Semipelagianer

[826] Semipelagianer, kirchliche Partei im Abendlande seit demch. Jahrh., welche zwischen dem strengen Augustinismus u. Pelagianismus zu vermitteln suchte. Zwar waren die Pelagianer zuletzt auch im Morgenlande durch das Ökumenische Concil in Ephesus 431 verdammt worden u. Augustins Grundsatz hatte gesiegt, daß der Mensch gänzlich verderbt u. nur durch die göttliche Gnade rettbar sei. Aber wie die Griechische Kirche immer nur eine von Adams Fall ausgehende Schwäche lehrte, so konnte auch in der Abendländischen Kirche der Augustinismus nie ganz durchdringen, vielmehr bildete sich noch zu Augustins Lebzeiten unter den Mönchen in Massilia, bes. durch Joh. Cassianus, eine vermittelnde Ansicht, daß durch Adams Fall die sittliche Kraft gestört, aber nicht vernichtet sei, u. daß die Gnade u. die Freiheit zusammen zur fortschreitenden Besserung führen. Diese, dem alten Pelagianismus sich nähernde Ansicht, erst später Semipelagianismus genannt, wurde noch von Augustinus (in den Schriften De praedestinatione sanctorum u. De dono perseverantiae) u. von Prosper Aquitanus bekämpft, auch von Cölestius (s.d.) getadelt; aber die Anhänger derselben breiteten sich immer weiter aus, bes. unter den Mönchen, deren Leben sonst das bes. Verdienstliche zu verlieren schien. In Gallien, wo schon der berühmte Vincentius von Lerins ihnen zugehörte, wurden die S. bald so mächtig, daß sie auf den Synoden zu Arelate u. Lyon (472 u. 475) den Presbyter Lucidus, einen strengen Anhänger des Augustinus, als ketzerischen Prädestinatianer verdammten, zum Widerruf nöthigten u. durchsetzten, daß das vom Bischof Faustus von Rhegium entworfene Semipelagianische Bekenntniß (De gratia dei et humanae mentis libero arbitrio) allgemein gebilligt u. auf der Synode zu Leyden 475 von allen Bischöfen unterzeichnet wurde. In Afrika u. Italien dagegen hielt man am Augustinischen Lehrbegriff fest, u. der von den Vandalen vertriebene Bischof Fulgentius von Ruspa schrieb eine Widerlegung des Lehrbegriffes von Faustus, welche vom römischen Bischof Hormisdas gebilligt wurde. So entbrannte der Streit auch in Gallien aufs Neue, wo bes. der Erzbischof Cäsarius von Arelate für Augustin kämpfte. Endlich wurde auf dem Concil zu Orange 529 der Augustinischkirchliche Lehrbegriff mit Mäßigung der Prädestinationslehren u. völliger Verwerfung der Vorherbestimmung zum Bösen festgesetzt, ohne daß der Semipelagianismus namentlich u. ausdrücklich verdammt wurde. Diese Beschlüsse wurden auf der Synode zu Valence 529 u. durch den römischen Bischof Bonifacius 530 bestätigt. Aber obgleich so äußerlich der Augustinische Lehrbegriff siegte, welcher bes. durch die Scholastiker seine weitere Fortbildung fand, wurde doch der milde Semipelagianismus immer mehr in der Römischen Kirche herrschend u. in Trient als Kirchenlehre anerkannt, u. erst die Reformatoren traten mit ihrem Dringen auf Gnade u. Glauben wieder entschieden gegen denselben auf, obschon Luther entschiedener als Melanchthon. Vgl. Geffcken, Hist, semipelagianismi, Gött. 1826; Wiggers, Geschichte des Semipelagianismus, Hamb. 4835.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 826.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: