[711] Fettigkeit heißt der Widerstand der Körper gegen Trennung ihrer Teile (s. Bruch) oder sonstige Aufhebung der Kohäsion. Diese Wirkung kann auf verschiedene Art erreicht werden, wonach man verschiedene Arten der Fertigkeit unterscheidet. Da aber die zur Trennung erforderlichen Kräfte auch von den Dimensionen der Körper abhängen, so pflegt man die Fertigkeit auf die Flächeneinheit der beanspruchten Flächen zu beziehen, und zwar im allgemeinen auf die Einheit ihres anfänglichen Inhaltes F. Den theoretisch einfachsten Fall der Beanspruchung hat man, wenn ein prismatischer Stab lediglich durch eine gleichmäßig auf seinen Querschnitt verteilte Kraft Z parallel der Stabachse gezogen wird (womit die resultierende Zugkraft Z in der Achse wirkt). Die Beanspruchung z = Z : F pro Flächeneinheit des anfänglichen Querschnitts F bei Eintritt des Bruchs in diesem Falle heißt Zugfestigkeit (s.d. und Dehnung, Zugelastizität), früher wurde sie auch absolute Fertigkeit genannt. Für die Fertigkeit bei Einwirkung von äußeren Kräften senkrecht zur Stabachse, durch welche Formänderungen der Stabachse entstehen, ist jetzt allgemein der Name Biegungsfestigkeit gebräuchlich (s.d. und Biegung, Biegungselastizität), früher wurde sie meist als relative Festigkeit bezeichnet. Tritt bei dem betrachteten Stabe an Stelle der auf den Querschnitt gleichmäßig verteilten Zugkraft Z in der Achse eine ebensolche Druckkraft D, dann heißt die größte erreichbare Beanspruchung pro Flächeneinheit Querschnitt d = D : F die Druckfestigkeit (s.d. und Druck, Druckelastizität), früher nannte man sie häufig rückwirkende Festigkeit. Eine gleichmäßige Verteilung der Zugkraft Z oder Druckkraft D auf den Querschnitt ist jedoch nicht vollkommen erreichbar, schon weil das Material nie vollständig homogen ist. Es werden also im allgemeinen auch ungleichmäßige Formänderungen entstehen, welche bei gedrückten Stäben in Betracht kommende Ausbiegungen erzeugen können. Da hiermit zu den Beanspruchungen durch Druck noch gewisse Biegungsspannungen treten (s. Biegung), so wird der Stab eine geringere Druckkraft K aushalten und also auch die mittlere Beanspruchung pro Flächeneinheit bei Ueberwindung der Kohäsion, die Knickfestigkeit k = K : F, kleiner als die Festigkeit d gegen reinen Druck sein (s. Knickfestigkeit). Wird die äußere Druckkraft von vornherein außerhalb der Stabachse angebracht, so treten noch ungünstigere Verhältnisse ein (s. Druck, exzentrischer, vgl. Zug, exzentrischer). Findet die Trennung der zwei Flächen, welche in einem Stabquerschnitt (oder einem sonstigen Schnitt durch einen Körper) zusammenhängen, lediglich durch zwei einander entgegengesetzt gerichtete Kräfte S längs dieser Flächen F statt, dann wird der größte erreichbare Widerstand pro Flächeneinheit s = S : F, die Scherfestigkeit oder Schubfestigkeit (s.d. und Abscherung, Schubelastizität) für diesen Fall genannt. Auch durch Drehung eines Stabquerschnitts um die Stabachse bei Festhaltung eines andern Stabquerschnitts kann die Aufhebung der Kohäsion bewirkt werden, die entsprechende Festigkeit wird als Drehungsfestigkeit oder Torsionsfestigkeit bezeichnet (s.d. und Torsionselastizität). Im vorgehenden sind nur die einfachsten praktisch vorkommenden Trennungsarten erwähnt; es können selbstverständlich Kombinationen der betreffenden Einwirkungen stattfinden. Da nicht alle Fälle auf Grund von besonderen Versuchen oder unmittelbar nach den Ergebnissen für andre Fälle beurteilt werden können, so hat man auf theoretischem Wege Grenzbedingungen für die Spannungen in Körpern unter beliebigen Einwirkungen aufzuhellen gesucht (s. Festigkeitsbedingung). Hierbei konnte es sich[711] zunächst nur um Notbehelfe handeln, da die fraglichen Ableitungen von Beziehungen der Elastizitätslehre ausgehen müssen, welche nur unterhalb der Proportionalitätsgrenze (s. Elastizitätsgrenze) Gültigkeit beanspruchen. Für eine theoretische Verfolgung der Verhältnisse bis zum Bruche fehlen bis jetzt die nötigen allgemeinen Grundlagen (vgl. Elastizitäts- und Festigkeitslehre).
Die Festigkeitsverhältnisse der Konstruktionsmaterialien sind oft wesentlich von kleinen Aenderungen ihrer Zusammensetzung abhängig. Eisen z.B. erlangt überhaupt erst durch den Kohlenstoff diejenigen Eigenschaften, die es technisch brauchbar machen; aber je nach der Verwendungsart und andern Umständen können verschiedene Mengen desselben am Platze sein (vgl. Eisen und die Tabellen über Ternitzer Bessemerstahl unter Zugelastizität, Druckelastizität, Biegungselastizität, Torsionselastizität), während für Baukonstruktionen ein möglichst geringer Phosphorgehalt unerläßlich ist. Dem Einfluß der Form der Probestücke auf die Versuchsresultate (vgl. Proportionale Widerstände) wird dadurch Rechnung getragen, daß man die Versuche unter möglichst gleichen, vereinbarten Verhältnissen anstellt. Bei Verwendung der Resultate sind demgemäß alle ungünstigen Abweichungen von jenen Verhältnissen in Betracht zu ziehen (vgl. Dimensionenberechnung, Zulässige Beanspruchung). Auch bei nur teilweise beanspruchtem Stabquerschnitt ergeben sich andre Fertigkeiten als bei voll beanspruchtem Querschnitt (vgl. Druckfestigkeit, Festigkeitsbedingung, Auflager). Daß die Fertigkeiten von Eisen senkrecht zur Walzrichtung, von Holz senkrecht zur Faserrichtung, von Bruchstein senkrecht zum Lager andre sein werden als die entsprechenden Fertigkeiten in den genannten Richtungen selbst, ist ohne weiteres einleuchtend (vgl. z.B. Schubfestigkeit, Druckfestigkeit); aber auch abgesehen davon ist stets die mangelnde Homogenität und Isotropie im Auge zu behalten (s. über diese Begriffe Elastizität). Da die Fertigkeit jedenfalls von der Einwirkung der Körperteilchen aufeinander herrührt, so läßt sich erwarten, daß Gruppierungsänderungen derselben einen Einfluß auf die Festigkeitseigenschaften ausüben können, was denn auch beim Hämmern, Walzen, Strecken, Härten, Ausglühen u.s.w. beobachtet wird. Durch genügend hohe Temperaturen kann bei Metallen die Kohäsion überhaupt aufgehoben werden (Schmelzen), und schon vorher zeigen einzelne Metalle vorübergehend ungünstige Zustandsänderungen (Blauwärme), während z.B. für Eisen Temperaturen bis etwa 200° nach den bisherigen Erfahrungen keinen ungünstigen Einfluß auf die Festigkeitseigenschaften ausüben und auch ein ungünstiger Einfluß der atmosphärischen niedrigen Temperaturen bei Fernhaltung von Phosphor nicht festgestellt erscheint. Bei Ermittlung der obenerwähnten Fertigkeiten werden die Belastungen im allgemeinen ruhend oder ganz allmählich anwachsend angenommen, da die Geschwindigkeit des Anwachsens für die Ergebnisse nicht gleichgültig ist. Ueber den Einfluß der Dauer der Beanspruchungen s. Elastische Nachwirkung. Daß zur Erzeugung gewisser Spannungen bei stoßweiser Einwirkung der äußeren Kräfte geringere Werte der letzteren erforderlich sind als bei ruhender Einwirkung, ergibt die Elastizitätslehre. Durch Versuche von Fairbairn, Wöhler, Spangenberg, Bauschinger ist jedoch festgestellt, daß auch kleinere Anstrengungen als die gewöhnlichen Fertigkeiten den Bruch herbeiführen können, wenn sie oft genug wiederholt werden (s. Arbeitsfestigkeit, Dauerversuche). Werden solche Fälle mit in Betracht gezogen, dann pflegt man die Fertigkeiten gegen ruhende Belastung Tragfestigkeit für Zug, Druck u.s.w. zu nennen, während für den allgemeinen Begriff der Fertigkeit die Bezeichnung Arbeitsfestigkeit gebräuchlich ist, welche als spezielle Fälle auch die Ursprungsfestigkeit und Schwingungsfestigkeit umfaßt. (Näheres s. Arbeitsfestigkeit, Dauerversuche, Elastizitätsgrenze, ursprüngliche und natürliche, zulässige Beanspruchung). Die umfassende Literatur über Fettigkeit ist zum Teil unter Elastizitäts- und Festigkeitslehre und den obenerwähnten spezielleren Stichworten gegeben.
Weyrauch.