[194] Ritterpoesie, die gemeinschaftliche Benennung für die poetischen Schöpfungen des Mittelalters, in denen der Geist des Ritterthums als des idealen Ziels der geistigen Richtung der zweiten Hälfte des. Mittelalters zum Ausdruck gelangte. Da diese Richtung bes. durch die Verschmelzung des abenteuerlichen Geistes der germanischen Krieger- u. Adelskaste, der germanischen Frauenverehrung u. des Enthusiasmus für das spiritualistische Christeuthum bedingt u. charakterisirt wird, so machen Ehre, Liebe u. Religion den Hauptinhalt der R. des Mittelalters aus. Wie das Ritterthum selbst erst kurz vor u. mit Beginn der Kreuzzüge seine eigenthümliche Ausbildung u. sein eigenthümliches charakteristisches Gepräge erhielt, so auch die R.; bei den Völkern, bei welchen der ritterliche Geist am meisten entwickelt war, bereits eine feste, bestimmte Form angenommen hatte u. sich schon ein zum sprachlichen'poetischen Ausdrucke geschicktes Organ darbot, mußten auch die ersten poetischen Schöpfungen dieser neuen Richtung hervortreten. Dies war gegen Ausgang des 11. Jahrh. Frankreich, wo im Süden, bei den Provencalen, die ritterliche Gesellschaft am feinsten gebildet, die Sitten des geselligen Verkehrs (Courtoisie u. Galanterie) unter Einfluß der Höfe u. der Frauen gemildert u. geregelt waren u. das weiche u. doch volltönende provensalische Romanzo (Langue d'oc) ein schönes Organ bot, während im Norden der kriegerischabenteuerliche Geist bes. durch Einfluß der Normannen schärfer ausgeprägt, das ritterliche Gefolge- u. Lehnswesen am meisten u. förmlichsten ausgebildet u. die Sprache (das Nordfranzösische od. die Langue d'oil) bereits zur literarischen Verwendung hinlänglich herangereift war. Diese Unterschiede in der Volksthümlichkeit zwischen den Provençalen u. Nordfranzosen waren in der Hauptsache die Bedingungen, daß in der Provence zuerst die Poesie der Troubadours, die älteste höfisch-ritterliche Minnepoesie, erblühete, während in Nordfrankreich die älteste Heimath der epischen Ritterpoesie, der Chansons de geste u. Romans d'aventure zu suchen ist. Wenn auch alsbald ein Austausch stattfand, provençalische Dichter Epopöen dichteten u. wiederum nordfranzösische in der Lyrik den Vorbildern der Troubadours folgten, so wurde doch das Epos vorzugsweise im Norden, die Lyrik vorzugsweise im Süden Frankreichs gepflegt; während sich die provençalische Poesie einerseits nach Spanien u. nach Portugal, andererseits nach Italien verpflanzte, verbreitete sich von Nordfrankreich aus, wo namentlich in der Champagne u. in Flandern ein reges geistiges Leben herrschte, die ritterliche Epopöe über das ganze übrige Europa, wo sie namentlich in England, den Niederlanden u. Deutschland den günstigsten Boden fand. Wie in Frankreich, wurde auch in den genannten Ländern die Poesie eine höfische Kunst, welche nicht bloß in Bezug auf Form sich vielfach gemeinschaftlichen Regeln fügte, sondern auch oft dieselben Stoffe behandelte; mehre Ritterepen sind allen gebildeten Völkern des Mittelalters gemein, u. es hält oft schwer die eigentliche Heimath u. ursprüngliche Bearbeitung derselben nachzuweisen. Was den Stoff dieser epischen Dichtungen betrifft, welche oft encyklisch (bes. in Frankreich) bearbeitet wurden, so gehören dieselben folgenden Sagenkreisen an: dem Kreis von Artus u. seiner Tafelrunde, in welchem ursprünglich celtische Nationalsagen in das höfisch-ritterliche Gewand gekleidet erscheinen, zum Theil aber überdies auch noch mit druidischen u. christlichen Geheimlehren verbunden wurden u. so zur Verherrlichung geistlicher Ritterschaft, wie namentlich des Templerthums, dienten; der von Karl dem Großen u. seinen Paladinen, welcher zunächst auf fränkisch-karolingischen Stammsagen beruht, aber später mit den Kreuzzügen in Verbindung gesetzt, od. auch mit celtischen u. orientalischen Elementen verschmolzen wurde; endlich der altklassische Sagenkreis, welcher klassische Stoffe, wie den Trojanischen Krieg, die Züge Alexanders des Großen, die Äneide etc. in chevalereskem Costüm behandelte. In Deutschland kam nun hierzu noch die einheimische Heldensage (wie z.B. die von den Nibelungen), welche sich den üblichen Formen des höfisch-ritterlichen Epos (der Rittermäre) fügen mußten. Alle diese Rittergedichte wurden seit etwa Mitte des 14. Jahrh. in prosaische Ritterromane aufgelöst u. in Italien auch später von den großen italienischen Kunstdichtern des 16. Jahrh., wie Ariosto, Pulci etc., parodisch nachgeahmt. Erst nachdem der Geist des Ritterthums erloschen u. vom Ritterthum nur noch die hohle Form übrig war, kamen die Romane von Amadis (s.d.) u. seinem Geschlechte in Aufnahme u. machten von der Pyrenäischen Halbinsel aus die Runde durch Frankreich, Deutschland u. das übrige Westeuropa. Sie fanden in Deutschland schon zu ihrer Zeit satyrische Gegner, bis diese Art von Ritterdichtung durch die ironische Ritterschaft des Don Quixote völlig der Lächerlichkeit preisgegeben wurde Über die Ritterromane der neuern Zeit s. Roman.