum (von dessen Vorstellen, Meinen, Werten) Unabhängige, aber doch eine Beziehung auf das Subject überhaupt Einschließende. b. das vom Subject überhaupt Unabhängige, nicht durch es Gesetzte, das an sich Seiende. Objectiv gültig ist, was für das denkende Subject überhaupt, für jedes Denken Geltung hat (s. Gültigkeit). Objectivität: objectiver Charakter (des Denkens, Beurteilens, von Eigenschaften u. dgl.). Objectivität schließt das Subject nicht aus, sondern bedingt nur ein Denken und Werten, wie es das Postulat der sachgemäßen Behandlung des Gegebenen fordert (s. Wahrheit).
Der Gegensatz von objectiv-subjectiv wird von den Stoikern durch kath' hypostasin – kat' epinoian ausgedrückt (Sext. Empir. adv. Math. VII, 426). Bei SCOTUS ERIUGENA durch »in rebus naturalibus – sola ratione«, »in ipsa rerum natura – in nostra contemplatione« (De div. nat. p. 493d, 528a). – Bei den Scholastikern und auch noch später bedeutet das »esse objective« im Gegensatze zur modernen Auffassung das bloß Vorstellungsmäßige, vom Erkennen Gemeinte, das »intentionale« (s. d.) Sein, das, »was im bloßen obicere, d.h. im Vorstelligmachen, liegt und hiermit auf Rechnung des Vorstellenden fällt« (PRANTL, G. d. L. III, 208). So bemerkt FRANC. MAYRONIS: »Dicidur esse obiective in intellectu, quod ab intellectu percipitur« (l. c. III, 288). »Obiectivaliter« wird dem »formaliter« (dem Wirklichen) gegenübergestellt (ib.), WALTER BURLEIGH erklärt: »Quae neque existunt in anima neque extra animam et intelliguntur ab anima, dicuntur habere esse obiectivum in anima, et nullum aliud esse« (l. c. III, 302). Und JOH. GERSON: »Ens quodlibet dici potest habere duplex esse sumendo esse valde transcendenter. Uno modo sumitur pro natura rei in se ipsa, alio modo, prout habet esse obiectale seu repraesentativum in ordine ad intellectum creatum vel increatum.« »Ratio obiectalis non consistit in solo intellectu aut conceptibus, sed tendit in rem extra..., habet duas facies vel respectus, ad intra sc. et ad extra.« »Obiectum est quasi materiale, ratio autem obiectalis quasi formale« (PRANTL, G. d. L. IV, 145, RITTER VIII, 644 f.). SUAREZ unterscheidet von der »formalen« die »objective« Vorstellung, d.h. vom Vorstellungsact den Vorstellungsinhalt, das[45] von der Vorstellung Repräsentierte, Gemeinte, das nicht real sein muß (Met. disp. II, sct. 1, 1).
GOCLEN bemerkt: »Esse obiectivum, id est, quod obiicitur intellectui« (Lex. philos. p. 524). »Ens rationis in nulla re est subiective, id est, ut in subiecto, sed tantum obiective est in intellectu, id est, obiectum est intellectus« (l. c. p. 270). Nach MICRAELIUS ist »obiectivum« die »obiectiva essentia, quam res habet non in actu existentiae, sed vel in idea mentis architectricis, tanquam in exemplari, vel in typo per repraesentationem«. »Obiectivus conceptus est res, quae intelligitur« (Lex. philos. p. 730).
DESCARTES stellt »obiective« im Sinne von »repraesentative« (»per repraesentationem«) dem »subiective«, »formaliter« gegenüber (Medit. III. Resp. ad II. obiect. 59). Von dem »in rebus ipsis«, »extra nostram mentem«, »extra nos«, »in obiectis« wird unterschieden das »in nostra cogitatione«, »in sola mente«, »in perceptione nostra«, »in sensu« (Princ. philos. I, 57, 67, 70, 199). SPINOZA erklärt: »Quaecumque percipimus tanquam in idearum obiectis, ea sunt in ipsis ideis obiective« (Ren. Cart. princ. philos. I, def. III). »Idea vera debet convenire cum ideato, hoc est id, quod in intellectu obiective continetur, debet necessario in natura dari« (Eth. I, prop. XXX, dem.). »Earum (rerum) esse obiectivum sive ideae« (Eth. II, prop. VIII, coroll.). Bei BAYLE findet sich: »Objectivement dans notre esprit – réellement hors de notre esprit« (Oeuvr. div. III, p. 334a). BAUMGARTEN bemerkt: »Unum, quod percipitur, est obiectum conceptus et conceptus obiectivus. perceptio ipsa conceptus formalis est« (Acroas. log. § 50). »Fides sacra obiective« (Glaubensinhalt) und »fides sacra subiective« (Glaubensact) werden unterschieden (Met. § 758).
A. F. MÜLLER übersetzt schon »obiective« mit »an sich und außer dem Verstande« (Einl. in d. phil. Wissensch. 1733, II, 63). Unter »objectiven« Begriffen versteht LAMBERT solche, die »wirklich durch äußerliche Gegenstände erweckt werden« (Neues Organ. Phaen. I, § 66). – Nach TETENS ist in der Bebauptung des Objectiven der Gedanke verborgen, »daß die Sache auf die Art, wie wir uns sie vorstellen, von jedem andern würde und müßte empfunden werden, der einen solchen Sinn für es hat, wie wir« (Phil. Vers. I, 535). Das kommt schon der Bedeutung von »obiectiv« bei KANT nahe. »Objectiv« ist nach ihm nicht das »An sich« (s. d.), auch nicht das Individuell-Subjective, sondern das durch den Intellect gesetzmäßig Verknüpfte, allgemeingültig Gesetzte und Anerkannte, der Inhalt des allgemeinen, rein erkennenden Bewußtseins. »Objective, von der Natur und dem Interesse des Subjects unabhängige Gründe« (Log. S. 106). Objectiv, d. h »aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind« (WW. IV, 261). Urteile sind objectiv, »wenn sie in einem Bewußtsein überhaupt, d. i. darin notwendig vereinigt werden« (Prolegom. § 22. vgl. §18 f.). Empfindung ist gegenüber dem Gefühle objectiv (Krit. d. Urt. I, § 3. s. Gültigkeit). Nach KIESEWETTER bedeutet objectiv »allgemeingültig und notwendig« (Gr. d. Log. S. 73). TENNEMANN erklärt: »Was mit dem Wirklichen in unserem Bewußtsein als Grund zusammenhängt, das müssen wir als vernünftige Wesen für objectiv und wahr halten« (Gr. d. Gesch. der Philos. S. 28).
Nach HEGEL ist Objectivität »Gesetztsein« durch das Denken, »An-und-für-sich-sein« des Gegenstandes im Begriffe, die »Unmittelbarkeit, zu der sich der Begriff durch Aufhebung seiner Abstraction und Vermittlung bestimmt« (Log. III, 177). »Der Begriff durch eigene Tätigkeit setzt sich als die Objectivität.«[46] Diese ist »die Realität des Begriffs« (Ästhet. I, 142). Nach HILLEBRAND existiert nichts im Objecte, was nicht im Denken bestimmbar ist, und umgekehrt, nichts kann als wahr gedacht werden, was nicht objective Existenz hat (Philos. d. Geist. II, 235). TRENDELENBURG betont: »Subjectives und Objectives bezeichnen in der Erkenntnis Beziehungen, die sich einander nicht ausschließlich, sondern unter Bedingungen einander fordern können. Die letzte Notwendigkeit wird ebenso für den Geist als für die Dinge Notwendigkeit sein, subjective und objective« (Gesch. d. Kategor. S. 289).
Nach SCHOPENHAUER ist »objectiv« das Sein der Dinge für ein Subject (s. Object). Rein objectiv im Sinne der Sachhaftigkeit wird die Welt nur ästhetisch (s. d.) erfaßt, im Zustande der Vergessenheit des Subjects, wo man »nicht mehr weiß, daß man dazu, gehört« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 30). »Objectivtät – d.h. objective Richtung des Geistes, entgegengesetzt der subjectiven, auf dir eigene Person, d. i. den Willen, gebunden« (l. c. I. Bd., § 36). Sie kommt vorzugsweise dem Genie (s. d.) zu. – Nach SABATIER besteht die Objectivität der Wissenschaft »in der notwendigen Verbindung, welche das wissenschaftliche Denken unter den Erscheinungen feststellt«. Sie ist ein Ideales, zu jeder Erscheinung Hinzugefügtes (Religionsphilos. S. 296). Nach H. COHEN liegt die Objectivität der Anschauungsformen in deren Apriorität (Kants Theor. d. Erfahr.2, S. 170). Objectivität beruht auf der Tätigkeit des Intellects. So auch P. NATORP: »Von Objectivierung ist zu sprechen in dem Sinne, daß Wirklichkeit kein unmittelbares Datum (der Empfindung oder Vorstellung) ist, sondern erst auf der eigenen Leistung der Erkenntnis beruht, in Denkbeziehungen (am Gegebenen) sich dem Erkennenden erst aufbaut« (Arch. f. system. Philos. III, 210 f.). E. KÖNIG erklärt: »Objectiv nennen wir alles das, was nicht in willkürlicher Weise appercipiert werden kann, oder allgemeiner, was nicht in die Reihe fällt, die wir als die innere oder psychologische betrachten« (Entwickl. d. Causalprobl. II, 383).F RIEHL bemerkt: »Objectiv sein heißt für jedes erkennende Wesen gültig sein« (Philos. Kriticism. II 2, 164). – Nach SCHUPPE besteht die Objectivität der Erkenntnis nur »in der absoluten Notwendigkeit, mit welcher ein bestimmtes Denken an das Bewußtsein als solches oder an das Bewußtsein überhaupt geknüpft ist« (Grdz. d. Eth. S. 21. vgl. Object). – Vgl. MEINONG, Üb. Annahmen, S. 151 ff.
DILTHEY erklärt: »Die ganze Richtung der Wissenschaft geht dahin, an Stelle der Augenblicksbilder, in welchen Mannigfaches aneinander geraten ist, vermittelst der vom Denken verfolgten Relationen, in denen diese Bilder im Bewußtsein sich befanden, objective Realität und objectiven Zusammenhang zu setzen« (Einl. in d. Geisteswiss. I, 500). Nach WUNDT kann das Denken nicht aus Elementen, die Objectivität noch nicht enthalten, Objectivität schaffen. es kann sie nur bewahren oder in Frage stellen, wo logische Motive dazu bestehen (Syst. d. Philos. S. 97 ff.. Log. I2, 426. Philos. Stud. XII, 331). Als objectiv gewiß gelten schließlich »diejenigen Tatsachen, die auf dem Wege fortschreitender Berichtigung der Wahrnehmung nicht mehr beseitigt werden können« (Log. I2, 425 ff., 456. Syst. d. Philos.2, S. 98). Vgl. SIGWART, Log. I2, 6, 15, 255. – Vgl. Subjectiv, Gültigkeit, Object, Qualitäten, Realität.
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