Kreisel [3]

[358] Kreisel. Die technischen Anwendungen des Kreisels (Bd. 5, S. 688, und Ergbd, I, S. 457) wurden neuerdings mannigfach verbessert und erweitert.

Zu 5. Kreiselkompaß [38]. Bei dem Kreiselkompaß von Anschütz-Kaempfe hat sich zu den schon früher (Ergbd. I, S. 458) genannten, leicht zu verbessernden Fahrtfehlern ein sehr Hörender Schlingerfehler hinzugesellt, der von den Schlingerbewegungen (Rollen und Stampfen) des Schiffes verursacht ist, namentlich bei Torpedo- und Unterseebooten recht groß werden kann und sich nur mit Mühe beseitigen ließ. Vor allem ging man dazu über, den Kreiselkompaß an einem möglichst ruhigen Orte im Schiffsinnern aufzuhellen und seine Anzeigen elektrisch auf Tochterrosen zu übertragen, die an den Steuer- und Navigationsstellen des Schiffes abgelesen werden. Da der Schlingerfehler offenbar davon herrührt, daß das schwimmende System des Kompasses (Schwimmer samt Kreisel) um die Nordsüdachse ein viel kleineres Trägheitsmoment besitzt als – infolge der Kreiselwirkung wenigstens scheinbar – um die Ostwestachse, so verwendet man neuerdings statt eines Kreisels deren drei [39], wovon der erste nach wie vor als nordweisender Richtkreisel dient, während die beiden anderen zwangsweise so unter sich und mit dem Schwimmer verbunden sind, daß ihre Figurenachsen bei geringer wagrechter Beweglichkeit doch stets gleiche Winkel mit der idealen Nordsüdlinie bilden, wobei beide Kreisel eine positive Impulskomponente in die Nordrichtung werfen. Ihre westöstlichen Impulskomponenten verleihen so dem Dreikreiselkompaß von Anschütz & Co. auch um die Nordsüdachse eine hinreichend starke dynamische Trägheit, welche die Schlingerfehler in der Tat auf ganz geringe, die Brauchbarkeit nicht mehr beeinträchtigende Beträge herabsetzt

Zu 7. Einschienenbahn. Den Einschienenbahnen von A. Scherl und L. Brennan (Ergbd. I, S. 458), von deren Weiterentwicklung man inzwischen nichts mehr gehört hat, muß beigezählt werden ein Zweiradautomobil, welches von P. Schilowsky [40] nach ganz ähnlichen Prinzipien gebaut worden ist und gut fahren soll.

Zu 8. Aeronautik. Die früher (Ergbd. I, S. 458) genannten Versuche, Flugzeuge durch Kreisel zu stabilisieren, sind neuerdings erheblich weitergeführt worden, teils mit dem Zwecke automatischer Stabilisation [41], teils – viel verheißungsvoller – mit der Absicht, ein anzeigendes Instrument zu schaffen, welches dem Flieger als Hilfe bei Nacht oder im Nebel dienen soll. So entstand der Steuerzeiger von F. Drexler [42], ein Kreisel, dessen Figurenachse, durch Sendern nachgiebig an die Querachse des Flugzeuges gebunden, in dessen Querebene eine geringe Beweglichkeit besitzt und also bei allen Wendungen des Flugzeuges nach der Foucaultschen Regel vom gleichsinnigen Parallelismus (Bd. 5, S. 688) ausschlägt und dadurch diese Wendungen anzeigt. Außerdem ist zu erwähnen der Fliegerhorizont von Anschütz & Co. [43], ein Kreisel, der so wenig über seinem Schwerpunkt aufgehängt ist, daß er um die Lotlinie eine Präzession (Bd. 5, S. 688) mit der Umlaufsdauer von 14 Minuten beschreibt, sich also hinsichtlich seiner Trägheit etwa wie ein ungeheuer langes mathematisches Pendel verhält und auch bei bewegtem Aufhängepunkt doch stets bis auf einen geringen Fehler die wahre Lotlinie anzuzeigen in der Lage ist [44], Dieses Instrument soll sich namentlich bei Wasserflugzeugen als brauchbar erwiesen haben.

Kollermühlen. Eine zwar längst vorhandene, aber erst neuerdings entdeckte Kreiselwirkung von sehr hohem Betrage tritt bei den sogenannten Kollergängen auf; das sind Mühlen, bei welchem ein Walzenrad (Läufer) mit in der Regel wagrechter Achse auf einer Mahlplatte um eine lotrechte Triebachse herumläuft. Die durch diese erzwungene Präzession erzeugte Kreiselwirkung (Bd. 5, S. 688) äußert sich in Drücken zwischen Läufer und Mahlplatte, welche ein Vielfaches des Läufergewichtes erreichen können und, wie die Theorie zeigt [45], am größten sind, wenn der Läufer ein wenig nach der Triebachse geneigt wird. Aehnlich ist die Wirkung bei den sogenannten Pendelmühlen, bei welchen der pendelartig aufgehängte Läufer sich von innen her gegen eine Trommel anlegt.[358]


Literatur: [38] H. Usener, Der Kreisel als Richtungsweiser, München 1917. Eine Monographie über den Kreiselkompaß. – [39] Lehrbuch für den Unterricht in der Navigation an der Kaiserl. Marineschule, Berlin 1917, 5. Teil: Maurer, Kompaßlehre, Abschnitt 4 (auch als Sonderabdruck erschienen). – [40] P. Schilowsky, Engineering (1910) I, S. 609. – [41] F. Drexler, Der Motorwagen 16 (1913), S. 69 u. 184. – [42] A. Neuburger, Motor (1919), März-Aprilheft. – [43] Eine besondere Druckschrift zum Dienstgebrauch: Der Fliegerhorizont von Anschütz & Co., Kiel-Neumühlen 1916. – [44] R. Grammel, Zur Störungstheorie des Kreiselpendels, Zeitschr. f. Flugtechnik u. Motorluftschiffahrt 10 (1919), S. 1. – [45] Ders., Kurvenkreisel und Kollergang, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1917, S. 572.

R. Grammel.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 358-359.
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