Asyl

[16] Asyl (griech.), Freistätte, Zufluchtsort für Verfolgte. Schon Moses gewährte nach uraltem Herkommen, um die Blutrache zu beschränken, für unvorsätzliche Totschläger sechs Freistädte (4. Mos. 35). Später war auch der Tempel zu Jerusalem eine solche Freistätte. In Griechenland war zunächst jeder den Göttern geweihte Ort ein A., doch gab es auch besonders bevorrechtete und allgemein anerkannte Asyle. Zu den berühmtesten gehörten die Tempel des Apollon in Delos, des Poseidon in Tänaron, des Zeus Lykäos in Arkadien etc. (vgl. Barth, De Graecorum asylis, Straßb. 1888). In Rom errichtete angeblich Romulus ein A. zwischen dem Kapitol und der Burg, um durch Flüchtlinge aus den benachbarten Völkern die Einwohnerzahl schneller zu mehren. Wie die Tempel, so schützten auch später die Adler der römischen Legionen und die Statuen der Kaiser vor augenblicklicher Gewalttat. Von den heidnischen Tempeln ging seit Konstantin d. Gr. das Asylrecht auf die christlichen Kirchen, später selbst auf die Wohnungen der Bischöfe und Geistlichen, auf Klöster, Hospitäler etc. über. Benedikt XIII., Gregor XIV. u. a. setzten jedoch fest, daß gewisse schwere Verbrecher, wie Straßenräuber, Mörder, Diebe von Profession, Kirchenschänder, von der Inquisition verfolgte Ketzer, Falschmünzer, grobe Betrüger etc., von der Wohltat des Asyls ausgeschlossen sein sollten. Man verhaftete nun jeden dahin Geflohenen und untersuchte, ob er auf den kirchlichen Schutz ein Anrecht habe. In den protestantischen Ländern verloren die geistlichen Stätten sehr früh das Privilegium des Asyls. Mit der zunehmenden Befestigung der weltlichen Justiz mußte das kirchliche Asylrecht ganz verschwinden. Lange Zeit schrieb man auch den Gesandtschaftshotels ein Asylrecht zu, und noch heutzutage kann auf fremden Kriegsschiffen Flüchtlingen ein A. gewährt werden. So gewährte Holland dem Burenpräsident Krüger und dessen Gefolge auf seinem Kriegsschiff Gelderland ein A., als er Transvaal verließ. Neuerdings spricht man von Asylrecht vorzugsweise in dem Sinne, daß man darunter die Nichtauslieferung von Verbrechern, namentlich von politischen Verbrechern, von dem einen Staat an den andern versteht. So sind seit langem insbes. England, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Schweiz und andre Staaten Freistätten für alle, die infolge politischer Ereignisse ihr Vaterland verlassen mußten (s. Auslieferung). – Völlig verschieden von dem klassisch-antiken, kirchen- und völkerrechtlichen Begriff des Asyls ist die heutige Bedeutung des Asyls als einer Zufluchtsstätte für Notleidende. Die Zweckbestimmung dieser modernen Asyle ist mannigfaltig. Die am häufigsten vorkommenden Asyle, deren Bedürfnis sich vornehmlich in den großen Städten fühlbar macht, sind folgende: 1) für Trunkenbolde (Trinkerasyle); 2) für Prostituierte (öfters Magdalenenstifter benannt); 3) für entlassene Strafgefangene, denen es an Beschäftigung fehlt; 4) für arme Wöchnerinnen; 5) Asyle für Obdachlose (s. unten).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 16.
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