[13] [13] Aehnlichkeit. (Schöne Künste überhaupt)
Die Würkung sowol ganzer Werke der schönen Künste, als einzeler Theile derselben, kommt gar ofte von der Aehnlichkeit her. Von ihr kommt das Vergnügen, das ein durch Kunst nachgeahmter Gegenstand erwekt; ihr hat man ofte die große Würkung einiger Vorstellungen der Beredsamkeit und Dichtkunst zu zuschreiben. Sowol die Annehmlichkeit als die Kraft der aesopischen Fabel, des Gleichnißes, der Bilder, der Allegorie, der Metapher, haben in der Würkung der Aehnlichkeit ihren Grund. Es gehört also zur Theorie der schönen Künste, daß dieser Gegenstand genau untersucht werde.
Daß die bloße Bemerkung der Aehnlichkeit uns angenehm sey, erkennen wir aus dem Vergnügen, welches solche Nachahmungen erweken, deren Urbilder wir nicht gerne sehen. Wir ergetzen uns, sagt Plutarchus1, an einer gemahlten Eydechse, an einem Affen, oder gar wol an dem Gesicht eines Thersites, nicht der Schönheit, sondern der Aehnlichkeit halber. Man betrachtet manches gemahlte Bild mit großem Vergnügen, von deßen Urbild man die Augen wegwenden würde, so bald man es erbliket. Wollte man dagegen einwenden, daß das Vergnügen in den angeführten Fällen nicht von der Bemerkung der Aehnlichkeit herkomme, da es auch bey gut gemahlten Bildern statt hat, deren Urbilder man nicht kennet, und also die Aehnlichkeit nicht bemerken kann; so wird eine nähere Ueberlegung der Sache diesen Einwurf bald heben. Wenn wir gleich die Person, deren Bild wir betrachten, nicht kennen, so entdeken wir doch in diesem einen Charakter, ein Leben, eine Seele, ein Temperament, dergleichen wir an lebenden Menschen bemerkt haben; mithin eine Aehnlichkeit mit einem würklichen Menschen, wiewol wir ihn nicht kennen. Eine von de Heem gemahlte Frucht oder Blume, die man niemal in der Natur gesehen, zeiget ein vegetabilisches Leben, in völliger Aehnlichkeit mit dem Leben andrer uns bekanten Blumen. Es ist die Bemerkung dieser Aehnlichkeit die uns gefällt.
Es haben einige Kunstrichter geglaubt, daß das Vergnügen aus der Bemerkung der Aehnlichkeit von der Bewunderung der Kunst herrühre. Allerdings macht die Betrachtung der Kunst an sich selbst auch Vergnügen, (S. ⇒ Künstlich.) aber in den bemeldten Fallen ist noch ein Ergetzen da, welches mit diesem nichts gemein hat. Wir finden ja einen Gefallen an Aehnlichkeiten, die von keiner Kunst herrühren; an einem Florentinischen Marmor, der eine Landschaft vorstellt, an einer Blume, welche große Aehnlichkeit mit einer Fliege hat2 und an vielen andern Dingen dieser Art.
Demnach ist die bloße Bemerkung der Aehnlichkeit, ohne alle Rücksicht auf die Kunst, wodurch sie entstanden ist, eine Ursache des Vergnügens. Es ist auch nicht schweer zu zeigen, wie es entsteht. Wir sehen zwey ihrer Natur nach verschiedene Dinge, einen würklichen Körper, und eine flach ausgespannte Leinwand mit Farben bedekt. Die Natur des einen scheinet der Natur des andern entgegen zu seyn. Dennoch entdeken wir in beyden so viel einerley, daß das eine eben die Empfindungen in dem Auge erwekt, als das andre. Dieses einerley bey sogar ungleichen Dingen, muß also nothwendig auf sehr ungleiche Weise entstehen. Der Geist stellt sich, wiewol ganz dunkel, zwey Quellen oder Ursachen vor, deren Naturen einander entgegen sind, die aber einerley Würkungen hervorbringen. Dieses ist uns etwas unerwartetes; zwey ihrer Natur nach ganz verschiedene Einheiten, kommen in eben demselben manigfaltigen überein. Höhen und Tiefen auf einer Fläche, so gut als an einem würklichen Körper, ein Leben und eine Seele in einem Stein, dies muß uns nothwendig in eine angenehme Bewunderung setzen. Selbst das große Geheimnis von dem Reiz der Schönheit scheinet mir daher erklärbar, daß wir die Vollkommenheit eines Geistes in der Materie erbliken3. Außer diesem unterhält die Bemerkung der Aehnlichkeit den Geist in der Würksamkeit welche allemal nothwendig von der angenehmen Empfindung begleitet wird4. Eine beständige Vergleichung aller Theile zweyer Gegenstände, und Bemerkung ihrer Uebereinstimmung unterhält diese Würksamkeit.
Die Wahrheit dieser Anmerkungen wird durch Betrachtung einiger besonderer Fälle bestätiget, da die höchste Aehnlichkeit nur wenig Vergnügen erwekt. Nichts ist ähnlicher, als die Wachsabgüße von würklich lebenden Personen; dennoch gefallen sie unendlich weniger als gut gemahlte Porträte. [14] Der Abguß ist ein würklicher Körper, und demnach fällt die Bewunderung der Uebereinstimmung weg. Daß einerley Gegenstände einerley Würkung in dem Auge hervorbringen, hat nichts außerordentliches. Wir verwundern uns nicht darüber, daß ein weißglüendes und also brennendes Eisen, Licht von sich streut, so wie die Flamme; beydes kommt vom Feuer her. Aber wenn wir dieselbe Würkung von einem kalten Körper, wie der Phosphorus ist, sehen, so empfinden wir darüber eine angenehme Bewunderung. Das reizende der Aehnlichkeit kommt von der entgegen gesetzten Natur der Dinge her, darin man sie bemerket.
Warum bewundern wir die Aehnlichkeit der Bilder im Spiegel so gar nicht, da sie doch so ganz vollkommen ist? Wir halten das Bild im Spiegel für einen eben so würklichen Gegenstand, als das Urbild ist. Ein dunkeles Gefühl, daß es eben daßelbe sey, überhebt uns sogleich aller Vergleichung beyder Gegenstände. Wir beschäftigen uns so wenig damit, als mit der Vergleichung der Bilder in einem vielseitigen Spiegel. Wir nehmen es für ausgemacht an, daß in dem einen nicht seyn könne, als was in allen andern ist. Daher ist dieses kein Gegenstand unsers Nachdenkens.
Diese deutliche Entwiklung der Art, wie die Bemerkung der Aehnlichkeit das Vergnügen hervorbringt, setzet uns in Stande, den Werth der Nachahmungen in den Künsten zu bestimmen und den Künstlern ein Geheimnis zu entdeken. Je entfernter das nachgeahmte Bild seiner Natur nach von dem Urbild ist, je lebhafter rührt die Aehnlichkeit. Dieses ist eine Anmerkung, deren sich die Künstler, und vorzüglich Redner und Dichter mit dem größten Nutzen bedienen können. Wenn sie Aehnlichkeiten darstellen können, die ganz ausser der Natur ihrer Bilder liegen, und ihr so gar zu widersprechen scheinen, so werden sie den höchsten Beyfall erhalten. Der Maler befleisse sich nicht nur die Gestallt und die Farben, das Licht und die Schatten seines Urbildes zu erreichen; man begreift bald, wie diese körperliche Dinge auch auf einer Fläche zu erhalten sind: er wende den äußersten Fleis auf die Darstellung solcher Sachen an, welche über die Würkung der Farben zu gehen scheinen: er mache Dinge sichtbar, die nicht für das Auge gemacht scheinen, die Wärme und Kälte, das Harte und Weiche, das Leben und den Geist. Dadurch wird er uns in Bewunderung setzen.
Dieses ist in allen Nachahmungen das höchste. In der Musik ist es nichts außerordentliches, daß man die Höhe und Tiefe, die Geschwindigkeit und Langsamkeit der Rede nachahmet. Daß man aber den Tönen Eigenschaften geben kann, welche der tönende Körper, die Flöte oder die Sayte nicht haben kann, daß sie zärtlich seufzet, wollüstig schmachtet, oder vor Schmerzen stöhnet, dieses rührt uns bis zum Entzüken. Eben so sehr gefället es uns, wenn es dem Tonsetzer gelingt, durch bloße ungebildete Töne eine Art vernehmlicher Sprache hervorzubringen, daß wir glauben eine empfindungsvolle Rede zu vernehmen. Daß man aber durch Töne das Rauschen der Gewässer, oder das Rollen des Donners nachmachen kann, ist eine ganz gleichgültige Sache. Beydes ist eine Würkung der Töne.
In den Bildern der Sprache und in den Gleichnissen kommt ein großer Theil des Vergnügens von dem weiten Abstand des Bildes von seinem Urbilde her. Wer in der Natur einer Pflanze richtige Aehnlichkeiten mit moralischen Gegenständen entdeket, der hat etwas feineres bemerket, als der, welcher dasselbe in einem Thier bemerket hat. Das kleine Bild beym Virgil
Tum victu revocant vires, fusique per herbam
Implentur veteris Bacchi - - -5
ist sehr reizend. Es entdekt uns eine gar unerwartete Aehnlichkeit zwischen einem festen und einem flüßigen Körper. Die müden Glieder der Männer von Troja fließen wie Wasser auf das Gras hin. Dergleichen Beywörter, welche sehr entfernte Aehnlichkeiten entdeken, geben der Rede eine große Lebhaftigkeit, und eben dieses Leben bekommen die metaphorischen Ausdrüke von dieser Art. Die Franzosen sagen: fondre sur l'ennemi, auf den Feind hinfließen, wie ein gewaltiger Strohm.
Aus eben diesem Grunde gefallen die Fabeln, worin die handelnden Personen Thiere sind, beßer, als die Menschlichen; denn die Aehnlichkeit zwischen Thieren und Menschen ist entfernter, als zwischen Menschen und Menschen. Ein Gleichniß gefällt mehr, als ein Beyspiel, und ein Gleichniß von sehr entfernten Gegenständen mehr, als eins von nahen. [15] Dieses aber ist nicht so zu verstehen, daß die Aehnlichkeiten selbst entfernt seyn müßen. Denn je genauer diese in beyden Gegenständen übereinstimmen, je größer ist die Würkung. Alles weit hergeholte und gezwungene vermindert oder zernichtet sogar das Vergnügen, welches man uns durch Entdekung der Aehnlichkeit machen will. Es ist auch sehr nothwendig, daß die Redner und Dichter in der Wahl der Bilder, der Gleichniße und Allegorien, deren wesentliche Vollkommenheit in der Aehnlichkeit besteht, die Vorsichtigkeit brauchen, das Bekantere dem Unbekanten vorzuziehen. Je genauer der Leser den Gegenstand, den man ihm vorlegt, kennt, je lebhafter fühlt er die Aehnlichkeit. Unwissenden Lesern muß man bekante Bilder vorlegen. Denn die Kürze, die dabey allemal nöthig ist, erlaubet nicht, daß man alle kleinen Umstände beschreibe. Diese müßen bekannt seyn. Homer hat alle seine Bilder und Gleichniße von sehr bekanten Dingen genommen, weil er für das ganze Volk schrieb. Horaz wählt die seinige aus der griechischen und römischen Geschichte, aus der Fabel und aus mancherley besondern Gewohnheiten seiner Zeit, die nur einem gelehrten Leser bekant sind. Die beste Uebersetzung könnte von keinem Ungelehrten verstanden werden.
Will der Redner oder der Dichter durch Aehnlichkeit lebhafte Vorstellungen erweken; so bedenke er sorgfältig, daß er seinen Zwek desto beßer erreicht, je schneller und genauer die Aehnlichkeit erkennt wird. Mithin muß er in der Wahl der Bilder allemal auf diese drey Dinge Achtung geben. Auf das Entfernte und Unerwartete des Gegenstandes, auf die Menge der einzeln Aehnlichkeiten, und auf die schnelle Erkenntniß derselben.
Es ist eine nützliche Beschäftigung für jeden Künstler, auf Gegenstände, die in diesen drey Absichten ihm dienen können, fleißig Achtung zu geben, keine Gelegenheit vorbey zu lassen. Die Eigenschaften natürlicher Dinge, der Mineralien, der Pflanzen und der Thiere wol zu erforschen, und das ähnliche mit moralischen Gegenständen, das darin liegen möchte, als richtige Entdekungen zum künftigen Gebrauch zu verwahren. S. ⇒ Nachahmung, ⇒ Bild, ⇒ Gleichniß, ⇒ Metapher, ⇒ Allegorie, ⇒ Sinnbild.
So wie das Aehnliche eine Quelle der Schönheiten ist, so ist es auch eine Quelle des Frostigen, wenn die Aehnlichkeiten erzwungen werden. Hingegen erweken feine Aehnlichkeiten, die zugleich etwas ungereimtes enthalten, wenn sie aus Scherz zusammen gebracht werden, die lustige Art des Lachens. Hiervon werden wir in dem Artikel ⇒ Lächerlich ausführlicher sprechen.
Den wichtigsten Vortheil von der Aehnlichkeit ziehen die redenden Künste. Vorstellungen, die unmittelbar fast gar nicht, oder wenigstens nicht ohne grosse Weitläuftigkeit zu erweken wären, sind dadurch leicht hervorzubringen. Durch die Aehnlichkeit kann ein ganzer Gemüthszustand, eine verwikelte Situation, eine weitläuftige Vorstellung, überaus kurz ausgedrukt werden. Einen höchstwichtigen Nutzen hat die Bemerkung der Aehnlichkeit für die zeichnenden Künste, in Absicht auf die Allegorie, wovon an seinem Orte besonders gehandelt wird.
Die Entdekung der Aehnlichkeit, die nach Wolff das ist, was man den Wiz nennt, ist demnach einer der wichtigen Talente der Künstler, da sie so große Vortheile aus der Aehnlichkeit ziehen können. (S. ⇒ Wiz.)
1 | In der Abhandlung, wie man die Dichter lesen soll. |
2 | Orchis muscam referens. |
3 | S. ⇒ Schönheit. |
4 | S. Theorie der angenehmen und unangenehmen Empfindungen. |
5 | Æn. l. 214. |
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