Napoleon III.

[293] Napoleon III., Charles Louis, Kaiser der Franzosen, geb. 20. April 1808 zu Paris, 3. Sohn Louis Bonapartes, Königs von Holland, lebte nach dem Sturze seines Oheims zuerst mit seiner Mutter zu Augsburg, hierauf auf dem Schlosse Arenenberg am Untersee im Kanton Thurgau. Hier eignete er sich deutsche Bildung an, studierte besonders Mathematik und Kriegswissenschaft, wurde bernischer Artillerieoffizier, thurgauischer Bürger, Gemeinderath in dem Dorfe Manenbach, Präsident der thurgauischen Schützengesellschaft, nahm mit seinem Bruder an dem Aufstand der Italiener 1831 Antheil, lag krank in dem von den Oesterreichern besetzten Ancona u. wurde von seiner Mutter durch Italien und Frankreich in die Schweiz zurückgebracht (sein Bruder st. in Italien). Darauf gab er (1832) »Rêveries politiques« heraus, eine Schrift für Napoleons System u. Erben, die kaum beachtet wurde; 1833 »Considérations politiques et militaires sur la Suisse«, welche kein besseres Schicksal fanden, 1835 »Manuel de lʼartillerie«, das wenigstens von einigen französ. Journalen als Beweis für des, »Prinzen« (wie er sich damals nennen ließ) wissenschaftliche Thätigkeit lobend erwähnt wurde. Indem er die Unzufriedenheit der Franzosen mit Louis Philipps Regierungssystem überschätzte, wagte er am 30. Octbr. 1836 den bekannten Handstreich auf Straßburg, wo einige Offiziere der Garnison und das 4. Artillerieregiment von ihm gewonnen waren, nicht aber die Generale, weßwegen er scheiterte u. gefangen ward. N. wurde ohne Prozeß nach Nordamerika deportirt, von wo er nach dem Arenenberge zu seiner todtkranken Mutter (1837) zurückkehrte. Eine Schrift des Lieutenants Laity über das Straßburger Attentat, die man nach Frankreich schleuderte, veranlaßte die franz. Regierung 1838 die Ausweisung Louis Napoleons zu verlangen, worauf dieser sich nach England begab und 1839 in den »Idées Napoléoniennes« zu beweisen versuchte,[293] daß Napoleon I. Frankreich und Europa glücklich gemacht hätte, wenn er seine Ideen hätte ausführen können. Der abenteuerliche Versuch auf Boulogne (6. Aug. 1840) brachte ihn vor das Gericht des Pairshofs und in das Gefängniß zu Ham, wo er »Fragments historiques« 1841, »Analyse de la question du sucre« 1842 und 1844. »Etude sur lʼextinction du pauperisme« (die Grundgedanken der letztern sind die Fellenbergischen Armenschulen u. Armencolonien), erschein en ließ. Am 5. Mai 1846 gelang N. die Flucht nach England und hier gab er 1847 eine Schrift über den Kanal von Nicaragua, 1848 eine über die Vergangenheit und Zukunft der Artillerie heraus. Am 28. Febr. 1848 erschien er zu Paris, nicht zur Freude der Republikaner, entfernte sich auf den Wunsch der provisorischen Regierung wieder, kam jedoch im Sept. 5mal gewählt in die Nationalversammlung, wo er bei seinem ersten Auftreten verhöhnt wurde. Als Candidat der Präsidentschaft der Republik erhielt er die bei weitem größere Majorität bei der Volksabstimmung und trat am 20. Dez. sein Amt an. Anfangs schien er sich besonders auf die ehemaligen parlamentarischen Nobilitäten zu stützen u. entfernte bloß die Republikaner von den höheren Stellen, veranstaltete die Expedition gegen die röm. Republik, wies die Hilfegesuche der deutschen u. italien. Revolutionäre ab und machte sich in Frankreich durch seine Gewandtheit und die Art, wie er sich über die Bedürfnisse des gemeinen Volks aussprach, mit jedem Tag populärer, während das Ansehen der Nationalversammlung von Tag zu Tag sank. Sein Vorhaben, sich durch diese eine Verlängerung seiner Amtsdauer decretiren zu lassen, mißlang; sie verwarf auch seinen Antrag zur Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts und arbeitete daran, dem Prinzen Joinville die nächste Präsidentschaft zu verschaffen. Durch Louis N. wurde aber die Versammlung mit jedem Tage unpopulärer, was sie ihm durch ihre nutzlose, ehrgeizige, charakterlose Rednerei sehr erleichterte; er entfernte alle Generale u. höhere Beamte, die seinen Absichten ungünstig waren, umgab sich zuletzt mit einem rein bonapartistischen Ministerium u. sprengte am 2. Dezbr. 1851 die Nationalversammlung. Hierauf verkündete er die Grundzüge einer der Consularverfassung von 1799 nachgebildeten Verfassung, ließ sich durch die Volksabstimmung zum Präsidenten auf 10 Jahre ernennen, gab am 14. Januar 1852 die neue Verfassung, ließ sich am 21. und 22. Novbr. durch Volksabstimmung zum Kaiser wählen u. bestieg d. 1. Dez. als Napoleon III. den Thron. Seine Werbung um eine Prinzessin von monarchischem Blute mißlang und er heirathete den 30. Jan. 1853 Eugenie von Montijo (s. d.), bei welcher Gelegenheit er sein Anrecht auf den Thron dem der legitimen Herrscher schroff gegenüberstellte. Seitdem beherrschte er Frankreich mit einer Energie, die an Napoleon I. erinnert, gebrauchte Frankreichs erstaunliche finanzielle Kraft in einer Weise, die Schwindel erregt, gab dem Pariser Proletariat wohlfeileres Brod und Fleisch u. durch ungeheure Bauten Arbeit und Verdienst und griff endlich bei der Entwicklung der oriental. Krise mit solcher Entschiedenheit ein, daß Frankreich als der eigentliche Gegenpart Rußlands u. England N. III. fast untergeordnet erscheint; gleichzeitig hat er durch seine Allianz mit Sardinien u. die fortdauernde Occupation Roms sich eine breite Operationsbasis in Italien geschaffen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 293-294.
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