Virial

[797] Virial (von vis, Kraft), Begriff der Mechanik und Wärmetheorie.

Ein beliebiges System von materiellen Punkten (s. Materielles System, Bd. 6, S. 333) befinde sich in stationärer Bewegung hinsichtlich eines beliebigen rechtwinkligen Koordinatensystems, d.h. in einer Bewegung, bei welcher sich die Punkte nicht fortwährend weiter von ihren ursprünglichen Lagen entfernen, und die Geschwindigkeiten nicht immer in gleichem Sinne veränderlich sind; die Punkte sollen innerhalb eines bestimmten Raumes bleiben und die Geschwindigkeiten nur innerhalb gewisser Grenzen schwanken (Bewegung der Planeten, elastische Schwingungen, Wärmebewegung u.s.w.). Bezeichnen für einen Punkt der Masse m v die Geschwindigkeit, x, y, z die rechtwinkligen Koordinaten, X, Y, Z die in den Richtungen der Koordinatenachsen wirkenden Kräfte, so ergibt sich der Mittelwert der lebendigen Kraft des Systems für ein genügend großes Zeitintervall (bei periodischen Bewegungen schon innerhalb einer oder mehrerer ganzer Perioden):

Σ m v2/2 = – 1/2 Σ (X x + Y y + Z z),

wobei v2 und die Produkte auf der rechten Seite Mittelwerte für jenes Zeitintervall bedeuten. Der Wert rechts hängt wesentlich von den wirkenden Kräften ab und würde bei konstanten x, y, z der Mittelwerte X x, Y y, Z z proportional den Kräften X, Y, Z sein, weshalb Clausius den Namen Virial dafür einführte [3]. Diejenigen Teile des Virials, welche von den äußeren und inneren Kräften herrühren (Bd. 1, S. 103; Bd. 6, S. 333), werden als äußeres Virial und inneres Virial unterschieden. Vorstehende Gleichung besagt nun: Die mittlere lebendige Kraft des Systems ist gleich seinem Virial. Für die Wärmebewegung wird die mittlere[797] lebendige Kraft proportional der absoluten Temperatur (S. 519) angenommen. Diese Anschauungen suchte man zur Erklärung der Wärmeerscheinungen zu verwerten.


Literatur: [1] Jakobi, Vorlesungen über Dynamik (1. Aufl. von Clebsch 1866) Gesammelte Werke, Supplementband, Berlin 1884, S. 21. – [2] Lipschitz, Ueber einen algebraischen Typus der Bedingungen eines bewegten Massensystems, Crelles Journ. 1866, S. 333. – [3] Clausius, Ueber einen auf die Wärme anwendbaren Satz, Poggendorfs Annalen 1870, CXLI, S. 123. – [4] Clausius, Ueber die Zurückführung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie auf mechanische Prinzipien, Poggendorffs Annalen 1871, CXLII, S. 433. – [5] Villarceau, Sur un nouveau theoreme de mecanique generale, Comptes rendus 1872, LXXV, S. 232. – [6] Clausius, Ueber verschiedene Formen des Virials, Poggendorffs Annalen 1874, Jubelband S. 411. – [7] Grashof, Theoretische Maschinenlehre, I, Leipzig 1875, S. 258. – [8] Van der Waals, Die Kontinuität des gasförmigen und flüssigen Zustandes, deutsch von Roth, Leipzig 1881, S. 3. – [9] Budde, Allgemeine Mechanik der Punkte und starren Systeme, I, Berlin 1890, S. 293, 413. – [10] Richarz, Zur kinetischen Theorie mehratomiger Gase, Wiedemanns Annalen 1893, IIL, S. 467 (s.a. S. 708). – [11] Ders., Der Satz vom Virial und seine Anwendung in der kinetischen Theorie der Materie, Naturwissenschaftl. Rundschau 1894, S. 221, 237. – [12] Amagat, Sur la pression intirieure et le virtel des forces interieures dans les fluides, Comptes rendus etc. 1895, CXX, S. 489. – [13] Bakker, Ueber die potentielle Energie und das Virial der Molekularkräfte, Zeitschr. f. physikal. Chemie 1896, XXI, S. 497. – [14] Weinstein, Thermodynamik und Kinetik der Körper, I, Braunschweig 1901, S. 38. – S.a. Disgregation, Bd. 2, S. 778.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 797-798.
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