Octroi

[206] Octroi (Octroy, fr., spr. Oktroa), 1) Bewilligung, Verleihung, Schenkung; 2) Privilegium; 3) eine den Städten bewilligte Steuer zu öffentlicher Verwendung; 4) städtischer Zoll; 5) das Handelsrecht, welches einer Person od. einer Gesellschaft ausschließlich verliehen ist. Daher Octroyiren, Jemand im Handel ein Vorrecht, eine Befreiung verleihen; dann überhaupt bewilligen, verleihen; daher Octroyirte Verfassung, eine solche, welche ohne Vereinbarung mit den Ständen von einem Fürsten einseitig u. aus freiem Willen verliehen od. aus Machtvollkommenheit vorgeschrieben wird. Solche octroyirte Verfassungen waren die französische Charte von 1814, welche Ludwig XVIII. nach der ersten Restauration gab, die preußischen Verfassungen vom 3. Febr. 1847 u. 5. Dec. 1848, die österreichische vom 4. März 1849 etc. Insofern durch derartige Octroyirungen nicht bereits bestehende verfassungsmäßige Rechte verletzt werden, läßt sich die Befugniß des Regenten, auf diesem Wege eine Verfassung od. einzelne Verfassungsgesetze in das Leben zu führen, keinesfalls bestreiten. Ebensowenig läßt sich annehmen, daß einer octroyirten Verfassung weniger Festigkeit zukomme, als einer vertragsmäßig entstandenen (pactirten). Auch bei der octroyirten Verfassung muß eine einseitige u. willkürliche Abänderung als unerlaubt gelten, da die einseitige Verleihung eines Rechtes durch den Souverän nach allgemeinen Rechtsbegriffen ein ebenso vollkommener Rechtstitel ist, als dies nur ein Vertrag sein kann.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 206.
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