Phantasie

[96] Phantasie (phantasia, von phainô imaginatio) bedeutet (ursprünglich) Vorstellung (s. d.), Vorstellungskraft, dann (auch) Einbildungsvorstellung, Einbildungskraft nicht bloß im Sinne der reproductiven Vorstellungstätigkeit, sondern in dem der gestaltenden, gegebenes Vorstellungsmaterial, Vorstellungselemente zu neuen, nicht gegebenen Gebilden anschaulich (nicht begrifflich) verarbeitenden, synthetischen Tätigkeit des Geistes, der Apperception (s. d.). Die Phantasie ist kein besonderes »Vermögen«, sondern eine Bestätigung der gleichen Geisteskraft, die im Denken (s. d.) begrifflich wirkt. Der Unterschied der passiven (triebhaften) und der activen, schöpferischen (vom Willen geleiteten) Phantasie ist ein relativer. Angeregt wird die Phantasie durch Gefühle, Triebe, Willensimpulse, aber bei verschiedenen Individuen in verschiedener Intensität und Extension (s. Genie). Die künstlerische Phantasie zeichnet sich durch besondere Anschaulichkeit, die wissenschaftliche durch besonderes Imaginieren von Beziehungen aus.

ARISTOTELES versteht unter phantasia die Vorstellung (s. d.) überhaupt als Nachwirkung der Wahrnehmung (Rhet. I 11, 1370a 28), die auch ohne Wahrnehmung auftritt: phainetai de tis kai mêdeterou hyparchontos toutôn, hoion ta en tois hypnois. eita aisthêsis men aei paresti, phantasia d' ou (De an. III 3, 328a 7 squ.). Die Stoiker und Epikureer unterscheiden von der phantasia (s. Vorstellung) das phantasma (s. d.). Nach ALEXANDER von APHRODISIAS ist die phantasia eine Nachwirkung der Empfindung plus der Wirkung der Vorstellungstätigkeit (De an. 135b). Nach JAMBLICH ist die Phantasie ein actives Vermögen. Es gibt aufnehmende und combinierende Phantasie (bei SIEBECK, Gesch. d. Psychol. I 2, 350 ff., 355. vgl. hier über PHILOPONUS).

BOËTHIUS erklärt: »Imaginatio solam sine materia indicat figuram« (Cons. philos. V). AUGUSTINUS unterscheidet reproductive, productive, synthetische[96] Phantasie (Ep. ad Nebrid. 62. vgl. De mus. VI, 11. De vera relig. 10). ALGAZÊL bemerkt: »Imaginatio est apprehensio rerum, quas significant singulae dictiones ad intelligendum eas et ad certificandum« (PRANTL, G. d. L. II, 362). Die Motakallimûn lehren, »omnia ea, quaecunque nobis imaginamur, transire quoque posse ad intellectum« (bei Maimon., Doct. perplex. I, 73). Nach ISAAK VON STELLA behält und reproduciert das »phantasticum animae« die sinnlichen Bilder (De nat. et virib. an. hum.). WILHELM VON CONCHES definiert: »Imaginatio est vis, qua percipit homo figuram rei absentis« (bei HAURÉAU I, p. 548). Ähnlich die Scholastik überhaupt, welche in der »imaginativa« ein Seelenvermögen (s. d.) niederer Art erblickt (vgl. DUNS SCOTUS, Rev. princ. qu. 13, 2, 2). THOMAS unterscheidet »phantasia rationalis« und »sensibilis« (3 de an. 16a: = phantasia logistikê kai aisthêtikê, ARISTOTELES, De an. III 10, 433b 29).

Nach NICOLAUS CUSANUS ist die »imaginatio« ein niederer Grad der Verstandestätigkeit (De coniect. 11). PARACELSUS sieht in der Imagination eine der wichtigsten Geistestätigkeiten (Phil. sag. I. WW. X, 32. er faßt sie auch metaphysisch auf, später auch J. BÖHME u. F. BAADER). Nach CAMPANELLA hat Gott dem Menschen die »virtus ideativa« gegeben (Physiol. XVI, 7 f.). »Imaginatio mentalis, non sensualis est inventrix scientiarum per ideationem« (Univ. philos. V, 1, 3). Nach L. VIVES ist »imaginatio« »actio... in animo, quae oculi in corpore, recipere imagines intuendo: estque velut orificium quoddam rasis quod memoria« (De an. I, 32). »Phantasia vero coniungit et disiungit ea, quae singula et simplicia imaginatio acceperat« (l. c. 32).

HOBBES bestimmt: »Imaginatio nihil aliud est re vera quam propter obiecti remotionem languescens vel debilitata sensio« (abgeschwächte Empfindung) (De corp. C. 25). »Postquam enim obiectum remotum est, vel oculus clausus, imaginem tamen rei visae retinemus. Atque haec est imago, a qua facultatem appellamus imaginationem« (Leviath. I, 2). Die Imagination ist ein »conception remaining« (Hum. Nat. ch. 3, p. 9). DESCARTES bezeichnet die Phantasievorstellungen als »ideae a me ipso factae« (Medit. III). »Imaginari« ist das concrete, anschauliche Vorstellen im Unterschiede vom abstracten, begrifflichen Denken (l. c. II). »Imaginatio nihil aliud esse apparet, quam quaedam applicatio facultatis cognoscitivae ad corpus ipsi intime praesens« (l. c. VI). »Imaginationes« sind Perceptionen, welche nicht von den Nerven abhängen (Pass. an. I, 21), sondern vom Willen. sie sind daher eher »actiones« als »passiones« der Seele (l. c. I, 20). Ähnlich die Cartesianer. CLAUBERG bemerkt: »In hoc ipso phantasia seu imaginatio consistit, quod non ad rem ipsam externo sensui praesentem, sed ad eius imaginem, id est, praeteritae impressionis vestigium mentis obtritum convertimur« (Opp. p. 202). Die Logik von PORT-ROYAL bestimmt: »Imaginatio est modus concipiendi..., qui fit per conversionem mentis ad imagines in cerebro depictas« (l. c. I, 1). MALEBRANCHE erklärt: »Par l'imagination l'âme n'aperçoit que les êtres matériels, lorsqu' étant absents, elle se les rends présents en s'en formant des images dans le cerveau« (Rech I, 4). »L'imagination consiste dans la puissance qu'a l'âme de se former des images des objets, en produisant du changement dans les fibres de cette partie du cerveau que l'on peut appeller partie principale« (l. c. II, 1). SPINOZA unterscheidet die imaginatio als anschauliche, raumzeitliche Betrachtungsweise der Dinge von der die Wesenheit, Notwendigkeit des Seins erfassenden vernünftigen (s. d.) Erkenntnisart. »Imaginari est: quae in cerebro[97] reperiuntur a motu spirituum, qui in sensibus ab obiectis excitatur, vestigia sentire« (Cogit. met. I, 1). »Corpora humani affectiones, quarum idea corpora externa velut nobis praesentia repraesentant, rerum imagines vocabimus, tametsi rerum figuras non referunt: et quum mens hac ratione contemplatur corpora, eandem imaginari dicemus« (Eth. II, prop. XVII). Die Imagination (eine Quelle des Irrtums, De an. int.) ist die zweite Art der Erkenntnis (s. d.). »Sequitur, a sola imaginatione pendere, quod res tam respectu praeteriti, quam futuri, ut contingentes contemplemur« (Eth. II, prop. XLIV). TSCHIRNHAUSEN versteht unter der Imagination auch die »facultas sentiendi« (Med. ment.). – HOLBACH erklärt die Imagination als »la faculté que le cerveau a de se modifier ou de se former des perceptions nouvelles sur le modèle de celles qu'il a reçue par l'action des objets extérieurs sur les sens« (Syst. de la nat. I, ch. 8, p. 113). Nach HUME ist die »imagination« das Auftreten abgeblaßter Vorstellungen (Treat. 1, sct. 3). Die Einbildungskraft ist die subjective Quelle des Causalbegriffs (s. d.), ist auch an der Bildung des Objectsbewußtseins (s. d.) beteiligt. Nach FERGUSON ist das Werk der Einbildungskraft, »sich die Dinge als gegenwärtig und mit allen ihren wirklichen oder erdichteten Eigenschaften und Umständen darzustellen« (Grunds. d. Moralphilos. S. 54 f.). – CHR. WOLF definiert: »Die Vorstellung solcher Dinge, die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildungen zu nennen. Und die Kraft der Seele, dergleichen Vorstellungen. hervorzubringen, nennet man die Einbildungskraft« (Vern. Ged. I, § 235). »Facultas producendi perceptiones rerum sensibilium absentium facultas imaginandi seu imaginatio appellatur« (Psychol. empir. § 92). Die »facultas fingendi« ist »facultas phantasmatum divisione ac compositione producendi phantasma rei sensu numquam receptae« (Psychol. empir. § 138). MURATORI betrachtet die Phantasie als Schatzkammer der Intelligenz (Della forza della fantasia umana2, 1753). Nach BAUMGARTEN ist Phantasie die »facultas imaginandi« (Met. § 558). nach BILFINGER »facultas repraesentandi ideas olim perceptas ex occasione praesentium, quae aliquid cum illis commune habent« (Dilucid. met. § 253). FEDER erklärt: »Wir haben ein Vermögen, auch wenn die Dinge selbst nicht vorhanden sind, die Bilder der Dinge, oder das, was wir einmal bei ihrer Gegenwart empfunden haben, uns vorzustellen. Dieses Vermögen heißet Einbildungskraft, Phantasie, Imagination« (Log. u. Met. S. 2 ff.). Nach PLATNER ist »Einbildungskraft« der höhere Grad der Vollkommenheit der Phantasie (Philos. Aphor. I, § 280). diese ist »dasjenige Vermögen der Vorstellkraft, mittelst dessen sie bildliche Ideen hat, welche nicht gegenwärtig sind den Sinnen« (l. c. I, § 271. Anthropol. § 472. Log. u. Met. S. 32, 36 ff., 42 ff.).

KANT begründet die Unterscheidung der (reinen, apriorischen) productiven, Einheit der Erkenntnis ermöglichenden, von der reproductiven, auf Erfahrung fußenden Einbildungskraft. »Die Einbildungskraft (facultas imaginandi), als ein Vermögen der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes, ist entweder productiv, d. i ein Vermögen der ursprünglichen Darstellung des letzteren (exhibitio originaria), welche also vor der Erfahrung vorhergeht, oder reproduotiv, der abgeleiteten (exhibitio derivativa), welche eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüt zurückbringt« (Anthropol. I, § 26). Die productive Einbildungskraft verbindet Anschauung (Sinnlichkeit) und Verstand (Begrifflichkeit), ermöglicht die Anwendung der Kategorien (s. d) auf den Anschauungsinhalt vermittelst des »transcendentalen Schematismus« (s. d.). So[98] ist sie eine der »subjectiven Erkenntnisquellen« (Krit. d. r. Vern. S. 126), welche als »reine Synthesis« (s. d.) aller Verbindung der Vorstellungen zugrunde liegt (l. c. S. 127), als »eine Bedingung a priori der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis« (l. c. S. 128): als »productive Synthesis«, denn die »reproductive« »beruht auf Bedingungen der Erfahrung« (l. c. S. 129). Transcendenta1 (s. d.) ist die Einbildungskraft, »wenn ohne Unterschied der Anschauungen sie auf nichts als bloß auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht« (l. c. S. 129). Sie bringt »das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild« (l. c. S. 130). »Wir haben also eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermögen der menschlichen Seele, das aller Erkenntnis a priori zum Grunde liegt. Verrnittelst deren bringen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits mit der Bedingung dar notwendigen Einheit der reinen Apperception anderseits in Verbindung. Beide äußerste Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen verrnittelst dieser transcendentalen Function der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen, weil jene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstände eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben würden« (l. c. S. 133). »Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjectiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine correspondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit. sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung ihrer Spontaneität ist, welche bestimmend und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperception gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist« (l. c. S. 673). – J. G. FICHTE bestimmt die Einbildungskraft als vorbewußte, Objecte (s. d.), Anschauungs- und Denkformen (s. Kategorien) setzende Tätigkeit des Ich (vgl. Gr. d. g. Wissensch. S. 415. ähnlich SCHELLING, Syst. d. tr. Ideal. S. 223).

Nach G. E. SCHULZE gibt es zwei Arten der Wirksamkeit der Einbildungskraft, »die bloß nachbildende (reproductive), wodurch nur dasjenige wiederholt wird, was in der Wahrnehmung vorhanden gewesen ist, und die freibildende (productive), wodurch Vorstellungen von einzelnen Dingen und Begebenheiten erzeugt werden, denen nichts in der Erfahrung eines Menschen Dagewesenes entspricht« (Psych. Anthropol. S. 147 ff., 149). »Der höhere Grad der Wirksamkeit der freibildenden Einbildungskraft heißt... Phantasie«, der niedere »Dichtungskraft« (l. c. S. 130). Nach MAASS besteht die ursprüngliche Tätigkeit der Einbildungskraft in der Mitwirkung bei der Entstehung des Sinnenmaterials (Vers. üb. d. Einbild. S. 4). Sie ist das tätige Vermögen, welches die Teile des Mannigfaltigen in dem Objecte auffaßt, gegeneinander hält und so in ihrer Beziehung aufeinander vorstellt (l. c. S. 5 f.). Das Gesetz der Stetigkeit lautet: »Wenn ein Gegenstand durch die Sinne wahrgenommen wird, so muß die Einbildungskraft von jedem Teile des gegebenen Stoffes unmittelbar zu demjenigen fortgehen, welcher, der Zeit nach, zunächst mit dem vorigen verbunden von den Sinnen recipiert wird« (l. c. S. 11). Als Vermögen[99] zu »Einbildungen« (d.h. Vorstellungen früherer Empfindungen) ist sie Einbildungskraft im eigentlichen Sinne (l. c. S. 13 f.). Die Phantasie ist »das Vermögen, die wahrgenommenen Objecte in veränderter Gestalt wieder vorstellen« (l. c. S. 14). Das höchste Gesetz der Einbildungskraft ist: »Mit jeder gegebenen Vorstellung können sich in der Einbildungskraft alle, aber auch nur diejenigen unmittelbar vergesellschaften, die mit der gegebenen schon einmal zusammen gewesen sind« (l. c. S. 22). Die größere oder geringere Tätigkeit und Anstrengung der Phantasie hängt zum Teil vom Willen ab (l. c. S. 167). Nach KRUG ist die Einbildungskraft »der innere Sinn selbst, wiefern er entweder das Abwesende mit anschaulicher Klarheit vergegenwärtigt (wiederholende oder reproductive E.) oder etwas gestaltet, dem nichts Wirkliches entspricht (schöpferische oder productive E.)« (Handb. d. Philos. I, 67). FRIES versteht unter dem »Vermögen der mathematischen Anschauung« die productive Einbildungskraft, »durch welche wir die Anschauungen von Raum und Zeit, Gestalt und Dauer, Grad, Zahl und von der Größe überhaupt besitzen« (Syst. d. Log. S. 55 f.. vgl. Psych. Anthropol. § 37. vgl. SALAT, Lehrb. d. höh. Seelenk. S. 265 ff.. H. B. WEBER, Üb. Einbildungskr. u. Gefühl 1817). E. REINHOLD definiert die »intellectuelle Einbildungskraft« als »das Vermögen der bewußtvollen Vergegenwärtigung derjenigen Vorstellungen, in denen die anschauliche Seite der Einzelwesen von uns erfaßt wird« (Lehrb. d. philos. propäd. Psychol. S. 194). Reproductive und productive Einbildungskraft sind zu unterscheiden (l. c. S. 202 ff.). – Nach BIUNDE ist die Einbildungskraft »das Vermögen der Einbildungen dessen, was nicht wirklich oder doch nicht in sinnlicher Anschauung gegenwärtig ist« (Empir. Psychol. I, 1, 231 f.). Beim Anschauen wirkt sie combinierend und schematisierend (abstrahierend) (l. c. S. 235).

Die SCHELLINGsche Schule betont das (unbewußte und bewußte) schöpferische Wirken der Phantasie (vgl. ENNEMOSER, Geist d. Mensch. in d. Nat. § 198). Nach C. G. CARUS ist die Einbildungskraft ein Gedächtnis, ein Innewerden des ganzen vollen Bildes des Daseins der Gegenstände, nicht bloß eines Zeichens (Vorles. üb. Psychol. S. 392 ff., 394). Ähnlich SUABEDISSEN (Grundz. d. Lehre vom Mensch. S. 97). Die Einbildungskraft ist »die bildende Vorstellungstätigkeit«, als schaffende Einbildungskraft ist sie Phantasie (l. c. S. 180 f.). ESCHENMAYER bestimmt die reproductive Einbildungskraft als »das Vermögen, die im Gedächtnis aufbewahrten Vorstellungen wieder zu integrieren oder ihnen die Formen der sinnlichen Anschauungen wieder zu geben« (Psychol. S. 28, 62). Die Phantasie hingegen »hat nur Ideale, die keineswegs in einzelnen Formen und Bildern gegeben sein können« (l. c. S. 63), sie ist »das Vermögen der Ideale« (l. c. S. 107). Die »intellectuelle Anschauung« (s. d.) ist »reine Eigenschaft der Phantasie, die zum Wissen hinzukommt« (l. c. S. 109). Nach J. J. WAGNER ist die Einbildungskraft eine innere Tätigkeit der Seele in ihrer Richtung nach innen (Syst. d. Idealphilos. S. 27 f.. vgl. SCHUBERT. Lehrb. d. Menschen- u. Seelenk. S. 137 ff.). Nach TROXLER ist die Phantasie »die höchste Einheit von Sinn und Trieb«, »der Übergang von Denken und Wollen ins Gemüt« (Blicke in d. Wes. d. Mensch. S. 106 f.). Die Einbildungskraft ist die »Urkraft« (l. c. S. 90 ff.). Nach HILLEBRAND ist die Imagination »die Reproductivität der ursprünglich-sinnlichen... Positionen der Seele, bloß als solcher in der Form unmittelbarer Gegenwart« (Philos. d. Geist. I, 226 f.). Die Phantasie ist »die Richtung der Seele auf das Schöne« (l. c. S. 329. ähnlich[100] C. H. WEISSE). – Nach HEGEL ist die Einbildungskraft »das Hervorgehen der Bilder aus der eigenen Innerlichkeit des Ich, welches nunmehr deren Macht ist« (Encykl. § 455 ff.. Ästhet. I, 53. vgl. MICHELET, Anthrop. S. 279 ff., 290 ff.. K. ROSENKRANZ, Psychol.3, S. 347 ff.. ERDMANN, Grundr. § 101). – H. RITTER nennt Einbildungskraft das Vermögen der Vernunft, sich Gemeinbilder vorzustellen (Abr. d. philos. Log.2, S. 48). Ähnlich LICHTENFELS, welcher eine negative und eine positive (aber keine »schöpferische«) Tätigkeit der Einbildungskraft unterscheidet (Gr. d. Psychol. S. 76 ff.). – Nach CHR. KRAUSE ist die Phantasie (»Urbildkraft«) ursprünglich (unbewußt) produktiv (Vorles. üb. d. Syst. S. 198 ff.), indem in ihr der Geist das Leibliche im Raume entwirft, erschaut (l. c. S. 200. vgl. Vorles. üb. d. psych. Anthropol.. AHRENS, Cours de psychol. II, p. 116. LINDEMANN. Lehre vom Mensch. § 255). HERBART (Lehrb. zur Psychol.3, S. 145), SCHILLING (Lehrb. d. Psychol. S. 106 ff.), STIEDENROTH (Psychol. I, 174), LINDNER (Empir. Psychol. S. 92 ff., 135) u. a. leiten das »freie Phantasieren« aus der Reproduction (s. d.) der Vorstellungen ab. Nach VOLKMANN ist die Einbildungskraft »kein Seelenvermögen, sondern ein Inbegriff von in den Vorstellungen selbst liegenden Kräften« (Lehrb. d. Psychol. I4, 497). Die »Neuheit« ist die charakteristische Eigenschaft der Einbildung. »Neu wird aber ein Ganzes durch Weglassung alter, durch Hinzufügung neuer Teile, oder durch Verbindung von beidem. Dies gibt die alte Einteilung: der Einbildungskraft in abstrahierende, determinierende und combinierende« (l. c. S. 499). Nach BENEKE macht die Einbildungskraft im weitesten Sinne mit den Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen zum Teil ein und dasselbe psychische Sein aus (Lehrb. d. Psychol.3, § 207. Psychol. Skizz. I, 448 ff.). »Einbildungsvorstellungen im engeren Sinne heißen diejenigen unter den innerlich gebildeten Vorstellungen, welche sich durch eine besondere Frische (Fülle und Höhe der Reize) auszeichnen.« Die Einbildungskraft auch im engeren Sinne ist kein besonderes Vermögen neben dem Vorstellungsvermögen (l. c. § 108. vgl. Psychol. Skizz. I, 450 ff.. II, 136 ff.. Pragmat. Psychol. I, 232 ff.). – Nach GALUPPI ist »l'imaginazione« »la potenza dello spirito di avere nell' assenza di un oggetto sensibile la sua idea« (Elem. d. filos. I, 181). Wie ULRICI (Leib u. Seele S. 567: unbewußt wirkende vis plastica, vis intuitiva, Einbildungskraft, Phantasie) betrachtet J. H. FICHTE (Anthropol. S. 358) die Einbildungskraft als unbewußt gestaltende Seelentätigkeit (Psychol. I, 462 ff.). Phantasie ist die durch den Trieb beeinflußte, individualisierte Vernunft (l. c. II, 84, 95, 101. vgl. I, 21, 94 f., 202, 463, 658 f.). Die Phantasie ist universales Organ der »Eingebung«, Vermittlerin einer übersinnlichen Welt (l. c. I, 712 f.). Die Phantasie übt eine analytisch-synthetische und symbolisierende Tätigkeit aus (l. c. I, 480 ff.). Es gibt eine allgemeine Urphantasie (l. c. I, 525, 679, 718). So auch nach FROHSCHAMMER, welcher von der subjectiven die objective, unbewußte, schöpferische Weltphantasie unterscheidet und unter Phantasie überhaupt die geistige »Bildungskraft« versteht (Die Phantas. als Grundprinc. d. Weltproc. S. 192 ff.). Phantasie ist »das Vermögen, das Geistige in sinnliche (oder sinnlich-psychische) innere Formen, Vorstellungen zu bringen« (Monad. u. Weltphantasie S. 7). Bei allen Geistesfunctionen ist sie mittätig (ib.). Sie ist auch das (unter Gott stehende) gestaltende Princip im Unbewußten, in der Natur (l. c. S. 10). Sie schafft mittelst der Naturkräfte (Gesetze) den Organismus, mittelst der organischen Kräfte die psychischen Fähigkeiten, die Seele, die sich zum Ich differenziert[101] (l. c. S. 46 f.). – Nach RENOUVIER ist die Phantasie vom Gedächtnis nicht principiell verschieden (Nouv. Monadol. p. 116). Es gibt »imagination constructive« und »productive« (l. c. p. 123 ff.). Ähnlich H. SPENCER (Psychol. II, § 492), BALDWIN (Handb. of Psychol. I2, ch. 12, p. 213 ff.: »passive« und »constructive imagination«), SULLY (Handb. d. Psychol. 61. 203 ff.. Hum. Mind, ch. 10), STOUT (Analyt. Psychol. II, ch. 11). Vgl. HAMILTON, Lect. on Met. and Log. II, XXIII, p. 259 ff.. MC COSH, Cogn. Powers II, 5. CARPENTER, Ment. Physiol. ch. 12. MAUDSLEY, Physiol. of Mind ch. 9. JAMES, Princ. of Psychol. II, 44 ff.. J. WARD, Enc. Brit. XX, p. 57 f.. RABIER, Psychol. ch. 17 ff.. JOLY, L'imaginat.

Nach G. GLOGAU ist es das Wesen der künstlerischen Phantasie (die Phantasie überhaupt ist mit der Leidenschaft verwandt, Gr. d. Psychol. S. 110 ff.), »aus dem bunten Wirrsal der Wirklichkeit alle Fäden der physischen und moralischen Unzugänglichkeit herauszulösen und uns, die Angst des Irdischen rückwärts werfend, in ein Reich des Idealen hoch hinaufzuheben« (Abriß der philos. Grundwiss. II, 318. vgl. H. COHEN, Die dichter. Phantas. 1869. SIEBECK, Das Wes. d. ästhet. Ansch. 1875). – L. KNAPP unterscheidet gestaltende und begriffliche Phantasie (Syst. d. Rechtsphilos. S. 15 ff.). Nach E. DÜHRING ist die Phantasie »die Fähigkeit, Anschauungen nicht bloß unabhängig von dem ersten Eindruck zu wiederholen, sondern auch umzugestalten« (Log. S. 77). »Die wissenschaftliche Phantasie verdichtet nicht, sondern bildet nur und entspricht so einem wirklichen Zusammenhange der Dinge, wie er durch die weltgestaltenden Kräfte vollzogen worden ist oder zur Vollziehung gelangt« (Cursus S. 13). Nach GUTBERLET ist die Phantasie »diejenige sinnliche Fähigkeit, welche, auch ohne von einem gegenwärtigen Objecte bestimmt zu sein, die Vorstellung von demselben bildet« (Psychol. S. 98). Nach HAGEMANN ist die Phantasie die Fähigkeit der Seele, »die reproducierten (sinnlichen) Vorstellungen in neue umzubilden, welche als solche keinem bekannten Gegenstande gleichen« (Psychol.2, S. 75 ff.). SCHOLKMANN erklärt: »Die Phantasie ist das Vermögen, die aus der Wirklichkeit aufgenommenen Vorstellungsmomente zur Hervorbringung einer selbstgeschaffenen ästhetischen Wirkung zusammenzufassen und neu zu ordnen, oder unter Zugrundelegung und Weiterführung des natürlich Gegebenen ganz Neues zu schaffen« (Grundlin. ein. Philos. d. Christent. S. 245). Nach B. ERDMANN ist »Einbildung« der »Inbegriff der Vorstellungsvorgänge, durch welche Erinnerungen zu Vorstellungen von neuen Gegenständen associiert werden« (Log. I, 51). Nach HÖFFDING ist die Phantasie das »Vermögen der freien Combination der Vorstellungen« (Psychol. S. 243). nach JODL eine schöpferische »Um- und Weiterbildung gegebener Elemente« (Lehrb. d. Psychol. S. 144. vgl. HÖFLER, Psychol. S. 200 ff.). W. JERUSALEM bestimmt: »Vorstellungen..., die aus wahrgenommenen Elementen neue Gebilde herstellen, die in dieser Combination nicht Gegenstand einer früheren Wahrnehmung waren, nennen wir Einbildungs– oder Phantasievorstellungen. Die psychische Disposition, solche Vorstellungen zu bilden, heißt Einbildungskraft oder Phantasie« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 94). Es gibt eine unwillkürliche, passive und eine active, zweckbewußte Phantasie (l. c. S. 95). Die Phantasie ist »aus dem Trieb zur Lebenserhaltung hervorgegangen« (l. c. S. 96). »Die Phantasie ist... eine psychische Disposition, welche, aus dem der Menschenseele angeborenen Streben nach Totalität entsprungen, die Lücken des Gedächtnisses ausfüllt und den Teil des Weltbildes, welchen uns die Wahrnehmungen liefern, zu einem[102] harmonischen, unseren Einheitstrieb befriedigenden Ganzen ausgestaltet« (l. c. S. 97). Nach REHMKE ist die Phantasie ein schöpferisches Wirken des Bewußtseins (Allgem. Psychol. S. 546 ff.). Nach WUNDT ist die Phantasie ein »Denken in sinnlichen Einzelvorstellungen« (Vorles.2. S. 342), ein »Denken in Bildern« (vgl. Grdz. d. physiol. Psychol. II4, 491 f.. Log. I2, 32). Die »Phantasievorstellung« ist eine durch apperceptive Synthese (s. d.) entstandene »Gesamtvorstellung« (s. d.) (Gr. d. Psychol.5, S. 317). Die Phantasietätigkeit ist eine Form der apperceptiven Analyse, bei welcher das Grundmotiv in der »Nacherzeugung wirklicher oder der Wirklichkeit analoger Erlebnisse« besteht. Sie »beginnt mit einer mehr oder minder umfassenden, aus mannigfachen Vorstellungs- und Gefühlselementen bestehenden Gesamtvorstellung, die den allgemeinen Inhalt eines zusammengesetzten Erlebnisses umfaßt, in welchem die einzelnen Bestandteile zunächst nur unbestimmt ausgeprägt sind. Diese Gesamtvorstellung zerlegt sich dann in einer Reihe successiver Acte in eine Anzahl bestimmterer, teils zeitlich teils räumlich verbundener Gebilde« (l. c. S. 318). »Die Phantasietätigkeit zeigt zwei Entwicklungsstufen. Die erste, mehr passive, geht unmittelbar aus den gewöhnlichen Erinnerungsfunctionen hervor... Die zweite, active Form steht unter dem Einfluß streng festgehaltener Zweckvorstellungen« (l. c. S. 319). Hauptarten der Phantasiebegabung sind die »anschauliche« und die »combinierende« Phantasie (l. c. S. 324. vgl. KÜLPE, Gr. d. Psychol. S. 176 ff.). Nach K. LANGE ist die Phantasie »die Fähigkeit, sich irgend etwas vorzustellen, was nicht vorhanden ist« (Wes. d. Kunst I, 385). Die Associationspsychologen (s. d.) führen die Phantasie auf Association (s. d.) zurück. SO BAIN auf »constructive association«. »By means of association, the wind has the power to form combinations or aggregates, different from anything actually experienced« (Ment. and Moral Sc. II, C. 4, p. 161 ff.). Vgl. S. RUBINSTEIN, Psychol.-ästhet. Essays 1878, S. 107 ff.. ÖLZELT-NEVIN, Über Phantasievorstellungen 1889, (Anschaulichkeit, Neuheit, Spontaneität als Merkmale der Phantasievorstellung, l. c. S. 16 ff.. Unterscheidung ursprünglicher und associativer Phantasievorstellungen). MEINONG, Zeitschr. f. Philos. Bd. 95, S. 207 ff.. RIBOT, L'imagination créatrice, 1900. JANET, Princ. de mét. et de psychol. I, 406 ff.. EUCKEN, Wahrheitsgeh. d. Relig. S. 7, 305, 340 ff., 376 u. a. Vgl. Seelenvermögen.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 96-103.
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