Freisinnige Volkspartei

[77] Freisinnige Volkspartei, politische Partei im Deutschen Reich und in Preußen, bildete sich im Mai 1893 unter der Führung Eugen Richters, nachdem sich die Deutsche freisinnige Partei (s.d., Bd. 4, S. 690) aufgelöst hatte, weil Richters Antrag, die Zustimmung zum Hueneschen Kompromiß für unvereinbar mit der politischen Gesamthaltung der freisinnigen Partei zu erklären, mit 27 gegen 22 Stimmen angenommen worden war. Die Anhänger Richters (Baumbach, Virchow u. a.) nannten sich F. V., um eine Annäherung an die süddeutsche Volkspartei anzubahnen, und erließen 7. Mai einen Ausruf für die neuen Reichstagswahlen, bei denen sie aber nur durch Stichwahlen 24 Sitze erhielten. Bei den Reichstagswahlen im Juni 1898 stieg die F. V. auf 30 Mitglieder, wozu noch die der befreundeten Süddeutschen Volkspartei kamen, sank aber bei den Reichstagswahlen im Juni 1903 auf 21 Mitglieder herab. Bei den preußischen Landtagswahlen im November 1893 wurden 14, bei denen von 1898: 24 und bei denen im November 1903: 23 Mitglieder der Freisinnigen Volkspartei gewählt. Das auf dem Eisenacher Parteitag 24. Sept. 1894 beschlossene Programm besagt, daß die F. V. die Befestigung der nationalen Einigung Deutschlands, den Ausbau der politischen Freiheit und die Hebung der Wohlfahrt des Volkes und aller seiner Teile erstrebt. Deshalb seien nötig: Aufrechterhaltung der bundesstaatlichen Grundlage des Reiches, Entwickelung eines wahrhaft konstitutionellen Verfassungslebens im Reich und in allen Einzelstaaten, Preßfreiheit, volkstümliche Rechtspflege, Durchführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, obligatorischer unentgeltlicher Volksschulunterricht, Koalitionsfreiheit, Freizügigkeit, Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung, Fortentwickelung des Genossenschaftswesens ohne staatliche Bevorzugung von Beamten- und Offiziersvereinen, Beseitigung der Hindernisse, die einer Mehrung des bäuerlichen Besitzes und der Ansässigmachung von Arbeitern entgegenstehen, Handels- und Tarifverträge mit dem Auslande, durchgreifende Reform und Verbilligung der Tarife im Transport- u. Verkehrswesen, Reichsversicherungs-Gesetzgebung, keine Zoll- und Steuerpolitik im Dienste von Sonderinteressen, progressive Besteuerung von Einkommen und Erbschaften, keine Monopole, Reform des Einjährig-Freiwilligen-Instituts, keine gesonderte Knabenerziehung zu Berufssoldaten, keine Duelle, Unterstützung der internationalen Friedensbestrebungen. S. Reichstag und Karte »Reichstagswahlen«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 77.
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