Böhmen

[147] Böhmen (tschech. Čechy, lat. Bohemia; hierzu Karte »Böhmen, Mähren und Österreich. – Schlesien«), Königreich und Kronland des österreich. Kaiserstaates, liegt zwischen 48°34'–51°3' nördl. Br. und 12°7' bis 16°50' östl. L., grenzt südwestlich an Bayern, nordwestlich an das Königreich Sachsen, nordöstlich an Preußen (Schlesien), südöstlich an Mähren und Niederösterreich, südlich an Oberösterreich und umfaßt ein Areal von 51,948 qkm (943,4 QM.), also 17,3 Proz. des österreichischen Staates.

Physische Beschaffenheit.

B. bildet unter den österreichischen Ländern ein selbständiges Massiv, das, einem verschobenen Viereck gleichend, an drei Seiten von Gebirgen umgeben ist. Die Gewässer vereinigen sich zu einer mittlern Rinne (Moldau-Elbe) und finden im N. einen schmalen Ausweg. Die Südhälfte von B. nimmt ein Hochplateau mit ausgebogenen Rändern an der West-, Süd- und Ostseite ein, dessen Zusammenhang mit den nördlichen Grenzgebirgen durch ein großes Senkungsfeld unterbrochen ist. Am Westrand von B. erhebt sich der Böhmerwald, der durch die Senke von Neumark in den höhern südlichen Böhmerwald (tschech. Sumava, 1457 m) und den niedrigern nördlichen Böhmerwald (tschech. Český Les, 1039 m) geteilt wird. Den Südrand des Massivs bildet das österreichische Granitplateau (500–600 m), aus dem sich Kuppen und Höhenzüge bis gegen 1000 m erheben. Jenseit des den Ostfuß des Böhmerwaldes begleitenden Längentales der Moldau steigt das Plateau nur in der Gruppe der Kubany (1362 m) und des Blanskerwaldes (1080 m) zu bedeutenderer Höhe an. Gegen O. senkt es sich zu den schwach wellenförmigen Ebenen von Budweis und Wittingau (bis 450 m) herab, denen sich gegen NO. die böhmisch-mährische Höhe mit Erhebungen von 600–800 m anschließt. Zwischen dem mittlern Moldau- und Beraungebiet zieht sich in nordöstlicher Richtung der Brdywald (857 m) gegen das Moldautal hin. Das nordwestliche B. wird vom Erzgebirge begrenzt (1244 m), das im O. durch den Nollendorfer Paß vom Elbsandsteingebirge geschieden wird und im W. mittels des Elstergebirges in das Fichtelgebirge übergeht, das wieder durch das Plateau von Waldsassen mit dem Böhmerwald in Verbindung steht. Das Karlsbader Gebirge und der Kaiserwald (987 m) bilden das Vermittelungsglied zwischen dem Erzgebirge und dem südböhmischen Plateau. An das Karlsbader Gebirge schließen sich östlich die Basaltplatten der Duppauer Berge (932 m) und, durch die Saazer Ebene getrennt, des Böhmischen Mittelgebirges (835 m) an. Das nordöstliche Randgebirge setzt sich aus dem Lausitzer Gebirge (796 m), dem Isergebirge (1126 m), dem von diesem durch das Neißetal getrennten Jeschkengebirge (1013 m), dem Riesengebirge (1603 m), dem Heuscheuergebirge (772 m) mit den merkwürdigen Sandsteingebilden von Politz und Adersbach, endlich dem Adlergebirge (1114 m) zusammen. Zwischen dem südböhmischen Massiv und den nördlichen Randgebirgen liegt das breite Senkungsgebiet, welches im Elbtal seine tiefste Lage hat.

Geologisches. B. stellt in seinem Hauptteil, der sogen. böhmischen Masse, ein uraltes, seit der Devonzeit nicht mehr vom Meer bedecktes Festland dar. Es besteht, zumal in seinem südlichen Teil und in den das Land umgebenden Gebirgen, aus gefaltetem Gneis und Glimmerschiefer in Verbindung mit Granit (vgl. die geologischen Karten von Deutschland und Österreich). Nur eine relativ kleine Mulde im Innern des Landes zwischen Pilsen und Prag enthält eingefaltet im archäischen Grundgebirge kambrische, silurische und unterdevonische Schichten mit zahlreichen Versteinerungen. In ihnen finden sich reiche Eisenerzlager und, gebunden an Diabasdurchbrüche, die Blei- und Silbererzgänge bei Pribram. Als Ablagerungen von Binnenseen breiten sich übergreifend über den abradierten Schichtenköpfen der ältern Bildungen zunächst kohlenführende Schichten der Steinkohlenformation aus (in dem Kohlenbecken von Pilsen und einigen kleinern Becken) und daran anschließend rote Sandsteine und Konglomerate des Rotliegenden, endlich, sowohl im Süden (Becken von Budweis und von Wittingau) als besonders am Südrande des Erzgebirges in den Becken von Eger, Falkenau und Teplitz, ausgedehnte tertiäre Sedimente, die durch ihren Reichtum an Braunkohlen bekannt sind. Nur in der Kreidezeit drang das Meer von N. her in B. ein und lagerte dort Plänermergel und Quadersandstein ab, welche am Fuße der Sudeten und in der Sächsischen Schweiz auf beiden Seiten der Elbe ein großes Gebiet bedecken. In der Tertiärzeit durchbrachen im nördlichen B. Basalte und Phonolithe die ältern Bildungen und gaben den Anlaß zur Entstehung des böhmischen Mittelgebirges. Mit den Überresten früher tätiger Vulkane (wie des seltsam gestalteten Kammerbühls bei Eger) stehen auch Ausströmungen von kohlensaurem Gas und Mineralquellen, die in großer Zahl am Südrande des Erzgebirges bekannt sind, in genetischem Zusammenhang. Die berühmtesten sind die Heilquellen von Karlsbad (heiße Glaubersalzquellen), Marienbad und Franzensbad (kalte Glaubersalzquellen, Eisensäuerlinge und Moorlager). Teplitz-Schönau (indifferente Thermen). Johannisbad (alkalische Therme), Gießhübl-Puchstein, Bilin (alkalische Natronwässer), Püllna, Seidschitz und Sedlitz (Bittersalzquellen), Liebwerda (Stahlquelle und alkalischer Säuerling), Königswart, Sangerberg und Neudorf (Eisensäuerlinge). Vgl. Kisch, Die Heilquellen und Kurorte Böhmens (Wien 1879). – Über die nutzbaren Mineralien Böhmens s. S. 149.[147]

Hinsichtlich seiner Gewässer gehört das Land fast ausschließlich dem Elbgebiet an (und zwar durch die Elbe selbst in ihrem Oberlauf bis zum Durchbruch durch das Elbsandsteingebirge und durch die bei Melnik in sie mündende Moldau, den zweiten Hauptstrom Böhmens). Die Elbe, die hier bereits schiffbar wird, nimmt in B. unmittelbar auf: rechts die Cidlina, Iser und Polzen, links die Aupa, Mettau, Adler, Moldau, Eger und Biela. Der Moldau fließen zu: rechts die Maltsch, Luschnitz und Sazawa, links die Wotawa und Beraun. Unter den wenigen zur Oder fließenden Gewässern sind die Lausitzer Neiße bei Reichenberg und die Steine bei Braunau nennenswert; zum Donaugebiet gehören die an der mährischen Grenze fließende Mährische Sazawa, die Zwittawa und Iglawa, die zur March gehen. Seen hat B. nur unbedeutende, hauptsächlich im Böhmerwald; zahlreicher sind Teiche, die 387 qkm einnehmen, und deren größter der Rosenberger Teich (6,3 qkm) ist. Von Kanälen ist nur der 57,8 km lange Schwarzenbergsche Schwemmkanal zu bemerken, der die Moldau mit der Mühl verbindet.

Klima. Abgesehen von den Gebirgen, hat B. eine ziemlich gleichmäßige Temperatur, da infolge seiner nördlichen Abdachung die Unterschiede der Polhöhe durch die der Seehöhe z. T. ausgeglichen werden. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt in Tabor 7,2, Winterberg 5,5, Pilsen 8,5, Prag 8,8, Caslau 8,1, Josefstadt 7,9°. Vom Zentrum nimmt die Temperatur sonach gegen die meist höher liegenden Ränder hin ab. Die jährlichen Niederschlagsmengen schließen sich sehr eng an die Höhenverhältnisse an (Böhmerwald und Sudeten bis 150, Prag 44, Erzgebirge bis 120 cm); im mittlern und untern Egergebiet sinkt die Jahressumme bis unter 40 cm herab. In ganz B. herrschen die Sommerregen (Maximum im Juni und Juli).

Die Pflanzenwelt Böhmens bildet einen Abschnitt des hercynisch-baltischen Florenbezirks; die meisten floristischen Beziehungen hat es zur Oberlausitz, zu Sachsen und Bayern. Nur das südlichste B. zeigt Anklange an die subalpine Flora des österreichischen Wald- und Mühlviertels. Im nördlichen und mittlern B. fehlen Lärchen und Zirbelkiefern, Grünerle und Juniperus Sabina. Erica carnea wächst auf Heiden des Egerlandes, auch Calluna vulgaris und andre Heidepflanzen sind weitverbreitet. In der Hügelregion Böhmens, zumal auf Pläner, Kalkmergel, aber auch auf Gneis, Basalt und silurischem Schiefer herrschen wärmeliebende Pflanzen vor, die vorwiegend der pannonischen Flora entstammen; sie treten vorzugsweise im Elbtal von Aussig bis Pardubitz auf und entwickeln sich am reichsten in der Umgebung von Leitmeritz, Melnik und Podiebrad, kommen jedoch auch im untern Biela- und im Egertal sowie an der Iser um Jungbunzlau vor; Ausläufer dieses südöstlichen Florenelements findet man noch bei Königgrätz, Chotzen, Brandeis und Leitomischl. Die Gebirgsflora auf den Südabhängen des Iser- und Riesengebirges sowie im Mährischen Gesenke gleicht der auf der Nordseite.

Die Tierwelt Böhmens weist die Typen auf, die für die mittlern Gebiete der europäischen Subregion der paläarktischen Region charakteristisch sind. Der Bär kommt als Gast aus den angrenzenden Waldungen Bayerns nach dem Böhmerwald, der Wolf bricht nur noch selten aus den östlichen Grenzgebieten ein. Die Wildkatze ist ausgerottet, der Fuchs dagegen häufig; der Dachs wird von Jahr zu Jahr seltener, der Fischotter ist in ganz B. auch an den kleinern Flüssen zu finden. Selten sind der Nörz und das fliegende Eichhörnchen, letzteres wird am Fuße des Riesengebirges bei Semil angetroffen; der Biber hält sich noch an einigen Stellen im südlichen B. Den Edelhirsch gibt es freilebend nur noch an wenigen Stellen der böhmischen Wälder, das Reh ist häufig; Damwild und Schwarzwild werden nur noch gehegt. Auer- und Birkwild findet sich in den Wäldern Böhmens häufig, ebenso Haselhühner, die freilich zurückgehen, während die Rebhühner mit der fortschreitenden Entwaldung zahlreicher werden. Gelegentlich wandern von Ungarn die große und kleine Trappe ein, ebendaher kommt der weißköpfige Geier, sehr selten sind der graue Geier und der Steinadler, welch letzterer im Riesengebirge brütet; häufiger sind der Fluß-, See- und Schreiadler. Von Reptilien findet man 5 Arten Eidechsen und 4 Arten Schlangen, darunter die Würfelnalter und Kreuzotter; von Amphibien sind die gewöhnlichen Formen, 8 schwanzlose und 4 Schwanzlurche, vertreten. Die Fische sind wie anderwärts infolge der Schiffahrt, Fabrikanlagen etc. zurückgegangen; unter ihnen findet man außer den gewöhnlichen Formen Lachs, Stör, Lachsforelle, Forelle u. a.

Bevölkerung.

In Bezug auf die Zahl der Bevölkerung nimmt B. unter den österreichischen Ländern die zweite Stelle (nach Galizien), in Bezug auf die Dichtigkeit derselben die dritte (nach Niederösterreich und Schlesien) ein. Das Königreich war am Schluß des Dreißigjährigen Krieg es von kaum 800,000 Menschen bewohnt; 1772 zählte man 2,314,795, 1857: 4,705,527 Einw. 1880 betrug die Bevölkerung 5,560,819, 1890: 5,843,094 und Ende 1900: 6,318,697 Seelen. Die Vermehrung betrug in der Periode 1857–80 jährlich 0,74, 1880–90 jährlich 0,52 und 1890–1900 jährlich 0,81 Proz. 1900 kamen auf 1000 Bewohner 8 Trauungen, 35 Lebendgeborne und 24 Sterbefälle; auf 1000 Geburten kamen 132 Uneheliche und 34 Totgeborne. Die Dichtigkeit der Bevölkerung beträgt 1900 pro Quadratkilometer 122 Bewohner. Am dichtesten sind die nördlichen, am dünnsten die südlichen Bezirkshauptmannschaften bevölkert. Die Bevölkerung Böhmens verteilte sich 1900 in 7415 Gemeinden und 12,846 Ortschaften mit 772,552 Häusern (über ihre Verteilung auf die einzelnen Bezirke vgl. die Tabelle S. 150). Der Nationalität nach sind 37,3 Proz. der Bevölkerung Deutsche, 62,7 Proz. Slawen (Tschechen, s.d.). Letztere nehmen den mittlern sowie den östlichen und südöstlichen Teil des Landes ein, während die Deutschen vor allem die Grenzgebiete, namentlich im N. und W., bewohnen. Außerdem bilden die Deutschen zahlreiche Sprachinseln im tschechischen Gebiet, so die der Schönhengstler und die von Stecken im O. an der mährischen Grenze, von Budweis, Prag und Umgebung u. a., während die Tschechen sich in neuerer Zeit in größerer Zahl in den deutschen Bergbau- und Industriebezirken angesiedelt haben (s. ethnographische Karte »Österreich-Ungarn«). Dem religiösen Bekenntnis nach gehören 96 Proz. der Bevölkerung (6,067,012) dem Katholizismus an, 2,8 Proz. (144,658) den evangelischen Konfessionen (der helvetischen die größere Hälfte); die Bekenner der Augsburger Konfession sind am zahlreichsten im ehemaligen Egerer, die der helvetischen im Chrudimer Kreis; 1,5 Proz. (92,745) sind Israeliten. Vgl. die Tabelle S. 150.

Das Unterrichtswesen steht in B. auf hoher Stufe. 1900 bestanden 5509 öffentliche Volks- und Bürgerschulen (2351 deutsche, 3158 tschechische) mit zusammen 24,640 Lehrern, 1,091,156 schulpflichtigen und (mit Einschluß der 230 Privatschulen) 1,093,948[148] schulbesuchenden Kindern. Gymnasien und Realgymnasien zählte das Land 1900: 61 (27 mit deutscher, 33 mit tschechischer Unterrichtssprache), zusammen mit 1144 Lehrern und 14,477 Schülern; Realschulen 30 (12 mit deutscher und 18 mit tschechischer Unterrichtssprache), zusammen mit 643 Lehrern und 10,096 Schülern. Ferner bestehen 17 Lehrer- und 7 Lehrerinnenbildungsanstalten in B. Hochschulen sind die Universität zu Prag (1348 gestiftet), von der 1882 eine besondere tschechische Universität abgetrennt wurde (die deutsche 1900 mit 189 Lehrern und 1321 Hörern, die tschechische mit 196 Lehrern und 3143 Hörern), die deutsche und die tschechische technische Hochschule zu Prag (erstere mit 49 Lehrern und 560 Hörern, letztere mit 86 Lehrern und 1179 Hörern); Spezialschulen sind: die Bergakademie zu Přibram, die Kunstakademie zu Prag, 4 theologische Lehranstalten, 5 Mittelschulen für Landwirtschaft und 2 für Forstwirtschaft, 56 niedere landwirtschaftliche Schulen, 96 Handels- und 421 Gewerbeschulen, 2 Bergschulen, 1 Hebammenschule, 270 Musik-, 134 weibliche Arbeitsschulen und 130 sonstige spezielle Lehr- und Erziehungsanstalten. Zur Förderung höherer Bildung wirken auch das 1818 gestiftete Nationalmuseum und die Böhmische Kaiser Franz Joseph-Akademie der Wissenschaften, der Literatur und Kunst. Die periodische Presse umfaßte 1901: 696 Blätter (237 deutsche, 448 tschechische), davon 243 politische Zeitschriften und von diesen 21 Tagesblätter. Ende 1900 bestanden in B. 19,916, d. h. 33 Proz. sämtlicher in Österreich vorhandenen Vereine. An Wohltätigkeitsanstalten gab es 1899: 166 Krankenhäuser mit 9756 Betten und 104,460 behandelten Kranken im Jahr, 6 Irrenhäuser mit 6476 behandelten Kranken, 1 Gebär- und 1 Findelanstalt, 4 Taubstummen- und 2 Blindeninstitute mit 421, resp. 213 Zöglingen, 15 Krippen, 136 Kinderbewahranstalten und 224 Kindergärten (zusammen mit 39,441 Kindern), 50 Waisenhäuser, 1 Idiotenanstalt, 1 Arbeitshaus und 518 Versorgungshäuser.

Erwerbszweige.

Die Nahrungszweige der Bevölkerung sind außerordentlich vielseitig. Obenan steht der Ackerbau, der in dem fruchtbaren Boden und den klimatischen Verhältnissen günstige Bedingungen vorfindet. Unproduktiv sind 3 Proz. des Gesamtareals; über 50 Proz. des Bodens sind Ackerland, 11 Proz. Wiesen und Gärten, 5 Proz. Weiden, 29 Proz. Wald, der Rest hauptsächlich Teiche. Die Ernte belief sich 1900 auf folgende Mengen: Weizen 3,047,498, Roggen 3,475,920, Gerste 5,711,909, Hafer 5,766,682 metr. Ztr., Hülsenfrüchte 712,619 hl, Raps 143,125, Mohn 13,061, Flachs 141. 707, Zichorie 370,075, Kartoffeln 29,532,354, Zuckerrüben 33,916,835, Futterrüben 4,054,109, Kraut 577,553, Kleeheu 7,346,256, Grasheu 11,895,244, Hopfen (hauptsächlich bei Saaz und Auscha) 72,010 metr. Ztr., Wein (im Elbtal auf einer Fläche von 870 Hektar) 9450 hl (s. Böhmische Weine), Obst, insbes. Äpfel und Pflaumen, 973,371 metr. Ztr. – Der Viehstand belief sich Ende 1900 auf 229,564 Pferde, 2,258,338 Rinder, 228,307 Schafe, 688,822 Schweine und 316,834 Ziegen. Hiernach herrscht die Rindviehzucht, die meistens durch den rotbraunen Landschlag vertreten ist, vor. Die Schafzucht ist in starkem Rückgang begriffen (1880 wurden noch 761,264 Stück gezählt), wogegen bie Schweinezucht eine erhebliche Vermehrung (seit 1880 um 266,817 Stück) aufweist. Von Bedeutung ist auch die Bienenzucht (1900: 199,604 Stöcke) und die Geflügelzucht (7,445,330 Stück); außer Hühnern werden insbes. Gänse in ganzen Herden gehalten.

Die Waldungen umfassen 1,507,325 Hektar, wovon der größte Teil (1,368,331 Hektar) auf Nadelholz entfällt. Etwa zwei Drittel sind Eigentum des Großgrundbesitzes. Der durchschnittliche jährliche Holzzuwachs beträgt 3,603,044 Festmeter, wovon 59 Proz. auf Nutz- und 41 Proz. auf Brennholz kommen. – Die Jagd liefert in B. noch immer eine große Ausbeute. 1896 wurden an Nutzwild 17,575 Stück großes und 346,877 Stück kleines Haarwild, dann 385,014 Stück Federwild, an Raubwild 15,784 Stück Haarwild und 43,404 Stück Federwild geschossen. Sehr groß ist der Ertrag der Teichfischerei, namentlich an Karpfen.

Bergbau. Die Produkte des Mineralreiches sind in B. sehr reich und mannigfaltig; nur Salz fehlt gänzlich. 1901 wurden im Staatswerke zu Pribram 213,628 metr. Ztr. Silbererz, bez. 39,150 kg Silber gewonnen. Eisenerz wird hauptsächlich in den Lagern von Krušnahora und Nučic, 1901 in einer Menge von 6,759,909 metr. Ztr., gefördert; die Hüttenwerke (10 Hochöfen, die bedeutendsten zu Königshof und Kladno) lieferten 2,873,586 metr. Ztr. Roheisen. Außerdem wurde gewonnen: Blei (23,560 metr. Ztr. nebst 13,172 metr. Ztr. Glätte, hauptsächlich zu Přibram), Zinn (zu Graupen, 486 metr. Ztr.), Antimon (Milleschau bei Tabor, 1137 metr. Ztr.), Uran (135 metr. Ztr. Uranpräparate zu Joachimsthal), Vitriol- und Alaunschiefer (25,508 metr. Ztr.), Graphit (bei Krumau, 117,595 metr. Ztr.), Mineralfarben (14,282 metr. Ztr.), Porzellanerde, feuerfester Ton, Edel- und Halbedelsteine (darunter die böhmischen Granaten), Werksteine etc. Das wichtigste Bergwerksprodukt ist endlich die Kohle. 1901 wurden gefördert: 40,051,352 metr. Ztr. Steinkohle, wovon 23,8 Mill. auf das Kladno-Buschtěhrader und 12,3 Mill. auf das Pilsen-Radnitzer Kohlenbecken entfielen, dann 183,468,670 metr. Ztr. Braunkohle, wovon 116,4 Mill. auf das Brüxer und 30,2 Mill. auf das Teplitzer Becken kamen. Der Gesamtwert der Bergwerks- u. Hüttenproduktion (nach Abzug des Wertes der verhütteten Erze) belief sich im genannten Jahr auf 162,717,464 Kr. (d. h. 50 Proz. des Gesamtwertes für Österreich). Bei den 297 Bergbau- und 25 Hüttenunternehmungen waren im ganzen 70,124 Arbeiter beschäftigt. Die Torfausbeute, die hauptsächlich im südöstlichen Teile des Kronlandes ihren Sitz hat, betrug 1895: 322,160 metr. Ztr.

In gewerblicher Tätigkeit leistet B. so Bedeutendes, daß es hierin nicht bloß (mit Niederösterreich) den obersten Rang in ganz Österreich einnimmt, sondern den ersten Industrieländern Europas beigezählt werden muß. Nach der letzten Erhebung für 1890 zählte B. 130,806 Industrial- und 94,367 Handelsgewerbe. Unter den erstern befanden sich 3769 Fabriken mit einer motorischen Kraft von 185,407 Pferdekräften und 353,684 Arbeitern, die sich auf die Industriegruppen folgendermaßen verteilten:

Tabelle

[149] Die Metallindustrie liefert Schweiß- und Flußeisen sowie Flußstahl, Eisengußwaren, Eisendraht, Schwarz- und Weißblech, Stahlschienen und sonstiges Eisenbahnmaterial, Nägel und Drahtstifte, Drahtseile, eiserne Röhren, Kochgeschirre u. a., ferner Kupfer-, Blei- und Zinnwaren, Lampen, Gold- und Silberwaren. Die Maschinenfabriken (hauptsächlich in Prag und Umgebung, Reichenberg und Pilsen) liefern besonders Dampfmaschinen und -Kessel, landwirtschaftliche Maschinen, dann Einrichtungen für Zuckerfabriken, Bierbrauereien, Mühlen etc. Eisenbahnwagen werden in einem großen Etablissement bei Prag, musikalische Instrumente in Prag, Reichenberg, Königgrätz, Graslitz und Schönbach hergestellt. Die Glasindustrie, die sich in B. schon im 13. Jahrh. von Venedig aus einbürgerte, beschäftigt 82 Glashütten, 41 Glasraffinerien und 95 fabrikmäßige Werkstätten für Glaskurzwaren mit zusammen 13,869 Arbeitern, nebst zahlreichen hausindustriellen Betrieben für die Kristallglasraffinerie im Haida-Steinschönauer, für die Glaskurzwarenindustrie und Gürtlerei im Gablonzer Bezirk. In der keramischen Industrie blüht besonders die Porzellanindustrie, für welche 42 Fabriken, davon 22 bei Karlsbad-Elbogen, bestehen. Von großer Bedeutung ist in B. ferner die Textilindustrie. Die im Betrieb stehenden Feinspindeln und Webstühle (ungerechnet die hausindustrielle Weberei) sind aus nachfolgender Tabelle ersichtlich:

Tabelle

Die Tuchfabrikation ist am stärksten in Reichenberg, die Kammgarnweberei in Aussig, Asch, Böhmisch-Aicha etc., die Leinenindustrie in der Gegend von Trautenau, Hohenelbe, Georgswalde vertreten. Außerdem wird die Wirkerei in Asch und Teplitz, die Erzeugung von orientalischen Kappen (Fessen) in Strakonitz, die Stickerei, Spitzenklöppelei und Posamentierwarenerzeugung im Erzgebirge betrieben. Sehr umfangreich ist die Industrie in Nahrungs- und Genußmitteln. Hierher gehört die Rübenzuckerindustrie, insbes. in der Ebene der mittlern Elbe. In der Kampagne 1899/1900 bestanden 138 Fabriken, die mit 46,697 Arbeitern 5 Mill. metr. Ztr. Zucker (d. h. ca. 61 Proz. der Gesamterzeugung Österreichs) produzierten. Es bestanden ferner 649 Bierbrauereien, die 9,228,362 hl Bier erzeugten. Am bekanntesten ist das Pilsener Bier. Zu erwähnen sind ferner die Spiritusindustrie (251 Brennereien mit einer Produktion von 399,000 hl), die Malz- und Preßhefenerzeugung, die Schokolade- und Kanditenfabrikation, die Kaffeesurrogaterzeugung, die Likör- und Essigproduktion, das Mühlengewerbe. Andre erwähnenswerte Industriezweige sind noch die Fabrikation von Papier (65 Etablissements mit 66 Papiermaschinen), von Leder, Schuhwaren, Handschuhen, Hüten, Knöpfen, Kinderspielzeug, Tinte, Bleistiften, chemischen Produkten (insbes. zu Aussig. Kralup, Prag), Stärke, Öl, Seifen und Kerzen, raffiniertem Petroleum, Sprengpulver, Zündhütchen und Patronen, Zündhölzern, Tabak und Zigarren (7 ärarische Fabriken mit 8791 Arbeitern), die Buch- und Steindruckerei (Prag) und Photographie. Organe zur Förderung der Industrie sind dete Handels- und Gewerbekammern (zu Prag, Reichenberg, Eger, Pilsen, Budweis).

Hand in Hand gehend mit dem regen Gewerbeleben ist auch der Handel Böhmens bedeutend, dessen Mittelpunkt Prag ist. Das Eisenbahnnetz hatte Ende 1900 eine Ausdehnung von 5927 km erreicht und ist das dichteste in der ganzen Monarchie. An Straßen besitzt B. 29,162 km (davon 4294 km Reichsstraßen). An Wasserstraßen sind nur Elbe und Moldau von Belang. Erstere ist von Pardubitz ab flößbar und wird von Leitmeritz an mit Dampfschiffen befahren; auf der Moldau verkehren Dampfer von Stĕchowitz bis Prag. Die böhmisch-sächsische Grenze passierten auf der Elbe 1900 in der Talfahrt 11,710 Schiffe (nebst 2225 Flößen) mit 23,1 Mill. metr. Ztr. Waren (meist Braunkohle und Zucker). Dem Post- und Telegraphenverkehr dienen 1489 Post- und 796 Telegraphenanstalten. Für die Bedürfnisse des Geld- und Kreditverkehrs sorgen die Börse in Prag, 11 selbständige Banken, 47 Filialen andrer Banken, 1846 Erwerbs- u. Wirtschaftsgenossenschaften und 200 Sparkassen mit einem Einlagestand von 1167 Mill. Kr.

Tabelle

Verfassung und Verwaltung

[150] Die Landesvertretung von B. wird vom Landtag gebildet, der aus dem Erzbischof, den 3 Bischöfen, den beiden Universitätsrektoren, 16 Abgeordneten des Fideikommißbesitzes, 54 Abgeordneten des übrigen Großgrundbesitzes, 10 Abgeordneten der Hauptstadt, 15 Abgeordneten der fünf Handelskammern, 62 Abgeordneten der Städte und Industrieorte und 79 Abgeordneten der Landgemeinden, zusammen aus 242 Abgeordneten (auf 6 Jahre gewählt) zusammengesetzt ist. Der Vorsitzende (Oberstlandmarschall) wird vom Kaiser auf 6 Jahre ernannt. Organ des Landtags ist der aus 8 Mitgliedern bestehende Landesausschuß. In den Bezirken sind für die Selbstverwaltung Bezirksvertretungen tätig. Die politische Verwaltung üben die k. k. Statthalterei und die ihr untergeordneten 94 Bezirkshauptmannschaften sowie die Kommunalämter der Städte Prag und Reichenberg aus. Die Rechtspflege besorgen 16 Gerichtshöfe erster Instanz (ein Landes-, ein Handelsgericht, 14 Kreisgerichte) und 225 Bezirksgerichte. Die zweite Instanz bildet das Oberlandesgericht in Prag. Für die staatliche Finanzverwaltung besteht die Finanzlandesdirektion in Prag nebst 10 Finanzbezirksdirektionen. In militärischer Hinsicht zerfällt das Land in 2 Korpsbezirke mit je einem Korpskommando (zu Prag und Josefstadt) und 16 Ergänzungsbezirke. Die politische Einteilung des Landes sowie Areal und Bevölkerung der Bezirke ist aus nebenstehender Tabelle zu ersehen. Das Wappen ist ein gekrönter, goldbewehrter und gezungter silberner Löwe mit Doppelschwanz in rotem Feld (s. Tafel »Österreichisch-Ungarische Länderwappen«, Fig. 9); Landesfarben sind Rot, Weiß; Landespatrone sind St. Johann von Nepomuk und St. Wenzel (s. Wenzelskrone). Landeshauptstadt ist Prag.

[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. außer den Veröffentlichungen des Statistischen Landesamtes: Sommer, Das Königreich B., statistisch-topographisch dargestellt (Prag 1833–49, 16 Bde.); Langhans, Das Königreich B. (Wien 1881); Bd. 14 und 15 des Sammelwerks »Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild« (das. 1894–96); Katzer, Geologie von B. (Prag 1889–92, 3 Tle.); »Spezial-Ortsrepertorium von B.« (hrsg. von der statistischen Zentralkommission, Wien 1893); »Ortsrepertorium für das Königreich B.« (2. Ausg., Prag 1895); Jechl, Der böhmische Großgrundbesitz (Wien 1874); R. Andree, Nationalitätsverhältnisse und Sprachgrenze in B. (2. Aufl., Leipz. 1872); Derselbe, Tschechische Gänge (das. 1872); Bendel, Die Deutschen in B., Mähren und Schlesien (Teschen 1884); Bachmann u. a., Deutsche Arbeit in B. Kulturbilder (Prag 1900); Bernau, Studien und Materialien zur Spezialgeschichte und Heimatkunde des deutschen Sprachgebiets in B. und Mähren (das. 1902); Zemmrich, Sprachgrenze und Deutschtum in B. (Braunschweig 1902); Langhans, Die deutsch-tschechische Sprachgrenze in Nordböhmen (in »Petermanns Mitteilungen«, 1899, Heft 4, 5 und 7, mit Karten; letztere auch in Sonderdruck); »Archiv der naturwissenschaftlichen Landesdurchforschung Böhmens« (Prag 1868ff.); Reisehandbücher von Řivnáč (das. 1882), Rabl (Wien 1887).

Geschichte.

I. Zeitalter: Bis zur deutschen Kolonisation (um 1200).

Seinen Namen führt B. (nach Tacitus' Germania 28) von den keltischen Bojern (s.d.), die bis ins 1. Jahrh. v. Chr. hier wohnten. Ihre Nachfolger waren die germanischen Markomannen, die 8 v. Chr. das Bojerland eroberten und bis in die Zeit der Völkerwanderung daselbst verblieben. Ihnen folgten zu längerm oder kürzerm Aufenthalt andre germanische Völker, bis gegen Ende des 6. Jahrh. hier die Niederlassung der slawischen Tschechen erfolgte, die aber bald mit andern slawischen Stämmen unter die Gewalt der Awaren gerieten, aus der sie der Franke Samo befreite, der in der ersten Hälfte des 7. Jahrh. ein großes slawisches Reich begründete. Nach Samos Tod (658) liegt wieder für Jahrhunderte Dunkel über der Geschichte des slawischen Volkes in B. Um so lebendiger gestaltete die durch Kosmas (s.d.) überlieferte Sage die älteste Einwanderung und staatliche Organisation. Letztere begann danach unter Kroks Tochter Libuscha, die sich Přemysl von Staditz zum Gemahl erkor, von dem das erste böhmische Königsgeschlecht der Přemysliden seinen Namen ableitet. Seit Karl d. Gr. standen wie die andern slawischen Nachbarstämme so auch die Böhmen zum Reich in einem tributären Verhältnis, das schon während des 9. Jahrh., zur Blütezeit des großmährischen Reiches, zu wiederholten Kämpfen zwischen beiden führte. Die erste historische Fürstengestalt ist Bořiwoj, der sich um 874 taufen ließ. Festern Fuß faßte das Christentum in B. unter seinen Söhnen Spitihniew und Wratislaw, besonders aber unter des letztern Sohn und Nachfolger Wenzel dem Heiligen. Die Zersplitterung des Deutschen Reiches nach dem Untergange der Karolinger benutzten die böhmischen Herzöge zur Befreiung von der Oberhoheit, und erst König Heinrich I. gelang. es 929, Wenzel von neuem zu unterwerfen. Dessen Regierung verursachte innere Unruhen, die mit seiner Ermordung durch seinen Bruder Boleslaw I. (935) und einer abermaligen Erhebung gegen das Deutsche Reich endeten. Wiederholte Feldzüge König Ottos I. blieben erfolglos, bis endlich 950 ein heftiger Angriff mit einem mächtigen deutschen Heer das alte Abhängigkeitsverhältnis herstellte. Im Kampfe gegen die Ungarn (955) stand Boleslaw auf deutscher Seite. Ob ihm oder seinem Sohn Boleslaw II. eine Ausdehnung Böhmens über Krakau hinaus zuzuschreiben ist, bleibt unentschieden; jedenfalls bedeutet diese Tatsache sowie die unter Boleslaw II. erfolgte Gründung des Prager Bistums (erster Bischof war der Sachse Thietmar) einen glänzenden Aufschwung, dem aber noch gegen Ende der Regierung Boleslaws II. und dann unter dessen Sohn Boleslaw III. ein plötzlicher Rückgang folgte, den vor allem das polnische Nachbarreich ausnutzte. Prags zweiter Bischof, der heilige Adalbert, verließ damals seine Diözese und fand im Preußenlande den Märtyrertod (997), während sein Geschlecht, die Slawnikinger, in B. ausgerottet wurde. 1003 eroberte der Polenherzog Boleslaw Chrobry, nachdem er schon 999 Krakau und bald danach (1000 oder 1001) Mähren gewonnen hatte, ganz B., mußte aber im August 1004 vor der Macht König Heinrichs II., dem er die Huldigung für B. verweigerte, fliehen. In B. folgten Boleslaws II. jüngere Söhne Jaromir und Udalrich (gest. 1034). Mit des letztern Sohn Břetislaw I. (s.d.) begann eine neue Glanzzeit für B.; Mähren wurde erobert, ein glücklicher Feldzug gegen Polen (1039) unternommen; der Versuch, sich vom Deutschen Reiche loszumachen, war anfangs auch von Erfolg begleitet, endete aber mit einem Friedensschluß zwischen B. und dem Reiche (1041), der für lange Zeit in Geltung blieb und die weitere Entwickelung Böhmens und Mährens im engsten Anschluß an Deutschland ermöglichte. [151] Břetislaw I. hatte kurz vor seinem Tode (1055) eine Teilung seines Erbes unter seine Söhne vorgenommen: Der älteste, Spitihniew (gest. 1061), sollte B., Wratislaw, Konrad und Otto sollten Mähren verwalten, Jaromir (Gebhard) den Prager Bischofssitz erhalten; dabei sollte der älteste jeweilig das oberste Recht besitzen (das angeblich Břetislawsche Senioratsgesetz). Tatsächlich führte die Nachfolgefrage zu unaufhörlichen Kämpfen zwischen den einzelnen Gliedern des Hauses und vorzüglich zwischen der böhmischen und mährischen Linie. Unter den nachfolgenden Přemysliden ragen hervor: Břetislaws I. Sohn Wratislaw II. (1061–92), der durch seine Anhänglichkeit an Kaiser Heinrich IV. sich 1086 den Königsreisen, jedoch nur für seine Person, erwarb; dessen Sohn Břetislaw II. (1092–1100), der die letzten Spuren des Heidentums in B. auszurotten suchte; Swatopluk, zuerst Teilfürst von Olmütz, der im innigsten Bündnis mit Kaiser Heinrich V. Polen und Ungarn bekämpfte. Nach Swatopluks Ermordung (1109) traten heftige Thronkämpfe ein, die zu der blutigen Schlacht bei Kulm (1026) führten, an der auch König Lothar teil hatte. Unter Herzog Sobieslaw (1126–40) herrschten ununterbrochen Zwistigkeiten mit den mährischen Teilfürsten, unter dessen Sohn Wladislaw II. (1140 bis 1174) loderte der Kampf in B. und Mähren auf; der Herzog obsiegte, nicht zuletzt durch die Hilfe, die ihm von Kaiser Konrad III. und später von Friedrich I. zu teil wurde. Barbarossa verlieh denn auch Herzog Wladislaw die erbliche böhmische Königskrone (1158), wofür dieser ihn in seinen Kämpfen in Polen und Italien tatkräftigst unterstützte. Neue Verwickelungen nach Wladislaws Rücktritt von der Regierung veranlaßten den Kaiser zu wiederholten Malen, in die böhmischen Thronstreitigkeiten einzugreifen und auf dem Regensburger Reichstag (29. Sept. 1182) Mähren als reichsunmittelbare Markgrafschaft von B. loszutrennen. Allein auch damit war die Ruhe noch keineswegs hergestellt. Erst 1197 erfolgte zwischen den beiden Brüdern Přemysl Ottokar I. und Wladislaw Heinrich angesichts ihrer kampfgerüsteten Heere 6. Dez. eine Einigung dahin, daß der eine in B., der andre in Mähren regieren sollte. Die dynastischen Streitigkeiten im Přemyslidenhaus erreichten damit tatsächlich ein Ende.

II. Zeitalter: Bis zum Beginn der Hussitenkriege.

Přemysl Ottokar I. erwarb nicht nur von König Philipp dem Staufer die erbliche Königskrone von B. (1204) und von Friedrich II. nebst andern Vorrechten die Anerkennung der Primogeniturerbfolge (1216), sondern bewirkte einen gewaltigen Aufschwung des Landes in wirtschaftlicher Hinsicht durch die rege und planmäßige Förderung der deutschen Kolonisation. Diese fand auch unter seinem Sohn Wenzel (1230–53) gedeihliche Fortsetzung trotz mancherlei kriegerischer Verwickelungen, in die B. damals hauptsächlich zu Österreich geriet, und trotz der viele erste Keime vernichtenden Tatarennot des Jahres 1241. Unter König Wenzels Sohn, Přemysl Ottokar II. (s.d.), erreichte B. einerseits durch die sich steigernde germanisatorische Kolonisationsarbeit in Dorf und Stadt, anderseits durch die Vereinigung Österreichs und Steiermarks mit den böhmischen Ländern in der Hand des Přemysliden eine Großmachtstellung, gleich der von deutschen Fürstentümern. Die Schlacht bei Dürnkrut auf dem Marchfeld (26. Aug. 1278) gab diesem politischen Aufschwung einen furchtbaren Rückschlag. Mit Wenzel III. und Wenzel III., der 1306 in Olmütz ermordet wurde, erlosch die männliche Linie der Přemysliden. Durch Vermählung der jüngsten Tochter König Wenzels II., Elisabeth, mit Johann, dem Sohne König Heinrichs VII. (1310), kam nach den kurzen Regierungen Rudolfs des Habsburgers (1306–1307) und Heinrichs des Kärntners (1307–10) eine neue Dynastie, die der Luxemburger, auf den Thron Böhmens. Johann selber vermochte sich jedoch in B. keine Stellung zu verschaffen. In Streit mit dem böhmischen Landadel und dann auch mit seiner Gemahlin, weilte er in seinen spätern Jahren zumeist außerhalb des Landes; gleichwohl aber hatte ihm B. den Erwerb ungeahnten Länderreichtums zu danken: Oberlausitz (1319), Eger (1322), Schlesien. Diese mit Böhmen und Mähren ungemein ansehnliche Ländermacht erbte Johanns (gest. 26. Aug. 1346 zu Crecy) ältester Sohn, Karl IV., dem nach Kaiser Ludwigs des Bayern Tod 1346 auch die deutsche Königskrone zugefallen war. Seine Regierung in B. bedeutete in jeder Hinsicht Aufschwung und Fortschritt. Neue Ländererwerbungen erfolgten: Brandenburg und Oberpfalz; die Hauptstadt Prag wurde durch großartige Kunstwerke bereichert und verschönert: St. Veitskirche, Moldaubrücke, Hradschiner Burg; für die Wissenschaft wurde durch Gründung der ersten deutschen Universität in Prag (1348) Sorge getragen; Bergbau und Bodenkultur stiegen zu höchster Blüte; Handel und Verkehr wurden gehoben, Prag war nächst Breslau einer der ersten Handelsplätze Mitteleuropas. Auch regelte Karl durch die Verfassungsurkunden von 1348 und 1355 das Verhältnis Böhmens zum Deutschen Reiche, schuf für Mähren, das er 1349 seinem Bruder Johann Heinrich übergab, eine luxemburgische Sekundogeniturlinie unter gleichzeitiger Abtrennung des Olmützer Bistums und des Herzogtums Troppau als Lehen der Krone Böhmens. Als Karl IV. 29. Nov. 1378 starb, war sein Sohn Wenzel bereits seit zwei Jahren römischer König und erhielt nun die Herrschaft in B. und Schlesien, der zweite Sohn, Siegmund, die Mark Brandenburg, der jüngste, Johann, Teile der Lausitz. Wenzel war nach Geist und Charakter seinem Beruf nicht gewachsen: unentschieden verhielt er sich zu dem kirchlichen Schisma, in der Frage der Erwerbung Ungarns, in dem Kriege zwischen Fürsten und Städten im Reich. Es fehlte ihm auch an Urteilsfähigkeit und Entschlossenheit, als in B. selbst politische, soziale und religiöse Schwierigkeiten sich erhoben. Solche kamen zuerst zum Vorschein an der glänzenden Schöpfung Karls IV., der Prager Universität, und äußerten sich in nationaler Richtung, indem die böhmische Nation gegenüber den drei andern, der bayrischen, sächsischen und polnischen, eine Änderung des Stimmenverhältnisses zu ihren gunsten in allen Kollegien und Körperschaften forderte und sich in religiösen Fragen absonderte. Wenzel geriet in immer schroffern Gegensatz zur hohen Geistlichkeit und zum Adel, der als »Herrenbund« ihm entgegentrat und bald an Siegmund, bald an Jost von Mähren Unterstützung fand. Schon 1394 ward Wenzel von den Verschwörern gefangen gesetzt, auf Drohungen von Deutschland her allerdings befreit, allein als er 1400 die deutsche Königskrone verlor, wurde er ein Spielball in den Händen Josts, Siegmunds und des Adels. Unter diesen ungesunden innern Zuständen erstarkte im böhmischen Volk die religiöse und nationale Bewegung. die in Hus (s.d.), der Wiclifs Lehren zu den seinigen gemacht hatte, einen unerschrockenen Vorkämpfer fand. Nach seinem Märtyrertode loderte in ganz B. und bald auch in Mähren, das mit Josts Tode 1411[152] an Wenzel heimgefallen war, eine revolutionäre Bewegung auf, die Wenzel in ihren Anfängen niederzukämpfen unfähig war. Sein Tod (19. Aug. 1419) beschleunigte ihren Übergang zu den langwierigen Hussitenkriegen (s.d.).

III. Zeitalter: zur Vereinigung Böhmens mit Österreich 1526.

Der rechtmäßige Erbe des kinderlosen Wenzel war dessen Bruder König Siegmund von Ungarn, der den Böhmen aber schon seit Hussens Verurteilung in Konstanz verhaßt war. Siegmund war entschlossen, das Ketzertum in B. mit Gewalt auszurotten. Allein wie der erste Feldzug im Juli 1420, so mißglückten alle folgenden Unternehmungen von seiten des Königs und der ihn unterstützenden Fürsten. Denn wie früher für die Vertiefung und Verbreiterung der Ideen, um die es sich handelte, den Böhmen in Hus ein bis zur Erduldung des Märtyrertodes bereiter Vorkämpfer entstanden war, so erwuchs den kampfbereiten Hussiten in Johann Zizka (s.d.) von Trocnow ein genialer Anführer und Feldherr, den nach seinem Tode (1424) nicht minder begabte Nachfolger ablösten. Bis zur Schlacht bei Lipan (30. Mai 1434) dauerten diese grausam geführten Kämpfe. Die Baseler Kompaktaten (s.d.) einerseits, die Anerkennung Siegmunds als böhmischer König anderseits waren das greifbare Ergebnis der langwierigen Kriege; viel bedeutender jedoch waren die Folgen in nationaler, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht: vollständige Zurückdrängung, großenteils sogar Vernichtung des Deutschtums, außerordentliche Stärkung der Adelsmacht, Schwächung der Autorität der Krone, ungeheure Entwertung des Bodens, Verlust an zahllosen realen und geistigen Gütern, religiöse Parteiungen. In B. standen sich nämlich seither gegenüber: Katholiken, gemäßigte Kalixtiner, entschiedene Utraquisten, Taboriten. Die Gegensätze, die zwischen diesen Parteien obwalteten, drohten bereits bei dem Übergang der Regierung von Siegmund (gest. 9. Dez. 1437) auf dessen Schwiegersohn Albrecht V. von Österreich zu einem neuen Bürgerkrieg zu führen. In der nach Albrechts Tode (27. Okt. 1439) folgenden Periode der Minderjährigkeit seines nachgebornen Sohnes Ladislaus herrschte offener Parteihader zwischen den einzelnen Führern, insbes. als Georg Podiebrad (s.d.) von Kunstadt an die Spitze der Utraquisten trat. Schließlich siegte dieser und ward 1452 zum Gubernator Böhmens gewählt. Als dann im folgenden Jahre Ladislaus zum böhmischen Könige gekrönt wurde, blieb Georg als erster Ratgeber an der Spitze der Verwaltung, und Ladislaus' frühzeitiger Tod (23. Nov. 1457) verschaffte ihm 2. März 1458 die Krone Böhmens. Von Anbeginn fand Georg Widerstand bei den deutschen Städten Mährens, Schlesiens und der Lausitz. Sein aufrichtiges Bemühen um die Besserung der innern Zustände Böhmens, sein gutes Einvernehmen mit Kaiser Friedrich III. und Papst Pius II. steigerten zwar anfangs sein Ansehen; schließlich führten aber doch die schwierigen religiösen Verhältnisse Böhmens zum Streit zwischen Georg und Papst Pius II., zur Exkommunikation und endlich zum Krieg mit dem Ungarnkönig Matthias Corvinus (1468), in dem zwar Georg siegreich blieb, seinen Erfolg aber nicht mehr ausnutzen konnte, da er 22. März 1471 starb. Sein Nachfolger war der polnische Wahlkönig Wladislaw. Unter ihm stieg der böhmische Adel zu ungeahnter Macht, Streitigkeiten der religiösen Parteien waren an der Tagesordnung, der Bürgerstand lag wegen zahlreicher Bedrückungen und Beschränkungen seiner Privilegien in fortwährendem Kampfe gegen die Herren und die Ritter. Der König, der seit 1490 auch König von Ungarn war und dort residierte, kam zeitweilig nach B., schürte aber nur durch ungerechte Entscheidungen die Gegensätze. Erst nach seinem Tode (13. März 1516) suchte man durch den St. Wenzelsvertrag von 1517 die gegenseitigen Beschwerden der Stände einigermaßen auszugleichen. Allein die allgemeine Unzufriedenheit war von innen heraus nicht mehr zu heilen, insbes. da wiederum ein Kind, Ludwig, Wladislaws Sohn, die Krone besaß, die Macht jedoch von einigen Adelspersonen ausgeübt wurde. Sein Tod auf dem Schlachtfelde bei Mohács (29. Aug. 1526) bot, da mit ihm die Dynastie erlosch, Gelegenheit, durch die Wahl eines tatkräftigen Fürsten das Land aus seiner verzweifelten Lage zu befreien.

IV. Zeitalter: Bis zur Schlacht am Weißen Berge. 1620.

Erzherzog Ferdinand von Österreich wurde zwar von einem ständischen Ausschuß zum König von B. gewählt (23. Okt. 1526); allein auf seine Wahl hatte gewiß der Umstand Einfluß, daß er als Gemahl der Schwester Ludwigs II., der Prinzessin Anna, Erbansprüche wie auf Ungarn so auch auf B. erhob. Gemeinsam mit der Meldung seiner Wahl unterbreitete eine ständische Deputation der Böhmen dem neuen König zur Bestätigung eine Reihe von Landtagsbeschlüssen, durch die sich die Stände ihre reichen Privilegien und ihre Machtstellung sichern wollten. Allein Ferdinand, von Anbeginn entschlossen, die königliche Macht in B. wieder zu stärken, setzte bei seiner Krönung (24. Febr. 1527) eine teilweise Änderung der Artikel durch, insbes. daß die Erblichkeit in der direkten Nachfolge anerkannt wurde. Die Hauptschwierigkeiten ergaben sich jedoch aus den religiösen Verhältnissen: der König war streng katholisch, die Stände der Mehrheit nach Utraquisten (Lutheraner), in der Bevölkerung der Calvinismus stark vertreten, dem sich die Böhmischen Brüder angeschlossen hatten. Während des Schmalkaldischen Krieges, in dem Ferdinand seinen Bruder Kaiser Karl V. mit einer Heeresmacht unterstützen wollte, verweigerten die Stände, außer Landes zu ziehen, bildeten sodann einen gegen den König gerichteten Bund und stellten ein eignes Heer auf. Der Sieg des Kaisers über die Schmalkaldener bei Mühlberg (24. April 1547) entschied auch über die böhmische Frage. Ferdinand vollzog ein strenges Strafgericht und setzte auf dem »blutigen« Landtag (20. Sept.) eine Erhöhung der Königsmacht durch. Schwer büßte Prag und die übrigen königlichen Städte Böhmens den Anschluß an die aufrührerische Bewegung, nicht minder die Brüdergemeinden. Nach seinem Abzug aus B. setzte Ferdinand seinen gleichnamigen jüngern Sohn als Statthalter in B. ein, der im Sinne seines Vaters wirkte. 1556 hielten die Jesuiten ihren Einzug bei St. Klemens in Prag, 1561 wurde der seit 1421 unbesetzt gebliebene erzbischöfliche Stuhl in Prag durch die Einsetzung des Anton Brus von Müglitz wieder erneuert. König Ferdinands (gest. 25. Juli 1564) Nachfolger war sein erstgeborner Sohn Maximilian (1564–76), in B. dauerte jedoch die Statthalterschaft seines jüngern Bruders Ferdinand noch einige Jahre fort. Maximilians freiere Gesinnungen in religiösen Dingen benutzten die utraquistischen Stände, um von ihm eine Anerkennung ihres Glaubensbekenntnisses, der »böhmischen Konfession«, zu erwirken. Hauptsächlich auf dem Landtage von 1575 wurde hierüber verhandelt,[153] der Kaiser bewilligte den beiden höhern lutherischen Ständen die Einsetzung eines Ausschusses, der sogen. Defensoren, an die sich die lutherischen Priester bei jedweder Bedrängnis wenden sollten. Dafür bewilligten die Stände neben andern Forderungen die Krönung des Sohnes Maximilians, Rudolfs, die am 21. Sept. 1575 erfolgte; aber schon nach Jahresfrist (12. Okt. 1576) starb Maximilian. Die ersten Regierungsjahre des neuen Königs, der zumeist in Prag residierte und zahlreiche Künstler und Gelehrte an seinen Hof zog (Kepler, Tycho Brahe), verliefen ruhig; auch in religiöser Hinsicht herrschte nach außen hin Friede. Der Protestantismus breitete sich allerdings im Adel und in den Städten noch aus, aber anderseits entwickelten bereits die Jesuiten und die Olmützer Bischöfe eine rege Tätigkeit im Sinne des Katholizismus, besonders als der Kardinal Dietrichstein (s.d.) 1599 in Olmütz einzog. So begann eine religiöse Reaktion schon zu Beginn des neuen Jahrhunderts, die durch die schwierigen politischen Verhältnisse bald verstärkt wurde. Rudolfs II. Gemütsleiden trat seit 1600 so bedenklich zutage, daß sein Bruder, Erzherzog Matthias, die Regierungsgeschäfte in die Hand nehmen mußte. In dem zwischen den Brüdern nun ausbrechenden Kampf mußte sich Rudolf auf die ihm treu gebliebenen böhmischen Stände stützen, die bei ihm die Bewilligung ihrer politischen und religiösen Forderungen in dem »Majestätsbrief« vom 9. Juli 1609 durchsetzten, durch den allen Bewohnern Böhmens die Gewissensfreiheit zugesichert wurde. Ein mißglückter Versuch Rudolfs, durch Ausnutzung des von Erzherzog Leopold gesammelten »Passauischen Kriegsvolkes« den Ständen die verliehenen Rechte wieder zu nehmen, führte diese zum Anschluß an Matthias, der dann 23. Mai 1611 zum König von B. ausgerufen und gekrönt wurde. Rudolf starb schon 20. Jan. 1612. Matthias' Regierungspolitik in B. war nicht so sehr auf eine Schwächung der unter Rudolf übermächtig gewordenen Aristokratie gerichtet, als vor allem auf die Unterdrückung der Protestanten und Einschränkung der ihnen verliehenen Rechte. Die Schließung der protestantischen Kirchen in Braunau und Klostergrab war das erste sichere Anzeichen dieser Richtung. Gleichwohl vermochte es die ständische Opposition nicht einmal zu verhindern, daß noch zu Matthias' Lebzeiten Ferdinand von Steiermark, ein eifriger Katholik, zum Nachfolger in der böhmischen Königswürde angenommen wurde (6. Juni 1617). Nach der Sicherung der Nachfolge schritt aber die Regierung auf der Bahn der katholischen Reformation entschiedener vor. Als eine Beschwerde der Protestanten beim Kaiser ohne Erfolg blieb und die Stände den Statthaltern die Schuld an allen gegen sie gerichteten Verfügungen zuzuschreiben guten Grund fanden, ereignete sich 23. Mai 1618 der verhängnisvolle Fenstersturz auf der Prager Burg (s. Martinitz). Damit war der Bruch der protestantischen Stände mit der Dynastie beschlossen; sie konstituierten sofort eine provisorische Regierung und beschlossen die Ausstellung eines Heeres, zu dessen Anführer Graf Thurn (s.d.), die Seele der ganzen Bewegung, ernannt wurde. Die Bewegung breitete sich insbesondere nach dem Tode König Matthias' (20. März 1619) über Mähren, Schlesien, die Lausitz, Ober- und Niederösterreich aus; Ferdinand wurde abgesetzt, Kurfürst Friedrich von der Pfalz 26. Aug. 1619 zum König von B. gewählt, aber schon 8. Nov. 1620 in der Schlacht am Weißen Berge besiegt (»Winterkönig«); der böhmische Aufstand war niedergeworfen.

V. Zeitalter: Bis zu den Revolutionsstürmen des Jahres 1848.

Die mit äußerster Strenge durchgeführte Gegenreformation, die Greuel des Dreißigjährigen Krieges brachten in den nächsten Jahrzehnten unsägliches Elend über B. Ein vollkommener Wechsel im Grundbesitz, eine Rekatholisierung des Landes, Abschaffung der alten Verfassung durch Einführung der »Verneuerten Landesordnung« (1627), eine furchtbare Entvölkerung, Niedergang von Handel und Kultur waren die schweren Folgen der mißglückten Rebellion. Mitten in der Kriegszeit, 1637, starb Ferdinand II., sein Sohn und Nachfolger, Ferdinand III., war schon seit 1627 böhmischer König. Nach dem Friedensschluß von 1648 sorgte er für Kolonisation durch Einwanderer aus dem katholischen Süden Deutschlands. Das Deutschtum wurde hierdurch und durch die veränderte Regierungspolitik bedeutend im Lande gestärkt; neue Bistümer (in Leitmeritz 1656, in Königgrätz 1664) wurden gegründet, geistliche Orden breiteten sich stark aus; ein ganz neuer Adel zog ins Land ein. Dieser Umwandlungsprozeß ohne wesentlichere politische Ereignisse beherrschte auch noch die Regierungszeit von Ferdinands III. Sohn Leopold I. (1658–1705), dessen Sohn Joseph I. (bis 1711) und dessen Bruder Karl VI. (bis 1740), der sich, was Joseph I. unterlassen hatte, 1723 in Prag zum böhmischen König krönen ließ. Die Regierung Maria Theresias (bis 1780) begann mit dem Verluste Böhmens an Bayern, dessen Kurfürst Karl Albert 7. Dez. 1741 in Prag zum böhmischen König ausgerufen wurde, sich aber nur ein Jahr darin behauptete. Am 26. Dez. 1742 hielten die Österreicher daselbst wieder Einzug, nachdem das ganze Land vom Feinde befreit worden war. Im weitern Verlauf des Erbfolgekrieges, in den Schlesischen und im Siebenjährigen Kriege war B. wiederholt Schauplatz verheerender Kriegszüge. Zu statten kam dem Lande die rege Reformtätigkeit auf kulturellem und geistigem Gebiete, die unter Maria Theresia begann und unter ihrem Sohn Joseph II. (1780–90) fortgesetzt wurde.

Von den Kriegen der Napoleonischen Zeit wurde B. wenig berührt. Das Land konnte sich in der langen Friedensperiode unter Leopold II. (bis 1792), Franz I. (bis 1835) und Ferdinand I. (bis 1848) dank seiner reichen Hilfsquellen wirtschaftlich bedeutend stärken. Und wenn auch der Druck des Metternichschen Systems wie anderwärts so auch auf B. lastete, entwickelten sich die materiellen und geistigen Kräfte, die durch Maria Theresias und Josephs II. Regierung geweckt worden waren, in der Stille fort, bis das Befreiungsjahr 1848 eine neue Zeit einleitete.

VI. Zeitalter: Bis auf die Gegenwart.

Das nationale Bewußtsein der Tschechen hatte nach der Schlacht am Weißen Berg einen steten Rückgang genommen, ihre Sprache war aus Schule und Amt verdrängt, die Literatur bedeutungslos. Das änderte sich mit der Aufklärungsperiode unter Maria Theresia und Joseph II. Die tschechische Sprache blühte auf und damit auch das nationale Bewußtsein und die nationale Selbständigkeit der Tschechen, die sich alsbald zum Deutschtum in Gegensatz stellten. Dies zeigte sich in den Revolutionsstürmen 1848, indem viele Kreise Böhmens die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung verweigerten, wogegen der Slawenkongreß zu Prag im Mai die Gemeinschaftlichkeit der Interessen Böhmens mit den übrigen Slawen bekunden sollte. Gleich zu Beginn der revolutionären Bewegung einigte sich auch eine Versammlung der Tschechen in [154] Prag 11. März in der Versammlung im Wenzelsbad, ihre Wünsche in einer Petition an den Kaiser zu formulieren; unter den 14 Punkten nahm der wegen Gleichberechtigung der tschechischen Sprache mit der deutschen in Schule und Amt eine wichtige Stelle ein; ebenso die Vereinigung der Länder der böhmischen Krone in einem Landtag. Auf eine zweite, entschiedener lautende Petition vom 29. März brachte das Kabinettsschreiben Kaiser Ferdinands vom 8. April einige Zugeständnisse, denen sich aber sofort die in Wien versammelten Stände widersetzten. Die Pillersdorffsche Verfassung ließ denn auch die tschechischen Wünsche völlig unberücksichtigt. Im weitern Verlauf der Bewegung kam es in den Tagen vom 12.–17. Juni zu blutigen Zusammenstößen zwischen den kaiserlichen Truppen und den Tschechen in Prag, bei denen letztere unterlagen, womit die Revolution daselbst ihr Ende fand. Mit der Auflösung des Kremsierer Reichstags, in dem die tschechischen Mitglieder, darunter die Führer der Bewegung, Palacky und Rieger, die Regierung unterstützten, trat auch für die Tschechen eine Ruhepause ein. Aber die Nationalitäten-, Sprachen- und Staatsrechtsfrage war damit aufgerollt und beherrscht von da an die Geschichte Böhmens. Als nach dem Zusammenbruch des Bachschen Systems im Kriege von 1859 der politischen Tätigkeit der Völker wieder freie Bahn geöffnet ward, zeigte sich gleich im ersten Ministerium Rechberg-Goluchowski, dem als Unterrichtsminister Leo Thun angehörte, eine den Tschechen geneigte Stimmung, indem man unter Zugrundelegung der »historisch-politischen Individualitäten« sowie der geschichtlich bedeutsamen Landessprachen eine föderalistische Verfassung zu begründen suchte. Der Plan scheiterte, aber schon vorher war tatsächlich die bisherige ausschließliche Geltung der deutschen Unterrichtssprache in den Gymnasien endgültig aufgegeben worden. Als aber sodann durch die Februarverfassung von 1861 unter Schmerling die Regierung in zentralistische Bahnen einlenkte, entbrannte schon im böhmischen Landtag der staatsrechtliche und Nationalitätenkampf auf das heftigste, der auch alsbald in den Reichsrat übertragen wurde. In der Landtagssession von 1863, in der Palackys Antrag auf Revision der Landtags- und Landtagswahl-Ordnung abgelehnt wurde, verweigerten bereits die tschechischen Abgeordneten die Durchführung der Nachwahlen in den Reichsrat. Den stürmischen Vorgängen im Landtag folgten Straßenunruhen, antideutsche Demonstrationen. Kurz nach Beginn der zweiten Reichsratsperiode erklärte 25. Juni Rieger im Namen der tschechischen Abgeordneten, daß sie jede weitere Mitwirkung an den Arbeiten des Hauses ablehnen; es begann die 15jährige Abstinenzzeit der tschechischen Abgeordneten. Unter dem Ministerium Belcredi (seit 27. Juli 1865) und nach der Verfassungssistierung (20. Sept.) schienen sich die Pläne der Tschechen wieder um einen Schritt ihrem Ziele zu nähern, wiederum, wie schon im April 1861, wurde die böhmische Königskrönung in Aussicht gestellt, zur Revision der Landesordnung im böhmischen Landtag eine Kommission eingesetzt, das staatsrechtliche Programm entwickelt. In diesen innern Kampf fiel der Krieg von 1866, in dem B. der hauptsächlichste Kriegsschauplatz war. Der Kaiser besuchte nach dem völligen Abzug des Feindes B. und Mähren, sprach in Brünn und Prag versöhnende Worte, die aber nach der staatsrechtlichen Richtung keine Hoffnungen erweckten. Der Übergang der Regierung von Belcredi an Beust (im Februar 1867) bedeutete gleichfalls ein entschiedenes Abschwenken von der föderalistischen Richtung. Die Tschechen beharrten daher in ihrer Abstinenz vom Reichsrate. Die Regierung setzte aber im März 1867 die Herstellung einer deutschen Majorität mit Hilfe des verfassungstreuen Großgrundbesitzes im böhmischen Landtag durch, die dann ohne Rechtsverwahrung ihre Abgeordneten in den Reichsrat entsendete. Eine panslawistische Demonstration durch die Pilgerfahrt nach Moskau im April 1867 war die Antwort der Tschechen. Daneben wurde ihre Stellung im Lande durch rege politische und Vereinstätigkeit gestärkt, Kunst und Wissenschaft wurde in nationalem Sinne gefördert; 1868 wurde der Grundstein zum tschechischen Nationaltheater gelegt, das aus Sammlungen im Volk erstand; Zeitungen und Zeitschriften mehrten sich von Jahr zu Jahr; auch auf wirtschaftlichem Gebiete zeigte sich ein mächtiger Aufschwung im tschechischen Volk. Anderseits wiederholten sich in dieser Zeit (1868) Demonstrationen und Straßenexzesse, Tabors (Versammlungen) unter freiem Himmel, wie auch während des Besuches des Kaisers in Prag (im Juni 1868) Demonstrationsausflüge in die Umgebung, aufreizende Plakate u. a. die erregte Stimmung verrieten. Gleichwohl versuchte die Regierung, eine Verständigung herbeizuführen. Die Kroninsignien wurden gemäß einem Landtagsbeschluß von 1867 am 28. Aug. unter großem Pomp von Wien nach Prag gebracht und im Dom von St. Veit ausgestellt. Allein alle Versuche, um die sich besonders der Ministerpräsident-Stellvertreter Graf Taaffe bemühte, scheiterten. Die tschechische Deklaration, d. h. eine eingehende Formulierung der Forderungen, von deren Bewilligung die Abgeordneten ihr Erscheinen in den Vertretungskörpern abhängig machten, wurde in der Landtagssession von der deutschen Mehrheit 28. Sept. 1868 abgelehnt. Es entstanden darauf bedrohliche Volksaufläufe; Graf Taaffe als provisorischer Ministerpräsident entsandte den Feldmarschallleutnant Koller als Statthalter nach B. und ließ 10. Okt. 1868 den Ausnahmezustand über Prag und Vororte zur Niederwerfung der Unruhen verhängen, der über ein halbes Jahr währte. Dagegen kam den Tschechen die deutschfeindliche Strömung in den Wiener Regierungskreisen, die der deutsch-französische Krieg 1870 verursachte, zu statten. Nachdem sie bei den Wahlen für den böhmischen Landtag die Mehrheit erlangt hatten, spannte die Berufung des föderalistischen Ministeriums Hohenwart, dem zwei Tschechen, Jireček und Habietinek, angehörten, ihre Hoffnungen aufs höchste. Auf Anlaß der Regierung beriet der Landtag 1871 eine Verfassung, welche die selbständige Verwaltung Böhmens unter einem dem Landtag verantwortlichen Hofkanzler festsetzte, durch ein neues Wahlgesetz die Deutschen zur Ohnmacht verurteilte und auf einem »Krönungslandtag« bestätigt werden sollte. Aber schließlich versagte Kaiser Franz Joseph, vom Grafen Andrássy beeinflußt, den böhmischen »Fundamentalartikeln« die Bestätigung, das Ministerium Hohenwart wurde 26. Okt. 1871 entlassen, und das neue, verfassungstreue Ministerium Auersperg verschaffte mit Unterstützung des Großgrundbesitzes den Deutschen 1872 auf dem Landtag die Mehrheit. Fortan erhoben die Tschechen bei jeder Landtagseröffnung Einspruch und erklärten alle Beschlüsse für ungesetzlich, worauf sie sich von den Sitzungen fernhielten; ebensowenig erschienen sie im Reichsrat. Diese Abstinenzpolitik schien wirkungslos zu sein und wurde von der liberalen Partei der Jungtschechen (im Gegensatze zu den mit dem Klerus und[155] dem Feudaladel verbündeten Alttschechen) nicht gebilligt. Jedoch die Fehler der deutschliberalen Verfassungspartei bewirkten 1879 in Wien wieder einen Systemwechsel (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie, Geschichte). Das Ministerium Taaffe bewog die Tschechen zum Wiedereintritt in den Reichsrat (9. Okt. unter Rechtsverwahrung), wo sie fortan mit den Deutschklerikalen, den Südslawen und den Polen die Regierungsmehrheit bildeten. Was die Tschechen an die Regierung fesselte, waren Zugeständnisse Graf Taaffes von einschneidendster und für die Geltung des Deutschtums in B. verhängnisvollster Bedeutung. Die Sprachenverordnung vom 19. April 1880, welche die politischen und richterlichen Behörden in ganz B. verpflichtete, ihre Erledigungen in der Sprache der Petenten abzufassen, brachte, da die Beamten deutscher Nationalität in der Regel des Tschechischen nicht mächtig waren, tschechische Beamte, die über beide Sprachen verfügten, in das deutsche Sprachgebiet. Die Gründung einer besondern tschechischen Universität neben der deutschen 1882 sorgte für den entsprechenden Nachwuchs an national-tschechischen Beamten und Richtern, während eine starke Anzahl neuer tschechischer Gymnasien der nationalen Hochschule immer neue Glieder zuführte. Im selben Jahr (1882) setzte die Mehrheit im Reichsrat ein Gesetz (vom 9. Okt.) durch, das die Reichsratswahlen des böhmischen Grundbesitzes, der bisher in einem einzigen Wahlkörper und, da die Mehrheit aus Deutschen bestand, durchaus Deutsche gewählt hatte, dahin abänderte, daß sie fortan in fünf Wahlbezirken vor sich gehen sollten, bei deren Feststellung dem tschechischen Großgrundbesitz eine so große Anzahl von Abgeordnetensitzen gesichert wurde, daß die Deutschen nur noch auf dem Wege des Kompromisses und in beschränkter Zahl in die Zweite Kammer gelangen konnten. Endlich änderte das Ministerium Taaffe die Wahlordnungen der drei Handelskammern von Prag, Pilsen und Budweis im Verordnungswege so ab, daß die deutschen Abgeordneten ihre Mandate an Tschechen verloren (1883). 1884 gingen die Deutschen der Mehrheit auch im böhmischen Landtag verlustig. Die Deutschen sahen bald das einzige Mittel, sich vor der Slawisierung ihrer Heimat zu retten, in der Forderung, daß die deutschen Bezirke von den tschechischen administrativ getrennt würden, damit das Eindringen der Tschechen in reindeutsche Gemeinden als Richter, Beamte, Arbeiter etc., die dann sofort tschechische Schulen für sich verlangten, aufhöre und der nationale Hader beschwichtigt werde. Aber ein dahin gehender Antrag der deutschen Abgeordneten im Landtag wurde von der tschechischen Majorität nicht einmal einem Ausschuß überwiesen, sondern gleich bei der ersten Lesung auf Antrag des klerikalfeudalen Fürsten Karl Schwarzenberg abgelehnt, worauf die Deutschböhmen 22. Dez. 1886 den Landtag mit der Erklärung verließen, daß sie ihn erst dann wieder besuchen würden, wenn man ihnen Bürgschaften für die sachliche Erwägung ihrer Anträge böte. Die Vermittelungsvorschläge, die der Oberstlandmarschall Fürst Lobkowitz Ende 1887 dem Führer der wiedergewählten Deutschen, Schmeykal, machte (Teilung des Landtags in drei Kurien: Großgrundbesitz, Tschechen und Deutsche) wurden zurückgewiesen, da jede Bürgschaft von seiten der Regierung fehlte; die Deutschen beharrten auf voller Sicherung ihres natianalen Besitzstandes durch administrative Teilung Böhmens nach den Nationalitäten und auf der Teilung des Landtags in zwei nationale Kurien, denen ein Veto gegen Übergriffe zustände. Durch den Sieg der radikalen Jungtschechen bei den Landtagswahlen im Juli 1889 geriet die Regierung in Verlegenheit. Der Statthalter v. Kraus wurde durch den Grafen Franz Thun-Hohenstein ersetzt, der dem feudalen böhmischen Großgrundbesitz angehörte, sich 1888 für die Königskrönung ausgesprochen hatte und für einen Gegner des Liberalismus galt. Gedrängt von der Drohung der Deutschliberalen, auch den Reichsrat zu verlassen, entschloß sich der Ministerpräsident Taaffe zu Ausgleichsverhandlungen zwischen den Alttschechen, dem feudalen Großgrundbesitz und den Deutschen in B. Die Jungtschechen waren nämlich im neuen Landtag, dem die Deutschen fernblieben, herausfordernd aufgetreten. Ihren Adreßentwurf mit der Bitte um die Wiederherstellung des Königreichs B. und seiner frühern durch den Krönungseid zu bekräftigenden Rechte hatte zwar die Mehrheit abgelehnt, doch die angenommene Tagesordnung mit dem Vertrauen begründet, daß die Krone den richtigen Zeitpunkt wählen werde, um das große Werk des böhmischen Staatsrechts durch die Königskrönung abzuschließen. Darauf hatte Plener im Namen der Deutschen im Reichsrat interpelliert und deren Abstinenz durchschimmern lassen. Soweit jedoch ließ es Kaiser Franz Joseph nicht kommen; er wies den Grafen Taaffe an, die Wünsche der Deutschen zu berücksichtigen. Allein die unter dem Namen Böhmischer Ausgleich (s.d.) 1890 getroffenen Vereinbarungen scheiterten, trotzdem der Kaiser selbst erklärte, daß das begonnene Ausgleichswerk als eine »Staatsnotwendigkeit« unter allen Verhältnissen durchgeführt werden müsse, und betonte, daß die tschechische Bevölkerung ohne Grund verhetzt und in Aufregung versetzt sei. Die Agitation gegen den Ausgleich ging von den Jungtschechen aus; da die Alttschechen fühlten, daß sie unter diesen Verhältnissen den Boden im Volke verlieren, stellten sie mit einem Male die Einführung der tschechischen Amtssprache im internen Dienste der Gerichte der rein tschechischen Bezirke als Bedingung für die Annahme der weitern Ausgleichspunkte, wiewohl diese Forderung zufolge der Wiener Vereinbarungen vom Ausgleich ausgeschlossen bleiben sollte. Die Regierung suchte anfangs durch Konzessionen in der Schulfrage, Komplettierung der tschechischen Universität, Übernahme von tschechischen Privatgymnasien in die Staatsverwaltung, Anerkennung und Unterstützung der neuen tschechischen Akademie, der jungtschechischen Agitation zu begegnen, aber vergeblich.

Der glänzende Sieg der Jungtschechen bei den Reichsratswahlen 1891, eine Verschärfung des Gegensatzes zwischen Deutschen und Tschechen während der Landesausstellung in Prag 1891, der die Deutschen fernblieben, ließen eine Rettung des Ausgleichswerkes nicht mehr erwarten. Doch erst in der Landtagssession im März 1892 stellten die Alttschechen, unterstützt vom konservativen Großgrundbesitz, den Antrag auf »Vertagung« der Ausgleichsaktion »auf ruhigere Zeiten«, der gegen die Stimmen der Deutschen auch angenommen wurde. Das Ergebnis dieser Landtagssession war, daß die von den Feudalen und Alttschechen zurückgestellten Forderungen des »böhmischen Staatsrechts« und der »Gleichberechtigung« von neuem von allen nichtdeutschen Parteien erhoben wurden; die Jungtschechen beuteten ihren Erfolg in erhöhter Agitation aus. Als der Justizminister Graf Schönborn ein Bezirksgericht in Weckelsdorf errichtete, erhoben sie, obgleich er darauf verweisen konnte, daß der böhmische Landtag in frühern Jahren selbst diese Errichtung verlangt habe, die Ministeranklage gegen[156] ihn im Wiener Reichsrat, dessen Votum freilich zu gunsten Schönborns ausfiel. Dennoch gewannen sie in der Bevölkerung immer mehr Anhang, so daß die Feudalaristokraten des Landes, deren Güter meist in tschechischen Bezirken liegen, unter Führung von Fürst Georg Lobkowitz und Prinz Karl Schwarzenberg mit ihnen Fühlung suchten, während elf Mitglieder des Feudaladels ihre Mandate niederlegten. Die Jungtschechen, die nicht in den Fehler der Alttschechen verfallen wollten, widerstanden dieser Werbung und hielten ihr Programm eines modernen böhmischen Staates ohne Sonderstellung der Deutschen und ohne Bevorrechtung des Grundadels aufrecht; sie brachten sogar im März 1893 im Abgeordnetenhaus einen Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahlrechts ein, um sich für ihre Agitationszwecke auch der gewerblichen und bäuerlichen Arbeiter zu versichern. Als dann im Frühjahrslandtag d. J. die feudalen Großgrundbesitzer mit den Deutschen einer Regierungsvorlage über Errichtung eines deutschen Kreisgerichts in Trautenau zuzustimmen beabsichtigten, störten die Jungtschechen die Verhandlung hierüber im Plenum dermaßen (17. Mai), daß die Landtagssession geschlossen werden mußte, ohne daß auch nur das Landesbudget bewilligt worden wäre. Die Folge davon waren wiederum Straßenaufläufe etc. gegen die Deutschen, wogegen die Regierung den Ausnahmezustand über Prag verhängte. Gleichzeitig erregte der Omladinaprozeß (s. Omladina 2), worin die Geheimbündler teilweise wegen Hochverrats, Majestätsbeleidigung und Geheimbündelei, teils bloß wegen Ruhestörung zu Strafen bis zu acht Jahren schweren Kerkers verurteilt wurden (21. Febr. 1894) – von 76 Angeklagten wurden nur 8 freigesprochen – große Aufregung in B. Die böhmischen Verhältnisse traten aber erst wieder in den Vordergrund, als das Ministerium Badeni, um die Tschechen für den ungarischen Ausgleich zu gewinnen, 4. April 1897 je zwei Sprachenverordnungen für B. und Mähren (s.d.) erließ, welche die Deutschen als eine schwere Schädigung und Demütigung ansehen mußten, weil diese unter anderm bestimmten, daß jeder Beamte auch in den rein deutschen Bezirken von 1900 an die Kenntnis beider Landessprachen besitzen müßte. Gegen die von den Deutschen veranstalteten Protestversammlungen wurde streng vorgegangen, insbes. 11. Juli in Eger. Vergebens versuchte Badeni im August, durch neue Verhandlungen in der Sprachenfrage eine Einigung herbeizuführen, die Deutschen lehnten vor der Zurückziehung der Sprachenverordnungen jede Teilnahme an Verhandlungen ab, worauf Badeni die Konferenzen abbrach und beschloß, sich lediglich auf die Rechte zu stützen und die deutsche Obstruktion gewaltsam niederzuwerfen. Ausschreitungen gegen deutsche in Pilsen und anderwärts, Aufläufe in deutschen Städten mit Kundgebungen gegen die Regierung waren fortan an der Tagesordnung bis zu Badenis Sturz (November 1897) und darüber hinaus. Die mit Gewalttätigkeiten gegen Deutsche und Juden verbundenen furchtbaren Unruhen in Prag zwangen das neue Ministerium zur Verhängung des Standrechts (2. Dez. 1897). Da aber die Sprachenverordnungen nach wie vor in Kraft blieben, richteten die Tschechen in der Landtagssession 1898 aus Anlaß des Kaiserjubiläums (2. Dez.) eine Adresse an den Monarchen, die das Recht des Königreichs B. auf selbständige Gesetzgebung und Verwaltung betonte, auf die Notwendigkeit der Erhaltung der Einheit und Unteilbarkeit des Königreichs hinwies und mit dem Wunsche schloß, daß unter dem Jubel beider Völker der Kaiser mit der Wenzelskrone gekrönt werden möge. Am 24. Febr. 1899 wurden die Sprachenverordnungen von 1897 aufgehoben und neue, jedoch »vorbehaltlich gesetzlicher Regelung« und nur »provisorisch« erlassen. Dies und der Umstand, daß die Regierung bezüglich der Adresse nur erklärte, sie stelle sich nicht auf den staatsrechtlichen Standpunkt der Adresse, nicht aber, wie die Deutschen gewünscht hatten, daß der Kaiser die Adresse nicht annehmen könne, veranlaßten die Deutschen, sich an den weitern Landtagsverhandlungen nicht mehr zu beteiligen. Allein auch die Tschechen waren keineswegs befriedigt. Und als das im Oktober 1899 neu ernannte Ministerium Clary, um das Parlament wieder arbeitsfähig zu machen, die Sprachenverordnungen unbedingt aufhob (17. Okt.), begann nicht nur im Reichsrate die Obstruktion der Tschechen, sondern in B. und Mähren brachen allenthalben Unruhen der tschechischen Bevölkerung aus, bei deren Unterdrückungen es öfters z. B. in Holleschau) zu blutigen Zusammenstößen zwischen dem Militär und dem Volke kam. Auch stellten wegen der Aufhebung der Sprachenverordnungen mit 1. Jan. 1900 die tschechischen Bezirksvertretungen in 57 Städten und über 100 Gemeinden die Arbeiten in ihrem Wirkungskreise ein. Der im Januar 1900 neu ernannte Ministerpräsident Koerber leitete gleich nach seinem Amtsantritt Verständigungskonferenzen zwischen den deutschen und tschechischen Parteien ein, allein die im Mai dem Abgeordnetenhaus vorgelegten Sprachengesetze für B. und Mähren wurden von den Tschechen obstruktionistisch abgelehnt; die deutschen Parteien standen ihnen nichtminder ablehnend gegenüber; auch der Kaiserbesuch in Prag, Leitmeritz und Aussig (im Juni 1901) wirkte nur beruhigend.

Mehr als ein Jahr verstrich seither ungenutzt. Erst mit Beginn der Herbstsession des Reichsrats im Oktober 1902 bahnte Koerber neuerdings Verständigungskonferenzen an und legte gleich in der ersten Sitzung (14. Okt.) vom Ministerium ausgearbeitete »Grundsätze« zur gesetzlichen Regelung der deutsch-tschechischen Sprachenfrage vor. Es waren dies zwei getrennte Entwürfe für B. und Mähren, die nur einen Abschnitt, der vom Gebrauche der deutschen Dienstsprache handelte, gemeinsam hatten, im übrigen für beide Länder verschieden lauteten. In B. wurden drei Sprachgebiete, ein einsprachig deutsches, ein einsprachig tschechisches und ein zweisprachiges Gebiet unterschieden, wobei das Kriterium der Einsprachigkeit die Ansässigkeit von weniger als 20 Proz. anderssprachiger Landesbewohner bildet. Mähren dagegen wurde grundsätzlich wenigstens als zweisprachiges Land behandelt. Diese »Grundsätze« wurden jedoch sowohl von Deutschen als Tschechen abgelehnt, als Grundlage weiterer Verhandlungen zu dienen, die erste Debatte im Reichsrat 16. Okt. führte durch eine Rede des Ministerpräsidenten und die Erwiderung Pacaks zu einer Verschärfung des ohnehin gespannten Verhältnisses zwischen der Regierung und den Jungtschechen. Letztere setzten auch sofort mit der ruhigen Obstruktion, der Verlegung der Tagesordnung durch Dringlichkeitsanträge, ein. Allein nach mehreren Wochen lenkte der Ministerpräsident wieder ein, suchte durch eine zweite Rede den Eindruck der frühern auszugleichen und eine Fortführung der Verständigungskonferenzen herbeizuführen. Den Wünschen der Regierung und teilweise auch jenen der deutsch-steirischen Abgeordneten Rechnung tragend, entschlossen sich die deutschen Reichsratsabgeordneten aus B., die der deutschen [157] Fortschrittspartei, der deutschen Volkspartei, dem verfassungstreuen Großgrundbesitz und der Agrarpartei angehören (die radikalen Gruppen der Alldeutschen und Ostdeutschen hielten sich fern), zur Verständigung über die Sprachenfrage bestimmte Vorschläge auszuarbeiten, die am 4. Dez. 1902 verlautbart wurden. Wenige Tage darauf erklärten aber die tschechischen Abgeordneten auch diese Vorschläge für unannehmbar und legten 17. Dez. ihrerseits einen Entwurf für die Regelung der Sprachenverhältnisse in B., Mähren und Schlesien vor. Obgleich die Deutschen diese Grundsätze entschieden ablehnten, dürfte die Verständigungsaktion nach Neujahr 1903 fortgesetzt werden. Der österreichische Reichsrat aber ist auch fürderhin noch lahmgelegt, die böhmische Frage bleibt weiter der Angelpunkt der österreichischen innern Politik.

[Geschichtsliteratur.] Quellenwerke: Dobner, Monumenta historica Boemiae (Prag 1764–85, Bd. 1–6); Derselbe, Wenceslai Hagek a Liboczan Annales Bohemorum (das. 1761–82, Bd. 1–6); »Fontes rerum Bohemicarum« (das. 1873–93, Bd. 1–5); Erben-Emler, Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae annorum 600–1346 (das. 1855–92, Bd. 1–4); Jireček, Codex iuris Bohemici (das. 1867–90, Bd. 1–5); »Archiv Český« (das. 1840–1901, Bd. 1 bis 19); Čelakowsky, Codex iuris municipalis regni Bohemiae (das. 1886 u. 1895, Bd. 1 u. 2).

Gesamtdarstellungen und Monographien: Pelzel, Geschichte von B. (1. Aufl., Prag 1817); Palacky, Geschichte Böhmens bis 1526 (das. 1836–67, Bd. 1 bis 5; in tschechischer Sprache, 5. Aufl., das. 1900); Tomek, Geschichte Böhmens (das. 1864); Schlesinger, Geschichte Böhmens (2. Aufl., das. 1870); Bachmann, Geschichte Böhmens (Gotha 1899, Bd. 1); Bretholz, B., Mähren und Schlesien (im 5. Bande von Helmolts »Weltgeschichte«). –Frind, Kirchengeschichte Böhmens (Prag 1862–78, Bd. 1–4); H. Jireček, Das Recht in B. und Mähren geschichtlich dargestellt (das. 1866); Menger, Der böhmische Ausgleich (Stuttg. 1891); Turnwald, Die administrative Teilung Böhmens (5. Aufl., Reichenberg 1891); Toman, Das böhmische Staatsrecht 1527–1848 (das. 1872); Lippert, Sozialgeschichte Böhmens in vorhussitischer Zeit (Prag 1896–98, Bd. 1 u. 2); Skene, Entstehen und Entwickelung der slawisch-nationalen Bewegung in B. und Mähren im 19. Jahrhundert (Wien 1893); Werunsky, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit (Innsbr. 1880–92, Bd. 1–3). – Werke in tschechischer Sprache: Tomek, Geschichte der Stadt Prag (Prag 1892–1901, Bd. 1–12; Bd. 1–4 in 2. Aufl.); Rezek, Geschichte Böhmens und Mährens 1637–1648 (das. 1890); Rezek, Svatek u. Prášek, Geschichte Böhmens und Mährens in neuerer Zeit (das. 1892–1902, Bd. 1–4); Zíbrt, Bibliographie der böhmischen Geschichte (das. 1900–1902, Bd. 1 u. 2).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 147-158.
Lizenz:
Faksimiles:
147 | 148 | 149 | 150 | 151 | 152 | 153 | 154 | 155 | 156 | 157 | 158
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon