Kohlensäure [2]

[336] Kohlensäure. Alle in der Natur vorkommenden Wässer enthalten mehr oder weniger freie Kohlensäure gelöst. Sehr reich an Kohlensäure sind insbesondere die als Säuerlinge oder Sauerbrunnen bezeichneten Mineralwässer. In den gewöhnlichen natürlichen Wässern beträgt der Gehalt an freier Kohlensäure meist unter 50 mg CO2 in 1 l, aber auch Mengen über 100 mg CO2 und mehr in 1 l findet man mitunter, während Mineralwässer nicht selten weit über 1000 mg in 1 l enthalten. Mit zunehmendem Gehalt an Karbonaten, in erster Linie an solchen, welche die vorübergehende oder Karbonat- oder Kohlensäurehärte bedingen, steigt auch die Menge der freien Kohlensäure im Wasser regelmäßig an, wie die praktische Erfahrung lehrt. Schon längst wußte man, daß das Calciummonokarbonat in kohlensäurehaltigem Wasser unter Bildung von Bikarbonat verhältnismäßig leicht löslich ist. J. Tillmans hat neuerdings genau festgestellt, welche Mengen von freier Kohlensäure zur Auflösung von kohlensaurem Kalk in destilliertem Wasser erforderlich sind. Seine Untersuchungsergebnisse stimmen auch mit den von F. Auerbach gefundenen Zahlen, die von diesem aus den Gesetzen des chemischen Gleichgewichtes ermittelt wurden, gut überein. Im nachstehenden seien[336] einige Zahlen (Milligramm im Liter), mitgeteilt, die sich auf die im kohlensauren Kalk gebundene Kohlensäure beziehen. Nebenbei sei bemerkt, daß 100 Teile CaCO3 44 Teile gebundene CO2 enthalten. 5 mg gebundene CO2 sind demnach enthalten in 5 · 100 : 44 = 11,36 mg CaCO3.


Kohlensäure [2]

Konstitution: Die freie Kohlensäure ist im Wasser zum größten Teil gasförmig, also als Kohlendioxyd gelöst; hierauf beruht ihre recht schwache Säurenatur im Vergleich zu den Mineralsäuren. Neuere Untersuchungen von A. Thiel und R. Strohecker haben ergeben, daß bei 4° C in einer wässerigen Lösung von 0,35 mg CO2 in 1 l Wasser nur 0,7% als hydratisierte Kohlensäure (H2CO3) vorhanden sind, während mehr als 99% als freies Anhydrid (CO2) darin enthalten und infolgedessen als Säure nicht wirksam sind. Hierdurch erklärt es sich auch, daß die Neutralisation einer wässerigen Kohlendioxydlösung durch Alkali, das mit Phenolphthalein gerötet ist, einige Zeit braucht, es muß sich immer erst H2CO3 aus Wasser und Kohlendioxyd bilden.

Löslichkeit: Kohlendioxyd ist in Wasser leicht löslich. Bei Atmosphärendruck löst 1 l Wasser bei 0° = 3,6 g CO2 = 1800 ccm CO2 und bei 20° C noch 1,8 g CO2 = 900 ccm CO2.

Hygienische Bedeutung: Der Gehalt eines Trinkwassers an freier Kohlensäure hat gesundheitlich keine nachteilige Bedeutung; im Gegenteil verleiht ein hoher CO2-Gehalt einem Wasser einen angenehmen, erfrischenden Geschmack. Vorausgesetzt ist hierbei, daß auch die Temperatur des Wassers niedrig ist, am besten unter 12° C, denn nur ein kühles Wasser wirkt erfrischend. Mengen unter 50 mg Kohlensäure in 1 l, wie sie die meisten natürlichen Wässer gelöst enthalten, schmeckt man aber nach unseren Wahrnehmungen noch nicht. Mit Recht sagt W. Kruse, daß die noch weit verbreitete Annahme, gut schmeckendes Wasser müsse Luft oder Kohlensäure enthalten, als irrig zu bezeichnen ist. In den üblichen Mengen wird weder Luft noch Kohlensäure geschmeckt, in erster Linie ist es der niedrige Wärmegrad des Wassers, der seine erfrischende Wirkung ausübt.

Technische Bedeutung: Für Wasserversorgungsanlagen spielt der Gehalt eines Wassers an freier Kohlensäure eine bedeutende Rolle. Trotz ihrer nur schwachen Säurenatur wirkt sie auf verschiedene Metalle, wie z.B. Blei, Eisen, Kupfer, Zink, ferner auch auf Mörtel nachteilig, d.h. auflösend, ein. Selbst sehr geringe Mengen freier Kohlensäure – schon einige Milligramm CO2 in 1 l – können metallangreifend wirken bei weichen Wässern.

Besitzt ein Leitungswasser die Eigenschaft, mit der Zeit an der Innenwandung der Röhren einen seinen Belag von kohlensaurem Kalk zu erzeugen, so schützt dieser Ueberzug das Metallrohr in praktisch ausreichendem Maße vor der Einwirkung der freien Kohlensäure. Nach meinen bisherigen Erfahrungen haben in der Regel Wässer mit einer Karbonathärte von etwa 7 deutschen Graden aufwärts diese Eigenschaft, einen ausreichenden Schutzbelag zu bilden. Zuweilen wird ein derartiger Rohrwandüberzug auch durch andere im Leitungswasser enthaltene Bestandteile, z.B. durch viel organische Stoffe, Eisenocker, ferner auch auf biologischem Wege, z.B. durch Gallertbakterien, hervorgerufen.

Ueber die Einwirkung kohlensäurehaltigen Wassers auf die für Leitungszwecke hauptsächlich verwendeten Metalle sowie auf Mörtel sei kurz folgendes mitgeteilt:

Blei: Blei wird von Kohlensäure nur bei Gegenwart von Sauerstoff im Wässer angegriffen. Luftfreies, kohlensäurehaltiges Wasser löst also Blei nicht auf.

Nebenbei sei erwähnt, daß auch lufthaltiges und kohlensäurefreies Wasser, je weicher und karbonatärmer dieses ist, um so stärker bleiauflösende Eigenschaften hat. Aus diesem Grunde haben mit Luft gesättigtes destilliertes Wasser und Regenwasser wegen des Fehlens an schützenden Karbonaten ein besonders hohes Bleiauflösungsvermögen.

Ueber die Giftigkeit bleihaltigen Trinkwassers vergleiche meine Literaturzusammenstellung in der Medizinischen Klinik 1918, Bd. 14, Nr. 18, S. 445. Mengen von mehr als 0,3 mg Pb in 1 l Wasser können schon bei längerem Genuß gesundheitsschädlich wirken.

Eisen: In kohlensäurehaltigem Wasser löst sich Eisen bei Abwesenheit von Sauerstoff unter Wasserstoffentwicklung zu Ferrobikarbonat auf. Diese Eisenverbindung ist bei Luftzutritt nicht beständig; sie zerfällt hierbei unter CO2-Abspaltung in Ferrihydroxyd, das sich im Wasser als Eisenocker ausscheidet. In meiner Arbeit über eisenauflösende Wässer in der Hygienischen Rundschau 1916, Bd. 26, Nr. 24, S. 797 habe ich diesen chemischen Vorgang eingehend beschrieben.

Vielfach besteht noch die Ansicht, daß lufthaltiges, aber kohlensäurefreies Wasser Eisen nicht angreift. Diese Auffassung ist, wie auch die praktische Erfahrung lehrt, nicht zutreffend. Neuere Arbeiten, besonders von O. Bauer und O. Vogel aus dem Materialprüfungsamt in Berlin-Dahlem haben gezeigt, daß in lufthaltigem, destilliertem Wasser Eisen sogar stark rostet. Nebenbei sei erwähnt, daß, je alkalischer ein Wasser reagiert, um so weniger tritt eine Oxydation des Eisens ein. In praktischer Beziehung ist es von Nachteil, daß das auf den eisernen Röhren[337] entstandene Ferrihydroxyd (Rost) keine zusammenhängende Schicht bildet und deshalb das Leitungsmaterial nicht gegen weitere Angriffe schützen kann. In sauerstoff- und kohlensäurefreiem Wasser ist dagegen Eisen unveränderlich. Vgl. a. Hygienische Rundschau 1919, Nr. 18, S. 624.

Steht an sich eisen- und luftfreies oder luftarmes Wasser, das selbst nur geringe Mengen von freier Kohlensäure gelöst enthält, in eisernen Leitungen ohne genügenden Schutzbelag, z.B. von kohlensaurem Kalk oder ohne sorgfältig aufgetragenen Schutzanstrich, z.B. von Asphalt, so löst es aus den Röhren bei längerem Stillstand in der Leitung, z.B. über Nacht, Eisen auf. Man spricht dann von einer Vereisenung des Wassers oder auch von Rohreifen im Gegensatz zum Grundwassereisen. Solches Wasser hat dann die gleichen störenden Eigenschaften wie das aus dem Erdboden kommende eisenhaltige Grundwasser. Es fließt also klar und farblos aus der Leitung aus und trübt sich bei Luftzutritt unter Eisenockerausscheidung. Wir haben wiederholt Fälle von Vereisenung solcher Leitungswässer beobachtet. Ferner sind uns auch im Laufe der Jahre mehrere Fälle in der Praxis bekannt geworden, in denen gut enteisentes, aber kohlensäurehaltiges und luftarmes bezw. sauerstofffreies Wasser aus der Rohrleitung namentlich an Endsträngen Eisen in nicht unerheblicher Menge – mehrere Milligramm und mehr in 1 l – auflöste und so zu einer Wiedervereisenung des Wassers führte, welche die bekannten Störungen beim Gebrauch derartigen Wassers verursachten. Ueber einen bemerkenswerten Fall von Wiedervereisenung eines Leitungswassers berichtete vor einiger Zeit H. Noll im Gesundheits-Ingenieur 1917, Bd. 40, Nr. 22, S. 216.

Aus diesen Darlegungen ergibt sich die praktische Folgerung, daß es vorteilhaft ist, wenn Leitungswasser stets etwas lufthaltig ist. Erfahrungsgemäß kann der Luftsauerstoffgehalt des Leitungswassers um so größer sein, je höher die Karbonathärte ist. Weiche Wässer jedoch dürfen wegen ihres nur geringen Gehaltes an schützenden Karbonaten zweckmäßig nicht über 4 mg Sauerstoff in 1 l enthalten, während solche mit höherer Karbonathärte – etwa von 7 deutschen Graden an – bis zu 8 mg Sauerstoff und mehr in 1 l aufweisen dürfen. Zahlreiche Wasserwerke enteisnen ihr Wasser durch starke Belüftung, z.B. durch Regnung oder Rieselung. Bei solchen nicht selten auf diese Weise künstlich mit Luftsauerstoff gesättigten Leitungswässern – bis über 10 mg in 1 l Sauerstoff – vermag, wenn ihr Karbonatgehalt hoch ist, die Luft nicht mehr oder kaum in der Weise zu wirken, daß Eisen aus dem Rohrmaterial aufgenommen wird. Dies ist z.B. bei den Wasserversorgungsanlagen von Berlin, Charlottenburg, Flensburg, Tilsit der Fall. Derartige Wässer erzeugen auch allmählich an der Innenwand der Leitungen einen seinen, kristallinischen Schutzbelag unter Bildung von Calciumkarbonat, so daß das durchfließende Wasser die metallische Rohrwand, die außerdem fast immer einen Asphaltanstrich hat, kaum noch berührt. Hat die im Wasser vorhandene freie Kohlensäure Eisen aus der Leitung aufgelöst, so wird das entstandene Ferrobikarbonat bei Zutritt von Luftsauerstoff sogleich in Ferrihydroxyd übergeführt, das sich als Eisenocker in seiner Form aus dem Wasser abscheidet und die Innenwandung des Rohrmaterials allmählich bedeckt. Solcher Eisenockerbelag kann gelegentlich auch einen gewissen Schutz gewähren. Bei kräftiger Spülung des Rohrnetzes wird dieser Schutzbelag dann aber meistens wieder entfernt, und nach völliger Entfernung des aus Eisenocker bestehenden Wandbelages kann alsdann wieder von neuem ein Angriff zustande kommen. Der Eisenockerüberzug an den Rohrwandungen haftet, wie die Praxis lehrt, im Gegensatz zu dem aus kohlensaurem Kalk gebildeten Schutzbelag nicht besonders fest an den Rohrwandungen.

Verschiedentlich haben wir feststellen können, daß sein verteiltes Eisenhydroxyd führendes Leitungswasser an der Innenwandung von Bleileitungen mit der Zeit einen schützenden Eisenockerüberzug erzeugte, so daß lufthaltiges weiches und auch kohlensäurehaltiges Wasser aus solcher Leitung kein Blei aufnahm. Ein derartiger Fall ist besonders in der letzten Zeit bei der Naunhofer Wasserleitung bekannt geworden. Als dort durch kräftige Rohrspülung der aus Eisenocker bestehende Wandbelag entfernt wurde, nahm das weiche lufthaltige Trinkwasser Blei in gesundheitsschädigender Menge aus der Leitung auf.

Kupfer: Kupfer wird durch kohlensäurehaltiges Wasser nur bei Gegenwart von Sauerstoff aufgelöst. Fehlt dieser, so ist die Kohlensäure ohne Einwirkung. Aus diesem Grunde verwendet man dieses Metall gern als Brunnenrohrmaterial für das in der Regel sauerstofffreie Grundwasser. Ueber das sonstige chemische Verhalten des Kupfers sowie über seine hygienische Bedeutung im Wasserversorgungswesen vergleiche meine Ausführungen in der Medizinischen Klinik 1918, Bd. 14, Nr. 18, S. 447. Es sei noch bemerkt, daß Vergiftungen durch den Genuß kupferhaltigen Trinkwassers bislang nicht bekannt geworden sind. Vgl. a. bei E. Rost in den Berichten der Deutsch. Pharm. Ges. 1919, Bd. 29, Heft 7, S. 564.

Zink: Nach meinen bisherigen Erfahrungen scheint sich das Zink ziemlich ähnlich dem Eisen zu verhalten. Es wird ebenfalls von kohlensäurehaltigem Wasser bei Fehlen von Luftsauerstoff aufgelöst. Nach seiner Stellung in der Spannungsreihe der Metalle wird Zink weit eher angegriffen als Eisen. Verzinkte (galvanisierte) Eisenröhren rollen daher auch an Stellen, wo der Zinküberzug mangelhaft ist, zunächst nicht so stark wie unverzinktes Eisen. Wegen der rostschützenden Wirkung des Zinks sei besonders auf die neueren Arbeiten von O. Bauer und O. Vogel in den Mitteilungen aus dem Materialprüfungsamt zu Berlin-Dahlem 1918, Heft 3 und 4, hingewiesen.

Ueber das sonstige chemische Verhalten des Zinks sowie über seine hygienische und technische Bewertung als Leitungsmaterial vergleiche meine Angaben in der Medizinischen Klinik 1918, Bd. 14, Nr. 19, S. 469. Ferner E. Rost, Berichte der Deutsch. Pharm. Ges. 1919, Bd. 29, Heft 7, S. 549. Vergiftungen durch zinkhaltiges Trinkwasser wurden bislang nicht bekannt.

Zinn: Zinn wird von kohlensäure- und sauerstoffhaltigem Wasser nicht angegriffen. Auch wegen seiner sonstigen Beständigkeit ist es für Wasserleitungen in dieser Hinsicht gut geeignet. Wegen des hohen Materialpreises spielt jedoch die Verwendung von Zinnröhren keine praktische[338] Rolle. Hygienisch ist dieses Metall nur zu empfehlen, da Zinn aus Leitungen durch Wasser kaum – höchstens in belanglosen Mengen – aufgenommen wird.

Mörtelangriff: Der im abgebundenen Mörtel enthaltene kohlensaure Kalk wird, wie bereits einleitend bemerkt, durch die freie Kohlensaure des Wassers in Calciumbikarbonat übergeführt, das verhältnismäßig leicht löslich ist. Der Grad der Löslichkeit von Calciumkarbonat – Magnesiumkarbonat, das vielfach auch in geringer Menge im Mörtel zugegen ist, verhält sich ähnlich – ist einmal abhängig von der Menge der im Wasser vorhandenen freien Kohlensaure sowie zweitens von den bereits im Wasser gelösten Bikarbonaten. Wie Tillmans und Heublein durch eingehende Versuche nachgewiesen haben, kann Calciumbikarbonat im Wasser nur beständig sein, wenn gleichzeitig eine im Verhältnis zu dem Bikarbonatgehalte schnell ansteigende Menge freier Kohlensaure zugegen ist. Wird diese Kohlensäuremenge dem Wasser in irgendeiner Weise genommen, so ist das Bikarbonat nicht mehr beständig, es spaltet sich in freie Kohlensaure und Calciummonokarbonat. Hierauf beruht in erster Linie der schützende Ueberzug an kohlensaurem Kalk – Kalksinterbildung – an der Innenwandung von Leitungsröhren, wie schon oben auseinandergesetzt ist. In der eingangs veröffentlichten Tabelle sind die von Tillmans gefundenen Zahlen angegeben, welche die wachsenden Mengen von freier Kohlensaure zeigen, die bei zunehmendem Gehalt an Calciumbikarbonat zur Lösung erforderlich sind. Ist in einem Wasser gerade nur soviel freie Kohlensaure vorhanden, als zur Erhaltung des chemischen Gleichgewichts für das Bikarbonat notwendig ist, so kann natürlich diese Kohlensäuremenge weiteres Calciumkarbonat nicht mehr auflösen. Kohlensauren Kalk enthaltender Mörtel, z.B. in Sammelbrunnen, Sammelbehältern, Gebäudemauerwerk, wird daher von derartigen kohlensäurehaltigen Wässern nicht angegriffen. Jeder Ueberschuß an freier Kohlensaure im Wasser, also die Kohlensäuremenge, die über die zur Lösungshaltung der im Wasser bereits vorhandenen Bikarbonate erforderliche Menge hinausgeht, wirkt jedoch lösend auf kohlensauren Kalk ein. Von einem Wasser, das mit Mörtel in Berührung kommt, wie das wohl bei fast allen Wasserversorgungsanlagen der Fall ist, muß zur Verhütung von Angriffen und wegen der hierdurch unter Umständen bedingten, nicht unbedenklichen Gefährdung des Mauerwerks verlangt werden, daß es keine kohlensauren Kalk auflösende freie Kohlensaure mehr enthält; oder, wie sich Tillmans ausdrückt, das Wasser muß frei von »aggressiver Kohlensaure« sein.

Zur Prüfung eines Wassers auf etwaige Mörtel auflösende Eigenschaften empfiehlt sich der zuerst von C. Heyer (Dessau) vorgeschlagene Marmorversuch, der leicht ausführbar ist. Ueber seine praktische Ausführung vergleiche weiter unten. Wässer, die Marmor (CaCO3) nicht auflösen, wirken auch nach den Erfahrungen in der Praxis – hinsichtlich ihres Säuregehaltes – auf Mörtel nicht ein. Wird Mörtel dennoch von solchen Wässern angegriffen, so ist die Ursache nicht auf die freie Kohlensaure sondern auf andere Bestandteile im Wasser, z.B. auf einen hohen Sulfatgehalt, zurückzuführen.

Aus diesen Darlegungen dürfte wohl ersichtlich sein, welch große Bedeutung der freien Kohlensaure im Wasserversorgungswesen zukommt. Ihre einwandfreie Bestimmung ist daher vielfach von ausschlaggebender Bedeutung. Es seien deshalb nachstehend kurz noch die Verfahren zum Nachweise sowie zur Bestimmung der freien und der Mörtel angreifenden Kohlensäure mitgeteilt, die ich für die brauchbaren halte.

Nachweis der freien Kohlensäure: Da alle natürlichen Wässer mehr oder weniger freie Kohlensäure enthalten, ist eine besondere qualitative Prüfung darauf in der Regel nicht erforderlich. Soll gelegentlich ein Wasser auf freie Kohlensäure untersucht werden, so benutze man am besten die in meinem kleinen Buche »Untersuchung des Wassers an Ort und Stelle«, 3. Aufl., Berlin 1916, auf S. 82 angegebenen einfachen Verfahren. Weitere Literatur hierüber findet sich in meiner Veröffentlichung in den Berichten der Deutsch. Pharm. Ges., Berlin 1919, Bd. 29, Heft 4, S. 347.

Bestimmung der freien Kohlensäure: Für diese Zwecke kommt das maßanalytische Verfahren von J. Tillmans und O. Heublein (Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel 1917, Bd. 33, Heft 7, S. 299) mit Phenolphthalein als Indikator in erster Linie in Betracht.

Bestimmung der freien Kohlensäure an Ort und Stelle: Da an eingesandten Wasserproben Kohlensäureverluste meist nicht zu umgehen sind, ist diese Bestimmung möglichst am Orte der Entnahme auszuführen. Auch für diese Zwecke ist das Verfahren von Tillmans und Heublein mit einigen Verbesserungen recht geeignet. Der im Wasser, besonders im Grundwasser, häufig vorhandene hohe Gehalt an Eisen ebenso auch hohe Härtegrade stören bei dieser Bestimmung; durch Zusätze von Seignettesalz (Kaliumnatriumtartrat) zum Wasser lassen sich die Uebelstände praktisch vermeiden. Die genaue Beschreibung der Kohlensäurebestimmung an Ort und Stelle nebst Angaben über einwandfreie Entnahme der Wasserproben habe ich in den Berichten der Deutschen Pharmaz. Gesellschaft, Berlin 1919, Bd. 29, Heft 4, S. 350 gegeben.

Für die Bestimmung der freien Kohlensäure im Wasser an Ort und Stelle haben die beiden Firmen Paul Altmann, Berlin NW 6, und Bleckmann & Burger, Berlin N 24, nach meinen Angaben einen kleinen handlichen Untersuchungskasten mit allen erforderlichen Apparaten und Lösungen zusammengestellt. Eine ausführliche Gebrauchsanweisung liegt jedem Kasten bei.

Bestimmung der Mörtel angreifenden »aggressiven« Kohlensäure: Diese geschieht, wie bereits erwähnt ist, durch den von C. Heyer vorgeschlagenen Marmorversuch, aus dem ersichtlich ist, ob und wieviel ein Wasser kohlensauren Kalk aufzulösen imstande ist. Die Mengen von Calciumkarbonat, die hierbei vom Wasser aufgelöst werden, gibt man zweckmäßig als Milligramm CaCO3 im Liter an. Nachstehend die Beschreibung dieses leicht auszuführenden Versuches: Man füllt eine Flasche von 300 bis 500 ccm Inhalt möglichst ohne Gasverluste bis[339] zum Hälse mit dem zu unterziehenden Wasser an, fügt 1–2 g grob gepulverten Marmor hinzu, mischt gut und läßt es 3–5 Tage unter öfterem Umschütteln verschlossen stehen. Man filtriert alsdann 100 ccm ab und bestimmt darin die – etwaige – Karbonatzunahme maßanalytisch mit 1/10 Normal-HCl und Methylorange als Indikator. Jeder Kubikzentimeter 1/10 Normalsäure Mehrverbrauch gegenüber dem ursprünglichen Wasser zeigt 5 mg CaCO3 an. Der Marmorversuch sollte bei Wässern, die für Zentralversorgungen in Frage kommen, stets vorgenommen werden.

Unschädlichmachung der freien Kohlensäure: Bei Leitungswässern ist nach obigen Ausführungen zweckmäßig zu verlangen, daß sie nur soviel freie Kohlensäure enthalten, als zur Erhaltung des chemischen Gleichgewichtes der Karbonate im Wasser erforderlich ist. Die freie Kohlensäure ist demnach soweit zu entfernen, daß das Wasser Calciumkarbonat nicht mehr aufzulösen vermag (Prüfung durch den Heyerschen Marmorversuch).

Bei Wässern mit höherer Karbonathärte – etwa von 7 deutschen Graden an – läßt sich die angreifende Kohlensäure durch Regnung, wie z.B. in Flensburg, oder durch Rieselung, z.B. in Tilsit, leicht entfernen.

Bei weichen und karbonatarmen Wassern ist diese Behandlung jedoch nicht zu empfehlen, da hierbei das Wasser stark luftsauerstoffhaltig wird und solches Wasser alsdann die metallenen Leitungen auch angreift, wie bereits näher geschildert ist. Besonders bedenklich ist das bei Verwendung von Bleiröhren, da bleihaltiges Wässer giftig ist. Muffen derartige sauerstoffreiche Wässer durch eiserne Röhren geleitet werden, so sind diese mit einem sorgfältig aufgetragenen, bestem verstärkten Anstrich, z.B. aus Asphalt und dergleichen, gegen das Rosten zu schützen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen wird hierdurch in der Regel ein genügender Schutz gewährt, während der Anstrich bei Gegenwart von angreifender Kohlensäure im Wasser eine Eisenauflösung aus der Rohrleitung meist nicht verhindern kann, da auch dick aufgetragene Anstriche den Durchtritt des kohlensäurehaltigen Wassers nicht vollständig zu verhindern vermögen.

Ueber die Bewertung der Schutzanstriche vergleiche die Angaben in meinem Buche »Untersuchung des Wassers an Ort und Stelle«, 3. Aufl., Berlin 1916, S. 166 sowie in meiner Veröffentlichung in der Medizinischen Klinik 1918, Bd. 14, Nr. 19, S. 471. Ferner E. Liebreich, Rost und Rostschutz, Braunschweig 1914.

Als der Einwirkung angriffslustiger Wässer nicht ausgesetzt, ist besonders zu empfehlen Brunnenrohrmaterial aus Steinzeug, das z.B. in Bochum, in Neuß mit Erfolg benutzt wird, gut emaillierte Eisenröhren, wie z.B. in Amsterdam, auch Holzröhren (Holzröhren werden in Amerika häufig benutzt), diese namentlich bei Mineralwässern. E. Götze empfiehlt in erster Linie verzinntes Kupfer. Bei Grundwässern, die ja im allgemeinen luftsauerstofffrei sind, ist auch reines Kupfer geeignet, da dieses Metall von Kohlensäure nur bei Anwesenheit von Sauerstoff angegriffen wird.

Freie Kohlensäure (sowie auch alle übrigen im Wasser vorkommenden Gase, wie Sauerstoff, Schwefelwasserstoff u.s.w.) lassen sich auch durch geeignete Entgasungseinrichtungen beseitigen. Solche Anlagen bauen unter anderen die Deutschen Sanitätswerke G.m.b.H. in Frankfurt a.M.; die Firma Friedr. Krupp, A.-G., hat derartige Entgasungsanlagen für ihre Werke in Essen und in Kiel aufgestellt. Im Bau ist eine Entsäuerungsanlage für das Wasserwerk in Hartmannsdorf bei Chemnitz.

Bei weichen (karbonatarmen) Leitungswässern ist die freie Kohlensäure zweckmäßig durch chemische Bindung unschädlich zu machen. An erster Stelle ist hierfür das Marmorverfahren geeignet, wie dies seit Jahren mit gutem Erfolg, z.B. in Frankfurt a.M., angewandt wird. Von großem, praktischem Vorteil ist bei dieser Behandlung des Wassers der Fortfall jeder Dotierung, da stets nur soviel kohlensaurer Kalk aufgelöst werden kann als dementsprechend freie Kohlensäure im Wasser vorhanden ist. Außer Marmor benutzt man ferner zur Bindung der freien Kohlensäure im Wasser mit Erfolg in Dessau Natronlauge, in Emden Sodalösung und in Weißwasser, O.-L., Kalkwasser. Bei Anwendung dieser Chemikalien ist aber eine genaue Dotierung und somit eine ständige Ueberwachung erforderlich, da ein Chemikalienüberschuß im Wasser leicht Hörend empfunden werden kann durch eintretende Trübungen und unter Umständen auch durch den – meist etwas laugenhaften – Geschmack des Wassers. Diese Verfahren verlangen also stets eine genaue Anpassung an den jeweiligen Gehalt des Wassers an freier Kohlensäure. Bei der Mehrzahl der natürlichen Wässer ist, wie die Erfahrung lehrt, die Kohlensäuremenge in den verschiedenen Jahreszeiten gewissen Schwankungen unterworfen.


Literatur: [1] Klut, H., in Hygienische Rundschau, Berlin 1915, Bd. 25, Nr. 6 und 7. – [2] Ebend. 1916, Bd. 26, Nr. 24. – [3] Ders. in Medizinische Klinik 1918, Bd. 14, Nr. 17–19. – [4] Ders. in Hygienische Rundschau, Berlin 1919, Nr. 18 (daselbst auch Angabe der einschlägigen Literatur).

Hartwig Klut.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 336-340.
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