[830] Renaissance-Stil. Schon um das Jahr 1420 griffen die italienischen Architekten, die den gotischen Stil nur äusserlich aufgenommen und selbst innerhalb seiner Tradition sich bald dem Rundbogen wieder zugewendet hatten, mit Bewusstsein zu den antiken Formen zurück, um eine »Wiedergeburt« der Baukunst einzuführen. Diese Renaissance ging von einem sorgfältigen Studium der antiken Überreste aus, welche das alte Rom hinterlassen hatte.
1. Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern. Während diese Umgestaltung sich im Süden vollzog, brach der Norden nicht minder entschieden, wenn auch in anderer Weise mit den Traditionen des Mittelalters. Hier war es die Natur, aus der die Kunst sich verjüngen sollte. Dieser Zug nach grösserer Naturwahrheit, welche der traumhafte Idealismus des Mittelalters nicht gekannt hatte, zeigt sich zuerst in der Malerei. Hubert und Jan van Eyck sind die ersten Bahnbrecher einer neuen Epoche, aber bald verbreitet sich der Einfluss der von ihnen gegründeten flandrischen Schule über alle Gebiete Deutschlands. Dadurch entstand ein scharfer Konstrast mit der herrschenden Architektur, welche völlig in den Dienst eines handwerklichen Schematismus geraten war, und in dem in der Routine ergrauten Handwerk eine Stütze fand, welche den gotischen Stil bis ins 17. Jahrhundert hinein neben der von Italien einbrechenden Renaissance, aufrecht erhielt.
Unter den Kunstwerken der Übergangsepoche ist vielleicht keines, welches den Übergang so vielseitig veranschaulicht, wie die Chronik von Hartmann Schedel (1493) mit ihren von Michael Wolgemuth und Pleidenwurff entworfenen Holzschnitten. Während sich einerseits darin die mittelalterliche Anschauung mit ihrer Gleichgültigkeit gegen das Reale, ihrem Hange zu phantastischer Willkür in vielen Städtebildern zeigt (Ninive, Damaskus, Babylon, Athen sehen aus wie mittelalterliche Städte und Ninive genau so wie Korinth, Damaskus wie Neapel, Perugia, Verona, Siena, Mantua, Ferrara), so bemerkt man doch in andern einen gewissen Sinn für Wirklichkeit, wie[830] in den Bildern von Nürnberg, Würzburg, Venedig, Florenz u.s.w., namentlich aber die Neigung, die dargestellten Gebäude in Renaissanceformen zu kleiden.
Mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts tritt eine neue Generation von Künstlern auf den Schauplatz, welche ihre Anregungen direkt aus Italien holt und der Renaissance den Eingang in die deutsche Kunst bahnt. Der Vorrang gebührt hier der Augsburger Schule, wo Hans Burgkmair einer der ersten ist, welcher die Kunst des Südens nach Norden zu verpflanzen sucht. Ihm schliesst sich die Familie Holbein an, vorerst mit Hans Holbein dem altern, namentlich aber mit Holbein dem jüngern, der vollständig mit dem Mittelalter bricht und sich dem neuen Stile mit Entschiedenheit zuwendet, nicht nur in zahlreichen Gemälden seiner Hand, sondern auch in den bekannten Façademalereien, aber auch in Entwürfen zu Glasgemälden und Gegenständen des Kunstgewerbes. Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis zur italienischen Renaissance bei dem Hauptvertreter der fränkischen Schule: Albrecht Dürer. Er strebt weniger als Holbein, sich die Formenwelt der italienischen Renaissance zu eigen zu machen. Die Hauptsache ist bei ihm getreue Nachahmung der Natur. Dass er aber, wo es ihm darauf ankam, die antiken Formen zu beherrschen wusste, erkennen wir aus seiner herrlichen Handzeichnung des Basler Museums von 1509, welche die Madonna mit dem Kinde, sitzend in einer prachtvollen Halle mit korinthischen Säulen, darstellt.
Inzwischen wird die Strömung der Renaissance mächtiger und die Lust am reizenden Spiel ihrer Formenwelt verbreitet sich unter den deutschen Künstlern bald so allgemein, dass die Gemälde, Kupferstiche und Holzschnitte etwa seit 1520 von Details dieser Art wahrhaft überströmen. Aldegrever, Altdorfer, Pencz, Schäuffelin, Hans Sebald Beham sind die Vertreter dieser Epoche.
Gleichzeitig mit der Malerei wendet sich auch die Plastik dem neuen Stile zu, und gerade an einem der grössten Meister lässt sich der Umschwung der Anschauungen deutlich nachweisen. Es ist Peter Vischer von Nürnberg mit seinem Hauptwerk, dem Sebaldusgrab in St. Sebald, welches so vollständig wie kein anderes die Verschmelzung des neuen Stils mit der Gotik zeigt. Während die Erzarbeit durch dieses Meisterwerk rasch und entschieden dem neuen Stile zugeführt wird, verharrt die Steinskulptur und mehr noch die volkstümliche Holzschnitzerei bis tief ins 16. Jahrhundert bei den Formen der Gotik. Die Hauptmeister dieser Kunstzweige, Jorg Syrlin von Ulm, Veit Stoss und Adam Krafft bleiben unentwegt auf den Bahnen des Mittelalters, wenn sich auch in ihren Werken ein erfreuliches Ringen nach Naturwahrheit deutlich zeigt. Geringen Versuch in Anwendung der Renaissanceformen macht Tilman Riemenschneider von Würzburg. Am entschiedensten dringt der neue Stil an Grabmälern vor, die in zwei Formen auftreten, entweder als Wandgrab, von einer reichen und kräftigen Architektur eingerahmt, mit stehenden Gestalten der Verstorbenen, oder als Freigrab, welches den Toten auf prachtvoll geschmücktem Sarkophage liegend darstellt.
Die Chöre der Kirchen zu Wertheim, Pforzheim, Tübingen, Stuttgart, Freiberg bergen eine Menge derselben. Namentlich das prachtvolle Monument des Kurfürsten Moritz von Sachsen in Freiberg gehört zu den bedeutendsten Leistungen der Renaissance. Bereits ganz selbständig tritt die Plastik an dem Grabmonument des Kaisers Max zu Innsbruck auf.[831]
2. Renaissance in der Architektur. Während so in den bildenden Künsten die Renaissance bereits festen Fuss gefasst hatte, war das Mittelalterin der Architektur zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch keineswegs abgethan. Namentlich beim Kirchenbau begnügte man sich noch lange mit gotischen Konstruktionen und Formen, und selbst im 17. Jahrhundert lassen sich gotische Einzelheiten, namentlich Portale nachweisen.
Mit Macht beginnt etwa seit der Mitte des Jahrhunderts die Renaissance sich aller Orte in Deutschland auch in der Architektur auszubreiten. Seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) begann das Reich sich von den Religionskämpfen zu beruhigen, welche Ruhe erst durch den Ausbruch des 30 jährigen Krieges ihr Ende finden sollte. In diesen 60 Jahren fast ununterbrochenen Friedens, wo Handel und Verkehr blühte, ein neues geistiges Leben sich überall regte, entwickelte sich nun auch die deutsche Renaissance in ihrer ganzen Fülle. Hätte Deutschland einen dominierenden Königshof besessen, wie Frankreich, so würde der Gang seiner Renaissance ebenso einfach und übersichtlich sein, wie dort. Während dort sich die einzelnen Epochen nach den Regierungszeiten der einzelnen Könige gliedern, ist die Bewegung in Deutschland eine viel mannigfaltigere und kompliziertere.
Die geistige Konfiguration des deutschen Kulturlebens besteht auch jetzt aus einer Anzahl gesonderter provinzieller Gebiete, die fast bis zum Eigensinn ihre Originalität und Selbständigkeit behaupten.
Von einer stetig fortschreitenden historischen Entwicklung ist deshalb bei der deutschen Renaissance wenig zu spüren, wenn sich auch etwa drei verschiedene Stadien in der Nüancierung dieses Stiles unterscheiden. Die erste Epoche umfasst die frühesten Versuche, die neue Bauweise auf deutschen Boden zu übertragen. Hierher gehören die Denkmäler, die zwischen 1520 und 1550 entstanden sind. Der Charakter derselben fusst auf einer naiven Aneignung der Frührenaissance Oberitaliens, namentlich Venedigs. Das Dekorative waltet vor und zwar in dem leichten zierlichen Gepräge eines überwiegend vegetativen Ornaments von Blumenranken, durchwebt mit Masken und anderem Figürlichen, dessen Ausführung indessen den deutschen Steinmetzen selten recht gelingen will. Die selbständigen Glieder der Architektur, namentlich die Säulen mit ihrem Zubehör, werden ohne genaueres Verständnis, unsicher und schwankend gehandhabt. Daneben spielt das Gotische in Gliederungen und Details, in Thür- und Fenstergewänden, Treppen und dergl. immer noch eine grosse Rolle.
Die zweite Phase der Entwickelung beginnt um die Mitte des Jahrhunderts. Man hat durch Lehrbücher die antiken Formen besser kennen gelernt. Die schwankende Unsicherheit tritt zurück, aber für eine wahre Ausbildung der Architektur fehlten bedeutende, tonangebende, führende Meister. Ein jeder suchte in seiner Weise in dem Chaos verschiedener Formen sich zurechtzufinden. Neben den Elementen der klassischen Architektur und den Reminiszenzen der Gotik stellten sich zugleich die frühen Vorboten des beginnenden Barokstils ein. Dies alles bedingt eine Mischung, welche nicht immer glücklich ausfiel, gleichwohl aber och in einigen Meisterschöpfungen, wie in dem Otto Heinrichsbau in Heidelberg, sich bedeutsam ausgeprägt hat.
Diese Stilentwickelung geht dann unmerklich in die dritte Stufe über. In ihr gewinnt alles einen derberen Ausdruck, die Formen häufen sich[833] nicht selten bis zur Überladung, Barokes und Willkürliches mischt sich ein, besonders die Ornamentik verlässt den feinen Grundzug der früheren Zeit und wendet sich wieder einem Spiel mit geometrischen Formen und einer Nachahmung fremdartiger Ornamente, namentlich aus dem Bereiche der Schmiedearbeit, zu. Mit dem Ausbruch des dreissigjährigen Krieges findet auch diese Entwickelung ihr Ende, und der französische Stil Louis XIV. tritt in die Lücke ein.
a) Die Detailformen. Um nun im einzelnen den Charakter der deutschen Renaissance zu schildern, ist vorab mit der Behandlung der Details zu beginnen. Was zunächst den Säulenbau betrifft, so gibt es keine grössere Anzahl von Varietäten als die deutsche Renaissance sie bietet; es wimmelt, namentlich in Zeichnungen und Holzschnitten, von einer fast unabsehbaren Mannigfaltigkeit der Formen, so voll von Willkür, dass es sich einer systematischen Analyse vollständig entzieht. Aber die meisten hielten alle diese oft wunderlich angethanen Formen für wirkliche Renaissance, und manches drang in die monumentale Architektur ein, so namentlich jene pflanzenhafte Behandlung der Säule, welche dem Schaft in seinem unteren Teile eine Ausbauchung gibt und dieselbe mit gezacktem Blattwerk umkleidet, die Basis ebenso willkürlich aus knollig geschwellten Gliedern zusammensetzt und auch das Kapitäl in einer Mischung von mittelalterlichen und unklar aufgefassten antiken Motiven behandelt (wie z.B. am Erker vom Schloss Hartenfels zu Torgau). Neben diesen unklar spielenden Formen erscheinen indessen auch andere, welche mit grösserer Sicherheit die Elemente der Renaissance zur Erscheinung bringen, wenn auch bei ihnen ein starker Hang zu ornamentaler Behandlung vorwiegend ist. Dem unteren Teil des Schaftes, der durch einen Ring begrenzt ist, gibt man deshalb in der Regel reiches plastisches Ornament, aus welchem dann wohl Löwenköpfe und dergleichen aus der Mitte vorspringen. Dergleichen Säulen zeigt ein Portal an der Kanzleistrasse zu Stuttgart, das Portal des Kanzlei gebäudes in Überlingen und das Portal des Schlosses zu Tübingen. Die spätere Zeit wendet sich mit Vorliebe den einfacheren Säulenordnungen, namentlich der dorischen und toskanischen zu. Fig. 128. Portal vom Kanzleigebäude in Überlingen (Lübke, Geschichte der Renaissance).
In ganz anderer Weise als bei Portalen, Grabmälern, Brunnen u.s.w. wird die Säule da behandelt, wo sie eine ernsthaftere Funktion zu erfüllen hat, besonders bei Arkaden, wie sie namentlich in Schlosshöfen vorkommen. Bedingt durch die niedrige Stockwerkshöhe wird die Säule stämmig und gedrungen gebildet, mit freier Umgestaltung der antiken Verhältnisse. Gerade dadurch aber gewinnt sie oft den Charakter einer eigentümlichen kraftvollen Schönheit, so in trefflicher Weise im Schlosshofe zu Stuttgart. Noch derber ist die Behandlung der Säulen im alten Münzhof in München.
Endlich sind noch jene Fälle zu nennen, wo die Säule vereinzelt zur Anwendung kommt, namentlich bei Brunnen, aber auch bei Mariensäulen u.s.w. Hier wird sie frei nach dem Schönheitsgefühl des Künstlers gestaltet, so an dem schönen Brunnen in Nürnberg, einem Brunnen zu Gmünd und Rothenburg-Streng klassisch ist die Mariensäule in München behandelt, originell die Säule an der alten Kanzlei in Stuttgart, welche eine Wendeltreppe birgt.
Die Behandlung der Pilaster schliesst sich in der Regel derjenigen[834] der entsprechenden Säulenstellungen an. Meistens kanellirt man sie, aber eben so oft werden sie mit einem Rahmen umgeben.
Die Flächen erhalten Ornamente von Blättern, in deren Rankenwerk sich Figürliches mischt. Beispiele dieser Art zeigt die Façade des Otto Heinrichbaues in Heidelberg. Fig. 129. Schloss zu Heidelberg (Kunsthistorische Bilderbogen). Gegen Ausgang der Epoche wird es beliebt, die Pilaster entweder à la Rustica mit Bossagen zu behandeln, oder sie nach unten verjüngt als Hermen, häufig mit schuppenartiger[835] Behandlung aufzufassen. Noch öfter bekleidet man den unteren Teil des Schaftes ähnlich wie die Säulen mit spielendem, Metallbeschlägen ähnelndem Ornament. Das Barockste ist, wenn plötzlich in der Mitte des Schaftes sich ein Teil desselben vom Grunde zu lösen beginnt und in starker Ausbauchung vorspringt, um sich dann volutenartig dem Schafte wieder anzuchliessen. Beispiele derart zeigt die Kapelle in Liebenstein. Daneben macht die Spätzeit besonders ungemein ausschweifenden Gebrauch von Hermen und Karyatiden, und zwar nicht bloss mit nach unten verjüngtem Schaft, sondern auch mit allerlei phantastischen Verzierungen. Dagegen macht sich zuletzt eine Reaktion geltend, welche den Pilaster in strengerer Weise als struktives Glied mit straffer, meist etwas verjüngter Bildung des Schaftes auffasst.
Der selbständige Pfeilerbau findet sich hauptsächlich bei den Arkaden der Höfe angewendet, wie in der Residenz in Freising, dem Pellerhaus in Nürnberg und in der Trausnitz bei Landshut. Fig. 130. Hof im Pellerhaus in Nürnberg (Lübke, Geschichte der Renaissance).
Die Behandlung des Bogens, mag derselbe mit Säulen oder Pfeilern verbunden sein, klingt noch in manchen Teilen ans Mittelalter an. Zwar verdrängt der Rund- und Flachbogen allmählich den Spitzbogen, allein die Profilierungen sind noch ganz im Sinne des Mittelalters Abfassungen und Auskehlungen. Indessen gewinnt auch hier die Antike mit ihren rechtwinkeligen architravierten Formen das Übergewicht, sei es, dass man dieselben bloss durch Profil wirken lässt oder dass man auch den Bogen völlig mit Ornamenten bekleidet, wie auf der Plessenburg.
Der Portalbau nimmt an den Wandlungen Teil, welche der Bogenbau im allgemeinen durchmacht. Portale mit geradem Sturz gehören zu den Ausnahmen, Regel ist der Rundbogen, obwohl bisweilen, wie am Rathaus in Mühlhausen, der Spitzbogen oder wohl auch der Flachbogen vorkommt. Anfangs ohne viel Zierat, umrahmt sich das Portal nach der Mitte des Jahrhunderts mit den antiken Säulenordnungen, wie die Portale zu Überlingen, zu Stuttgart, zu Danzig, Rothenburg. Eine kräftige, oft reich geschmückte Konsole bezeichnet den Schlussstein des Bogens, Ornamente vegetabilischer und figürlicher Art schmücken die Zwickel und die Flächen der Archivolte, wie auch des Frieses. Für die obere Bekrönung begnügt man sich vorerst mit dem einfachen Giebel, später wird derselbe oft in barocker Weise durchbrochen, oder es wird besonders wo ein Fenstersystem mit dem Portal verbunden werden soll ein attikaartiger Aufsatz mit Pilastern und Seitenvoluten und nicht selten mit reicher Bekrönung angebracht. Mit dieser Form des Portals kam man bei allen Gebäuden, kirchlichen und profanen aus; als eine Ausnahme erscheint es, wenn dem Hauptportal ein kleineres für Fussgänger beigegeben ist, vielleicht ein Einfluss es französischen Schlossbaues. Die Anordnung findet man an den Schlössern zu Stuttgart und Tübingen, dem Piastenschloss zu Brieg.
Die Behandlung der Fenster hat manche Verwandtschaft mit dem Portalbau, zeigt aber eine grössere Mannigfaltigkeit in Vermischung mittelalterlicher Formen mit denen des neuen Stils. Spitzbogen, Flachbogen, Rundbogen und gerader Sturz kommen gleichmässig vor. Auch hier sind zuerst die mittelalterlichen Profile beliebt, wie am Tucherhaus in Nürnberg. Antikisierende Einfassung mit Architravprofilen zeigt das Piastenschloss zu Brieg. Meistens sind die Fenster ungeteilt, so[837] dass die kleinen runden, in Blei gefassten Scheiben bloss durch hölzerne Rahmen gehalten werden. Bei stattlicheren Anlagen wird das Fenster durch einen mittleren Steinpfosten geteilt, der häufig einen Schmuck von Hermen und Karyatiden erhält, wie am Heidelberger Schlossbau. Die Friese erhalten reichen Ornamentschmuck, und über dem Gesims wird entweder eine freie plastische Bekrönung oder ein einfacher, wohl mit Masken geschmückter Giebel angeordnet. Auch durchbrochene Giebel kommen in der Spätzeit auf. Neben diesen Doppelfenstern begegnet man auch dreifachen mit erhöhtem Mittelfenster, ja bisweilen kommen gruppierte Rundbogenfenster vor, wie am Rathaus in Konstanz.
Besonders bezeichnend für die gesammte deutsche Renaissance ist die Bildung des Ornaments. Ausgehend von der Ornamentik der italienischen Frührenaissance, welche durch rhythmischen Schwung und klaren Fluss der Linien, sowie durch anmutige Verteilung im Raume sich auszeichnet, wird diese graziöse Ornamentik gegen Mitte des Jahrhunderts immer mehr zurückgedrängt[838] und schliesslich ganz beseitigt. Aus dem italienischen Barocco dringt vorerst schon früh das sog. Kartouchenwerk nach Deutschland: aufgerollte, abgeschnittene, mit ihren Enden scharf herausgebogene und frei vorspringende Bänder, die einer biegsamen Masse nachgebildet sind und ihre Entstehung wahrscheinlich Augenblicksdekorationen verdanken. In Deutschland besonders verbindet sich nun dieses Ornament mit einer Flächendekoration, die ihre Motive aus der glänzend betriebenen Schlosser- und Schmiedekunst herleitet und aufs Genaueste den Stil von Metallbeschlägen nachahmt, sogar die Nieten und Nägel werden getreulichst wiedergegeben. Das figürliche Element aber macht sich namentlich in Köpfen und Masken geltend. Fig. 131. Steinornament vom ehemaligen Lusthaus in Stuttgart (Kunsthistorische Bilderbogen). Wie üppig diese Ornamentik auch bei kleineren Prachtstücken vom Holzschnitzer verwendet wurde, zeigt die Säule von einem Altar aus Überlingen.
Die Ornamentik ist die Stärke und Schwäche der deutschen Renaissance. Einerseits spricht sich in ihr eine Fülle von Phantasie, Originalität, eine gewisse Kraft und kecke Derbheit aus, andernteils aber zeigt sie auch, wie tief der Hang zu geometrischen Formspielen und Künsteleien im deutschen Geiste steckt. Derselbe Zug hatte in der gotischen Zeit zuletzt alles in Masswerk aufgelöst, derselbe Sinn bringt die Architektur unter die Herrschaft des Metallstiles.
Doch verdrängt er das freiere Ornament nicht ganz. Besonders in der Stuckdekoration und den gemalten Verzierungen behält das Vegetative, gemischt mit Figürlichem die Oberhand, aber auch hier wird die zierliche Vortragsweise der ersten Zeit verlassen und die Formen grösser und breiter gemacht. Dazu gesellt sich eine mannigfache Anwendung von Voluten und ähnlichen geschwungenen Linien, in welchen wiederum der Hang zum Geometrischen hervortritt. (Residenz in München).
b) Façadenentwicklung. Noch schärfer prägt sich die deutsche Eigentümlichkeit aus in der Komposition der Façaden. Während in Italien der Horizontalismus der allgemein herrschende war, geht in Deutschland der Façadenbau auf die Form des mittelalterlichen Bürgerhauses zurück. Hoch und schmal aufragend kehrt das Haus in der Regel seinen steilen, meistens abgetreppten Giebel der Strasse zu. Dadurch bleibt der Hochbau mit ausgesprochener Vertikaltendenz das Prinzip der deutschen Renaissance. In der Gliederung der Façaden überwiegt anfangs noch das mittelalterliche Prinzip ruhiger Flächen, welche durch zahlreiche, meist gotisch profilierte Fenster durchbrochen werden, die zu zweien oder dreien gruppiert nur durch das Kaffgesimse mit einander verbunden werden. Bald werden die antiken Ordnungen zur Gliederung der Façade verwendet, wenn auch meist, wegen der Niedrigkeit der Stockwerke, in verkrüppelter Gestalt. In der Regel begnügt man sich mit Pilasterstellungen, wobei man in der Anwendung der einzelnen Systeme mit grosser Willkür verfährt. Fig. 132. Pellerhaus in Nürnberg (Kunsthistorische Bilderbogen).
Am wichtigsten für die Wirkung der Façade ist die Behandlung des Giebels. In freier Umbildung der abgetreppten Form wird er mit Voluten, hornartigen Schweifen und andern phantastischen Formen umkleidet, wobei namentlich wieder die Nachahmung von Metallbeschlägen eine grosse Rolle spielt. Die Giebelwand wird in der Regel mit Pilasterstellungen gegliedert und durch kräftige Gesimse in mehrere Geschosse geteilt. Auf die vorspringenden[839] Ecken werden, in freier Umbildung gotischer Fialen, Obelisken, oder auch wohl Kugeln gestellt. Die Mannigfaltigkeit in Ausbildung solcher Giebel ist überaus gross, ja man setzte sogar, allerdings nur ausnahmsweise, kleine Giebel auf, wenn das Haus mit der Längsfaçade an der Strasse lag; die Regel war aber vielmehr, das Dach unmaskiert zu[841] zeigen und es etwa durch buntfarbige Ziegel zu dekorieren, wie am Rathaus zu Mühlhausen.
Den Hauptreiz erhalten die Façaden durch die ebenfalls echt nordische Eigentümlichkeit des Erkers. Wenn es irgend angeht, legt man denselben in die Mitte der Façade, doch kommt er auch häufig in unsymmetrischer Lage vor, wie am Hause zum Ritter in Heidelberg. Wo aber ein Gebäude eine frei heraustretende Ecke bildet, da wird diese sicherlich zur Anlage des Erkers ausersehen, der nun entweder in rechtwinkliger Form überecks vorgelegt wird oder sich kreisförmig oder noch häufiger polygon entwickelt. Die Auskragung wird stets durch mehr oder minder reiche antike Gesimse gegliedert, welche unten auf einer Säule ruhen.
In den norddeutschen Niederungen war schon zu gotischer Zeit der Backsteinbau weit verbreitet; dort bleibt, wenn auch nicht mehr in der Ausdehnung wie im Mittelalter, in der Zeit der Renaissance sein Hauptsitz. Von einem Übergangsstil ist bei diesen Bauten wenig zu verspüren. Die schulgemässe Verwendung der antiken Formen hatte sich bereits weit verbreitet, als diese Gegenden die Renaissance aufnahmen. Da dieselben aber vom Quaderbau ausgegangen waren, verfiel man in steinarmen Gegenden auf Nachbildung derselben in Stuck, wenn man sich nicht zu dem Luxus verstieg, Steine von fernher kommen zu lassen. Der heimischen Bauweise blieb man einzig in Mecklenburg treu und errichtete eine Anzahl prächtiger Gebäude, bei welchen man die Flächen zwar mit Putz verkleidete, aber die Portale und Fenster mit ihren Einfassungen, die Gesimse und Friese und die übrigen ornamentalen Teile in gebrannten Steinen ausführte. Das Hauptwerk dieser Architektur ist der Fürstenhof in Wismar.
Zierliche Bauwerke entstanden sodann aus Verbindung des Backsteinrohbaus mit dem Quaderbau, wobei die Flächeu aus unverputztem Backstein bestehen, die konstruktiven Glieder aber in Haustein gebildet werden. Die Heimat dieses Stils ist in den Niederlanden, allein es verbreitete sich derselbe rasch nach Norddeutschland, England und Dänemark.
Noch grössere Ausdehnung hat eine dritte Art architektonischer Behandlung, welche in hervorragender Weise einen deutschen Charakter trägt: die Verwendung der Holzkonstruktion in Verbindung mit Stein, im Fachwerksbau (siehe Artikel: Holzarchitektur) gefunden. Namentlich sind in den Städten wie Braunschweig, Hildesheim, Goslar u.a. noch zahlreiche Beispiele vorhanden. Fig. 133. Zeughaus in Danzig (Lübke, Geschichte der deutschen Renaissance).
Endlich ist noch einer andern Gattung von Façaden zu gedenken, der gemalten Façaden. Zu den ersten, welche diese Sitte künstlerisch ausgeprägt haben, gehört Hans Holbein. In den meisten Fällen hatte die Façadenmalerei die Aufgabe, die Unregelmässigkeiten des Aufbaus zu verdecken, indem sie das Gerüst einer idealen Architektur über die Fläche warf, und dasselbe nicht bloss mit ornamentalen Gebilden, sondern auch mit figürlichen Kompositionen ausfüllte. Der künstlerische Charakter dieser Darstellungen wurzelt in einer kräftigen Polychromie. Dazu kommen allerlei perspektivische Täuschungen, gemalte Gallerien mit neugierigen Zuschauern, weite Bogenhallen mit landschaftlichen Hintergründen etc., so dass diese Façaden das Gepräge eines heitern Lebens erhalten. Fig. 134. Haus zum weissen Adler in Stein am Rhein (Lübke, Geschichte der deutschen Renaissance). Leider ist wenig von diesen Werken auf uns gekommen. Eins der vollständigsten und reichsten Prachtstücke bietet das Haus zum Ritter in Schaffhausen.[842]
c) Grundrissanlagen. Der Schlossbau. Während der italienische Palastbau der Renaissance sich von aller mittelalterlichen Tradition zu lösen sucht und zu regelmässigen klar gegliederten Anlagen durchdringt, behalten die deutschen und französischen Schlossbauten auch fernerhin das malerische Gepräge mittelalterlicher Burgen: eine unregelmässige Anlage, bisweilen die runden Ecktürme, die selbständigen Wendeltreppen mit ihren Stiegenhäusern. Fig. 135. Altes Schloss in Stuttgart (Lübke, Geschichte der deutschen Renaissance). Die einzelnen Flügel des Schlosses gruppieren sich um einen in der Regel unregelmässigen Hof, der bisweilen mit Arkaden umzogen wurde (Schlösser zu Stuttgart und Plessenburg), welche teils der Verbindung der innern Räume, teils aber auch als Schauplätze für die Herrschaften dienten, bei Gelegenheit der Ringelrennen und anderer Ergötzlichkeiten, die[843] man in den Schlosshöfen abzuhalten pflegte. Im Innern des Schlosses bildet der grosse Rittersaal, die Türnitz, den Kernpunkt der Anlage. Die deutsche Vorliebe fürs Bankettieren liess diese grossen Säle, die gewöhnlich einen ganzen Flügel einnahmen, als den wichtigsten Teil der Anlagen erscheinen. In der Nähe des Saales war die Kapelle angeordnet, in der Regel in gotischen Formen gehalten. Namentlich sind die Wendelstiegen der Stolz der alten Werkmeister. Man legt sie in den Ecken des Schlosshofes in vorspringenden Türmen an. Prachtstücke sind die Treppen in den Schlössern zu Mergentheim und zu Göppingen. Gegen Ausgang der Epoche streift der Schlossbau manche seiner mittelalterlichen Eigenheiten ab. Die runden Ecktürme fallen fort, und man liebt es statt dessen jene hohen Giebel anzubringen, welche der Stolz der deutschen Architektur sind wie am Schlossbau zu Aschaffenburg.
Neben dem Schlossbau steht in zweiter Linie das bürgerliche Wohnhaus. Der Grundriss ist schmal und in die Tiefe gestreckt, ganz nach Art des Mittelalters. Ein Hof verbindet in der Regel das Vorderhaus mit den Hintergebäuden. Hölzerne Gallerien vermitteln die Verbindung, an deren Stelle[844] bisweilen steinerne Arkaden treten (Pellerhaus in Nürnberg). Die Treppen sind stets als steinerne Wendelstiegen in den Ecken der Höfe angebracht und mit den Gallerien in Verbindung gesetzt. In den meisten Fällen bleiben diese deutschen Hofanlagen eng und schmal.
Von den städtischen Gebäuden stehen die Rathäuser in erster Linie. Im Gegensatz zu den italienischen, werden die Façaden geschlossen behandelt und nur durch grosse Freitreppen, wie in Heilbronn, ausgezeichnet. In solchen Fällen wird das Erdgeschoss gewöhnlich mit Bogenhallen auf Pfeilern angelegt und als Waarenlager und zu ähnlichen Zwecken verwendet. Im Hauptgeschoss zieht sich vor dem Rats- und Gerichtssaal in der Regel ein grosser Vorplatz hin. Für Büreaus und Schreiberzwecke waren nur wenige Räume erforderlich. Deshalb wirkt das Innere durch die paar grossen Räume, den Vorplatz und den Hauptsaal, höchst bedeutend, Die Treppe liegt in der Regel als Wendeistiege in einem vorspringenden Turm. Erst später werden die Treppen ins Innere gezogen und mit geraden Läufen und Podesten angelegt. Wo aber die Treppentürme bleiben, erhalten sie eine meist kuppelartige Bedachung, welche den schlanken mittelalterlichen Helmen schnurstracks entgegengesetzt sind und oft durch originell geschwungenen Umriss eine malerisch pikante Wirkung gewinnen.
d) Innendekoration. Die künstlerische Ausbildung des Innern bewegt sich bei allen Profanbauten der Renaissance in ziemlich übereinstimmender Richtung. Was zunächst die Deckenbildung betrifft, so ist die Anwendung von Gewölben besonders im Erdgeschoss, den Treppenraumen und den Korridoren überwiegend und zwar beinahe immer in gotischer Form. Die meisten Räume jedoch erhalten flache Decken, zunächst einfache mittelalterliche Balkendecken. Bald dringt indess auch hier die antike Formbildung ein und man giebt den Sälen und Zimmern geschnitzte Kassettendecken, oft mit farbigen Intarsien geschmückt. Damit verbindet sich eine nicht minder reiche Täfelung der Wände. Schliesslich kommt die Auschmükkung der Decken in die Hände der Maler und Stukatoren. Den Übergang zu den Wänden mit ihrer Teppichbekleidung bildet dann eine grosse Hohlkehle mit Stuckreliefs. Oft prangen diese Decken in grossartiger Farbenpracht, oft aber bleiben sie auch weiss und bezeichnen den Übergang von der mittelalterlichen Polychromie zu der nüchternen Einfarbigkeit des Barocco.
e) Verschiedene Bauwerke. Den künstlerischen Trieb der Zeit vergegenwärtigt vielleicht nichts so deutlich, wie die Ausführung der zahlreichen Brunnen auf öffentlichen Plätzen. Dieselben scheiden sich in Zieh- und Röhrenbrunnen. Der erstere verlangt in der Regel ein steinernes Gerüst zum Aufhängen der Rolle, bei letzterem ergiesst sich das Wasser in ein grosses Bassin. Die Renaissance bildet dieselben in der Regel so, dass sich in der Mitte des Beckens eine Säule erhebt, auf deren Kapital man eine Figur zu stellen liebt. Fig. 136. Brunnen in Gmünd (Lübke, Geschichte der deutschen Renaissance). Fast alle alten Städte haben noch als schönsten Schmuck ihrer Strassen und Plätze solche Brunnen bewahrt, wie Basel, Gmünd, Rothenburg, Rottweil, Nürnberg, Augsburg und München. Von den städtischen Bauten zu Schutz und Trutz ist noch manches erhalten, obschon die gewaltigen Wälle von unserer nivellierenden Zeit mit Eifer beseitigt werden, wie die unvergleichlich grossartigen Mauern von Nürnberg.
Noch wären schliesslich mehrere Lehranstalten, namentlich Jesuitenkollegien[845] anzuführen, ferner verschiedene Spitäler, Kanzleien, Fleischhallen, Zeughäuser und Gebäude für höfische Festlichkeiten, unter welchen das in unserm Jahrhundert zerstörte Lusthaus in Stuttgart ein Unicum bildete; indessen tragen alle diese Bauten im allgemeinen in der Behandlungsweise die bereits geschilderten Züge in ziemlicher Übereinstimmung an der Stirn.
f) Gartenanlagen. Mit den Schlössern und fürstlichen Lusthäusern, aber auch mit reichen Bürgerhäusern, standen fast immer Gartenanlagen in Verbindung, allerdings heute fast nirgends mehr erhalten. Den vollständigsten Begriff eines Gartens der Renaissance giebt uns die bei Merian aus der Vogelschau genommene Darstellung des Schlossgartens zu Heidelberg. Das Ganze macht mit seinen regelmässig abgeteilten Blumenbeeten, eingefasst von kleinen rundgestutzten Bäumchen, durchzogen von Taxushecken und überwölbten Laubgängen, zwischen Springbrunnen, Statuen und Gartenhäuschen, mit seinen Grotten, Labyrinthen und andern zierlichen Spielereien den Eindruck einer streng mit Lineal und Zirkel behandelten Anlage.
g) Der Kirchenbau. Der Kirchenbau wiegt in der deutschen Renaissance nicht schwer. Bis tief ins 16. Jahrhundert bleibt derselbe der[846] Gotik treu. Erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrunderts dringen allmählich die Formen des neuen Stils ein, indessen wird das gotische Rippengewölbe auch jetzt noch in den komplizierten Netz- und Sternverbindungen festgehalten. Auch die Fenster werden übereinstimmend noch mit Masswerk behandelt. Selbst der Grundriss folgt noch der gotischen Überlieferung und schliesst das Langhaus mit polygonem Chor. Die Renaissance mit ihren antiken Formbildungen kommt hauptsächlich den freien Stützen, den Emporen und den Portalen zu gute. Ein vollkommenes System von Bogenhallen, mit allen Elementen der drei antiken Ordnungen umkleidet, umzieht das Innere der Universitätskirche zu Würzburg. Wie alles Übrige trägt auch der Turmbau dieselben Spuren von Stilmischung an sich. Der vollständige Bruch mit dem Mittelalter vollzieht sich an der Michaelishofkirche in München und dem mit kolossalem Innengewölbe überbauten Bau der Dreifaltigkeitskirche zu Regensburg.
Die innere Ausstattung dieser Kirchen setzte alle künstlerischen Kräfte in Bewegung. Kunstreiche Eisengitter, prächtige Grabmäler, reich geschnitzte Chorstühle und Altäre, deren Hauptstück nun das vom Maler angefertigte Altarbild wurde, welches von einer in mehreren Stockwerken sich aufbauenden Architektur mit Säulenordnungen, abgebrochenen Giebeln, Voluten und allen Ausgeburten des Barocco umrahmt wurde; Tabernakel, Sakramentshäuschen u.s.w. sind bemüht, ihr Möglichstes zur Ausschmückung des Gotteshauses zu thun.
3. Renaissance in den Kunstgewerben. Grosse Bedeutung gewinnt der neue Stil der Renaissance namentlich in dem weiten Gebiete des Kunsthandwerks. Was zur Ausstattung der Wohnräume, was im engern und weitern Sinne zum Kostüm gehört, erfreute sich in Deutschland einer um so lebendigeren Pflege, als hier der Sinn für häusliches Behagen vorzugsweise ausgebildet war. Selbst die grossen Meister, wie Dürer und Holbein, verschmähten nicht, dem Kunstgewerbe Vorbilder zu schaffen. Auch hier wirken die mittelalterlichen Formen noch lange nach, und erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wendet man sich dem neuen Stile zu, aber bis zum Ende der Epoche mischt sich immer noch manches Mittelalterliche dabei ein.
a) Holzarbeit. Die Holzarbeit hat ihre glänzende Ausbildung in erster Linie im Dienste der Kirche gewonnen. Nicht bloss die zahlreichen Schnitzaltäre, sondern namentlich auch die Chorstühle gaben reiche Gelegenheit zur Entfaltung. Die Formen der Renaissance erscheinen erst 1550, dann aber[848] schon mit barocken Elementen gemischt, wie an dem Chorgestühl der Klosterkirche zu Danzig und Wettingen. Mit aller Energie wirft sich dann diese Technik auf die Ausstattung der Wohnräume. Zunächst sind es die Wände und Decken der Zimmer, welche in gediegenster Weise mit Täfelwerk ausgestattet werden, erstere mit einem System von Pilastern oder Halbsäulen und farbig eingelegtem Ornament, dazu Fig. 137. Intarsia-Ornament (Kunsthistorische Bilderbogen) letztere mit reichem Kassettenwerk nach antiker Art. Ein hübsches Beispiel bietet ein Zimmer des alten Seidenhofs in Zürich; Fig. 138, Zimmer aus dem Seidenhof in Zürich (Lübke, Geschichte der deutschen Renaissance), zum höchsten Prunk aber steigert sich die Behandlung im goldenen Saale des Rathauses zu Augsburg.
Neben diesen grossen Prachtstücken bringt die Kunsttischlerei alle jene in ihr Gebiet fallenden Gegenstände, welche zum Mobiliar der damaligen Bürgerhäuser und Schlösser gehören, in mannigfaltigster Weise hervor. Dazu verwendet man dann nicht nur einheimische Holzarten, sondern auch Ebenholz und Elfenbein, Perlmutter, Schildpatt, Lapislazuli u.s.w., was den Werken jener Zeit die reiche Farbenpracht einer durchgebildeten Polychromie verleiht. Am einfachsten gestalten sich in der Regel die grossen Schränke für Kleider, die Truhen für Leinenzeug, die Büffets und Kredenzen. Die Renaissance führt dieselben als kleine Bauwerke auf, die mit Pilaster und Säulenstellungen eingerahmt und selbst mit Portalbildungen versehen werden. Einen höhern Anlauf nimmt die Kunsttischlerei, wo es gilt Prachtgegenstände zn schaffen, seien es einzelne Bettladen oder aber namentlich sogenannte Kunstschränke, die, auf prachtvollen Tischen aufgestellt, in ihren zahlreichen, teils geheimnisvoll versteckten Fächern und Schubladen zur Aufbewahrung von allerlei Kostbarkeiten und Raritäten bestimmt, oft aber auch lediglich zu Schreibtischen dienend, durch den erdenklichsten Aufwand an prachtvollem Material und sinnreicher Arbeit stets einen hohen Wert gewinnen. Die Gesamtform dieser Schränke bildet einen Aufsatz in Gestalt kleiner palastartiger Prachtbauten, reich gegliedert, in mehreren Stockwerken durch reichverzierte Säulen, Karyatiden und Atlanten in Hermenform auf geschmückten Postamenten, dazwischen Statuetten und Reliefs in reichem Rahmen, das Ganze bekrönt von durchbrochenen Bailustraden. Der Mittelbau ist öfter eingezogen, stets aber mit einem Prachtportal und darüber mit einer offenen Loggia auf Säulen ausgestattet.
b) Elfenbeinschnitzerei und Goldschmiedekunst. An diese kunstvollen Tischlerarbeiten schliesst sich die Elfenbeinschnitzerei und Goldschmiedekunst. Zunächst bedarf die genussfrohe Zeit eines ausserordentlichen Vorrats von Trinkgeschirren aller Art. Holbein und Dürer waren mit Anfertigung von Zeichnungen zu prachtvollen Pokalen beschäftigt. Allein die Neigung, zum Seltsamen und Phantastischen verleitete andere Meister zu den wunderlichsten Erfindungen. In Gestalt von Brunnen und Dreifüssen, von Burgen, Schiffen u. dgl., von Damen mit aufgebauschtem Reifrock, wurden die Gefässe mit Vorliebe dargestellt. Fig. 139. Trinkgefässe (Kunsthistor. Bilderbogen). Unermesslich ist der Schmuck, mit welchem man diese Geräte ausstattete. Das ganze Reich der Mythologie und Allegorie wurde in Kontribution gesetzt und dazu noch üppiger Pflanzenschmuck gefügt. Eins der glanzvollsten unter allen erhaltenen Werken ist der[849] berühmte Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer, gegenwärtig im germanischen Museum zu Nürnberg. Aber die Thätigkeit des Goldschmieds erstreckte sich noch weiter über alle Gebiete des Schmuckes und zwar nicht bloss der schmückenden Geräte im engeren Sinne, vielmehr die ganze Kleidung wurde Gegenstand prächtiger Ausstattung. Nicht allein Ringe, Ketten und Gürtel, Spangen und Agraffen gaben Anlass zu künstlerischer Behandlung, sondern auch Röcke, Mäntel und Hüte wurden oft reich mit Zierraten bedeckt, zu deren Erfindung selbst Holbein Kopf und Hand zu bieten nicht verschmähte. Ferner ist auch an den Waffen die künstlerische Ausstattung eine wahrhaft bewundernswerte. Daran schliesst sich die nicht minder glanzvolle Arbeit der Harnischmacher oder Plattner.
Bei alledem sind die verschiedenen Richtungen der Metallarbeit dieser Zeit noch nicht erschöpft. Reiches Tafelgeschirr aus edlem Metall, Platten, Schüsseln, Schalen, Teller, Näpfe, Konfektträger und Kühlgefässe variieren in den mannigfaltigsten künstlerischen Formen und werden mit getriebenen oder flach gravierten Ornamenten und figürlichen Darstellungen bedeckt. Auch die Löffel und Messer werden beliebte Gegenstände für die erfindungsreiche Thätigkeit des Goldschmiedes. Endlich sind noch die Standuhren zu erwähnen, welche namentlich in Augsburg und Nürnberg verfertigt wurden.
c) Schmiedearbeiten. Bescheidenere Arbeiten lieferten die Eisenschmiede, aber Arbeiten, die durch höchste technische Vollendung und sinnreiche Erfindung sich zum Wert[850] von Kunstwerken erhoben. Die Schlösser und Thürbeschläge sowie die Thürklopfer erfreuen sich der reichsten Ausbildung und werden in ihren Flächen häufig durch eingegrabene und geätzte Ornamente, bisweilen selbst durch Vergoldung und Touchierarbeit geschmückt. Besonders aber glänzt die Erfindung und Kunstfertigkeit der Meister in Herstellung der schmiedeeisernen Gitter. Fig. 140. Eisengitter aus dem 16. Jahrhundert (Kunsthist. Bilderbogen). Das Prinzip derselben besteht darin, runde Stäbe in mannigfaltigen Verschlingungen und Durchschneidungen so mit einander zu verbinden, dass das Ganze einen festen Zusammenhalt bildet. Dieser wird nicht bloss dadurch hergestellt, dass an den durchschneidenden Stellen Bänder angebracht werden, sondern noch häufiger dadurch, dass man das Stabeisen durcheinandersteckt,[851] indem man an den Kreuzpunkten ein sogenanntes geschwelltes Auge anschmiedet, eine wahre Geduldsprobe für den ausführenden Meister. Daneben erhalten die untergeordneten Endungen oft freies Blattwerk oder seltsame Fratzen, Menschen- oder Tierköpfe. Neben diesen Gittern aber schuf die Schmiedekunst noch treffliches aller Art: Leuchter, Wetterfahnen, Kreuze, kleine Kästchen u.s.w.
d) Töpferarbeiten. Zu den wichtigsten Kunstgewerben der Zeit gehört ferner die Töpferei, welche nicht nur die gewöhnlichen Gefässe des Haushaltes mit verschiedenfarbiger Glasur und tausendfach variierten Ornamenten schafft, sondern auch die Fliessen zu. Fussböden, namentlich aber zu Öfen lieferte. Der Ofen besteht in der Regel aus einem Unterbau, der auf meist plastisch gestalteten Füssen ruht und aus welchem ein schmaler Oberbau aufsteigt. Der ganze Aufbau wird architektonisch durchgebildet, mit kräftigem Fuss- und Deckgesimsen versehen. Hermen und Karyatiden, wohl auch Pilaster betonen die vertikale Gliederung, und die einzelnen Felder werden als Bogennischen gebildet, welche man mit figürlichen Reliefs schmückt. Die meisten Werke dieser Art sind mit einer schönen grünen, andere mit einer schwarzen Glasur überzogen. Besonders vielseitig und lang andauernd hat die Schweiz die Ofenfabrikation gepflegt. Der Hauptsitz war Winterthur, wo die Familien Pfau und Erhart eine Anzahl geschickter Hafnermeister und Ofenmaler lieferte. In der Regel wird neben dem Ofen in der Ecke des Zimmers ein bequemer Sitz mit Rücken- und Armlehne ebenfalls aus Kacheln aufgebaut. Sehr bald tritt an die Stelle des einfarbig grünen Ofens mit seiner plastischen Durchbildung der vielfarbige mit malerischer Behandlung. Die Farben werden dünn und leichtflüssig aufgetragen. Diese Polychromie behalten die Öfen bis in die zweite Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts, dann werden sie matter und matter, bis sie schliesslich ganz ins Weisse erblassen.
e) Glasmalerei. Nicht in gleichem Umfang, aber doch in ansehnlichem Betriebe wird die Glasmalerei gepflegt. Teils verwendet man sie zur Herstellung von Trinkgläsern und Bechern, teils zur Herstellung farbiger Fenster. Auch da war es namentlich die Schweiz, welche diesen Kunstzweig bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein mit grossem Eifer pflegte.
f) Textile Kunst. Schliesslich ist noch ein Blick auf die textilen Künste zu werfen, die in dieser Zeit im Wetteifer mit der gesammten künstlerischen Bewegung ihre Meisterschöpfungen hervorbrachten. Flandern war es vor allem, wo die Teppichstickerei aufblühte, die in der vollen Anwendung und reichen Abstufung der Farben und im Herbeiziehen des Goldes die monumentale Malerei zu überbieten suchte. Ausser diesen Teppichen, mit welchen die Wände bedeckt zu werden pflegten, fertigte man namentlich die Kissen und Polster für Stühle und Bänke. Auch das Bett wird oft prächtig mit Stickereien ausgestattet. Vorzüglich aber wendet man die Stickereien an Gewändern an. Hierher gehören endlich auch die Arbeiten in gepresstem Leder, welches seine Verwendung namentlich zu Büchereinbänden fand und denselben ein unvergleichlich stilvolles Gepräge verleiht. So zeigt sich das Kleinste wie das Grösste von derselben künstlerischen Strömung ergriffen.
4. Theoretiker und Architekten. Über die Studien und Stellung der damaligen Architekten liegen nur spärliche Notizen vor. Es waren anfangs schlichte handwerkliche[852] Meister, die ihrer Lebensstellung und ihrem Bildungsgange nach sich nirgends über die Schranken der hergebrachten Anschauung erhoben, im Gegensatze zu den italienischen und französischen Architekten, voll höherer Bildung und voll stolzen Bewusstseins derselben. In der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts fangen zwar allmählich die Werke an, sich klassischer zu gestalten; aber erst gegen Ausgang der Epoche trifft man unter ihnen solche, die auf Studien in Italien deuten. Die damaligen deutschen Meister scheinen nur ausnahmsweise Studienreisen nach Italien unternommen zu haben. Ihre Kenntnis der antiken Architektur schöpften sie zumeist aus den zahlreichen theoretischen Schriften. Der ersten einer, welcher solche herausgab, war Albrecht Dürer. Die Resultate seines Nachdenkens und die Erfahrungen seines gesamten Lebens beabsichtigte er in einem umfassenden Werke niederzulegen, von welchem nur ein Teil zur Ausführung gelangt ist, die Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit und die Vier Bücher von menschlicher Proportion. Seine Unterweisungen giebt er mit steter Rücksicht auf Grössen und Zahlenverhältnisse, auf die Geometrie, und fusst einerseits auf den überall noch in Kraft befindlichen Ueberlieferungen des Mittelalters, anderseits sucht er sich an Vitruv anzulehnen. Bezeichnend ist seine Bemerkung, dass jeder streben solle, etwas Weites und Fremdes zu finden; denn wenn auch der hochberühmte Vitruvius und andere gesucht und gute Dinge gefunden hätten, so sei damit nicht aufgehoben, dass nichts Anderes, das gut sei, möge gefunden werden. Diesen Hang zu willkürlicher Freiheit der Erfindung erkennt man denn auch in manchen seiner Kompositionen; denn, obwohl er die Antike im Auge hat, mischt er die einzelnen Ornamente in ungebundenster Weise. Eigentümlich genug sind die Entwürfe zu drei Gedächtnissäulen, wobei es sich bei einer um einen Sieg über aufständische Bauern handelt und die der Sonderbarkeit halber hier beschrieben sei. Die sehr gut gezeichneten Gruppen gefesselten Viehes, welche er auf die untersten Stufen der Basis legt: »Kühe, Schafe, Schweine und allerlei« kann man sich noch gefallen lassen. Aber auf die Ecken des Postaments rät er Körbe mit Käse, Butter, Eier, Zwiebeln, Kräutern oder was dir einfällt, zu stellen. Auf diesen Unterbau setzt er allen Ernstes einen Haferkasten und stürtzt darüber einen Kessel, auf weichen er einen Käsenapf stellt, der mit einem starken Teller zugedeckt wird. Auf denselben setzt er ein Butterfass, auf dieses wieder einen Milchkrug. Dieser trägt eine Korngarbe, in welche Schaufeln, Hauen, Hacken, Mistgabeln, Dreschflegel u. dgl. eingebunden sind. Darüber folgt ein Hühnerkorb und auf diesem ein Schmalzhafen, auf welchem ein trauernder Bauer sitzt, dessen Rücken mit einem Schwert durchstochen ist. Dies eine Beispiel mag genügen, zu zeigen, wie sehr Dürer zwar dem Naturalismus huldigte, aber auch zugleich, wie wenig er im stande war, zu reinen architektonischen Prinzipien durchzudringen. Bald nach Dürers Tode erschien eine verständlichere Darstellung der »Kunst der Messens« von Hieronymus Rodler, der von den Dürerschen Büchern meint, sie seien nur für die, so eines grossen Verstandes, vielleicht dienlich. In der That geht Rodler einfach praktisch zu Werke und bringt eine Reihe von Beispielen, an welchen er die perspektivische Erscheinung und Darstellung der Dinge nachweist. Überall bemerkt man in seinen Zeichnungen eine steigende Lust zur Anwendung von Renaissanceformen, die aber gleichwohl von[853] einem wirklichen Verständnis weit entfernt sind.
Nicht lange darauf gab in Nürnberg Walther Rivius seine umfangreichen Werke heraus, 1547 die »Neue Perspektive« und 1548 den »Deutschen Vitruv«, den er nach der 1521 zu Como erschienenen Ausgabe und dem Kommentar des Cesariano bearbeitete; auch die Illustrationen sind meist nach Cesariano. Überhaupt ist die Auffassung des Autors durch die seiner italienischen Vorgänger beherrscht. Seine Schriften bezeichnen offenbar den Moment, wo die italienische Behandlung der Formen in Deutschland eindrang. Von Sympathie für die Kunst des Mittelalters ist wenig mehr zu spüren, wenn er auch den Mailänder Dom in Grund und Aufriss bringt. Die architektonischen Details, die er abbildet, sind korrekt nach dem Muster der Italiener wiedergegeben, und er rät, die Ordnungen nicht zu vermischen. Doch spukt auch bei ihm die Neuerungssucht der Zeit in mancherlei Vorschlägen zu »Verenderung der Bossen, so ein verstendiger Baumeister weiter nach seinem Gefallen in mancherlei Werk bringen möge.« Wenn schon hier viel Barockes mit unterläuft, so bringt er denn doch das barockste Zeug unter den künstlichen Säulen von Bildwerk, »wie solche dieser Zeit bei den Welschen in Brauch.« Was Rivius von Anlage und Gesamtform antiker Gebäude vorbringt, ist begreiflicherweise nach Cesarino und nimmt sich wunderlich genug aus. So giebt er die Grundformen der griechischen Tempel ganz nach dem Schema mehrschiffiger Kirchen. Wie ernsthaft man es aber nahm, ersehen wir aus der Stelle, wo er den Architekten nicht bloss ermahnt, dass er »so er der Symmetrie behende und wohl erfahren sein solle, sich der geometrischen Messung heftig üben müsse,« sondern auch nach Vitruv die Unterschiede der Tempel nach verschiedenen Gottheiten, besonders männlichen und weiblichen, einschärft. In seiner zweiten Schrift, der neuen Perspektive, kommt er überall auf die »wunderbarliche Art, Eygenschafft und Gerechtigkeit des Zirkels« zurück und giebt umständliche Anleitung, wie alle möglichen Formen mit Zirkelschlägen zu konstruieren seien.
Im weitern Verlaufe des 16. Jahrhunderts steigert sich die Lust und das Bedürfnis nach theoretischen Schriften, namentlich erfreut sich die Perspektive erneuter Behandlung, wie von Erhard Schön, Hirschvogel, Stoer, Jamnitzer, Lenker etc., daneben auch die Anatomie, wie in der deutschen Übersetzung der Anatomie Vesals von Johann Baumann.
In der spätem Zeit des Jahrhunderts nehmen die architektonischen Lehrbücher überwiegend den Charakter eines ausschweifenden Barockstils an. Immer aber wissen die Herausgeber sich dabei viel mit der Lehre Vitruvs zu beschäftigen, welche sie noch in ihren tollsten Phantasiegebilden treu zu befolgen glauben. Derart ist die Architektura des »vitruvianischen Architekten Rutger Kässmann, Bildhawer und Schreiner.« In ein vollständiges System wird aber die tolle Willkür der Zeit durch das »Schweiff büchlein« Gabriel Kramers gebracht. Das Werk ist ein Kompendium barocker Detailformen; trotz alledem ist aber doch Methode in diesem Wahnsinn, da alle diese Ausgeburten der Phantastik streng nach den verschiedenen Säulenordnungen durchgeführt sind, so dass für jede derselben eine bestimmte Art der Verschnörkelung zum Gesetz erhoben wird. Massvoller ist eine andere Sammlung, welche durch Georgen Haasen, Hoftischler und Bürger in Wien, 1583 herausgegeben wurde. Alle Zeitgenossen übertrifft aber an Üppigkeit der Erfindung und barockem Schwulst der Strassburger Baumeister und Maler Wendel Dietterlein in seinem Werk: »Architektura[854] und Austeilung der fünf Seuln.« Am ungebundensten bewegt sich seine Phantasie in den Pilasterhermen, welche er jeder Säulenordnung beigiebt. Bei der toskanischen, die er einem groben Bauern vergleicht, zeigt der Pilaster wirklich die Gestalt eines solchen. Ein andermal verwendet er einen feisten Koch als Atlanten, auf dem Kopf zwei Schüsseln, am Gürtel zwei Bündel Schnepfen und ein Küchenmesser, in der Hand einen Schöpflöffel. Praktische Nachfolge haben diese Dinge glücklicherweise nur an Altären und Epitaphien gefunden, der Profanbau hielt sich im allgemeinen rein davon, während die Kirche das tollste Zeug nicht verschmähte.
Die durch solche Schriften gebildeten Architekten gewannen denn auch im Dienst der Fürsten allgemach eine angesehenere Lebensstellung. Über einen derselben, Heinrich Schickhart, sind nähere Berichte auf uns gekommen, welche das Leben und Studium eines damaligen Architekten veranschaulichen und welche in der öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart auf bewahrt sind. Wenn er auch zwei Studienreisen nach Italien machte, so geht im ganzen aus seinem Lebensbilde doch hervor, dass die damaligen Baumeister meist auf litterarische Quellen für das Studium der antiken Kunst angewiesen waren. Zugleich aber gaben sich die damaligen Architekten auch alle Mühe, über die gleichzeitig aufgeführten Bauten sich Kenntnis zu verschaffen und kopierten einzelne Teile derselben in eigenen Entwürfen oft ganz genau. Nach Lübke, Geschichte der deutschen Renaissance, Allg. Teil.
A. H.
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