[735] Künstlicher Horizont. Mit dieser Bezeichnung belegt man Einrichtungen welche dazu dienen, an die Stelle des wahren oder scheinbaren Horizonts, wie er durch die im Beobachtungspunkt die Erdoberfläche tangierende Ebene oder durch die Kimm (s.d.) gebildet wird, eine künstlich hergestellte, der ersteren parallele Ebene zu setzen. Diese dient dann zur Messung der Höhe eines Gestirnes durch Vergleich desselben mit seinem Spiegelbild im künstlichen Horizont. Daraus geht hervor, daß der künstliche Horizont eine das Licht sehr gut reflektierende Oberfläche, eben die Reflexionsebene, haben muß und daß anderseits dieser Ebene eine genau horizontale Lage gegeben werden kann.
Man unterscheidet im allgemeinen zweierlei Arten solcher Horizonte, nämlich solche, bei welchen die Reflexionsebene durch eine Flüssigkeit gebildet wird (Flüssigkeitshorizonte), und solche, bei denen mittels einer Libelle (deren Empfindlichkeit groß genug sein muß) die spiegelnde Fläche einer Glasplatte horizontiert wird. Als Zwischenglied hat man auch künstliche Horizonte hergestellt, die durch eine Glasplatte gebildet werden, die aber ihrerseits auf einer Flüssigkeit schwimmt Die erste Form ist die bei weitem zuverlässigste, da ja jede Flüssigkeit in einem Gefäß ihre Oberfläche nach hydrostatischem Gesetz ganz von selbst horizontal, d.h. normal zum Lot im Beobachtungspunkt Stellt, soweit nicht an den Rändern[735] Kapillarwirkungen dieselbe beeinflussen. Gießt man also in eine wenig tiefe Schale eine stark das Licht reflektierende Flüssigkeit, so ist ein künstlicher Horizont vorhanden. Gewöhnlich nimmt man als Flüssigkeit Quecksilber und gießt dieses in eine nach einer Kugelkalotte von sehr großem Radius gekrümmten Schale von Stahl oder Kupfer, welche in manchen Fällen noch mit Silber plattiert sein kann. Durch Anquicken der Schale, d.h. durch Bildung von Quecksilberamalgam an ihrer Oberfläche wird eine erhebliche Kapillardepression an den Rändern vermieden, und je weniger tief die Schale ist, desto geringer sind die Störungen, welche die Oberfläche durch Erschütterungen oder durch Wind erleidet. Soll die Einwirkung des Windes ganz vermieden werden, so muß man ein Dach, wie es Fig. 1 zeigt, über den Horizont stellen. Die Flächen F1 und F2 sind entweder aus planparallelen Glasplatten oder aus parallel spaltenden Glimmerscheiben gebildet. Bei genaueren Beobachtungen ist es aber stets erforderlich, die Beobachtungen auf beide Stellungen des Daches gleichmäßig zu verteilen. Diese Komplikationen haben dazu geführt, auf die Flüssigkeitsoberfläche eine überall gleichdicke und auf einer Fläche ganz plan geschliffene und sehr gut polierte Glasplatte zu legen. Diese wird dann auch eine horizontale Ebene darstellen. Um zu vermeiden, daß auch die untere Fläche Licht reflektiert, läßt man dieselbe mattschleifen und wählt die Platte von dunkelm Glas. Es ist aber meist schwer, eine solche Platte ganz homogen und genau planparallel herzustellen, auch Adhäsionswirkungen zwischen Platte und Schalenwand sind nicht leicht ganz fern zu halten. Als Flüssigkeit hat man auch wohl häufig Oel mit Ruß vermischt, Tinte, Rotwein oder einfach Wasser verwendet, aber Quecksilber ist stets vorzuziehen, wenn solches zu beschaffen ist und man seine Übeln Wirkungen auf Instrumententeile vermeiden kann. Eine dringende Notwendigkeit ist aber dabei die Reinhaltung der Oberfläche von Oxyden, welche sich leicht bilden, und von Staub. Dieses geschieht am bellen dadurch, daß man nach Eingießen des Quecksilbers die Oberfläche mit einem leicht angefeuchteten Papierstreifen abzieht. Das überlaufende Quecksilber wird dann meist in einer die Schale umgebenden Rinne aufgefangen und kann später wieder, mit abgegossen werden. Eine solche Einrichtung zeigt z.B. die Fig. 2, welche einen Quecksilberhorizont darstellt, bei welchem sich das Quecksilber unterhalb der eigentlichen Schale in einem Lederbeutel befindet und durch einen Druck auf denselben durch die Oeffnung bei s (in der Figur für den Transport durch Bolzen verschlossen) in die Schale gepreßt und nach Gebrauch wieder in den Beutel zurückgelassen werden kann. Der Druck wird durch Emporschrauben der Platte b mittels des Gewinderinges M hervorgebracht. Man hat eine große Anzahl ähnlicher Konstruktionen ausgeführt. Viel einfacher ist die Herstellung eines künstlichen Horizonts mittels planer Glasplatte (Unterfläche ebenfalls matt und dunkles Glas), die auf drei Fußschrauben ruht und durch eine Libelle horizontiert wird. Die Glasplatte ist dann meist zunächst auf eine Metall- oder Holzplatte gepaßt, so daß keine Spannungen entstehen können, und diese Platte ist erst ihrerseits direkt mit drei Stellschrauben versehen (Fig. 3) oder sie ruht auf drei solchen (Fig. 4). Namentlich bei Beobachtung der Sonne ist dann ein Schutz gegen direkte Bestrahlung der Schrauben zu schaffen und die Horizontierung mittels der Libelle häufig zu kontrollieren. Zahllos sind die Versuche, für die Messung auf Schiffen ebenfalls künstliche [736] Horizonte herzustellen, die in den Fällen anzuwenden sind, in denen der natürliche Horizont (Kimm, s.d.) nicht benutzt werden kann (bei Nacht oder bei Nebel am Horizont). Die oft versuchte Anwendung der Libelle (Vereinigung der Libellenbeobachtung und der Fernrohrzielung zu gleichzeitiger Beobachtung in der Art der Freihandinstrumente) zur Höhenwinkelmessung (s.d.) hat noch nicht völlig befriedigende Resultate ergeben; z.B. ist mit dem Libellenquadranten von Butenschön (Bahrenfeld-Hamburg), über den sich die Seewarte lobend ausspricht, nicht wohl eine größere Genauigkeit als ± 3' zu erlangen. Verbindet man mit der Teilung des Sextanten eine kreisförmig gebogene Röhre, die mit Quecksilber gefüllt ist, und bringt an geeigneter Stelle darin einen Absperrhahn an, so kann man die Enden der nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren sich darin einstellenden Quecksilbersäule nach Schließung des Hahnes für Ablesung an der Teilung benutzen (nach Admiral Fleuriais), aber mehr wie etwa 5'10' sind damit nicht zu verbürgen. Von Horizonten, die eine Flüssigkeit mit verwenden, ist auf dem Schiff wenig zu erwarten, wenn sich auch die Schwingungen stark dämpfen lassen; vgl. z.B. die Beehlerschen Patente. Eher ist noch von den künstlichen Horizonten, die man als Kreiselhorizonte bezeichnen kann, größere Genauigkeit der Messung zu erwarten (ein rasch rotierender Kreisel stellt seine Achse lotrecht, eine senkrecht zur Achse gestellte spiegelnde Scheibe kann als künstlicher Horizont benutzt werden). Unter diesen Instrumenten hat in der letzten Zeit am meisten von sich reden gemacht der »Horizon gyroscopique« des französischen Admirals Fleuriais, der sich in seiner neuen Form (das Gyroskop in luftverdünntem Raum, Rotationsdauer dadurch auf mehrere Minuten verlängert, so daß mehrere Höhen genommen werden können) ausgezeichnet bewährt haben soll und Beobachtungen bis auf 1', also ebenso gute als über der Kimm, zu machen gestattet. Dessen Preis ist aber sehr hoch.
Eine größere Anzahl von Konstruktionen der verschiedenen Arten künstlicher Horizonte sowie die hierhergehörige Literatur und Angaben über manche andre Verwendung künstlicher Horizonte finden sich in L. Ambronn, Handbuch der astronomischen Instrumentenkunde, Berlin 1899, Bd. 1, S. 78 ff.
Ambronn.
Herder-1854: Künstlicher Beweis · Horizont
Lueger-1904: Künstlicher Horizont [2] · Moschus, künstlicher · Achesons künstlicher Graphit · Horizont [2] · Horizont [1]
Meyers-1905: Künstlicher Horizont · Marmor, künstlicher · Sandstein, künstlicher · Künstlicher Zug · Blutegel, künstlicher · Horizont
Pierer-1857: Künstlicher Dünger · Künstlicher After · Scheinbarer Horizont · Horizont
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro