Kemâl Bey

[831] Kemâl Bey, der bedeutendste türkische Dichter und Schriftsteller der neuern Zeit, geb. 21. Dez. 1840 zu Gallipoli oder im Gebirge Tekfur (Rodosto), gest. 2. Dez. 1888 auf Chios. Einer berühmten Familie entstammend, aber ohne planvolle Bildung in Stambul, dann (1852) mit seinem Großvater Chems eddîn Bey, Kanzler Selims III., in Kars und noch später in Sofia aufgewachsen, veröffentlichte er bereits mit 16 Jahren seine ersten Gedichte. Seit 1857 wieder in Konstantinopel, war K. Mitglied der türkischen Dichtervereine jener Zeit, die mehr heitere Unterhaltung und lockere Geselligkeit bezweckten als ernstes Streben; seinen Unterhalt fand er damals im Übersetzungsbureau der Bab-i-Ali. Bald mit Schinassi Efendi (s. d.) bekannt geworden, der ihm Lehrer, Förderer und Freund werden sollte, nahm er den Kampf gegen die Alten auf. Aus dem heimlichen Mitarbeiter (Pseudonym: Namuk Bey) an Schinassis Zeitschrift »Tasswir Efkhiar« wurde 1864 nach dem Wegzuge des Lehrers der Herausgeber; diese Tätigkeit veranlaßte K., sich von der Poesie mehr der Politik und politischen Reformbestrebungen zuzuwenden. Anfeindungen und Freiheitsstrafen konnten K. nicht beugen: so ist im Gefängnis zu Cypern sein lebensfreudiges Drama »Akif Bey« entstanden. In Paris studierte er Rechtswissenschaft und Nationalökonomie und übersetzte Werke von Bacon, Montesquieu, Rousseau und Graf Volney; der bereits begonnene Druck seiner groß angelegten ottomanischen Geschichte mußte aufgegeben werden. Über Schinassi hinaus hat sich K. Verdienste um die Erneuerung der türkischen Sprache und Literatur erworben: die syntaktischen Regeln, die er eingeführt hat (vgl. namentlich seine 1865 erschienene Schrift »Dewri istíla«, d. h. »Die Zeit der Eroberungen«), sind für die gute türkische Ausdrucksweise Gesetz geworden. Außer 50,000 Versen, die er in arabischer, persischer und türkischer Sprache gedichtet hat, außer den Dramen »Watán« (»Vaterland«), »Gülnihal«, »Sewallíh dschudschuk« (»Das arme Kind«), »Intibach« (»Wachsamkeit«) und »Dschesmi«, außer den geschichtlichen Biographien »Salah eddin Ejubi« (»Saladin«), »Fatih« (»Mohammed II.«), »Jawus Sultán Selim« und »Emir Newrus« stammt von K. eine große Zahl von politischen Schriften und Aufsätzen, die in seinen Zeitschriften erschienen sind; neben dem »Tasswir Efkhiar« hat er begründet oder geleitet den »Muchbír«, d. h. »Bote oder Korrespondent« (1867–68 zu London von den Jungtürken Zia Bey, Ali Suavi Efendi und Aghiah Efendi herausgegeben), die »Hürriet« (»Freiheit«), den »Ibret« (»Warner«), die »Bassiret« (»Vorsicht«), den »Hadikah« (»Garten«), die »Itihat« (»Einheit«) und die »Sadakak« (»Treue«). Unter den kleinern Flug- und Streitschriften sind zu nennen: »Barikai safér« (»Siegesleuchten«), »Kanische« (»Szigetvár«), »Higmet ilhukúk« (»Rechtsbegriff«), »Mukademeh i Dschellál« (»Vorwort zum Dschellál«) und »Bahar i Danísch« (»Frühling des Wissens«); ungedruckt hat er hinterlassen: »Kara bela« (»Mißgeburt«) und »Dschellál eddin hawarsemi«. Unter Abd ul Hamid II. sind sämtliche Werke Kemâls verboten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 831.
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