[314] Selbsthilfe, eigenmächtiges Handeln zum Zwecke der Geltendmachung eines wirklichen oder vermeintlichen Rechts. Eine solche kann nach dem Wesen des Staates in einem geordneten Staatswesen nur ausnahmsweise und unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Gestattet ist S., wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist oder mit Unrecht verweigert wird, oder wenn Gefahr besteht, daß ohne sofortiges Eingreifen die Verwirklichung des eignen Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert wird, in allen andern Fällen liegt verbotene Eigenmacht vor. Als Mittel der S. sind unter dieser Voraussetzung gestattet: Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, die Festnahme des Verpflichteten, falls er fluchtverdächtig ist und nur dadurch die Zwangsvollstreckung in sein Vermögen gesichert werden kann. Aus irgend einem andern Grund ist Festnahme unzulässig. Erfolgt Festnahme, so ist unverzügliche Vorführung bei Gericht erforderlich und Beantragung des persönlichen Sicherheitsarrestes. Bei Wegnahme von Sachen ist einfacher Arrest zu beantragen, falls nicht Zwangsvollstreckung erwirkt wird. Endlich ist noch gestattet die Anwendung aller Mittel, um den Widerstand dessen gegen eine Handlung zu beseitigen, die er zu dulden verpflichtet ist. Die S. darf niemals weiter gehen, als zur Abwendung der Gefahr notwendig ist, Überschreitungen dieses Maßes sowie irrige Annahme, daß ein Recht auf S. gegeben sei, verpflichten zum Schadenersatz (Bürgerliches Gesetzbuch, § 228 ff.). Außer in diesen Fällen ist S. verboten, jedoch sind durch Artikel 89 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch die landesrechtlichen Vorschriften über die zum Schutze der Grundstücke und deren Erzeugnisse gestatteten Pfändung und sonstige Sicherungsmaßregeln aufrechterhalten.[314] Soweit die S. durch das bürgerliche Recht gestattet ist, kann die innerhalb der rechtlichen Schranken vorgenommene Handlung (Freiheitsberaubung, Nötigung, Wegnahme von Sachen) niemals rechtswidrig, mithin auch niemals strafbar sein, selbst wenn dem geltenden Strafrechte die ausdrückliche Anerkennung der S. unbekannt geblieben sein sollte. Keine S. ist die Notwehr (s. d.). Zur Beseitigung und zur Sühne eines Unrechts, das von dem einen Staate dem andern gegenüber begangen ward, sind die Staaten, wofern die Ausgleichung der Differenz auf friedlichem Wege nicht gelingt, auf die S., d. h. auf die Entscheidung durch Waffengewalt, angewiesen. Vgl. Bücking, Die strafrechtliche Bedeutung der S. (Götting. 1892); Kuhlenbeck, Das Recht der S. (Langensalza 1907). Übrigens spricht man von S. auch noch in einem andern Sinne, nämlich im Gegensatz zur Staatshilfe, und versteht hierbei die Förderung wirtschaftlicher Interessen durch eigne Kraft und durch gemeinsames Wirken der Interessenten, ein Prinzip, auf dem das Institut der modernen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften beruht.