Municipĭum

[259] Municipĭum (lat.), bei den Römern eine Landstadt, deren Stellung zu der Hauptstadt im Laufe der Zeit vielfach gewechselt hat. Als nämlich das Gebiet Roms sich so erweitert hatte, daß es nicht mehr alle eroberten Städte in sein eignes Stadtgebiet oder in den Lateinischen Bund aufnehmen konnte, nannte es so eine in den Jahren 384–338 neu geschaffene Klasse von Städten mit römischem Bürgerrecht, die zwar des Stimm- und Ehrenrechts entbehrten, aber wenigstens zum großen Teil (z. B. Tuskulum und Cäre) in der innern Verwaltung selbständig blieben. Diese Einrichtung bestand bis zum J. 90, in dem die lex Julia allen Munizipien das volle römische Bürgerrecht verlieh, so daß also der Bürger eines Munizipiums (municeps, d.h. der an den Lasten Anteil nehmende) zugleich römischer Bürger (civis Romanus) war, während die Verwaltung und Gerichtsbarkeit der einzelnen Städte in Rom durch besondere Anordnungen (leges municipales) geregelt wurden. Cäsar und nach ihm die Kaiser dehnten den Namen und die Rechte eines Munizipiums auf einzelne Städte auch in den Provinzen aus, namentlich im Osten des Reiches, jedoch in der ältern Weise ohne das volle römische Bürgerrecht, bis durch Caracalla 212 alle freien Untertanen das römische Bürgerrecht erhielten. Seitdem hieß M. eine jede Gemeinde im Gegensatz zu Rom. – Die Bevölkerung bestand aus den in Kurien eingeteilten Vollbürgern und aus Insassen (incolae), die aus andern Städten zugewandert, in dem M. dauernd ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, ober nur Pflichten besaßen, keine Rechte. Die Volksversammlung wählte die Beamten (Diktator, Prätor, Ädil, später quatuorviri oder duoviri). Das höchste Ansehen genoß der Gemeinderat (ordo decurionum), der dem römischen Senat entsprechend meist aus 100 lebenslänglichen Mitgliedern bestand, nächst ihm die Augustales, ein aus dem Kaiserkult hervorgewachsener Stand, der aber mit dem Eindringen des Christentums allmählich verschwand. Das Leben in den Munizipien nahm unter den Kaisern einen frischen Aufschwung, ging aber seit dem Ende des 2. Jahrh. in demselben Maße zurück, in dem ihre Selbständigkeit beschränkt wurde; allmählich wurden die Dekurionen Beamte des Kaisers, und die Verwaltung des Amtes eine schwere Last, da es für alle Ausfälle in der Steuereinziehung aufkommen mußte. Doch haben sich die Grundzüge der römischen Städteverfassung bis ins Mittelalter erhalten und sind für dasselbe von großer Bedeutung geworden; vgl. hierüber besonders Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. 1 (2. Aufl., Heidelb. 1834), und Hegel, Geschichte der Städteverfassung von Italien, Bd. 1 (Leipz. 1847). Die Organisation der Munizipien ist uns zum großen Teil aus den Inschriften bekannt, unter denen zu nennen sind die Bruchstücke der lexRubria des J. 49 und der lex Julia des J. 45 v. Chr., Beispiele von leges municipales, und die 1851 aufgefundenen Stadtrechte der spanischen Munizipien Salpensa und Malaca (aus den J. 82–84) und das der Colonia Genetiva Urbanorum (aus dem J. 44), herausgegeben von Mommsen. Vgl. E. Kuhn, Die städtische und bürgerliche Verfassung des römischen Reiches, Bd. 1 (Leipz. 1864); Marquardt, Römische Staatsverwaltung (2. Aufl., Leipz. 1881–85, 3 Bde.). – Über die Munizipien, d.h. die autonomen Verwaltungskörper der Komitate und der mit Munizipalrecht bekleideten Städte in Ungarn, s. Ungarn (Verwaltung). Vgl. auch Municipal Corporation.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 259.
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