Jungtschechen

[375] Jungtschechen, politische Partei in Böhmen, die noch zur Zeit Palackys, bestimmter dann unter Riegers Führung der Tschechen aus den freisinnigern, der Verbindung mit dem Klerus und dem Feudaladel abgeneigten, in der nationalen Arbeiter- und Wahlrechtsfrage auf einem radikalern Standpunkt stehenden Elementen entstand und diesen Namen im Gegensatz zu den Alttschechen von der deutschen Journalistik erhielt. Bei den Landtagswahlen im Juli 1889 erlangten die J. bereits die Mehrheit über die Alttschechen. Den im Januar 1890 in Wien zwischen den Deutschen, den Feudalen und den Alttschechen vereinbarten »Böhmischen Ausgleich« verwarfen die J., die man nicht zugezogen hatte, und insbes. die Bestimmung desselben, welche die administrative Abgrenzung eines deutschen Sprachgebiets in Böhmen einräumte. So energisch war ihre Agitation, daß sie bei den Neuwahlen zum Reichsrat im März 1891 den Alttschechen in Böhmen alle Mandate abnahmen und 37 Mann stark ins Wiener Abgeordnetenhaus einzogen, wo ihre Zahl bis dahin verschwindend klein gewesen war. Hier stellten sie sich sofort in die entschiedenste Opposition und bewirkten, daß auch die Feudalen und Alttschechen das Ausgleichswerk im Stiche ließen. Ja, als der Justizminister Graf Schönborn 1892 ein deutsches Bezirksgericht in Weckelsdorf abgrenzte, erhoben sie gegen ihn im Reichsrate die Ministeranklage, und als die Regierung im Landtage von 1893 eine Vorlage zur Errichtung eines deutschen Kreisgerichts in Trautenau unterbreitete, verhinderten sie durch lärmenden Tumult und Störung der Stenographen die Verhandlungen so, daß der Landtag 17. Mai geschlossen werden mußte. Die heftige Agitation der J. zeitigte im Sommer 1893 Zustände in Prag, deren die Regierung nur durch die Anwendung von Ausnahmegesetzen Herr zu werden vermochte. Fortan standen die J. im Parlament in schroffer Opposition gegen die Regierung, und erst als das Ministerium Badeni im Oktober 1895 den Prager Ausnahmezustand aufhob, ergab sich für die J. eine neue Situation. Im April 1897 erschienen die den Tschechen günstigen Sprachenverordnungen; einer der Führer der J., Kramař, wurde Vizepräsident des Abgeordnetenhauses. Die von den Deutschen herbeigeführte Demission Badenis bedeutete allerdings einen schweren Schlag für die J. Immerhin gehörten sie auch noch unter dem Ministerium Thun, in dem sie durch Kaizl vertreten waren, zur Regierungspartei. Erst die Aufhebung der Sprachenverordnungen im Oktober 1899 drängte sie wieder zur Opposition und Obstruktion. Gleichwohl nahmen sie an den vom Minister Körber in der Folgezeit mehrfach unternommenen Verständigungsversuchen teil, die aber zu keinem Ergebnis führten, weil die Hauptforderungen der J.: nach Gewährung der innern tschechischen Amtssprache und einer zweiten tschechischen Universität (in Brünn oder Olmütz), auf den entschiedensten Widerstand der deutschen Parteien stießen. Bei den Neuwahlen in den Reichsrat 1901 erlitten die J. kleine Einbußen, indem von ihren frühern 61 Vertretern nur 53 wiedergewählt wurden, dagegen die tschechischen Agrarier sechs und die Radikalen vier Sitze gewannen. 1903 zeigte sich auch im Innern der Partei eine ernstere Krise, die aber vorläufig beigelegt erscheint. Den Sturz Körbers (im Dezember 1904) betrachteten die J. als einen Teilerfolg ihrer Politik.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 375.
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