Levantetarife

[103] Levantetarife, direkte Tarife, zu denen Güter unter Benutzung des Eisenbahn- und Seeweges nach den levantinischen, den Balkanhäfen und teilweise auch den russischen Häfen des Schwarzen Meeres versendet werden. Die L. gehören zu den sog. Durchtarifen, die nach dem Vorgang der direkten Tarife im reinen Eisenbahnverkehr im Verkehr über die kombinierten Bahn- und Wasserwege, d.h. Seewege geschaffen worden sind. Die Einfügung der Schiffsfrachten in ein Eisenbahntarifsystem hat große Schwierigkeiten: Dort schreibt der freie Wettbewerb und das Preisgesetz aus Angebot und Nachfrage die Höhe der Frachten im allgemeinen vor; sie sind von den verschiedenartigsten Umständen beeinflußt und äußerst beweglich; hier hat man feste, allgemein bekannte, gehörig veröffentlichte, ohne Würdigung aller an ihnen interessierter Kreise schwer veränderliche Frachtsätze. Wer sich des freien Wettbewerbs begeben will, muß sich Beschränkungen auferlegen. Deswegen ist die Schaffung direkter Tarife im Eisenbahnseeverkehr an ganz bestimmte Voraussetzungen geknüpft, in deren Ermanglung billigerweise der Schiffsgesellschaft das Opfer des Verzichtes auf die freie Gestaltung ihrer Tarife nicht gut zugemutet werden kann. Das Verkehrsgebiet, das von den Tarifen erfaßt wird, muß ein möglichst großes, dem Export dienendes Revier sein, damit es in Ermanglung eines direkten, jedenfalls aber leistungsfähigen Bahntarifs dem Reeder genügend Gut zuführen kann. Die Seefrachten müssen eine gewisse Beständigkeit zeigen, indem ihre Höhe unter Berücksichtigung des Wettbewerbs festgestellt und alle Nebenspesen, wenn irgend angängig, nach den Selbstkosten berechnet sind. Die erfolgreiche Einrichtung eines solchen direkten [103] Tarifs legt aber dem Reeder noch die weitere Verpflichtung auf, in einem bestimmten Fahrplan zu fahren, d.h. nur die Linienschiffahrt ist für die Schaffung eines direkten Tarifs geeignet. Es ist klar, daß diese Einrichtung den Verzicht auf die Ausnutzung der Konjunktur in sich schließt. Restlos kann natürlich dieser Verzicht nicht sein. Bei der Einrechnung ihrer Anteile in die direkten Tarife wird die Schiffsgesellschaft berücksichtigen können und müssen, daß das Fallen und Steigen der Seefrachten im allgemeinen offenen Verkehr für sie Vorteile oder Nachteile mit sich bringen muß. Ob hier im Laufe der Jahre ein Ausgleich eintritt, ist bei der steigenden Tendenz der Selbstkosten, die sich auf allen Wirtschaftsgebieten feststellen läßt, zweifelhaft; deswegen ist es billig, daß die Eisenbahn – natürlich nur für den direkten Verkehr – ihrerseits ermäßigte Frachtanteile zur Verfügung stellt, die aber nur soweit gehen, daß sie die Schwankungen der Seefrachtraten einigermaßen ausgleichen. Auch ist es gerechtfertigt, daß bei der Frachtverteilung die Prämien für die von der Reederei besorgte Wertversicherung, der Polizzenstempel, die Inkassoprovision, die Gebühren für Deklaration der Sendungen in den Verschiffungshäfen und Portoauslagen, sowie die Stempelgebühr für Schiffsfrachturkunden (Konnossements) der Reederei ganz zufallen. Bei solcher Gestaltung des Tarifs wird seine Änderung nur bei ganz zwingendem Nachweis der Unauskömmlichkeit seiner Sätze erforderlich werden. Mit dieser Einschränkung wird tatsächlich beim Durchtarif der freie Wettbewerb hinsichtlich der Frachtenhöhe ausgeschaltet. Wenn aber die Schiffsgesellschaft mit den übrigen am gleichen Verkehr beteiligten Reedereien erfolgreich konkurrieren will, dann wird sie auch auf Fahrten von möglichst kurzer Dauer bedacht sein müssen. Denn die Kürze der Beförderungszeit eines Gutes spielt für die Gewinnung des Transports neben der Höhe der Fracht neuerdings wohl die wesentlichste Rolle. Können aber alle diese Vorzüge als vorhanden festgestellt werden, dann wird der Erfolg nicht ausbleiben, denn der direkte Tarif gibt dem Interessenten den Vorteil, bei dem Abschluß seiner Geschäfte mit festen Frachten jederzeit rechnen zu können, er bedarf nicht mehr des Spediteurs, er kann langfristige Verträge tätigen, er kann sich des Frankogeschäfts im Gegensatze zum Cifgeschäft bedienen, das im internationalen Verkehr sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Gerade das Schwanken der Beförderungspreise hindert den Interessenten vielfach an der erfolgreichen Aufnahme des Wettbewerbs, zumal geringere Verbilligungen der Frachten nicht ihm, sondern dem Spediteur zu gute kommen.

Diese Vorteile haben im Laufe der Jahre die Einrichtung solcher direkter Tarife als segensreich empfinden lassen. Die Ausfuhr hat sich unter ihnen nicht unbedeutend gehoben. Die Angriffe gegen sie sind allmählich zu rein theoretischen verblaßt. Ihre Beschränkung auf den Verkehr mit bestimmten eigennationalen Gesellschaften ist ein gutes Recht des Staates, das nicht anders als die staatliche Subvention einzelner Linien zu beurteilen ist. Auch die Schädigung des Kommissions- und Speditionshandels kann nicht zu ernst genommen werden. Niemand wird diesen Erwerbszweigen die wirtschaftliche Berechtigung absprechen, in vielen Fällen wird man ihre Organisationen als fruchtbringende Einrichtungen anerkennen müssen. Anderseits können sie nicht beanspruchen, daß der Interessent sich ihrer auch dann zu bedienen gezwungen werden soll, wenn er findet, daß durch Einrichtungen anderer Art, mögen diese auf dem Gebiete der Handelsgewohnheiten oder der Verkehrseinrichtungen liegen, seine Geschäfte vorteilhafter auch ohne dessen Hilfe abwickeln kann.

Derartige Durchtarife sind namentlich in Ländern mit alter Handelsschiffahrt und ausgeprägtem Privatbahnsystem (z.B. in Frankreich) nichts Seltenes. Auch im Verkehr über Binnenwasserstraßen gibt es Durchtarife, z.B. im Donauumschlagsverkehr über Regensburg, Passau und Deggendorf. Als eigentliche L. sind folgende zu erwähnen:

I. Deutschland. L. über Hamburg seewärts von Stationen der deutschen Staatsbahnen und einiger wichtiger Privatbahnen nach den Anlaufhäfen der deutschen Levantelinie zu Hamburg, nämlich: Alexandrette, Alexandrien, Algier, Batum, Beirut, Braila, Burgas, Constantza, Dedeagatsch, Galata, Haidar Pascha, Jaffa, Konstantinopel, Malta, Marinpol, Mersina, Odessa, Oran, Piräus, Salonik, Samsun, Smyrna, Syra, Taganrog, Trapezunt, Tripolis, Tunis und Varna und L. über Bremen seewärts im wesentlichen in denselben Verkehrsbeziehungen, mit Ausnahme der Hafenplätze Algier, Marinpol, Oran, Syra, Taganrog, Tripolis und Tunis. Der Schiffsverkehr wird hier von der Bremer Dampferlinie Atlas m. b. H. in Bremen vermittelt.


Für die Beförderung auf den deutschen Bahnen gilt die Eisenbahnverkehrsordnung nebst den allgemeinen Zusatzbestimmungen und dem Nebengebührentarif im Eisenbahn-Gütertarif Teil I, durch die Levante- oder Atlaslinie besondere Konnossementsbedingungen; daneben entscheiden die Bestimmungen des Tarifs. Insbesondere ist hervorzuheben, daß die Abfahrtstage der Dampfer ab Hamburg und Bremen[104] und die anzulaufenden Häfen regelmäßig von der Reederei veröffentlicht werden. Jede Sendung muß von zwei gleichlautenden Frachtbriefen, deren Adresse an eine bestimmte Person oder Firma, an »Order« oder an »Order Levantehäfen« zu lauten hat, begleitet sein.

Als Empfangshäfen (Ablieferungshäfen) dürfen nur Verbandshäfen oder sogenannte bestimmt bezeichnete Anlaufhäfen in den Frachtbrief eingetragen werden. Die Zahlung der Beförderungskosten kann nach Wahl der Absender entweder bei Aufgabe der Güter an die Versandstation oder am Bestimmungsorte geschehen. Sofern von dem Absender nicht ausdrücklich anderes vorgeschrieben wird, ist unter »frei« die Fracht einschließlich der Zuschläge und Prämien für Wert- und Lieferungsdeklaration, sowie aller Nebenkosten, die auf der Absendestation zur Berechnung kommen, die etwa zu erhebende Nachnahmeprovision, die Reichsstempelabgabe, die Gebühren für Deklaration und Portoauslagen inbegriffen, zu verstehen. Sendungen an »Order Levantehäfen«, sowie die Güter, bei denen dies in der Güterklassifikation vermerkt ist, ferner Sendungen nach russischen Nichtanlaufhäfen werden nur gegen Vorausbezahlung der Fracht und der Nebengebühren angenommen. Erstere Sendungen bilden die Regel. Sendungen von Nichtverbandstationen treten durch Umkartierung auf der in der Richtung nach Hamburg oder Bremen zunächst gelegenen Verbandstation in diesen direkten Verkehr ein.

Der Tarif unterscheidet 12 Tarifierungsklassen, die die Unterabteilungen a) für Stückgut (Sendungen unter 5000 kg), b) für Wagenladungen (Sendungen unter 10.000 kg, jedoch von mindestens 5000 kg), c) für Wagenladungen (Ladungen von mindestens 10.000 kg) enthalten. In den Frachtsätzen sind einbegriffen:

a) die Fracht für die Eisenbahnbeförderung nach Hamburg und Bremen,

b) die Gebühr für die Entladung der Sendungen aus dem Eisenbahnwagen,

c) Vermittlungsgebühren in Hamburg-Bremen (Ausfertigung der Konnossemente, freie Lagerung der Güter bis zur nächsten Dampferfahrt, Überführung der Güter an Bord des Seeschiffes),

d) die Seefracht bis zum Bestimmungshafen.

Zur besonderen Berechnung kommen folgende Spesen:

a) Zuschläge für Interessedeklaration, sowie die Versicherungsprämien und Reichsstempelabgabe;

b) Kosten für etwa notwendig gewordene Reparaturen der Ware,

c) Nebengebühren der Versandstation, Krangeld in Hamburg-Bremen und Löschungskosten für Frachtstücke über 1500 kg,

d) Lagergeld in Hamburg-Bremen unter bestimmten Umständen,

e) Kosten für die Abnahme der Güter von Schiffsseite in den Empfangshäfen,

f) Gebühren für behördliche Zeugnisse und Bescheinigungen,

g) Zollabfertigungskosten, Deklarationskosten, Portoauslagen und Konnossementsstempelgebühr.

Die Tariftabellen enthalten bestimmte in Gruppen zusammengefaßte Eisenbahnversandstationen. Die Berechnung der Frachtsätze erfolgt unter Zugrundelegung der Entfernungen der wichtigsten Station der Gruppe oder der mittleren Entfernung. Das gleiche gilt hinsichtlich der hauptsächlichsten Empfangshäfen, nach anderen werden bestimmte Zuschläge erhoben.

Besondere Ausnahmetarife sind geschaffen für Eisen und Stahl, Sprit, Spiritus, Zucker aller Art, Stäbe aus Holz, Porzellan, verpackt und Braunkohlenbriketts (auch Darrsteine und Naßpreßsteine).

Für die Weiterbeförderung der Sendungen nach Nichtanlaufhäfen der Levante- und Atlaslinie gelten besondere Bestimmungen.


II. Österreichisch-Ungarischer Levanteverkehr über Triest und Fiume seewärts nach Argostoli, Braila, Burgas, Candia, Canea, Cavalla, Cerigo, Cesmé, Chios, Constantza, Corfu, Dardanellen, Dedeagatsch, Galata, Gallipoli, Haidar Pascha, Kalamata, Konstantinopel, Lagos, Mytilene, Odessa, Patras, Piräus, Rethymno, Rodosto, Salonik, Samos, Santi Quaranta, Smyrna, Sulina, Syra, Varna, Volo, Zantos, Alexandrette, Alexandrien, Batum, Beirut, Caifa, Jaffa, Ineboli, Kevasounda, Larnaka, Limasol, Mersina, Nicolajeff, Port Said, Rize, Samsun, Trapezunt, Tripolis.

Die Tarife behandeln die Ausfuhr aus Österreich, Ungarn, Sachsen und Süddeutschland und sind zwischen den an diesem Verkehr beteiligten Eisenbahnverwaltungen und der Dampfschiffahrtsgesellschaft des Österreichischen Lloyd geschaffen. Neuerdings ist auch für die Ausfuhr aus Österreich und Ungarn die Ungarisch-Kroatische Seedampfschiffahrts-Aktiengesellschaft als Beförderungsanstalt in den Tarif aufgenommen.


Die allgemeinen Bestimmungen und die Tarifvorschriften gleichen im wesentlichen denen der deutschen Levantetarife. Hervorzuheben ist, daß jede Sendung von einem Frachtbrief begleitet sein muß, der entweder direkt an den Empfänger am Bestimmungsorte oder an »Order« zu adressieren ist. Nach Vereinbarung mit dem Österreichischen Lloyd oder Ungarisch-Kroatischen Seedampfschiffahrtsgesellschaft darf der Frachtbrief auch auf den Namen einer dieser Reedereien in dem betreffenden Bestimmungshafen lauten. Lautet die Frachtbriefadresse an »Order«, so ist darunter die Order des Absenders zu verstehen; dieser hat durch Indossament des Konnossements den wirklichen Bezieher zur Empfangnahme der Güter als berechtigt auszuweisen. Bei Sendungen an »Order« besteht ebenfalls Frankaturzwang. Eine Besonderheit ist auch, daß der Tarif im Rückvergütungswege auf solche Sendungen Anwendung findet, die in Triest oder Fiume binnen 12 Monaten ganz oder teilweise zur Reexpedition gelangen.

Eine große Anzahl von Ausnahmetarifen erleichtern die Ausfuhr in allen Verkehren.

E. Grunow.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 103-105.
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