Voluntarismus

[655] Voluntarismus (Volitionismus, Ethelismus): Willens – Standpunkt in Psychologie und Methaphysik, d.h. diejenige Richtung, nach welcher der Wille (s. d.) der Grund- oder Hauptfactor des psychischen Geschehens bezw. des Seins überhaupt ist. Je nachdem der Wille als einfaches, unbewußtes, »blindes« Tun aufgefaßt wird, auf das alle anderen Formen des (psychischen) Geschehens zurückgeführt werden sollen, oder aber als eine einheitliche Synthese von Empfindung (Vorstellung), Gefühl, Streben, so daß die Willenshandlung eben die vollständige, die typische Form jeder (psychischen) Tätigkeit darstellt, ergeben sich verschiedene extreme (»alogistische«, »antilogistische«) und gemäßigte, mit einem gewissen »Intellectualismus« vereinbare, (»logistische«) Formen des Voluntarismus bezw. der voluntaristischen Psychologie. Allen Formen der voluntaristischen Metaphysik ist es gemein, das »An-sich« (s. d.) der Dinge als Wille, Trieb, Streben u. dgl., als innerlich-actives (reactives) Geschehen und Sein aufzufassen. Der metaphysische Voluntarismus kann monistisch (s. d.) sein (wenn er als Wirklichkeit einen einheitlichen Weltwillen annimmt, z.B. SCHOPENHAUER), oder pluralistisch (s. d.) (wenn er eine Vielheit von Willenseinheiten setzt, z.B. R. HAMERLING).

Den Ausdruck »voluntaristisch« gebraucht zuerst F. TÖNNIES (Zur Entwicklungsgesch. Spinozas, Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. 1883). PAULSEN hat den Ausdruck zur Geltung gebracht (Einl. in d. Philos. 1892, S. 116 ff.).

Voluntaristische Ansätze finden sich bei verschiedener älteren Philosophen. So erklärt AUGUSTINUS, in allen seelischen Vermögen sei Wille enthalten, ja sie seien alle nichts als Wille: »Voluntaß est quippe in omnibus, immo omnes nihil aliud quom voluntates sunt« (De civ. Dei XIV, 6). Der Wille ist der Kern des Menschen (l. c. XIX, 6). SCOTUS ERIUGENA bemerkt einmal: »Tota animae natura voluntas est« (De praed. 8, 2). Daß in allen Seelenvermögen Streben, Wille enthalten ist, betont ALFARÂBI. – Den Primat des Willens[655] betont entschieden DUNS SCOTUS. Der Wille beherrscht alle übrigen Seelenkräfte. »Voluntas est motor in toto regno animae, et omnia obediunt sibi«

(In l. sent. II, d. 42, 4). »Voluntas imperans intellectui est causa superior respectu actu eius« (l. c. IV, d. 49, 4). freilich kann der Wille nicht wollen »nisi praecedente cogitatione in intellectu« (l. c. II, d. 42, 4. s. Wille). Der göttliche Wille ist die »prima causa« alles Seins (s. Willensfreiheit).

Nach J. BÖHME ist Gott »ein begehrender Wille der Ewigkeit. der gehet in sich selber ein und suchet den Abgrund in sich selber« (Vierzig Fragen von der Seele 1, 201). – Nach HOLLMANN ist die active Kraft der Seele der Wille (Eth. § 7 f.). Nach CRUSIUS ist der Wille »die herrschende Kraft in der Welt« (Vernunftwahrh. § 454), eine Grundkraft der Seele. Gottes Wille ist Gesetz für die vernünftigen Wesen. Nach SWEDENBORG ist der menschliche Geist ein Trieb.

Nach KANT ist der Wille (s. d.) das »eigentliche Selbst« des Menschen (Grundleg. zur Met. d. Sitt. 3. Abschn., S. 99). So noch nach J. G. FICHTE (s. Ich), der in der (Willens-)Tat die Grundlage alles Seins (s. d.) erblickt. – JACOBI erklärt: »Über dem Willen ist nichts. in ihm ist das Leben ursprünglich« (WW. VI, 150). Der menschliche Verstand wird durch den Willen entwickelt (l. c. IV, 248 f.). Der Trieb bildet das Wesen des Dinges (l. c. IV 17 ff.). Nach BOUTERWEK ist ohne Trieb keine Wahrnehmung, ohne Willen kein Erkennen möglich (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 80). Den Einfluß des Willens auf den Vorstellungsverlauf (im »oberen Gedankenlauf«) betonen FRIES (Anthropol.) und CALKER (Denklehre, S. 265). M. DE BIRAN betrachtet als Grundkraft im Erkennen den Willen (s. d.), so auch ROYER-COLLARD: »Penser, c'est vouloir« (vgl. Adam, Philos. en France p. 196). Nach BENEKE liegen allen geistigen Processen »Strebungen« (s. d.) zugrunde. – SCHELLING erklärt: »Wille ist Ursein, und auf dieses allein passen alle Prädicate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung« (WW. I 7, 350, 369). Das unbegrenzte Sein in Gott ist »das durch sein bloßes Wollen Gesetzte«. Es ist dieser Wille »ein immanenter, ein nur sich selbst bewegender Wille«. Das »blind Seiende« ist Wille (WW. I 10, 277 f.). Alle Bewegungskraft ist ursprünglich Wille, in der Natur ein blinder Wille.

Den (alogistischen) Voluntarismus als metaphysisches System begründet SCHOPENHAUER. Das Ding an sich (s. d.) ist Wille (s. d.). In allen tierischen Wesen zunächst ist der Wille »das Primäre und Substantiale« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 19), als (an sich) blinder »Wille zum Leben«, d.h. zum individuellen Dasein. »Blind« ist er ursprünglich, denn der Intellect ist erst product des Willens auf einer späteren Stufe des Daseins, er ist nur secundärer Art. »Der Intellect ist das secundäre Phänomen, der Organismus das Primäre, nämlich die unmittelbare Erscheinung des Willens. der Wille ist metaphysisch der Intellect physisch: der Intellect ist, wie seine Objecte, bloße Erscheinung« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 19. Gegensatz zum HEGELschen Panlogismus, s. d.). Der Intellect ist nur »Accidens des Willens« (l. c. C. 30). Der Wille ist »Ursprung und Beherrscher« des Intellects (l. c. C. 15). Als Erscheinung (s. d.), Object (s. d.) des Erkennens ist die Welt Vorstellung (s. d.), als Ding an sich ist sie raum- und zeitloser, grundloser, einheitlicher Wille. »Außer dem Willen und der Vorstellung ist uns gar nichts bekannt noch denkbar.« »Wenn also die Körperwelt noch etwas mehr sein soll, als bloß unsere Vorstellung, so müssen wir sagen, daß sie außer der Vorstellung, also an sich und ihrem innigsten [656] Wesen nach, das sei, was wir in uns selbst unmittelbar als Willen finden« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 10). Der Leib (s. d.) des Menschen ist an sich Wille (l. c. § 18). Die anderen Objecte müssen, da sie als Vorstellungen dem Leibe gleichartig sind, an sich auch Wille sein (l. c. § 19). Der Wille ist »das Innerste, der Kern jedes Einzelnen und ebenso des Ganzen: er erscheint in jeder blind wirkenden Naturkraft: er erscheint auch im überlegten Handeln des Menschen« (l. c. § 21). Jede Kraft (s. d.) ist Wille (l. c. § 22). Der Wille ist »grundlos«, er ist »frei von aller Vielheit«, ist einer (l. c. § 23 ff.), »unteilbar« (l. c. § 25. s. Idee, Individuation). Auf der untersten Stufe der Objectivation (s. d.) erscheint der Wille als »blinder Drang und erkenntnisloses Streben«, als »finstere treibende Kraft«. Im Tiere und Menschen schafft er sich eine Organisation, und mit dieser »steht nun mit einem Sehlage die Welt als Vorstellung da« (l. c. § 27). In aller Veränderung und Entwicklung bleibt der Wille selbst »unbewegt« (l. c. § 28). »Abwesenheit alles Zieles, aller Grenzen« gehört zum Wesen des Willens an sich, der ein »endloses Streben« ist. das gesamte Wollen hat keinen Zweck (l. c. § 29. vgl. Pessimismus). – Auf den Intellect wirkt der Wille, indem er das Erkennen nötigt, »Vorstellungen, die demselben einmal gegenwärtig gewesen, zu wiederholen, überhaupt die Aufmerksamkeit auf dieses oder jenes zu richten und eine beliebige Gedankenreihe hervorzurufen«. Doch fällt hierbei die Tätigkeit des Willens meist nicht ins deutliche Bewußtsein. Aber: »Jedes unserer Phantasie sich plötzlich darstellende Bild, auch jedes Urteil, das nicht auf seinen vorher gegenwärtig gewesenen Grund folgt, muß durch einen Willensact hervorgerufen sein, der ein Motiv hat« (Vierf. Wurz. C. 7, § 44). Der Wille hat das Bewußtsein hervorgebracht, er gibt ihm Einheit, hält alle Vorstellungen zusammen als das »Beharrende und Unveränderliche im Bewußtsein« »Er also ist der wahre, letzte Einheitspunkt des Bewußtseins und das Band aller Functionen desselben« (W. a. W. u. V. II. Bd., a. 15).

Von Schopenhauer mehr oder weniger beeinflußt sind J. FRAUENSTÄDT, der aber einen relativen Individualismus anerkennt und den Antilogismus vermeidet (Blicke in d. intell., phys. u. moral. Welt, 1869, u. a), O. LINDNER (Zur Tonkunst, 1864), P. DEUSSEN (Elem. d. Met.2, 1890), der Gott als das den Lebenswillen verneinende, erlösende Princip bestimmt, L. HELLENBACH (Der Individual.2, 1887, u. a.), MAINLÄNDER (Philos. d. Erlös. 1876, I, S. 44), A. BILHARZ (Metaphys. I, 1 u. 2, 1890/97. Der heliocentr. Standp. d. Weltbetracht. 1879: individualistischer Voluntarismus), J. BAHNSEN, welcher eine Vielheit von Willenseinheiten »Individuallebensfactoren« annimmt (Zur Philos. d. Gesch. S. 64 ff.). Die Wirklichkeit ist »ein lebendiger Antagonismus von sich kreuzenden Kräften oder Willensacten« (Der Widerspr. I, 436). Einen individualistischen Voluntarismus lehrt auch R. HAMERLING. Der Wille ist die allem Sein innewohnende Triebkraft. »Dasein ist notwendig Selbstbejahung, Wille zum Leben.« Jedes Atom (s. d.) ist ein Wollendes, ein Subject, das sich seine Actionen als Object gegenüber setzt. Aber der Intellect ist im Willen schon als Keim vorhanden (Atomist. d. Will. I, 263 ff.). L. NOIRÉ erklärt: »Alles, was uns von außen als Kraft erscheint, ist innerlich Wille« (Einl. u. Begr. ein. monist. Erk. S. 193).

Als Grundkraft der Seele bestimmt den Trieb (s. d.) FORTLAGE (Syst. d. Psychol. I, 464). So auch J. H. FICHTE. Der Wille ist im Erkennen und Fühlen ebenso gegenwärtig und wirksam, als diese in ihm. Der »Grundwille« ist der innerste Quellpunkt des Geistes (Psychol. I, 224 f.). Der Wille ist das[657] Bewußtseinerzeugende (l. c. I, 200). Das Erkennen ist »ein durch das Bewußtsein irgend eines Objectiven zum Stillstand gebrachter Wille« (l. c. I, 259). Auch ULRICI sieht im Willen eine seelische Grundkraft (Leib u. Seele, S. 559, 607). Einen unbewußten Willen (s. d.) betrachtet E. v. HARTMANN als Agens im Psychischen und in der Natur. Seine Function ist die »Übersetzung des Idealen ins Reale« (Philos. d. Unbew.3, S. 488). Er ist das »Alogische«, das »Daß« der Welt Setzende, im »Unbewußten« (s. d.). Er manifestiert sich in einer Vielheit (relativer) Individuen (»Willensatomen«). Ähnlich lehrt C. PETERS (Willenswelt u. Weltwille 1883), M. SCHNEIDEWIN (s. Wille), A. DREWS, L. ZIEGLER. – Voluntarist ist auch NIETZSCHE (s. Wille zur Macht).

Nach RÜMELIN gibt der Wille dem Intellect die Richtung. »Die Triebe... sind die Directive des Intellects« (Red. u. Aufs. I, 64 f.). Voluntarist ist F. TÖNNIES. Nach ihm ist der »Wesenwille« »das psychologische Äquivalent des menschlichen Leibes oder das Princip der Einheit des Lebens, sofern dasselbe unter derjenigen Form der Wirklichkeit gedacht wird, welcher das Denken selber angehört« (Gemeinsch. u. Gesellsch. S. 99 f.).»Alle specifisch menschlichen, also die bewußten und gewöhnlich willkürlich genannten Tätigkeiten sind abzuleiten, sofern sie dem Wesenwillen angehören, aus den Eigenschaften desselben und aus seinem jedesmaligen Erregungszustande« (l. c. S. 115). Die grundlegende Bedeutung des Strebens für die Psychologie betont J. DUBOC (Der Optimism. S. 148, f.). – Schon in die Körperelemente setzt den Willen W. HAACKE (Die Schöpf. d. Mensch. u. sein. Ideale, 1895). Nach E. MACH dürfte auch im Unorganischen etwas einem Willen Analoges bestehen (Populärwiss. Vorles. S. 371).

PAULSEN erklärt: »Der Wille ist der ursprüngliche und in gewissem Sinne constante Factor des Seelenlebens« (Einleit. in d. Philos2, S. 120). »Der Wille erscheint in biologisch-entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung als die primäre und radicale Seite des Seelenlebens.« Die Intelligenz ist eine secundäre Entwicklung (Syst. d. Eth. I5, 208,). Nach SIGWART beruht unser Denken auf einem »Denken-wollen«. Es besteht der »Primat des Wollens auch auf dem theoretischen Gebiete«. Das »Ich will« muß alle meine Denkacte beherrschen können (Log. II2, 25). N. LOSSKY erklärt: »Der Wille ist die Activität des Bewußtseins, welche darin besteht, daß jeder unmittelbar als mein empfundene Bewußtseinszustand durch meine Strebungen verursacht wird, und welche sich für das handelnde Subject im Gefühl der Activität ausspricht« (Eine Willenstheorie vom voluntarist. Standp., Zeitschr. f. Psychol.,. 30. Bd., 1902, S. 87 ff., 130). Als Wirklichkeit ist die Seele (s. d.) nach MÜNSTERBERG ein System von Wollungen (Grdz. d. Psychol. I, 397). Der menschliche Wille ist ein Teil des absoluten Willens (l. c. S. 399 f.). Zum Voluntarismus bekennt sich auch R. GOLDSCHEID (Zur Eth. d. Gesamtwill. I, 45, 79). Voluntaristische Psychologie lehrt HUGHES (Die Mimik d. Mensch. 1900).

Hauptvertreter des neueren deutschen (»logistischen«) Voluntarismus ist WUNDT. Der empirisch – psychologische Voluntarismus ist von dem metaphysischen Voluntarismus wohl zu unterscheiden. Ersterer heißt nur a potiori »Voluntarismus«. Während der metaphysische Voluntarismus das Wesen der Seele nur in den Willen verlegt, tritt der empirische Voluntarismus »bloß für die Gleichberechtigung des Willens und der mit ihm verbundenen Vorgänge (Gefühle, Triebe) mit den Vorstellungen« ein (Log. II2, 2, 152, 164 ff.). »Freilich aber wird mit der Wahl dieser repräsentativen Bezeichnung auch angedeutet,[658] daß jetz anderen Inhalte immer zugleich Bestandteile eines vollständigen Willensvorganges sind« (L c. S. 167). Die voluntaristische Psychologie vertritt die »Actualitätstheorie« (s. d.). Die Willensvorgänge haben »typische, für die Auffassung aller seelischen Erlebnisse maßgebende Bedeutung«. »Die voluntaristische Psychologie behauptet also keineswegs, daß das Wollen die einzige real existierende Form da psychischen Geschehens sei, sondern sie behauptet nur, daß es mit den ihm eng verbundenen Gefühlen und Affecten einen ebenso unveräußerlichen Bestandteil der psychologischen Erfahrung ausmache wie die Empfindungen und Vorstellungen, und daß nach Analogie des Willensvorganges alle anderen psychischen Processe aufzufassen seien: als ein fortwährend wechselndes Geschehen in der Zeit, nicht als eine Summe beharrender Objecte« (Gr. d. Psychol.5, S. 17 f.). Das Wollen (s. d.) ist nichts Einfaches, Unbewußtes u. dgl., sondern ein »zusammengesetztes Geschehen« (l. c. S. 22). Empirisch kommt ein »reiner« Wille nicht vor (Philos. Stud. XII, 63. vgl. Wille). Erst wenn wir, metaphysisch, die Tätigkeit des Ich (s. d.) isoliert von den sie hemmenden Objecten denken, ergibt sich, als letzte Bedingung der psychologischen Erfahrung, als »psychologische Idee«, der »reine Wille«, die »transcendentale Apperception« (Syst. d. Philos.2, S. 278 ff.). Die Einzelwillen bilden aber die Glieder höherer Einheiten, stehen unter einem »Gesamtwillen« (l. c. S. 392 ff.). Die »ontologischen Ideen« ergeben, »daß das eigenste Sein des einzelnen Subjects das Wollen ist, und daß die Vorstellung erst aus der Verbindung der wollenden Subjecte oder aus den Conflict der verschiedenen Willenseinheiten ihren Ursprung nimmt, worauf sie dann zugleich das Mittel wird, das höhere Willenseinheiten entstehen läßt« (l. c. S. 403 ff.. Philos. Stud. XII, 61 f.). Die Realität bedeutet eine »unendliche Totalität individueller Willenseinheiten«, deren Wechselwirkung das Entwicklungsprincip des Willens selbst ist. Die Welt ist eine Stufenfolge von (vorstellenden) Willenseinheiten, »die Gesamtheit der Willenstätigkeiten, die durch ihre Wechselbestimmung, die vorstellende Tätigkeit, in eine Entwicklungsreihe von Willenseinheiten verschiedenen Umfangs sich ordnen« (l. c. S. 407 ff.). Da die Substanz (s. d.) ein Begriff ist, der erst aus der denkenden Verarbeitung der Vorstellungsobjecte entspringt, so sind die Willenseinheiten »nicht tätige Substanzen, sondern substanzerzeugende Tätigkeiten« (l. c. S. 419 ff.). Der Wille ist nicht das Intelligenzlose, sondern die Intelligenz selbst (Log. I2, 555). Gott (s. d.) ist Weltwille, die Weltentwicklung Entfaltung des göttlichen Willens (Syst. d. Philos.2, S. 433 f.).

Als ein System von Willenseinheiten betrachtet die Welt MARTINEAU. Den Willen betrachtet als Entwicklungsfactor GIDDINGS. Die Bedeutung des Willens für das Denken betonen HODGSON, S. LAURIE (Met.2, 1889), W. JAMES u. a. – Nach HÖFFDING ist der Bewußtseinsbestand einer Tätigkeit des Willens zu verdanken (Psychol.2, S. 431). Der Wille (s. d) ist der vollste Ausdruck des Bewußtseinslebens (l. c. S. 130), die »fundamentale Form« desselben (ib.). »Die Entwicklung des bewußten Individuums geht vom Willen (in weiterem Sinne) zum Willen (in engerem Sinne)« (l. c. S. 130). Die Activität ist eine ebenso ursprüngliche Seite des Bewußtseinslebens wie die Elemente desselben (Philos. Probl. S. 31). – Ähnlich wie WUNDT lehren psychologisch DE SAGO, G. VILLA u. a. (s. Wille). – Nach RAVAISSON ist das Denken Tätigkeit des Willens (Philos. in Frankr.). RENOUVIER erklärt: »L'esprit a son activité propre.« Es besteht eine Wahl der Ideen (Nouv. Monadol. p. 95). Das Denken lenkt den Lauf der Vorstellungen und Associationen (l. c. p. 97). RIBOT erblickt in den[659] Strebungen (»tendances, appetits«) die Grundlagen der Gefühle (Psychol. d. sentim. p. IX ff.). PAULHAN schreibt allen Wesen wenigstens »un minimum d'esprit, une tendance vague« zu (Physiol. de l'espr. p. 180). Die Welt ist »un ensemble de faits de conscience et de tendance plus ou moins obscurs« (l. c. p. 182). Voluntarist ist entschieden LACHELIER (Psychol. et Mét., Revue philos. 1885, T. XIX). Alles Sein ist Wille, Wille zum Leben. das Ich ist Wille. Den Voluntarismus verbindet mit der Ideenlehre FOUILLÉE. Er betont, der Wille sei »le fond de toute existence«, die gemeinsame Grundlage von Bewegung und Empfindung (Scienc. soc. p. 125). Alles ist lebendig, beseelt (l. c. p. 127). Die psychischen Processe sind an sich »appétitions«, »actions et réactions«, wenn aber reflectiert, so sind sie Ideen (Psychol. d. id.-forc. I, p. VII ff.). Sie sind alle »un vouloir« (l. c. p. X). daher ist die Psychologie »l'étude de la volonté« (l. c. p. XXI). In jedem Bewußtseinszustande ist »une volonté contrariée ou favorisée« (l. c. p. XXXV). Das Streben ist »le facteur principal de l'évolution en nous« (l. c. p. XXXVII). Das Streben »précède le sentiment« (l. c. I, p. 111 ff.. so schon BAIN). Der Wille ist »partout en nous« (l. c. p. 235), ist ein »fait original« (l. c. p. 247). Die Bewegung ist eine Manifestation des Strebens (l. c. p. 246). Der Fundamentalwille (»vouloir fondamental«) ist das An-sich des Dinges, »exprime ce que l'être est en lui-même« (l. c. p. 255). In jedem Bewußtseinszustand ist Bewußtsein »de l'opération, de l'impulsion volontaire, attentive et motrice« (l. c. p. 303 f.). Die intellectuellen Processe beruhen auf dem Willen (l. c. p. 230), sind »une combinaison ou un développement de la sensation, de l'émotion et de la volonté« (l. c. p. 307). Der Geist kann »rejeter ce que l'automatisme lui offre« (l. c. p. 315). Jeder Bewußtseinszustand ist »idée en tant qu'enveloppant un discernement quelconcque, et il est force, en tant qu'enveloppant une preference quelconque« (l. c. p. X). So besteht das geistige Leben in »idées-forces«, Kraftideen, welche die Entwicklung bestimmen. »Les principes directeurs de la conneissance sont des idées-forces« (l. c. II, 131). »Les formes de notre pensée ne sont que des fonctions de notre volonté primordiale et normale« (l. c. II, 210. vgl. L'evolut. des idees-forces). – Vgl. Wille, Denken, Streben, Trieb, Psychologie, Object, Ich, Subject, Selbstbewußtsein, Apperceptionspsychologie, Gott, Seele, Willensfreiheit, Actualitätstheorie, Activität.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 655-660.
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