Schöpfung

[300] Schöpfung (creatio): Hervorbringung eines Objects durch den Willen, beim Künstler in Verbindung mit der Phantasie, bei der Gottheit als (ewige) Betätigung des göttlichen Wesens in einer (ewig) gesetzten Vielheit von Dingen, einer Welt. Ewig ist die Schöpfung der Welt, insofern die Zeit erst mit der Welt gesetzt, der Schöpferwille an sich überzeitlich sein muß.

Während manche die Welt (s. d.) für unerschaffen, ewig halten, lehren andere die Schöpfung der Welt aus nichts, andere aus einem ewigen Stoffe.[300] die Schöpfung wird bald als zeitlicher, bald als überzeitlicher, ewiger, continuierlicher Act (»creatio continua«) bestimmt.

Der Begriff der »Schöpfung aus nichts« (»ex nihilo«) ist ein biblischer (ex ouk ontôn, Marc. VII, 28. vgl. IRENAEUS, Adv. haeres. II, 10, 14). Im »Buch der Weisheit« wird gesagt, Gott habe den Erdkreis »ex materia invisa« geschaffen (Lib. sap. XI, 18. vgl. Makk. II, 2, 28. Genes. 1, 1). Hier findet sich auch der Begriff der Forterhaltung der Welt durch Gott (l. c. XI, 26). Ähnlich lehren HILARIUS (In Psalm 91, 7), CHRYSOSTOMUS (In ep. ad Col. 3, 2). Die Ewigkeit der Weltschöpfung betont ORIGENES (De princ. I, 2, 10. III, 308). Nach AUGUSTINUS wäre die Welt nichts ohne die erhaltende Schöpferkraft Gottes (Conf. XI, 31. De civ. Dei XII, 25). Nach SCOTUS EURIGENA war Gott »semper creator« (De div. nat. III, 1). Nach JOH. PHILOPONUS hat Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen (De aetern. mund. XI, 1. XII, 1). So lehren auch ALGAZEL, SAADJA, MAIMONIDES (Doct. perpl. I, 74, 2), IBN GEBIROL, LEVI BEN GERSON. ANSELM, der die »creatio continua« betonte (Monol. 13), so auch THOMAS (Contr. gent. II, 38). »Creare« ist »aliquid ex nihilo facere« (Sum. th. I, 45, 20b. 2), »dare esse« (l sent. 37, 1, 1c). »Creatio« ist Emanation »totius entis a causa universali, quae est Deus« (Sum. th. I, 45, 1c). Der christliche Gedanke, daß Gott die Welt aus Liebe und Güte geschaffen, findet sich u.a. auch bei PETRUS LOMBARDUS (Lib. sent. II, 1, 3). DUNS SCOTUS führt die Schöpfung und den freien Willen Gottes zurück. – Die ewige Schöpfung und Erhaltung der Dinge durch Gott betonen die Mystiker (s. d.), so ECKHART, ANGELUS SILESIUS u.a.

Nach NICOLAUS CUSANUS ist das göttliche Schaffen ein »communicare« des göttlichen Seins an alles, damit Gott alles in allem sei und doch absolut bleibe (De vis. Dei 12). Die Schöpfung aus nichts lehrt NICOL. TAURELLUS (Philos. triumph. III). Eine Schöpfung der Welt lehren TELESIUS (De nat. rer. IV, 167 ff.), CARDANUS (ewige Schöpfung), CAMPANELLA u.a. – Die continuierliche Creation lehrt DESCARTES (Med. III), auch SPINOZA: »Hinc sequitur, Deum non tantum esse causam, ut res incipiant existere. sed etiam, ut in existendo perseverent, sive Deum esse causam essendi rerum« (Eth. I, prop. XXIV, coroll.). »Creationem esse operationem, in qua nullae causae praeter efficientem concurrunt, sive res creata est illa, quae ad existendum nihil praeter Deum praesupponit« (Cog. met. II, 10). Die »creatio continua« betonen ferner BAYLE, ERHARD WEIGEL (Philos. Math.. die Schöpfungen verhalten sich zu Gott, wie unsere Imaginationen zu unserer Seele), LEIBNIZ (Theod. § 388). CHR. WOLF bemerkt: »Gott hat Dingen, die durch seinen Verstand bloß möglich waren, auch durch seine Macht die Wirklichkeit gegeben. Diese Wirkung Gottes wird die Schöpfung genennet« (Vern. Ged. I, § 1053. vgl. Theol. nat.). Die Ewigkeit der Welt ist möglich. LESSING bemerkt: »Gott dachte seine Vollkommenheit zerteilt, das ist: er schaffte Wesen« (Christent. d. Vern.). Nach FEDER hat Gott die Welt aus Güte geschaffen (Log. u. Met. S. 420). Nach KANT ist Endzweck der Schöpfung das vernünftige Weltwesen unter moralischen Gesetzen (Krit. d. Urt. § 87).

Nach SCHELLING ist Schöpfung »Darstellung der unendlichen Realität des Ich in den Schranken des Endlichen« (Vom Ich, S. 138), der Proceß der vollendeten Bewußtwerdung und Personalisierung Gottes (WW. I 7, 433). Die Zeitlosigkeit der Schöpfung betont STEFFENS (Anthropol. S. 204 ff.). Nach HILLEBRANTD ist die Schöpfung »die ewige Subjectivierung Gottes an der unendlichen[301] Universalobjectivität der Dinge«. Die Welt ist ewiges Correlat Gottes (Philos. d. Geist. II, 328). HEGEL erklärt: »Die Schöpfung ist... ewig, sie ist nicht einmal gewesen. sondern sie bringt sich ewig hervor, da die unendliche Schöpferkraft der Idee perennierende Tätigkeit ist« (Naturphilos. S. 433). Nach C. H. WEISSE ist die Schöpfung die Tat Gottes, durch die er sich selbst seine Bestimmtheit gibt (Grdz. d. Met. S. 562. vgl. Idee d. Gotth. S. 281 ff.). Nach LAMMENAIS ist die Schöpfung die Realisation der göttlichen Ideen durch den freien Willensact Gottes. Einen freien Schöpfungsact lehrt SECRÉTAN (La philos. de la liberté3, 1879. La raison et le christianisme, 1863). Nach CHALYBAEUS ist die Schöpfung das Setzen des Endlichen im Unendlichen (Wissensch. S. 323 ff.). GIOBERTI sieht in der göttlichen Schöpfertätigkeit die Urdialektik. Das Ursein schafft die Einzelwesen (s. Ontologismus). Nach MAMIANI ist die Schöpfung ein überzeitlicher, continuierlicher Act (Conf. I, 515). Nach FECHNER besteht die Schöpfung nur in einer Sichtbarmachung der Potenz in Gott (Zend-Av. I, 264) Ein unendlicher Drang zur Schöpfung bestand von Anfang an (l. c. S. 265). J. EI. FICHTE erklärt, daß »alles Schaffen, alle Weltgenesis in einem uranfänglich ewig vollendeten Denken gründet«. Die Dinge sind in Gott urgedachte Wesenheiten (Üb. Gegens., Wendep. u. Ziel heut. Philos. 1832/46). Das schöpferische Princip ist absolut imaginative Tätigkeit. Die Schöpfung ist freie Willenstat Gottes, in welchem ein ewiges Universum besteht (ib.), sie ist zeitlos (Theist. Weltans. S. 115 ff.), besteht in der Entlassung der »Urpositionen« zur Selbständigkeit, zum Für-sich-wirken-lassen (Specul. Theol. S. 427 ff., 468). ULRICI betont: »Der Schöpfungsbegriff involviert... keineswegs, daß aus nichts etwas hervorgehe oder daß nichts von selbst in etwas übergehe, sondern daß durch etwas, Gott, ein anderes Etwas gesetzt sei« (Gott u. d. Nat. S. 638). Schaffen ist »ein absoluter, an keine Bedingung, also auch nicht an die Bedingung eines bereits vorhandenen Stoffes gebundenes Wirken« (l. c. S. 639). Indem Gott als producierend-unterscheidende Urkraft tätig ist, ist der Gedanke seiner selbst und der eines andern, von ihm Verschiedenen gegeben (l. c. S. 640), als die »Urgedanken« (l. c. S. 641). Die Welt geht aus Gott hervor (ib.), als Verwirklichung einer göttlichen Idee (l. c. S. 643), als Gedanke Gottes (ib.), von Ewigkeit her (l. c. S. 659). Als überzeitlich faßt die Schöpfung auch BOSTRÖM auf, auch BIEDERMANN (Christl. Dogmat. II, 535), PFLEIDERER (Religionsphilos. 2. Abschn., 3. Hptst.) u.a. Nach G. SPICKER ist die Welt eine Schöpfung aus Gott, in dem der eine Gegensatz als Materie besteht (Vers. ein. neuen Gottesbegr. S. 153). Nach AD. SCHOLKMANN ist die Schöpfung »derjenige Act der Selbstbetätigung, durch welchen Gott in Erfüllung seines Bedürfnisses der Selbstmitteilung die in seinem Ewigkeits- und Zeitbewußtsein idealiter ewig gesetzte und damit auch in der Vollziehung seines Selbstwillens als diesem untergeordnetes, von ihm mit umfaßtes Moment realiter ewig vorhandene Welt durch einen zeitlichen, die Zeit und alles zeitliche Geschehen begründenden Willensact zu einer auch in sich seienden Objectivität verwirklicht hat« (Grundlin. ein. Philos. d Christent S. 292 ff.). »Die Idee der Schöpfung ist bedingt durch die Idee der göttlichen Liebe« (ib.). A. DORNER erklärt: »Man wird nicht sagen können, daß Gott aus nichts geschaffen habe, sondern daß Gott die Welt aus sich, aus den in ihm vorhandenen Potenzen geschaffen habe und schaffe.« Die göttliche Action ruft so »Einheitspunkte hervor, in denen die eine göttliche Action als eine besondere Art der Tätigkeit dem jeweiligen Einheitspunkt gemäß sich offenbart. Auf diese Weise ist Gott über der Welt als vollendete Einheit[302] und ist in ihr doch activ, ist ihr immanent«. Gott ist »das ewig mit sich einige, sich selbst wissende und wollende Ur-Ich, das sich zugleich als den ewigen Möglichkeitsgrund der Welt weiß und will« (Gr. d. Relig. S. 34 ff.). Vgl.

Ewigkeit, Gott, Welt, Potenzen, Ternar.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 300-303.
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