Herculanĕum

[198] Herculanĕum, im Altertum Küstenstadt Kampaniens, zwischen Neapel und Pompeji am Fuße des Vesuvs gelegen, war von Haus aus eine oskische Gründung, in die später Etrusker und Samniter eindrangen. Im Bundesgenossenkrieg (90–88 v. Chr.) wurde H. vom Prokonsul T. Didius erobert, später zum Munizipium erhoben, aber bereits 63 n. Chr. durch ein Erdbeben zur Hälfte in Trümmer gelegt und 16 Jahre später durch den furchtbaren Ausbruch des Vesuvs 24. Aug. 79 gänzlich verschüttet. Weitere Ausbrüche erhöhten die Lavadecke, und nach und nach erhoben sich 12–30 m über den Trümmern neue Ortschaften. So wurde die Stadt, obwohl die Alten ihre Lage genau angeben, vergessen. Erst 1719 stieß Fürst Elbeuf beim Suchen nach Altertümern auf eine Halle mit Nischen und Statuen, verfolgte die Entdeckung aber nicht. Ausgrabungen im größern Maß, aber ohne System, begannen erst 1737, nach der Thronbesteigung Karls III., und wurden nach verschiedenen Unterbrechungen in neuerer Zeit, besonders 1869–76, wieder aufgenommen. Die Ausgrabung ist der darüberstehenden Orte wegen nur mittels Stollen und unterirdischer Gänge möglich. Auch ist der größte Teil des Aufgedeckten nach genauer Untersuchung und Ausräumung alles Transportabeln wieder zugeschüttet worden. Die gefundenen Kunstwerke, namentlich die Bronzestatuen (jetzt im Museum zu Neapel), übertreffen die von Pompeji an Wert, während die baulichen Reste Herculaneums geringeres Interesse beanspruchen. Zugänglich ist besonders das Theater, ganz aus Stein, mit 26 Sitzreihen und für 3000 Personen berechnet; südlich davon ein Tempel. Dort beginnt eine breite, mit Säulengängen eingefaßte Straße. Besonders interessant ist ein nicht ganz aufgedecktes Privathaus, das des Argus, mit kostbarer Ausschmückung und einem von 20 Säulen und 6 Pfeilern umgebenen Garten. Ein andres Haus ist merkwürdig durch die darin noch in verschlossenen Vorratskammern gefundenen Viktualien. Menschliche Gerippe und Kostbarkeiten sind bis jetzt wenig gefunden worden, da die Einwohner Zeit hatten, sich zu retten. Von gefundenen Kunstwerken verdienen zwei größere Gemälde, das eine Theseus und den Minotauros, das andre Telephos und Herakles darstellend, besondere Erwähnung. Ein sehr schönes Gemälde ist unter dem[198] Namen die Amorhändlerin von H. berühmt. Zu den vorzüglichern unter den aufgefundenen Statuen gehören die des Merkur, eine Viktoria, eine Venus, eine Diana, ein schlafender Faun von natürlicher Größe, zwei Kanephoren, eine kämpfende Amazone, die Statuen der Familie Balbus etc. In der Casa di Aristide, außerhalb der Stadtmauern, fand sich 1752 eine Sammlung von etwa 1800 beschriebenen, freilich ganz verkohlten Papyrusrollen, die aber die anfangs gehegte Hoffnung, daß sie noch unbekannte wertvolle Schriften des Altertums enthalten würden, täuschten: es waren, soweit sie entziffert sind (bis jetzt etwa ein Drittel), ziemlich uninteressante griechische Abhandlungen über die Philosophie der Epikureer und Bruchstücke von Schriften Epikurs selbst. Vgl. »Le antichità di Ercolano« (Neap. 1757–92, 8 Foliobände); Jorio, Notizie sugli scavi d'Ercolano (das. 1827); Ruggiero, Storia degli scavi di E. (das. 1886).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 198-199.
Lizenz:
Faksimiles:
198 | 199
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika