Ballett

[307] Ballett (franz. Ballet, ital. Balletto, aus ballo, »Tanz«, gebildel), eine durch Tanz und Pantomime auf der Schaubühne dargestellte und von Musik begleitete Handlung, ein von Musik begleiteter mimischer Schau- oder Kunsttanz. Ein solcher Kunsttanz ist entweder ein untergeordneter Teil einer mimischen Darstellung, wie die den Opern eingelegten Ballette, oder ein wesentlicher Teil, mit Gesang verbunden[307] (comédie-ballet, auch opéra ballet), oder eine für sich bestehende mimische Darstellung, bei der der Tanz, die Pantomime und die Orchesterbegleitung das Ganze sind (ballet d'action oder ballet-pantomime). Der Ursprung dieser Gattung theatralischer Darstellung durch Tanz, Mimik und Orchestermusik ist in den Pantomimen der alten Römer zu suchen. Die früheste Form des modernen Balletts war eine durch Tanz ausgeführte, aber zugleich mit Rede, öfters auch mit Gesang verbundene theatralische Handlung. In dieser Gestalt finden wir es zu Ende des 15. Jahrh. zuerst an den prachtliebenden Höfen Italiens ausgebildet; seine eigentliche künstlerische Gestalt aber erhielt es in Frankreich. Baltasarini (genannt Beaujoyeux) führte das italienische B. zuerst in Paris ein. Im 17. Jahrh. erfuhr das B. wesentliche Verbesserungen durch Ottavio Rinuccini, den Maria von Medici mit großem Aufwand unterstützte, und den Kardinal von Richelieu, der nach eigner Erfindung prachtvolle Ballette am Hofe zu St.-Germain ausführen ließ, in deren einem Ludwig XIII. 1625 selbst mittanzte. Eine neue Epoche für das B. in Frankreich begann gegen Ende des 17. Jahrh. mit der Gründung der großen französischen Oper durch Lully und den Operndichter Ph. Quinault, der das B. mit der Oper verflocht. In der von Quinault erfundenen und B. genannten gemischten Gattung wurde indes der Tanz dem lyrisch-musikalischen Teil völlig untergeordnet; die hierzu komponierten und eingelegten Tanzstücke hießen Divertissements oder Fêtes. Eine weitere Vervollkommnung des Balletts bewirkte 1697 La Motte, indem er das Interesse an der Handlung verstärkte und das B. in engere Verbindung mit der dramatischen Wirlung brachte. Ludwig XV. selbst tanzte in diesen neuen Balletten, die in den Tuilerien ausgeführt wurden, mit. Das B. blieb zwar noch immer mit der Oper verbunden, bildete aber eine für sich bestehende Folge von Handlungen bald ernsthaften, bald heitern Ausdruckes. Man unterschied nach dem Inhalt und den auftretenden Personen Comédie-Ballet, Pastoral-Ballet, Ballet allégorique und Ballet héroïque. Der eigentliche Schöpfer des Balletts als einer Gattung der theatralischen Kunst ist Noverre, der es von der Oper wieder völlig trennte und zu künstlerischer Selbständigkeit erhob. Er machte den Tanz zum wirklichen dramatischen Charaktertanz, der im B. die Hauptsache blieb, und dem sich der mimisch-plastische Teil stets unterordnen mußte, so daß die Handlung nicht bloß den Tanz herbeiführte, sondern auch größtenteils nur durch den Tanz ausgeführt ward. Seine Ballette zeichneten sich durch sinnige Anordnung, wirksame Maschinerie, spannende Handlung und reizvolle Gruppierung wie überhaupt durch dramatischen Effekt aus und sind auf der Pariser Bühne das Muster für alle folgenden geblieben. Eine bedeutende Erscheinung waren zu Anfang des 19. Jahrh. die pantomimischen Ballette des Ballettmeisters Galeotti zu Kopenhagen, der das dramatisch-plastische Prinzip für die mimische Kunst aufstellte, den eigentlichen Tanz (im Gegensatze zu Noverre) der wirklichen Handlung unterordnete und ihn nur da einlegte, wo er ihn aus der Haupthandlung selbst herzuleiten wußte. Dem mythologischen B. machte das 1800 in Paris gegebene B. »Dansomanie« von Gardel del dem jüngern ein Ende. Dem einmal geöffneten Pfade folgten DaubervalLa fille mal gardée«) und DuportBarbier de Séville«). Gleichzeitig wirkten Aumer und Henry bei dem Theater der Porte St.-Martin. Als Napoleon I. 1807 dieses Theater schließen ließ, begab sich Henry nach Neapel und suchte dort das italienische Genre mit dem französischen zu verschmelzen; Aumer ging nach Deutschland und weckte hier den Geschmack für das große B. In Paris arbeitete indessen der Ballettmeister Milon bei der Großen Oper, wo er sein treffliches B. »Nina« ausführte. Nach ihm haben sich als Ballettmeister und Verfasser von Balletts hervorragenden Ruf verschafft: Philipp Taglioni in Paris und St. Petersburg (»Die Sylphide«), Hoguet in Berlin (»Der Geburtstag«, »Die Danaiden«, »Aladin«), Paul Taglioni in Berlin (»Undine«, »Der Seeräuber«, »Don Quichotte«, »Flick und Flock«, »Ellinor«, »Morgano«, »Fantasca«, »Sardanapal«, »Madeleine«), August Bournonville in Kopenhagen (»Die Kirmes in Brügge«), G. Ambrogio in Stuttgart (»Der Blumen Rache«, nach Freiligraths Gedicht), Manzotti in MailandExcelsior«, »Amor«), Louis Frappart (Wiener Walzer), Gaul und Haßreiter in Wien (»Die Puppenfee«), Emil Graeb in Berlin (»Die vier Jahreszeiten«, »Prometheus«) u. a. In neuester Zeit ist das B. als besondere Gattung stark in den Hintergrund getreten und spielt nur noch als Einlage in Opern etc. eine Rolle. Dafür hat es eine Stätte in den großen Ausstattungsstücken der Zirkusse gefunden, wo es aber nur durch Massenaufgebot, weniger durch künstlerische Einzelleistungen zu wirken sucht.

Die Musik zum B. hat nicht allein die Tätigkeit gewöhnlicher Tanzmusik, d. h. die Unterstützung der rhythmischen Bewegungen zu verrichten, sondern sie interpretiert gewissermaßen auch die Situation und verleiht der mimischen und pantomimischen Darstellung eine Art von Sprache. Sogar große Musiker, wie Gluck, später Cherubini und selbst Beethoven (»Die Geschöpfe des Prometheus«, 1890 in Berlin nach einem neuen Text von E. Taubert wieder ausgeführt), haben Ballettmusik geschrieben und Bedeutendes auf diesem Felde geleistet. In neuerer Zeit haben sich als Ballettmusikkomponisten besonders P. Hertel in BerlinSardanapal«, »Fantasca«), L. Delibes in Paris (»Coppelia«) und Joseph Bayer in Wien ausgezeichnet. Auch Rubinstein hat ein B., »Die Rebe«, komponiert. Vgl. Voß, Der Tanz und seine Geschichte (Berl. 1869); Pougin, Dictionnaire historique du théâtre, etc. (Par. 1884); von ältern Werken: Menétrier, Des ballets anciens et modernes (das. 1682); Cahussac, Traité de la danse ancienne et moderne (das. 1753, 3 Bde.); Noverre, Lettres sur la danse et les ballets (neue Ausg., das. 1807).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 307-308.
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