[625] Wildbachverbauung (hierzu Tafel »Wildbachverbauung«), der Inbegriff der Vorkehrungen gegen die Verheerungen durch Wildbäche. Im Oberlaufe oder Sammelgebiete herrscht die Ausnagung vor, weshalb an den Abhängen Abrutschungen eintreten, die stets bergaufwärts greifen, sich nach oben verzweigen, zu Seitenschluchten ausbilden und das Gebirge immer tiefer hinein und weiter hinauf anreißen. Der Bach unterspült die abgerutschten Massen, sie stürzen nach und bilden zuweilen einen stauenden Schuttwall. Wenn diesen der geschwellte Bach durch bricht, reißt er gewaltige Schuttmassen oft lawinenähnlich mit sich fort (in Tirol Muren, in der Schweiz Rüsen). An das Sammelgebiet schließt sich in der Regel ein schluchtähnliches, wildes Tal, durch das der Wildbach in das Haupttal tritt, wo er seinen Schuttkegel ausbreitet. Die Verheerungen erstrecken sich hauptsächlich auf das Sammelgebiet, wo der urbare Boden abrutscht und fortgetragen wird, und auf das Ablagerungsgebiet, wo nicht nur die Oberfläche des Kegels, sondern dessen weiter Umkreis bei jedem Hochgewitter übermurt zu werden droht und auch die gegenüberliegende Lehne des Haupttales, gegen die der Schuttkegel den Fluß drängt, gefährdet wird und der Fluß selber durch übermäßige Geschiebezufuhr verwildert. Da auf dem lockern Boden des Sammelgebietes die schönsten Alpenwiesen gedeihen und auf den Schuttkegeln der beste anbaufähige Boden abgelagert ist und hier Felder, Gehöfte, Dörfer entstanden sind, so liegt die Notwendigkeit und Wichtigkeit der W. am Tage. Ein Hauptzweck der W. ist, die Wiederbewaldung kahler Gehänge zu ermöglichen. Man strebt daher vor allem die Ausnagung zu verhindern, dann setzen sich die abgerutschten Massen zur Ruhe[625] und die Lehnen können durch eine Pflanzendecke wieder festgehalten werden. Ist dies gelungen, so hat die wilde Geschiebeführung aufgehört, die jede Lenkung des Baches auf dem Schuttkegel unmöglich macht, und das Gewässer läßt sich gefahrlos zum Flusse leiten. Um die Ausnagung zu hindern, stellt man auf der Sohle des Wildbaches und seinen Nebenrinnen zahlreiche wehrartige Bauten, Sperren, Barren her, wodurch Stufen entstehen, über denen die Sohle sich verbreitert und die Tallehnen Fuß fassen können. Von Stufe zu Stufe erhält das Gewässer ein gepflastertes Rinnsal (in der Schweiz, wenig zutreffend, Schale genannt); über das Wehr stürzt es auf einen gehörig befestigten Vorbau (Fig. 4 der Tafel). Bei größerer Höhe werden förmliche Talsperren nötig (s. Tafel »Talsperren I«, Fig. 15). Auch die Pontalto-Sperre und die Sperre im Avisio (s. Tafel »Talsperren II«, Fig. 2) gehören hierher. Die Barren werden aus Trockenmauerwerk oder trocken mit eingeschalteten Mörtelmauerschichten oder aus Holz gemacht. Die ältesten Holzbarren dürften aus Rauchbäumen bestanden haben (Tafel, Fig. 1). In den letzten 20 Jahren des 19. Jahrh. wurden in Tirol viele hundert Holzprügelbarren ausgeführt (Fig. 2). Holzbauten aller Art sind aber vergänglich, und nur dort am Platze, wo man darauf rechnen darf, daß sie nach gelungener Wiederbewaldung entbehrlich werden, oder wo es unmöglich ist, dauerhaften Baustein zu beschaffen. Um den urbaren Boden auf den beruhigten Lehnen besser festzuhalten, wendet man Flechtwerkstränge (Zäune) an. Quellen werden gefaßt und in Sickerschlitzen abgeleitet. In der Schlucht selbst, durch die der Bach ins Tal ausbricht, können nur gemauerte Talsperren in Betracht kommen. An der Ausmündung der Schlucht (des Tobels) setzt das Rinnsal (Fig. 3) an und führt womöglich in gerader Richtung zum Flusse. Die Sohle muß ein kräftiges Pflaster aus hartem Stein erhalten, da sie sonst sehr bald durchgeschliffen wird und der Bach beim nächsten Hochwasser alles zerstört. Die Böschungen müssen flach sein, damit sich bei Hochgängen kein Wildholz im Rinnsale spießt, wodurch alsbald eine Verklausung entstände und der Bach ausbräche. Wichtige Nebenanlagen bilden die Schuttablagerplätze (Banngebiete), die man manchem Wildbach opfern muß, um Verheerungen des Haupttales hintanzuhalten, die einträten, wenn man dem Hauptfluß Geschiebemassen zuführte, die er nicht bewältigen kann. Bekannt ist der gewaltige Ablagerplatz der Talfer bei Bozen und des Avisio bei Lavis, ohne die das kostbare Etschtal weithin der Verwüstung preisgegeben wäre. Fig. 5 zeigt die Verbauung des Simmitobels in St. Gallen. Vgl. Duile, Über Verbauung der Wildbäche (1826); v. Seckendorff, Verbauung der Wildbäche (Wien 1884); A. v. Salis, Das Schweizerische Wasserbauwesen (1883) und Die W. der Schweiz (1890); »Die W. in den Jahren 1883 bis 1894« (hrsg. vom k. k. Ackerbauministerium, Wien 1895); »Denkschrift über die in den Jahren 18831893 ausgeführten Wildbachverbauungen in Tirol« (das. 1895); Kreuter, Der Flußbau (im »Handbuch der Ingenieur-Wissenschaften«, 3. Teil, 4. Aufl., Leipz. 1907); Schindler, Die Wildbach- und Flußverbauung (Zür. 1888); Dubislav, Wildbachverbauungen und Regulierung von Gebirgsflüssen (Berl. 1902); Wang, Grundriß der W. (Leipz. 190103, 2 Tle.).