[786] Sprachunterricht. Jeder S. wird dann seinen Zweck am schnellsten und sichersten erreichen, wenn er sich möglichst eng an die Art und Weise anschließt, wie man seine eigne Muttersprache lernt. Sobald das Kind in der Bildung verschiedener Laute eine gewisse Übung erlangt hat, beginnt es das nachzusprechen, was es von seinen Eltern und seiner Umgebung aussprechen hört. Sein Wortschatz wächst stetig, auch grammatische Anregungen stellen sich ein, das Kind gewöhnt sich an eine bestimmte Wortfolge, lernt die Formenelemente und grammatischen Endungen unterscheiden, verbessert die Fehler, auf die man es aufmerksam macht, und eignet sich durch steten Verkehr allmählich die Redeweise seiner Erzieher und Lehrmeister in jeder Beziehung vollständig an. Überhaupt erlernt man jede Sprache am besten im Kindesalter, und es ist daher nicht berechtigt, wenn gegen jede zwei- oder mehr sprachliche Erziehung, wie man sie besonders in vornehmen Häusern antrifft, von manchen grundsätzlich geeifert wird.
Es ist hiernach begreiflich, daß sich auch bei dem fremdsprachlichen Unterricht, wenigstens soweit er sich auf lebende Sprachen bezieht, immer mehr die analytische oder induktive, praktische Methode Bahn bricht, die mit der mechanischen Einübung des Sprachstoffes an einfachen Sätzen oder Lesestücken beginnt und erst allmählich auch die wichtigsten grammatischen Regeln vorführt. Den Vorgang in dieser Beziehung machten um den Beginn des 19. Jahrh. J. Hamilton (s. d. 9, S. 696) und Jacotot (s. d.), in Deutschland Seidenstücker (s. d.), dessen französisches Elementarbuch das Muster für die verschiedenen Lehrbücher von F. A. Ahn abgab (seit 1834), die in zahlreichen Auflagen verbreitet und im In- und Ausland häufig nachgeahmt werden. Noch größere Verbreitung erlangten durch ihre praktische Einrichtung (von 1847 ab) die französischen Elementarbücher und Vokabulare von Ploetz (s. d.), die in den spätern Auflagen zeitgemäße Verbesserungen erfuhren. Auch die Ollendorffsche Methode knüpft an die natürliche Art der Spracherlernung durch den Gebrauch an, indem sie die Regeln auf ein geringes Maß beschränkt und bei den Übungsbeispielen hauptsächlich die Einführung in die Konversation durch Fragen und Antworten bezweckt, die dem täglichen Leben entnommen sind. Doch macht man dieser und ähnlichen Lehrmethoden, die auf alle modernen Kultursprachen übertragen wurden, nicht mit Unrecht die Trivialität, ja Absurdität vieler Übungssätze zum Vorwurf, deren endlose Wiederholung zu einer rein mechanischen, geistlosen Dressur führt. Die Robertsonsche Methode, die von A. Boltz (zuerst 1852) und Ölschläger in Deutschland eingeführt, von Booch-Arkossy in der Richtung auf Konversation weiter ausgebildet wurde, knüpft an leichte Erzählungen an, die erst wörtlich, dann freier übersetzt und sehr umständlich erläutert werden. Alle diese Methoden sind auch auf das Selbststudium berechnet. Für dieses gewähren besonders die Unterrichtsbriefe von Toussaint- Langenscheidt, denen (französische, englische, italienische etc.) klassische Romane zugrunde gelegt sind, eine sehr gute Hilfe, sind aber freilich mehr zu einer Einführung in die Literatursprache als zu rascher Erlernung der Umgangssprache geeignet. Mehr Rücksicht auf die letztere nimmt die ebenfalls sehr gute, überhaupt der natürlichen Spracherlernung etwas mehr angeglichene Methode Schliemann (für Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch), die besonders auch in dialogischer Form die Hauptgebiete des modernen Lebens, wie Familie und Haus, Stadt und Land, Schule und Militär, Telegraph und Telephon etc., systematisch erörtert, durch möglichste Variierung der Fragen und Antworten schriftliche Übungen entbehrlich zu machen sucht und neuerdings durch Beigabe von Grammophonplatten auch die richtige Aussprache in bisher ungeahnter Weise fördert. Das Grammophon ist übrigens auch von dem Verlag der Toussaint-Langenscheidtschen Unterrichtswerke (s. Langenscheidt) für den »Kleinen Toussaint-Langenscheidt« nutzbar gemacht worden, und ein eigenartiger Anschauungsunterricht mittels des Kinematographen ist bereits geplant. Unter den zahlreichen Nachahmungen des Toussaint-Langenscheidtschen Systems sind die »Selbstunterrichtsbriefe« nach der Methode Häusser hervorzuheben, der auch gewisse Vorteile der »Methode Schliemann« nicht fremd geblieben sind. Auf die Konversation legt die »Methode Gaspey-Otto-Sauer zur Erlernung der neuern Sprachen« besondern Nachdruck, die praktische Konversationsgrammatiken, Lesebücher und Anleitungen zur Handelskorrespondenz geliefert hat. Nur mit Hilfe eines Lehrers anwendbar ist die aus Nordamerika stammende, originelle Methode Berlitz (seit 1878), die den Aufenthalt im Ausland ersetzen soll, indem der Lehrer sich ausschließlich der fremden Sprache bedient, wobei er in den ersten Lektionen den Anschauungsunterricht zu Hilfe nimmt, und der Schüler, wenn auch mit Nachhilfe des Lehrers, auch nur in der fremden Sprache antworten darf. Die »Berlitz-Schulen« sind auch in Deutschland vielfach vertreten.
Der S. in toten Sprachen, namentlich im Latein und Griechischen, wird dagegen noch jetzt vorherrschend nach der synthetischen oder deduktiven, theoretischen, grammatischen Methode erteilt, d. h. man geht von der Regel zum Beispiel, von der Einübung der grammatischen Formen zur Satzbildung und Lektüre über. Die Bestrebungen von Ruthardt, der im Anschluß an Jacotot in seinen hauptsächlich aus Cicero genommenen »Loci memoriales« (Bresl. 1840) den grammatischen Unterricht durch systematische Memorierübungen ergänzen wollte, und von H, F. Perthes (s. d. 3), der in seinen geschickt bearbeiteten Übungsbüchern die analytische Methode auch auf die klassischen Sprachen zu übertragen und durch passende Gruppierung die leichtere Aneignung des antiken Wortschatzes zu bewirken suchte, haben nur wenig Anklang gefunden. Die Rücksicht auf die logisch-formale Schulung des Geistes steht einer radikalen Umgestaltung des grammatischen Unterrichts an Gymnasien im Wege, zumal da diese Schulen auf Lateinsprechen kein Gewicht mehr legen. Doch ist ein rein theoretisches, längere Zeit hindurch auf die Übermittelung bloßer Sprachformen ohne Sinn und Inhalt beschränktes Verfahren auch an gelehrten Schulen wohl nirgends mehr üblich.
Nach der wissenschaftlichen Seite hin suchten hervorragende Sprachforscher den S. zu reformieren, indem sie auf Berücksichtigung der sichern Ergebnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft drangen. Ein beliebtes Schulbuch wurde besonders die »Griechische Schulgrammatik« von G. Curtius (Prag 1852 u. ö.); geringere Verbreitung fanden die auf gleichen Grundsätzen beruhenden Bearbeitungen der lateinischen Schulgrammatik durch Vaniček, Schweizer-Sidler, Schmitt-Blanck, Müller-Lattmann u. a., der französischen durch Steinbart, Körting u. a. Vgl. Jolly,[786] Schulgrammatik und Sprachwissenschaft (Münch. 1874); Breymann, Sprachwissenschaft und neuere Sprachen (das. 1876); Budde, Die Theorie des fremdsprachlichen Unterrichts in der Herbartschen Schule (Hannov. 1907). Auch die Ergebnisse der Lautphysiologie (s. Lautlehre) sind für den S. wichtig, in höherm Maße freilich nur bei den neuern Sprachen, seitdem sie an Mittelschulen nur von deutschen Lehrern gelehrt werden, die bis zu einem gewissen Grade durch theoretische Einsicht in die Entstehung der fremden Laute ersetzen können, was ihnen an praktischer Sprachfertigkeit abgeht. Vgl. Vietor, Elemente der Phonetik (5. Aufl., Leipz. 1904). Ferner wird in neuester Zeit von verschiedenen Seiten eine Befruchtung des Sprachunterrichts durch die Ergebnisse der sprachpsychologischen Forschungen H. Pauls, W. Wundts u. a. angestrebt. Auch der deutsche S. ist von diesen wechselnden Strömungen stets beeinflußt worden, nimmt aber insofern von Haus aus eine andre Stellung ein, als es sich bei der Muttersprache vorzugsweise um Kontrolle und Hebung des Sprachgefühls, um Übungen im mündlichen und schriftlichen Ausdruck handelt. Jakob Grimm (s. d. 2) ging zu weit, als er den deutschen grammatischen Unterricht für eine »unsägliche Pedanterei« erklärte und das grammatische Studium der Muttersprache nur den Gelehrten vorbehalten wissen wollte.