Fahrende Leute

[270] Fahrende Leute, im Mittelalter die einzeln oder in Banden umherwandernden Gaukler, Taschenspieler, Erzähler, Sänger, Spielleute, Mimen und andre unterhaltsame Leute, die allmählich die alten in höherer Schätzung befindlichen Barden, Volkssänger und Harfenspieler aufsogen. Allerdings übten auch die Fahrenden Instrumentalmusik und führten im Frühjahr Schwerttänze, im Winter gymnastische Künste, Puppenspiele etc. auf. Ihre Vorführungen waren oft so halsbrecherischer Natur, daß sie sich, wie Joinville erzählt, jedesmal vorher bekreuzigten. Die Schloßherren, denen sie in ihrer Einsamkeit willkommene Besucher waren, lösten sie nachher aus der Schenke aus, zeitweise hatte auch die Geistlichkeit die Pflicht, sie zu beherbergen. Nach den Kreuzzügen erhielten sie großen Zulauf aus fahrenden Priestern, Nonnen, Beghinen, Scholaren, wie sich ihnen auch Zigeuner, Söldner und Landsknechte anschlossen. Obgleich als Verbreiter von Dichtungen, Sagen, Neuigkeiten, Schauspielen überall beliebt, blieben die Vertreter der heitern Kunst (gaya scienza) doch als sogen. unehrliche Leute anrüchig und verachtet. Gesetz und Kirche stießen sie aus, sie waren rechtlos, und die kirchlichen Sakramente blieben ihnen vorenthalten. Gleich den Knechten durften sie nicht die Tracht des freien Mannes anlegen. Die Folge war, daß sie unter sich eigentümliche, z. T. ergötzliche Formen und Vereinbarungen einführten, und so entstanden das »Königtum der fahrenden Leute im Elsaß«, das »Pfeiferrecht und der Pfeifertag (Dienstag nach Mariä Geburt) zu Rappoltsweiler«. Die Herren von Rappoltstein präsidierten als Pfeiferkönige dem Pfeifergericht. Im 14. und 15. Jahrh. waren sie etwas günstiger gestellt, seit der Reformation aber beschränkten polizeiliche Maßregeln ihre Ungebundenheit und Zahl. Während des Dreißigjährigen Krieges und später erhielten sie dann neuen Zuwachs durch Alchimisten, Geisterbeschwörer, Schatzgräber, Bärenführer, Komödianten und andre »Landstörtzer«, die namentlich aus Italien zuströmten. Ein Nachklang existiert noch heute in den Orgeldrehern und den umherziehenden Kunstreitern, Seiltänzern und Schauspielergesellschaften (sogen. Schmieren). Vgl. Vogt, Leben und Dichten der deutschen Spielleute im Mittelalter (Halle 1876); Beneke, Von unehrlichen Leuten (2. Aufl., Berl. 1888); Schaer, Die altdeutschen Fechter und Spielleute (Straßb. 1901); Hampe, Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit (Leipz. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 270.
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