Arkadĭen

[770] Arkadĭen, das von den Dichtern hochgefeierte Hirten- und Schäferland in der Mitte des Peloponnes, ein in sich und gegen außen abgeschlossenes Hochland, die natürliche Festung der Halbinsel (s. Karte »Alt-Griechenland«). Am höchsten steigen die A. einschließenden Gebirge im N. auf, wo der Kyllene (jetzt Zyria) 2374 m Höhe erreicht. An ihn schließt sich westlich das Aroanische Gebirge (Chelmos 2355 m), dann der Erymanthos (Olonos 2224 m). Weniger hoch sind die Gebirge an der Ostgrenze, die nur eine Höhe von 1400–1800 m erreichen, während die Pässe 800 m nicht viel überschreiten. Darum war und ist der Verkehr nach O. viel bedeutender als nach N. In dieser Kette liegt, schon auf lakonischem Gebiete, der 1937 m hohe Parnon (Malevos), dessen Namen man auf die ganze Kette über ragen hat. Von S. und besonders von W. her ist A. leicht zugänglich, denn nach W. bahnen sich die Gewässer Arkadiens, im Alpheios (jetzt Ruphias) vereinigt, ihren Weg zum Sizilischen Meer. Auf arkadischem Gebiet entspringen auch der Eurotas, der Hauptfluß Lakoniens, und der Neda im SW. Das Innere Arkadiens ist ein wechselndes Berg- und Talland, unter dessen Erhebungen der 1981 m hohe Mänalos (Hagios Ilias) die bedeutendste ist. In Südarkadien befindet sich ein fruchtbares Becken (alter Seeboden), wo alle Feldfrüchte, Wein und Oliven in Fülle gedeihen. Die von der Ostkette herabkommenden Bäche haben die Eigentümlichkeit, daß sie im Frühjahr oft plötzlich das Land überschwemmen, im Sommer aber in Katabothren (unterirdischen Höhlen) verschwinden, aus denen sie mitunter nach meilenlangem Lauf plötzlich wieder hervorbrechen. Größere Seen hat A. nur zwei, den von Pheneos (Phonia) und den von Stymphalos, der in der Heraklessage eine Rolle spielt, beide im NO. Im Altertum waren sie zur Winterzeit mit Wasser angefüllt, im Sommer wurde ihr Grund bebaut; auch noch heute kommt es vor, daß Fischer und Ackerbauer hier mit ihrer Arbeit wechseln, je nachdem Erdbeben die unterirdischen Abzüge verdämmen oder sie frei machen. Die griechischen Bewohner des alten A. waren äolischen Stammes, Hirten und Jäger, daher Pan, der Hirtengott, und Artemis von ihnen besonders verehrt wurden. Der Name des ersten Königs, Elatos, des Fichtenheros, deutet auf die ausgedehnten wildreichen Wälder des Landes. Die Arkadier waren von urkräftiger Natur, in Sitten und Gewohnheiten einfach und genügsam, gastfrei und freiheitsliebend, aber ziemlich derb und unzivilisiert. Die Musik pflegten sie wie kein andrer griechischer Stamm. Als Folge der Übervölkerung des Landes, das keine eignen Kolonien wie die andern griechischen Staaten aussandte, finden wir bei den Arkadiern, ähnlich wie bei andern Gebirgsvölkern, die Übung des »Reislaufens«. Aber die alte unverdorbene Sitte und mit ihr Kraft, Wohlsein und Frohsinn erhielten sich und herrschten noch in A., als das übrige Griechenland bereits moralisch untergegangen war. So kam es, daß die Dichter A. als das Land der Unschuld und des stillen Friedens priesen, nur daß der moderne Begriff von »arkadischen Sch isern« dem wahren Wesen des Volkes sehr wenig entspricht. Die bedeutendsten Gemeinwesen des alten A. finden wir in den Beckenebenen des Ostens, so das reiche aristokratische Tegea (s. d.), die demokratische Handelsstadt Mantineia (s. d.), ferner Stymphalos, Pheneos (s. d.) und Kleitor (s. d.). Im W. war die einzige wichtigere Stadt Heräa (s. d.). Das Zentrum ist ohne historisches Interesse und war nur von Dörfern besetzt. Im obern, fruchtbaren Alpheiostal gründeten die Thebaner später die Bundesstadt Megalopolis.

Die Arkadier zählten zu den ältesten Völkern Griechenlands, wofür auch ihr Dialekt spricht. Pausanias nennt sie Autochthonen, andre Schriftsteller machen sie sogar zu Proselenen, d.h. älter als der Mond. Als erster arkadischer König gilt Pelasgos. Bei der Dorischen Wanderung behaupteten die Arkadier ihre Unabhängigkeit. Der Verrat ihres Königs Aristokrates an den Messeniern in dem zweiten Krieg war die Veranlassung zum Sturz des Königtums überhaupt. A. zerfiel jetzt in eine Menge kleiner Freistaaten, die alle, nur durch gemeinsame Kulte miteinander verbunden, voran die beiden bedeutendsten, Tegea und Mantineia, eifersüchtig einander gegenüberstanden und sich dadurch zur Unterordnung unter die Hegemonie Spartas genötigt sahen (um 550). Die Gegner Spartas, namentlich Alkibiades, versuchten, die arkadischen Städte zu einem peloponnesischen Gegenbund zu vereinigen, doch endete diese Politik zunächst meist mit Wiederherstellung des Übergewichts von Sparta und mit der Zerstörung Mantineias (385), die überschüssige Bevölkerung fand in der Fremde als Söldner Verwendung. Einen Umschwung führten die Siege des Epameinondas herbei; durch einen Synoikismos wurde 370 Megalopolis gegründet und zur arkadischen Hauptstadt gemacht Indessen hatten die Versuche, eine politische Machtstellung Arkadiens zu begründen, keinen dauernden Erfolg. Die Feindschaft mit Sparta dauerte fort; auch die anfängliche Parteinahme für Makedonien unter Philipp brachte A. nur geringen Vorteil. Später zerfiel es wieder in kleinere Staaten, die z. T. im Achäischen, z. T. im Ätolischen Bund, z. T. in Makedonien ihren Rückhalt suchten, bis es 146 in die Hände der Römer fiel. Im Mittelalter wanderten Slawen und Albanesen ein. Vgl. Schwab, Arkadien (Stuttg. 1852); Immerwahr, Die arkadischen Kulte (Leipz. 1891). – Gegenwärtig bildet A. einen Nomos des Königreichs Griechenland, der 4301 qkm mit (1896) 167,092 Einw. (39 auf 1 qkm) umfaßt. Er zerfällt in vier Eparchien. Hauptstadt ist Tripolis.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 770.
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