[574] Sauerstoff O; Atomgew. 16; spez. Gew. 1,1056 (Luft = 1), ist ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas, das bei einem Druck von 525 Atmosphären und bei 140° eine farblose Flüssigkeit darstellt. Wenig löslich in Wasser, leichter löslich in Alkohol. Verbindet sich mit allen Elementen außer Fl, meistens direkt und oft unter starker Licht- und Wärmeentwicklung. Verbrennen in der atmosphärischen Luft, welche aus 20,9 Vol. Sauerstoff, 79,1 Vol. Stickstoff besteht, ist Verbinden des brennbaren Körpers mit Sauerstoff (Oxydation, s. Bd. 6, S. 786). Ein Gemenge von 1 Vol. Sauerstoff mit 2 Vol. Wasserstoff heißt Knallgas (s.d., Bd. 5, S. 517), weil es beim Anzünden mit heftigem Knall explodiert. Ueber den sogenannten aktiven Sauerstoff oder Ozon s. Bd. 6, S. 787.
Sauerstoff, 1774 von Priestley und unabhängig von ihm 1777 von Scheele entdeckt, aber erst von Lavoisier in seiner wahren Natur erkannt, wird dargestellt durch Erhitzen von Kaliumchlorat (2KClO3 = KClO4 + KCl + 2O; KClO4 = KCl + 4O) zweckmäßig unter Zusatz von[574] etwas gepulvertem Braunstein, der selber unverändert bleibt, durch starkes Glühen von Braunstein (3MnO2 = Mn3O4 + 2O), durch Erhitzen von Braunstein mit Schwefelsäure (MnO2 + H2SO4 = MnSO4 + H2O + O) u.s.w. Für die Gewinnung im großen sind alle diese Verfahren zu teuer, es kommen nur solche in Betracht, welche den Sauerstoff der atmosphärischen Luft entnehmen. Von chemischen Verfahren ist eine Zeitlang das zuerst von Boussingault angegebene, dann von den Gebrüdern Brin verbesserte Verfahren in mäßigem Umfange gebraucht worden. Hierbei wird in eisernen Retorten befindliches Baryumoxyd (BaO), welches auf 500600° erhitzt ist, durch den Sauerstoff zugeleiteter Luft in Baryumsuperoxyd (BaO2) verwandelt, das bei Steigerung der Temperatur auf 800° wieder in Baryumoxyd und Sauerstoff zerfällt. Das Zuführen und Abstellen der Luft sowie das Absaugen des Sauerstoffs geschah selbsttätig durch die Saugpumpe. Von physikalischen Verfahren hat dasjenige, welches auf der gegenüber dem Stickstoff größeren Löslichkeit des Sauerstoffes in Wasser beruht, keinen praktischen Erfolg gehabt. Dagegen arbeitet man mit gutem Erfolg mit Lindes Apparat zur Verflüssigung von atmosphärischer Luft [1], indem man verwertet, daß aus der verflüssigten Luft der Stickstoff schneller verdampft als der Sauerstoff. Gegen die früheren Apparate zu ähnlichem Zwecke, die durch stufenweises Abkühlen mittels mehrerer verschieden tief siedender Gase arbeiteten, indem man diese Gase einzeln kühlte, verflüssigte und rasch verdampfen ließ, bietet der Lindesche Apparat (vgl. den Art. Gase, Verflüssigung derselben, Bd. 4, S. 288) den Vorteil, daß er die Temperaturerniedrigung nur erreicht durch sehr bedeutenden Druckfall der sehr stark zusammengepreßten und vorgekühlten Luft und besonders durch weiteres Kühlen der durch Schlangenrohre strömenden Luft im Gegenstrom des am Rohrende aus der verflüssigten Luft verdampfenden Stickstoffs. Neuerdings will Hildebrandt das Entspannungsgefäß zur Verminderung der Kälteverluste in einen Hohlraum erster und einen Hohlraum zweiter Ordnung teilen, indem er viele übereinander angeordnete oben und unten offene Röhrenbündel einbaut, deren Inhalt bei jeder Entspannung weniger Ausdehnung, aber durch die dünnen Rohrwandungen hindurch Kühlung erfährt. Das Herabtropfen der verflüssigten Luft aus den einzelnen Röhrenbündeln in das Sammelgefäß soll eine Rektifikation (vollständigere Stickstoffabgabe) des zu gewinnenden Sauerstoffs bewirken. Durch Kompressionspumpen werden je 1000 l Sauerstoff in eiserne Zehnliterflaschen (über diese s. [2]) hineingepreßt, so daß die auf 250 Atmosphären geprüften Behälter einen Druck von 100 Atmosphären auszuhalten haben, lieber andre Verfahren der technischen Sauerstoffgewinnung s. [3] und [4]. Der Sauerstoff ist bisher in der Technik fast nur für Knallgas- und Leuchtgasgebläse, zum Löten und »autogenen« Schweißen gebraucht; anderweitige Verwendungen zu Schmelzungen und Oxydationsprozessen befinden sich erst im Stadium der Einführung. Literatur: [1] Dingl. Polyt. Journ. 1897, Bd. 303, S. 40. [2] Polyt. Zentralbl. 1892/93, S. 37. [3] Fischer, Handbuch der ehem. Technologie, Leipzig 1893, S. 608. [4] Blücher, H., Auskunftsbuch für die chemische Industrie, Berlin.
(Rathgen) Moye.