Determinismus

[684] Determinismus (lat.), im allgemeinsten Sinne die metaphysische Lehre, nach der jeder einzelne Teil der Wirklichkeit von einem oder mehreren andern so abhängt, daß durch die letztern sein Dasein sowohl als seine Beschaffenheit vollständig bestimmt sind, so daß jener Teil weder an einem andern Punkte des Raumes, noch zu einer andern Zeit, noch mit andern Beschaffenheiten hätte existieren können, als an dem Punkte, zu der Zeit und mit den Beschaffenheiten, die er tatsächlich hat. Der D. leugnet also, daß irgend etwas in der Welt zufällig sein oder geschehen könne, und behauptet vielmehr, daß alles notwendig sei. Der tiefere Grund, weshalb jede wissenschaftliche Weltauffassung (insbes. die naturwissenschaftliche) zum D. hinneigt, liegt in der Natur unsers Denkens selbst, das nur dann eine vollständige Befriedigung findet, wenn es alle Tatsachen in einen Zusammenhang nach Grund und Folge, Ursache und Wirkung gebracht hat. Doch kann der D. verschiedene Formen annehmen und sich auf ein engeres oder weiteres Gebiet erstrecken. Der Naturforscher beschränkt sich auf die Voraussetzung, daß alle Vorgänge der körperlichen Natur durch materielle Ursachen notwendig bestimmt seien, ohne sich ein Urteil anzumaßen, warum die letzten Ursachen und die Gesetze ihres Wirkens se seien, wie sie sind, und nicht anders. Nach Spinoza dem Hauptbegründer des metaphysischen D., ist alles Seiende, sei es geistiger oder materieller Art, durch das Wesen des einheitlichen Weltgrundes (der absoluten Substanz) mit Notwendigkeit gesetzt. Leibniz schwächte diese Lehre dahin ab, daß bei der einmal gegebenen Verfassung der Welt alles Einzelne in derselben zwar (relativ) notwendig sei, daß aber der Schöpfer der Welt auch eine andre Verfassung hätte geben können, wodurch natürlich auch der ganze Lauf derselben ein andrer geworden wäre. In der kirchlichen Philosophie ist der D. in der Form der Prädestinationslehre (s. Prädestination) aufgetreten. Den Haupteinwand gegen den D. hat man zu allen Zeiten darauf begründet, daß derselbe in folgerechter Anwendung die Freiheit des menschlichen Willens leugnen müsse, denn wenn alles in der Welt notwendig bedingt sei, so müßten es auch unsre Willensentschlüsse sein, dies aber widerspreche unserm tatsächlichen Freiheitsbewußtsein, überdem werde durch den D. die Verantwortlichkeit des Menschen, also die Grundlage det Sittlichkeit, aufgehoben. Ob indes die entgegengesetzte Lehre des Indeterminismus (s.d.) den Forderungen der Ethik besser entspricht, ist sehr fraglich. Vgl. Freiheit.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 684.
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