Desertion

[665] Desertion (lat., »Verlassung«), die eigenmächtige Entfernung eines Soldaten von seiner Truppe oder von seinem dienstmäßigen Aufenthaltsort. Schon bei den Griechen und Römern wurde der Deserteur sehr streng, meist am Leben gestraft. Im Mittelalter waren die Strafen für D. sehr verschieden. In Frankreich wurde 1550 unter Heinrich II. die Todesstrafe auf D. gesetzt; Karl V. erklärte die Ausreißer für vogelfrei. Das Werbesystem Deutschlands im 18. Jahrh. hatte unter vielen andern Nachteilen auch den der häufigen D. zur Folge. In unsrer Zeit kommt bei den europäischen Armeen die D. nur noch selten vor, was von der kürzern Dienstzeit, vorzüglich aber von der volkstümlichern Bildung der Heere herrührt. Am häufigsten ist sie und in hohem Grade bedenklich im englischen Heer, wie der Burenkrieg deutlich gezeigt hat. Das deutsche Militärstrafgesetzbuch (§ 64ff.) unterscheidet zwischen der unerlaubten Entfernung und der Fahnenflucht. Erstere, das Wegbleiben vom Dienst, Verlassen der Truppe ohne Urlaub oder Überschreitung des Urlaubs, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten bestraft, in leichten Fällen nur disziplinarisch mit Arrest, z. B., wie es öfters vorkommt, bei Rekruten, die aus Heimweh nach Hause gehen und nach einigen Tagen wiederkommen oder[665] vom Vater zurückgebracht werden. Nur bei verschuldeter Abwesenheit über 7 Tage, im Feld über 3 Tage, tritt Gefängnis oder Festungshaft bis zu 2 Jahren ein. Dauert die Abwesenheit im Feld länger als 7 Tage, so ist Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren verwirkt. Die Fahnenflucht schließt die Absicht dauernder Entziehung vom Dienst ein, wie z. B. das Beseitigen der Uniform, Reise ins Ausland etc. sie dartun, und wird außer mit Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes mit Gefängnis von 6 Monaten bis zu 2 Jahren, im Wiederholungsfall mit Gefängnis von 1–5 Jahren, im zweiten Rückfall mit Zuchthaus von 5–10 Jahren bestraft; im Feld ist die mildeste zulässige Strafe für Fahnenflucht 5 Jahre Gefängnis, in schweren Fällen tritt selbst Todesstrafe ein. Gemeinschaftliche Fahnenflucht wirkt straferhöhend. Schon der Versuch zur Fahnenflucht ist strafbar. Gegen abwesende Deserteure wird in contumaciam eine Geldstrafe von 150–3000 Mk. verhängt; kehren sie später zurück, oder werden sie ergriffen, so wird ein neues Verfahren eingeleitet. Die Verleitung und der Versuch einer Verleitung eines Soldaten zur D. und die Beförderung einer solchen werden nicht nur an Soldaten, sondern auch an Personen bestraft, die dem Soldatenstand nicht angehören. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 141) setzt für letztere Gefängnisstrafe von 3 Monaten bis zu 3 Jahren, das österreichische aber Kerkerstrafe bis zu 5 Jahren und außerdem eine Geldstrafe von 100 Gulden fest. Die gleichen Bestimmungen gelten auch auf die Angehörigen der Kriegsmarine. – Für die Schiffsleute auf Handelsschiffen gilt die Bestimmung des Strafgesetzbuches (§ 298), wonach ein Schiffsmann, der mit der Heuer entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienst zu entziehen, mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft wird, gleichviel ob das Vergehen im Inland oder im Ausland begangen worden ist. Aber auch in solchen Fällen, in denen ein strafbarer Eigennutz des Schiffsmannes nicht vorliegt, wird das Entlaufen eines solchen, auch wenn er nicht mit der Heuer entweicht oder sich verborgen hält, nach der deutschen Seemannsordnung (§ 93ff.) auf Antrag mit Strafe belegt. Zwischen den verschiedenen Seestaaten bestehen wegen Auslieferung desertierender Schiffsleute besondere Kartellverträge. – Kirchenrechtlich versteht man unter D. die bösliche Verlassung des einen Ehegatten von dem andern ohne hinreichenden Grund, indem er von ihm eigenmächtig in der Absicht, die Ehe nicht fortzusetzen, wegzieht (s. Ehe).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 665-666.
Lizenz:
Faksimiles:
665 | 666
Kategorien: