[439] Lesebuch, im weitern Sinne jedes Buch, das ohne besondern Nebenzweck für unterhaltende und anregende Lektüre bestimmt ist, zum Unterschied von Lehrbüchern, Nachschlagebüchern etc. Im engern Sinne versteht man darunter ein Schulbuch, das für die Leseübungen der Schule den nötigen Stoff darbietet. Abgesehen von einigen Sammlungen lateinischer und griechischer Lesestücke (Chrestomathien, Anthologien)[439] gab es früher solche Lesebücher in den Schulen nicht, weil man neben den alten Klassikern Bibel und Gesangbuch fast ausschließlich zu Leseübungen benutzte. Im 17. und 18. Jahrh. erschienen einzelne biblische Historien- oder Lesebücher. Aber erst seit dem letzten Drittel des 18. Jahrh. kamen eigentliche deutsche Lesebücher an deutschen Schulen in Gebrauch. Zu den ältesten gehören: für höhere Schulen Sulzers »Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens« (1768) und für Volksschulen E. F. v. Rochows »Kinderfreund« (1776; s. Rochow). Während in diesem und seinen zahlreichen Nachahmungen der moralische Zweck überwog, dem durch selbstgemachte belehrende Erzählungen gedient werden sollte, schnitt man später, zumal in der Schule K. F. Beckers (s. Becker 3), die Lesebücher ganz für den grammatischen Zweck zu. Daneben und in den Volksschullesebüchern bis in die neueste Zeit hinein wurde breiter Raum für übersichtliche Mitteilungen aus dem Gebiete des Realunterrichts (Geschichte, Geographie, Naturkunde) verwandt. Erst unter dem Einflusse der Brüder Grimm und namentlich seit dem Vorgang Philipp Wackernagels (»Deutsches L.«, 1843) hat allmählich die Erkenntnis sich Bahn gebrochen, daß das deutsche L. eine für den Schulzweck geeignete Auswahl des Besten aus der gesamten nationalen Literatur zu bieten habe. Seitdem ist eine große Anzahl trefflicher Lesebücher für alle Stufen des Schulunterrichts erschienen, die wesentlich dazu beigetragen haben, dem deutschen Volke die Schätze seiner Literatur bekannt und wert zu machen. Vgl. Fechner, Geschichte des Volksschullesebuches (in Kehrs »Geschichte der Methodik des deutschen Volksschulunterrichtes«, Bd. 1, 2. Aufl., Gotha 1887); Krumbacher, Geschichte und Kritik der deutschen Schullesebücher (Leipz. 189596, 2 Bde.; Bd. 2 vollendet von Sieber); Bünger, Entwickelungsgeschichte des Volksschullesebuchs (das. 1898, Ergänzungsband 1901); Wackernagel, Unterricht in der Muttersprache (Bd. 4 des »Lesebuches«, Stuttg. 1843); Kellner, Der Sprachunterricht in seiner Begründung durchs L. (14. Aufl., Altenburg 1875); F. Otto, Anleitung, das L. als Grundlage und Mittelpunkt eines bildenden Unterrichts in der Muttersprache zu behandeln (9. Aufl. von Zimmermann, Leipz. 1901); Frick, Aus deutschen Lesebüchern (mit Polack u.a., Gera 1881 ff., 5 Bde., in zahlreichen Auflagen).