Fall [1]

[89] Fall, 1) die Bewegung, in welcher alle Körper von geringerer Masse, in Folge der Anziehungskraft der Massen gegen den Mittelpunkt größerer Körper, mit einer der größeren Masse letzterer proportionirten Schnelligkeit getrieben werden, in so fern sie nicht durch Unterlage od. Befestigung, od. einen überlegenen Trieb zu einer anderweitigen Bewegung daran verhindert werden; bes. 2) die Bewegung, welche jeder freie Körper an der Erdoberfläche in Folge der Schwere, d.i. der Anziehungskraft der Erde, ausführt. Die von Galilei 1602 entdeckten, rücksichtlich der dabei vorkommenden besonderen Zahlenwerthe durch spätere genaue Versuche ergänzten Gesetze des freien Falles, d.h. der nur durch die Schwere herbeigeführten, durch nichts gehinderten Bewegung, sind: a) die Richtung eines fallenden Körpers heißt die senkrechte od. verticale, u. mehrere seitlich von einander entfernte Körper fallen in Richtungen, die zwar in geringen Abständen einander parallel scheinen, eigentlich aber nach der Mitte der Erde zu convergiren; b) die Geschwindigkeit, mit welcher mehrere Körper an einem u. demselben Ort, von gleicher Höhe aus, zur Erde fallen, ist eine allen gemein same, u. der Unterschied, den wir bemerken, indem specifisch leichtere, locker zusammengefügte Körper (z.B. eine Feder) langsamer zum Boden gelangen, als specifisch schwerere, dicht zusammengedrängte (z.B. ein Stein), rührt blos von dem Widersland der Luft her, die sie im Fall durchdringen müssen, u. welcher nach jenen Unterschieden auch ein relativ größerer od. kleinerer ist; c) die Bewegung eines fallenden Körpers ist eine gleichförmig beschleunigte, indem die unaufhörlich wirkende Kraft der Schwere wie eine unendlich große Anzahl nach unendlich kleinen u. unter einander gleichen Zeiträumen auf einander folgender Stöße sich denken läßt, welche in ihren Wirkungen sich zu einander addiren, so daß der Körper zu Ende des Falles seine relativ größte Geschwindigkeit (Endgeschwindigkeit) erlangt, in jedem Momente seiner Bewegung aber überhaupt die Geschwindigkeit der verflossenen Fallzeit proportional ist; d) der Raum, welchen ein frei fallender Körper innerhalb eines gewissen Zeitabschnittes durchfällt, läßt sich wegen der gleichförmigen Zunahme der Geschwindigkeit nach der mittleren Geschwindigkeit berechnen, welche ihm innerhalb dieses Zeitraumes zukam. Zu Anfang der ersten Secunde ist die Fallgeschwindigkeit gleich 0, zu Ende derselben bezeichne man sie durch g, dann ist sie nach dem unter c) angeführten Gesetze zu Ende der zweiten, dritten, ... Secunde gleich 2g, 3g_..; folglich ist sie innerhalb der ganzen ersten, zweiten, dritten, ... Secunde durchschnittlich 1/2g, 3/2g, 5/2g, ..., mithin sind die Räume, welche innerhalb dieser Zeitabschnitte nach einander zurückgelegt werden, den Zahlen 1, 3, 5,_... proportional, od. die Fallräume der einzelnen auf einander folgenden Secunden verhalten sich wie die ungeraden Zahlen; e) die ganzen Fallräume, vom Anfang der Bewegung an bis zu einem bestimmten Moment, findet man, indem man die Fallräume der auf einander folgenden Secunden addirt; nun sind aber die Summen der ungeraden Zahlen successive 1, 4, 9, 16,_...; daher das allgemeine Gesetz: die ganzen Fallräume, vom Anfang der Bewegung an gerechnet, verhalten sich wie die Quadrate der Fallzeiten; f) die Anfangsgeschwindigkeit des Falles beträgt in der 1. Secunde im Mittel 15 Par. Fuß, genau: 15,09568 (15,6241048 rheinl.) Fuß od. 4,9044 Meter. Sie ist für jeden Ort der Erde, nach seiner Entfernung von den Polen u. seiner Erhebung über die Meeresfläche, etwas abweichend, weil die Schwere durch den Umschwung der Erde um ihre Achse sich vermindert u. in dem Verhältniß der Entfernung der Körper von dem Mittelpunkt der Erde auch etwas (in umgekehrtem Verhältniß des Quadrates der Entfernung) abnimmt. Für den 30°15'52'' der geographischen Breite, als wohin der Halbmesser des Erdsphäroides fällt, beträgt der Fallraum der ersten Secunde 15,0778 Par. Fuß; bei ruhender Erde würde er 15,1127 Par. Fuß sein. Denn ein fallender Körper behält von dem Momente seines Falles an die Seitenbewegung, welche ihm wegen des Umschwunges der Erde ertheilt ist, wird also eigentlich von zwei Kräften getrieben. Diese Seitenbewegung steigt mit der Entfernung eines Körpers von der Erdachse. Körper, die von einer bedeutenden Höhe fallen, bringen daher auch einen etwas größeren Trieb zur Seitenbewegung mit zu dem Fall, weichen also im Fallen um etwas von der perpendiculären Linie, die durch das Senkblei bestimmt ist, u. zwar östlich ab, wie Benzenberg u. Reich durch ihre Fallversuche mit Kugeln, welche, von bedeutenden Höhen fallend, in der Mehrzahl eine etwas östliche Abweichung zeigten, dargethan haben. Wie auf der Erde alle schweren Körper[89] nach dem Mittelpunkt der Erde hinfallen, so werden sie auf anderen Himmelskörpern nach dem Mittelpunkt dieser letzteren gezogen, u. aus astronomischen Berechnungen über die Masse u. den Halbmesser eines jeden ergibt sich der Fallraum schwerer Körper in der Nähe des Sonnenkörpers, der Planeten u. des Mondes. So beträgt er, wenn der Fallraum auf der Erde zu 15,1 Fuß bestimmt wird, auf der Sonne 398,44 Fuß, auf dem Jupiter 40,3 Fuß, dagegen auf Venus 14,95, auf Saturn 15,94, auf Mercur 12,63, auf Uranus 12,7, auf Ceres nur 2,85, auf Juno 2,13, auf Vesta 0,73, auf Pallas 0,64, auf dem Mond 2,75 In größerer Entfernung von den Weltkörpern nimmt die Anziehungskraft, folglich auch der Fallraum allmählich ab u. zwar umgekehrt proportional den Quadraten der Entfernung; diese Bewegungen offenbaren sich in dem Umlauf der Himmelskörper um einander. Z. B. würde der Mond, welcher sich in einer Entfernung von circa 60 Erdhalbmessern vom Mittelpunkt der Erde befindet, in der ersten Secunde nur um den 3600. Theil von 15 Fuß sich der Erde nähern, also würde er erst in einer Minute 15 Fuß weit zur Erde fallen. Da ihm aber vermöge einer uranfänglichen Geschwindigkeit u. in Folge des Beharrungsvermögens in jedem Moment noch eine Seitenbewegung zukommt, so ergibt sich hieraus seine elliptische Bewegung um die Erde. Die Gesetze des freien Falles modificiren sich beim Fall auf vorgeschriebenen Wegen. So wächst beim Fall auf glatten, geraden Flächen, auf denen ein Körper herabgleitet (am besten als Kugel herabrollt), u. wenn Aufenthalt durch Reibung u. Widerstand der Luft außer Betracht bleibt, die Geschwindigkeit während des Falles zwar, wie beim freien Falle, aber ihre Anfangsgeschwindigkeit ist um so geringer, je mehr der Winkel der geneigten mit der Horizontallinie von einem rechten Winkel abweicht, denn die relative Schwere eines Körpers, vermöge welcher er auf einer schiefen Ebene herabfällt, verhält sich zu dessen absoluter Schwere, wie die Höhe der schiefen Fläche zu ihrer Länge. Für Bestimmung der Geschwindigkeit aber gilt hier das Gesetz: ein Körper fällt in jeder Sehne eines Halbkreises, für welchen die Verticallinie, in der er bei freiem Fall gefallen sein würde, den Durchmesser bildet, wenn die Sehne vom Anfangs- od. Endpunkte des Durchmessers nach einem Punkte des Halbkreises gezogen wird, in derselben Zeit, in welcher er durch die Verticallinie selbst gefallen sein würde; dies gilt sogar von der allerkleinsten (verschwindenden) Sehne, die man sich zum Endpunkt gezogen denken kann. Die Endgeschwindigkeit aber ist dieselbe, die er beim Fall in perpendiculärer Richtung von gleicher Höhe erlangt haben würde. Aber auch beim Fall auf krummen Flächen ist die Endgeschwindigkeit des fallenden Körpers dieselbe, als wenn er perpendiculär, od. auch durch die Sehne herabgelangt wäre. Wenn aber ein Viertel-Kreisbogen aufrecht gestellt ist, daß das obere Ende eine Verticallinie, das untere eine Horizontallinie berührt (zur Tangente hat), so gelangt ein Körper auf diesem Bogen durch den Fall in kürzerer Zeit, als auf der Sehne dieses Bogens, zum tiefsten Punkte; dies ist aber auch der Fall, wenn er auf kleineren Bogenstücken fällt, u. immer ist die Fallzeit eine kürzere, als auf der Sehne desselben Bogenstückes, u. mithin auch kürzer als die Zeit, innerhalb welcher er in verticaler Richtung durch den Durchmesser desselben Kreises gefallen sein würde. Das Verhältniß dieser beiden Zeiten ist aber mathematisch völlig genau nur bestimmbar, wenn der Fall durch einen unendlich kleinen Bogen gedacht wird, wo es dann das des Durchmessers zu 1/4 der Peripherie ist, was in Zahlen ausgedrückt ungefähr dem Verhältniß 1000_: 785 entspricht. In der Cykloide (s.d.) aber fällt ein Körper nicht nur durch jeden Bogen in gleicher Zeit, sondern auch in kürzerer Zeit, als auf jedem anderen vorgeschriebenen Wege. Diese Bestimmungen sind bes. für die Bewegung von Pendeln wichtig. Der Wurf ist bei seitlicher Richtung immer auch ein Fallen auf vorgeschriebenen Wegen, indem die Linie, in der sich der geworfene Körper bewegt, die einer Parabel ist. Ist im Fallen durch nachgiebige Mittelkörper (wie durch die Luft) der Schwerpunkt nicht (wie in einer Kugel von gleichmäßiger Masse) in der Mitte des Körpers, so wird der Körper im Fallen, wenn nicht der Schwerpunkt vom Anfang an in der Perpendicularlinie unter dem räumlichen Mittelpunkt des Körpers lag, diese Richtung unter dem Fallen zu erlangen streben, u. also, wenn er vorher oberhalb lag (wie der Körper eines fallenden Menschen) umschlagen. Spitzige u. keilartige Körper werden bei gleichförmiger Dichtigkeit immer in einer solchen Lage fallen, daß die Spitze od. Kante abwärts gewendet ist; Körper mit breiten u. schmalen Seiten, wie Breter, fallen schräg, weil sie da leichter die Luft durchschneiden, aber auch, weil der Schwerpunkt sie zum Umschlagen auf entgegengesetzter Seite treibt, schwankend von einer Seite zur andern, od. auch, wenn der Körper ein relativ leichter ist, wie ein Papierschnitzel, drehend, od., nach Verschiedenheit der Form in mannigfaltiger Weise spiralförmig sich drehend, u. von der geraden Linie abweichend, indem der Widerstand der Luft auf sie wie eine active Bewegungskraft wirkt. Das Fallen specifisch schwerer Körper in Wasser od. anderen tropfbaren Flüssigkeiten ist mehr ein Sinken, als ein Fallen, weil hier der Widerstand so groß ist, daß die Bewegung eben so, gleich vom Beginnen an, in ihrer Beschleunigung verzögert wird, wie z.B. beim Fallen von Staub od. ähnlichen ganz leichten Körpern dies auch in der Luft geschieht; 3) von Flüssigkeiten, so v.w. Sinken, niedriger Stand derselben, dem Steigen entgegengesetzt; so Fall des Quecksilbers od. Weingeistes in einer Barometer- od. Thermometerröhre; 4) Abfluß einer Flüssigkeit, von der Neigung der Fläche, über welche sie strömt, bedingt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 89-90.
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