Lathyrismus

[224] Lathyrismus, chronische Vergiftung, die durch langen und (in Jahren der Teurung) fast ausschließlichen Gebrauch der Früchte von Lathyrus-Arten erzeugt wird und oft epidemisch auftritt. Die Krankheit war den Alten als Crurum exsolutio, Crurum impotentia, Imbecillia bekannt, wurde von Hippokrates und Galenus erwähnt und veranlaßte im 17. und 18. Jahrh. wiederholte Verbote des Anbaues von Ervum Ervilia. Das auffallendste Symptom der Krankheit ist die charakteristische Art des Ganges, der ein wirkliches Fallen von einem Fuße auf den andern darstellt. Namentlich die Beugemuskeln des Rumpfes sind gelähmt. Die Muskeln der Oberextremitäten, die Sensibilität, das Muskel- und Gelenkgefühl bleiben intakt, die Reflexbewegungen sind erhalten, das Kniephänomen ist verstärkt; bei der Reizung der Haut tritt Muskelzittern ein, auch wird plötzliche Harnverhaltung und Impotenz beobachtet. Man hat den L. besonders in Italien und Algerien beobachtet. Vielleicht wird er durch einen Pilz hervorgebracht, der die Hülsenfrüchte befällt. – Bei Pferden entsteht nach übermäßiger oder langdauernder Verfütterung von Lathyrus sativus und Cicer arietinum (Kichererbse) etc. Hartschnaufigkeit (s. Kehlkopfpfeifen), unter gewissen Umständen aber eine ausgesprochene Vergiftung, die auf chronischer Rückenmarksentzündung beruht und sich in Schreckhaftigkeit, Aufgeregtheit und schließlich Lähmungserscheinungen äußert; viele Tiere sterben, bisweilen nach monatelanger Krankheit. Bei Schafen ist ähnliches beobachtet. In den nordamerikanischen Steppen ist als Locodisease (vom spanischen loco, närrisch, toll) eine Krankheit der Pferde und Rinder bekannt, die durch verschiedene Leguminosen erzeugt wird (Loco-weeds; s. Narrenunkräuter). Die vergifteten Tiere sind äußerst[224] schreckhaft und aufgeregt, haben jede Schätzung des Raumes verloren, springen über einen Stein wie über einen hohen Zaun, rennen gegen Mauern, bekommen vor Schreck Anfälle von Raserei oder stürzen zusammen. Die Krankheit endet meist tödlich. Eine andre durch Leguminosen verursachte Vergiftung ist die Lupinose (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 224-225.
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