Unendlichkeit

[159] Unendlichkeit, Verneinung des Endes. Während im Verkehr des gewöhnlichen Lebens häufig schon das als unendlich bezeichnet wird, was in Beziehung auf seine Menge, seinen Umfang od. irgend eine andere Eigenschaft als sehr groß erscheint, beruht der wissenschaftliche Begriff des Unendlichen auf der Einsicht, daß für eine Größe vermöge der Art, wie ihre Entstehung, ihre Zunahme u. Abnahme zu denken ist, ein abschließendes Endglied nicht gefunden werden kann. Dadurch entsteht der Begriff des Unendlich Großen u. Unendlich Kleinen, u. Raum, Zeit u. Zahl werden als Unendliche Größen, von denen jeder Theil selbst wieder unendlich theilbar ist, gedacht, weil in der begrifflichen Construction derselben kein Grund liegt, welcher dazu zwänge den Fortschritt derselben irgendwo abzubrechen od. irgend einen Theil derselben als den absolut kleinsten anzusehen. Das Zeichen des Unendlich Großen in der Mathematik ist ∞, das des Unendlich Kleinen 1/. Die Möglichkeit das Unendliche zum Gegenstand der Rechnung zu machen beruht darauf, daß zwar nicht die unendlichen Größen selbst (denn als unendlich sind sie unbestimmbar), aber die Abhängigkeit der Zunahme u. Abnahme einer Größe von der Zunahme od. Abnahme anderer genau bestimmt werden kann. Diese Untersuchung ist Gegenstand der Differential- u. Integralrechnung (s.d.). Während nun die Mathematik sich darauf beschränkt, das Unendliche als einen Größenbegriff zu betrachten u. zu benutzen, auf welchen sie bei ihren Constructionen geführt wird, ohne über die reelle Existenz des Unendlich Großen od. Unendlich Kleinen etwas zu behaupten, hat die philosophische Speculation für das Unendliche häufig die Bedeutung eines Reellen, wirklich Existirenden in Anspruch genommen; nach Vorgang der christlichen Religionsphilosophie, welche die U. für eine Eigenschaft Gottes erklärte, ohne dadurch[159] etwas Anderes bezeichnen zu wollen, als daß seine übrigen Eigenschaften (Gerechtigkeit, Weisheit, Güte etc.) jedes bestimmbare Maß überschreiten, erklärten Malebranche, Spinoza, Leibnitz u. der neuere deutsche Pantheismus das Unendliche für das Absolute u. das Endliche entweder für die Einschränkung od. für die Selbstdarstellung desselben in der immer fortgehenden Reihe des Werdens. Namentlich bezeichnete Hegel das mathematische Unendliche als schlechte U., während die wahre U. der der Idee vermöge ihrer immanenten Dialektik inwohnende Proceß der Selbstdarstellung u. Selbstentwickelung sein sollte, vermöge deren jedes bestimmte u. somit endliche Moment ihrer Entwickelung sein Gegentheil aus sich erzeuge u. somit seine eigene Endlichkeit aufhebe.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 159-160.
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