Bildungsvereine

[873] Bildungsvereine, Vereine, welche die Bildung ihrer Mitglieder oder weiterer Kreise des Volkes zu heben suchen, und zwar die geistig-sittliche (Handwerker-, Arbeitervereine, Arbeiterbildungsvereine, Volksbildungsvereine), die gewerbliche oder handelswissenschaftliche (Gewerbe-, Fabrikantenvereine, kaufmännische Vereine), die politische und volkswirtschaftliche (gewisse politische oder volkswirtschaftliche Vereine) oder endlich die religiöse Bildung (Gesellen-, Jünglingsvereine). Ihren Zweck suchen die B. zu erreichen durch Vorträge, Bibliotheken mit Lesezimmer, Fortbildungsschulen etc. Hand in Hand mit derartigen Vereinen wirkt der 1879 gegründete »Deutsche Verband von Vereinen für öffentliche Vorträge«. In England wurden B. insbes. durch Lord Brougham seit 1825 begründet. Mechanics Institutes mit Lesezimmern und Bibliotheken und Working Men's Colleges, diese mit höhern Zielen, besitzt heute in Großbritannien, in dessen größern Kolonien sowie in den Vereinigten Staaten jede bedeutendere Stadt. Zu ihnen traten in neuerer Zeit die Toynbeehalls (s. Settlement) und zahlreiche ähnliche Vereinshäuser. In Belgien bildete sich später die über das Land verzweigte liberale Ligue de l'enseignement. In Deutschland entstanden Vereine zur gemeinsamen Fortbildung schon bald nach den Befreiungskriegen, traten aber erst seit 1830 mehr hervor. In Sachsen, Nassau, Hannover entstanden die sogen. Gewerbevereine (Handwerkervereine), die im folgenden Jahrzehnt sich über die mittlern und größern Städte Norddeutschlands verbreiteten. Indes erst seit 1840, besonders seit 1848, entstanden zahlreichere eigentliche B. (Bürgervereine, Arbeiterbildungsvereine, Turnvereine etc.), zuerst in Berlin, Bremen, Hamburg u. a. O., begegneten aber bald mancherlei ihnen vom Staat bereiteten Hindernissen, wie denn der große, 1814 gegründete Handwerkerverein zu Berlin von 1850–59 aufgelöst war, während die Regierung dagegen die kirchlichen Vereine begünstigte. Während diese Vereine meist eine liberal-politische Färbung hatten, verfolgten die auf Anregung Roßmäßlers sogenannten Humboldt-Vereine (seit 1860) ausschließlich den Zweck, die Bekanntschaft mit den Ergebnissen der neuern Naturforschung durch Vorträge, Bibliotheken u. a. zu fördern. Ebenfalls seit 1860 versprachen die Arbeiterbildungsvereine (Cercles d'ouvriers in Frankreich seit 1872) einen neuen Aufschwung zu nehmen, verfielen aber nach Lassalles Auftreten zum großen Teil der Sozialdemokratie. Anfang 1871 erfolgte in Berlin unter Mitwirkung von Schulze-Delitzsch, Franz Duncker u. a. durch Leibing und Kalle die Gründung der jetzt über ganz Deutschland verbreiteten Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung, die schnell einen bedeutenden Aufschwung nahm und Ende 1901: 23 Zweigvereine und Verbände mit zusammen 6237 Mitgliedern (davon 2660, jetzt 2853 körperschaftliche) zählte. Neben Lesezimmern, Bibliotheken, Vorträgen (durch Wanderlehrer) und Fortbildungsschulen sucht sie ihren Zweck durch Herausgabe einer Monatsschrift, »Der Bildungs-Verein« (seit 1871) mit Beiblatt »Die Volksbibliothek«, und Flugschriften zu erreichen. Für Bayern, Württemberg und Baden bildete sich ein Verband süddeutscher Arbeiterbildungsvereine, der neben dem Bildungszweck auch die praktischen Interessen der Arbeiter durch Arbeitsnachweis, Wanderunterstützungen u. a. berücksichtigt. 1889 wurde in Weimar ein Verein für Massenverbreitung guter Schriften (Schriftenvertriebsanstalt) gegründet. In der neuesten Zeit berühren sich die B. vielfach mit den Bestrebungen der sogen. von England ausgegangenen Universitätsausdehnung (University Extension) und der Volkshochschulen (s. d.). Auch der 1900 begründete deutsche Goethebund verfolgt vielfach ähnliche Zwecke. Über diese sowie über Gewerbevereine, Handwerkervereine, Jünglingsvereine, Vortragsvereines. die besondern Artikel. Vgl. außer der genannten Zeitschrift Reyer, Handbuch des Volksbildungswesens (Stuttg. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 873.
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