Papyrusrollen

[411] Papyrusrollen, zusammengerollte Handschriften auf Papyrus in ägyptischer, griechischer, lateinischer, arabischer, persischer, hebräischer und syrischer Schrift und Sprache. Die ältesten sind die ägyptischen P., die, hieroglyphisch, hieratisch und demotisch beschrieben, Literaturwerke der verschiedensten Art, Urkunden, Briefe und ähnliches enthalten und schon im 3. vorchristlichen Jahrtausend vorkommen (s. Hieroglyphen). Sie sind von verschiedener Länge; der große Papyrus Harris in London mißt 40 m, der medizinische Papyrus Ebers in Leipzig 20 m. – Von besonderer Bedeutung sind die in Ägypten gefundenen griechischen P. Nachdem bereits zu Ende des 18. und im Anfang des 19. Jahrh. wiederholt solche in die verschiedenen europäischen Museen und Bibliotheken (z. B. Berlin, London, Paris, Turin, Leiden u.a.) gekommen waren, wurde im Winter 1877/78 von ägyptischen Bauern eine neue, die frühern an Reichhaltigkeit weit übertreffende Fundstelle entdeckt in den ausgedehnten Schutthügeln von Arsinoë (s. d.), der Hauptstadt der Landschaft Fayûm (s. d.). Die hier aufgefundenen Papyrus, die teils den alten Stadtarchiven, Bibliotheken und Bureaus, teils auch den Trümmern der Privathäuser oder den großen Kehrichthaufen der alten Stadt, wohin sie als altes Papier geworfen waren, entstammen, sind zum größten und besten Teile durch Vermittelung des Wiener Großkaufmanns Theodor Graf nach Wien gekommen. Hier wurden sie von dem Erzherzog Rainer erworben und werden jetzt in einer besondern Sammlung, die den Namen ihres Besitzers führt, aufbewahrt. Andre beträchtliche Teile des Fundes sind in die Museen von Berlin, London, Paris, Petersburg, Kairo etc. sowie in verschiedene Privatsammlungen gelangt. Um dieselbe Zeit sind auch noch andre Papyrusfundstätten auf ägyptischem Boden, z. B. in Aschmunên (dem alten Hermopolis) und Achmîm (dem alten Chemmis oder Panopolis), erschlossen worden und haben gleichfalls ihre Schätze an die schon genannten Museen geliefert. Während diese Funde fast ausnahmslos dem Zufall verdankt wurden, ist in den letzten Jahren von der englischen Ausgrabungsgesellschaft des Egypt Exploration Fund und dem Berliner Museum eine systematische Erforschung der griechischen Städteruinen in Ägypten behufs Gewinnung neuer Papyrus in Angriff genommen worden. Eine eigenartige Papyrusquelle hat neuerdings noch Flinders Petrie erschlossen, indem er aus den zu Mumienhüllen verarbeiteten Kartonnagen, die er in einer Nekropole (bei Gurôb) im Fayûm gefunden hatte, Fetzen von alten Papyrus entwickelt hat, die zu den allerwertvollsten Stücken gehören, die Ägypten überhaupt geliefert hat.

Inhaltlich enthalten die griechischen Papyrus teils literarische Stücke, namentlich Reste von Klassikerhandschriften, die in einer steifen Buchschrift, der sogen. Unziale, geschrieben sind (s. Tafel »Paläographie II«, Fig. 15), teils sind es Urkunden, die sich schon äußerlich von den literarischen Handschriften durch die mannigfaltige, ligaturenreiche Kursivschrift unterscheiden (Aktenstücke der Beamten, Kaisererlasse, Volkszählungslisten, Steuerquittungen, Rechnungsbücher von Tempeln, Rechnungen von Privaten, Kontrakte jeder Art, geschäftliche und familiäre Briefe u.a.). Der Lesung und der Erschließung des Verständnisses dieser Urkunden, um die sich in Deutschland nament lich Wilcken, Krebs und Viereck, in Österreich Wessely und Mitteis, in England Grenfell, Kenyon, Mahaffy verdient gemacht haben, ist jetzt bereits ein besonderer Zweig der Altertumswissenschaft, die Papyrologie, gewidmet. Erwähnt sei noch, daß neben Urkunden auf Papyrus auch solche auf Ton- und Kalksteinscherben (sogen. Ostraka), auf Pergament und (seit dem Beginne des 9. Jahrh.) einem aus Hadern bereiteten Papier vorkommen. Von den außerhalb Ägyptens[411] gefundenen P. verdienen die in Herculaneum gefundenen herculaneischen P. besondere Beachtung, die aber leider so verkohlt sind, daß sie nur einen unvollständigen Text der in ihnen enthaltenen Schriften bieten. Von den wichtigsten und am besten erhaltenen dieser Rollen hat die Akademie zu Oxford Abschriften (Oxf. 1824 u. 1825, 2 Bde.) herausgegeben. Vgl. Wilcken, Die griechischen Papyrusurkunden (Berl. 1898) und Griechische Ostraka aus Ägypten und Nubien (Leipz. 1899, 2 Bde.); Mitteis, Aus den Papyrusurkunden (das. 1900); Führer durch die Ausstellung der Papyrus Erzherzog Rainer (Wien); Erman und Krebs, Aus den Papyrus der königlichen Museen zu Berlin (Berl. 1900); Gradenwitz, Einführung in die Papyruskunde (Leipz. 1900); »Archiv für Papyrusforschung« (hrsg. von Wilcken, das. 1900 ff.); »Studien zur Paläographie und Papyruskunde« (hrsg. von Wessely, das. 1901 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 411-412.
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