Pendel [1]

[61] Pendel. Man unterscheidet einfaches und zusammengesetztes Pendel. Ein einfaches Pendel ist, im rein mathematischen Sinne genommen, ein schwerer Punkt, der gezwungen ist, auf einer gegebenen Kurve sich zu bewegen. So ist ein schwerer Punkt, der durch einen Faden oder eine masselose starre Stange von konstanter Länge mit einem festen Punkte verbunden, in einer Vertikalebene dieses festen Punktes beweglich ist, auf einen Kreis gezwungen; er Hellt ein Kreispendel dar. Ebenso beschreibt ein schwerer Punkt, durch einen Faden mit einem festen Punkte verknüpft, eine Cykloide, wenn der Faden sich über zwei in dem festen Punkte als Spitze zusammenstoßende Aeste der Evolute der Cykloide, die selbst eine dieser kongruente Cykloide ist, hinbiegt. Das Pendel ist dann ein Cykloidenpendel. Mit Hilfe der Fadenkonstruktion von Huyghens-Monge (s.d.) kann man jeden schweren Punkt auf jeder gegebenen Kurve sich als Pendel zu bewegen nötigen. Ein schwerer Punkt,[61] der durch einen Faden konstanter Länge mit einem festen Punkte verbunden, im übrigen aber keiner weiteren Bedingung unterworfen ist, kann sich auf einer Kugelfläche bewegen, deren Mittelpunkt der feile Punkt und deren Radius die konstante Fadenlänge ist. Auch er heißt in etwas erweitertem Sinne ein einfaches Pendel, und zwar ein sphärisches oder auch, weil der Faden während der Bewegung eine Kegelfläche beschreibt, ein konisches Pendel. Ein zusammengesetztes Pendel ist ein unveränderliches Syriern schwerer Massenpunkte, das um eine Achse (meist um eine horizontale Achse) beweglich ist. Das zusammengesetzte Pendel heißt auch physisches Pendel, während das einfache Pendel auch als mathematisches Pendel bezeichnet wird. Seine Bewegung kann auf die Bewegung eines einfachen Pendels zurückgeführt werden.

Das Kreispendel. Ist M (s. die Figur) die Lage des Pendelpunktes zur Zeit t auf dem Kreise, so ist der Winkel ϑ, den der Pendelfaden C M = a mit der Vertikalen C A bildet, sowie die Spannung N des letzteren als Funktionen von t bestimmt durch


Pendel [1]

Ist ϑ der der Zeit t = 0 entsprechende Wert von ϑ, dann ist der in der Zeit t von M beschriebene Bogen s = a0ϑ) und mithin


Pendel [1]

Daher wird die erste der Gleichungen


Pendel [1]

Dieser Gleichung genügt eine elliptische Funktion. Jedoch sind drei Fälle zu unterscheiden, je nachdem die Niveaudifferenz Q H der größten Geschwindigkeit und der Geschwindigkeit Null kleiner, gleich oder größer als 2a ist. Im ersten Falle macht das Pendel gewöhnliche Schwingungen, im dritten Falle volle Umläufe; im zweiten Falle dagegen nähert sich der Pendelpunkt asymptotisch dem höchsten Punkte des Kreises (s. hierüber [1], Bd. 1, S. 400 ff.). Die ganze Schwingungsdauer T, d.h. die Zeit eines Hin- und Herganges ist


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und wenn die Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0, κ = sin 1/2ϑ0 ist. Für sehr kleine Werte des Ausschlagswinkels genügt


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Für das Sekunderrpendel ist die halbe so definierte Schwingungsdauer eine Sekunde. Diese Näherungsformel ist unabhängig von ϑ0 und zeigt, daß bei sehr kleinem ϑ0 die Größe von ϑ0 auf die Schwingungsdauer einen sehr unbedeutenden Einfluß ausübt (Isochronismus der kleinen Pendelschwingungen). Zu derselben Formel gelangt man auch, indem man in der Differentialgleichung der Pendelbewegung ϑ für sin ϑ näherungsweise setzt und die Gleichung


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integriert.

Von besonderer Wichtigkeit für die Technik ist das Kreispendel mit Reibungswiderstand. Unter Beibehaltung der obigen Bezeichnung hat man, wenn R die Beschleunigung des Widerstandes ist, indem man für kleine Ausschläge ϑ für sin ϑ setzt, die Gleichungen


Pendel [1]

Für kleine Ausschläge ist N die Fadenspannung nahe konstant gleich g, und wenn man gewöhnliche Achsreibung als wesentlichen Widerstand voraussetzt, wird R = g · ε, wo ε den Winkel bedeutet, um den man die ruhende Pendelstange nach beiden Seiten aus der lotrechten Lage entfernen kann, ohne daß das Gleichgewicht aufgehoben wird. Die Bewegungsgleichung läßt sich dann auch schreiben:


Pendel [1]

d.h. das Pendel schwingt nicht mehr um die lotrechte, sondern um die gegen die Bewegung um den Winkel e abgelenkte Gleichgewichtslage. Dadurch wird die Schwingungsweite um 2a ε vermindert. Bei der Rückschwingung tritt die nach der andern Seite um ε abgelenkte Gleichgewichtslage ein, wodurch wieder eine Verminderung der Schwingungsweite um 2a ε entsteht. Die Schwingungsweiten nehmen also hierbei in arithmetischer Reihe ab, und das Pendel bleibt nach einer endlichen Zahl von Schwingungen in einer zwischen den äußersten Gleichgewichtslagen befindlichen Stellung stehen. Wirkt der Widerstand proportional der Geschwindigkeit, wie im Falle eines widerstehenden Mittels, so entstehen gedämpfte Schwingungen, deren Ausschläge in geometrischer Reihe abnehmen. – Ueber das sphärische oder konische Pendel s. [1], Bd. 1, S. 429 ff.

Das zusammengesetzte Pendel (physisches Pendel). Es ist ein schweres, unveränderliches Punktsystem (z.B. ein schwerer starrer Körper), das um eine horizontale Achse beweglich ist. Die Bewegungsgleichung wird am einfachsten aus dem Satz von der lebendigen Kraft abgeleitet. Ist K das Trägheitsmoment des Pendelkörpers in bezug auf die Drehachse und ϑ der Ausschlagwinkel der Senkrechten vom Schwerpunkt auf die Drehachse gegen die[62] lotrechte Gleichgewichtslage, so ist die lebendige Kraft:


Pendel [1]

Die Arbeit, welche bei Hebung des Schwerpunktes geleistet wird, ist D g (1 – cos ϑ), wo D das Drehmoment des Körpers in bezug auf die Drehachse bedeutet. Es ist


Pendel [1]

const, woraus durch Differentiation nach


Pendel [1]

folgt. Es bewegt sich demnach das physische Pendel wie ein mathematisches von der Länge l = K/D. Führt man den Trägheitsradius κ aus K = M κ2 und den Schwerpunktsbestand a von der Drehachse aus D = M a ein, so wird l = κ2/a. Ist κ0 der Trägheitsradius für eine der Drehachse parallele Achse des Massenmittelpunktes, so ist κ2 = a2 + κ02 und es wird durch Einführung dieses Wertes die Pendellänge a + κ02/a = l. Legt man in der durch die Drehachse und den Schwerpunkt gehenden Ebene eine Parallele zur Drehachse auf der Seite des Schwerpunktes im Abstande l und macht diese zur Drehachse, so wird der Schwerpunktsabstand a' = la = κ2/a und die neue Pendellänge l' = a' + κ2/a' = κ2/a + a = l. Sie ist also gleich der ursprünglichen Pendellänge und das Pendel schwingt um beide Achsen gleich schnell. Ein Pendel, das um zwei solche parallele reziproke Achsen schwingen kann, die sich so verschieben lassen, daß die Schwingungen um beide gleich sind, heißt ein Reversionspendel. – Ueber das sogenannte Horizontalpendel s. Bd. 5, S. 137; vgl. a. [2] und [3].


Literatur: [1] Schell, Theorie der Bewegung und der Kräfte, 2. Aufl., Leipzig 1879, Bd. 1, S. 393–413, 421–430, und Bd. 2, S. 463–467. – [2] Appell, Traité de mécanique rationnelle, Paris 1893, Bd. 1, S. 417–422, 485–496, und Bd. 2, S. 134–137. – [3] Budde, Allgemeine Mechanik der Punkte und starren Systeme, Berlin 1890, Bd. 1, S. 194–219, und Bd. 2, S. 665 bis 671.

(† Schell) Finsterwalder.

Pendel [1]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 61-63.
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