[655] Provocation (v. lat.), 1) so v.w. Appellation an einen andern Richter, so Provocatio ad populum, das Rechtsmittel, vermittelst dessen jeder römische Bürger gegen eine Strafverfügung der öffentlichen Criminalgerichte (Judicia publica) an die Entscheidung des Volkes in den Centuriatcomitien Berufung ergreifen konnte; 2) die Aufforderung zur Vornahme einer gerichtlichen Handlung, bes. die Aufforderung zur Anstellung einer Klage. Im Allgemeinen geht das Römische. u. in Übereinstimmung damit auch das heutige Gemeine Recht von dem Grundsatze aus, daß Niemand wider seinen Willen zum Klagen genöthigt werden könne. Die Praxis hat jedoch hiervon zwei Ausnahmen ausgebidet: a) die P. ex lege diffamari; durch Verbreitung nachtheiliger Gerüchte u. bes. durch das Berühmen von Ansprüchen an eine bestimmte Person (Diffamation) begründet der Verbreiter solcher Gerüchte (Diffamant) wider sich das Recht des Betroffenen (Diffamat), jenen zum Darthun der Wahrheit dieser Aussprengung aufzufordern, derselbe mag nun dabei eine böse Absicht gehabt, od. sich geirrt, öffentlich od. unter vier Augen diffamirt haben. Der Diffamat, welcher das ihm nachtheilige Gerücht für unwahr erklärt, kann durch einen gerichtlichen Vortrag, worin er als Provocant die Aussprengung zugleich bescheinigt, den Diffamanten zur gerichtlichen Erörterung über die Diffamation auffordern u. bitten, daß diesem (Provocat), bei Strafe des ewigen Stillschweigens, auferlegt werde, seine Diffamation binnen einer gesetzten Frist gerichtlich wahr zu machen. Erhebt der Provocat binnen dieser Frist die Hauptklage, so hat dann damit der Provocationsproceß sein Ende; erklärt dagegen der Provocat, er behaupte gar nicht einen Anspruch gegen den Provocanten zu haben, so wird ihm durch Urtheil ewiges Stillschweigen u., wenn die Diffamation an sich bewiesen ist, Tragung der Kosten auferlegt; b) die P. ex lege si contendat; dieselbe findet dann Statt, wenn bei längerem Aufschub der Klaganstellung der Verlust von Einreden in Aussicht steht, u. bezweckt, durch Nöthigung des Klagberechtigten zur Klage dem mit der Klage Bedrohten diese Einreden zu erhalten. Der Provocant hat nachzuweisen, daß ihm gegen die vom Provocaten anzustellende Klage eine wahre Einrede od. ein sonst statthaftes Vertheidigungsmittel zustehe u. daß durch Zögerung mit der Klagerhebung Gefahr für den Verlust dieses Vertheidigungsmittels eintrete. Wird diese Bescheinigung geliefert, so erhält der Provocat zur Anstellung seiner Klage eine Frist unter Androhung des Rechtsnachtheiles gesetzt, daß die Einwendungen, welche etwa durch längeren Zeitablauf od. durch spätere Veränderung der Umstände dem Provocaten gegen die Vertheidigungsmittel des Provocanten erwachsen könnten, bei einer späteren Anstellung der Klage keine Berücksichtigung finden würden, od. daß die vorgebrachte Einrede für immer wirksam sein solle. Vgl. Schweitzer, Über den Provocationsproceß, Lpz. 1806.