[213] Comödie. (Redende Künste)
Wenn man weder auf die ursprüngliche Beschaffenheit der griechischen Comödie, noch auf irgend eine besondere Form der gegenwärtigen sieht, sondern den Begriff derselben so allgemein macht, als er seyn kann, ohne aus seiner besondern Gattung zu treten; so kann man sagen: die Comödie sey die Vorstellung einer Handlung, die, sowol durch die dabey vorkommenden Vorfälle, als durch die Charaktere, Sitten und das Betragen der dabey intereßirten Personen, die Zuschauer auf eine belustigende und lehrreiche Weise unterhält. Daß sie, wie so oft gesagt wird, blos die Absicht habe, die Thorheiten der Menschen lächerlich zu machen, ist weder von der alten noch von der heutigen Comödie wahr. Es giebt sehr gute Comödien, die zwar sehr belustigen, darin aber keine Thorheit, in der Absicht sie lächerlich zu machen, vorgestellt wird. In vielen Stüken des Plautus liegt das hier und da vorkommende Lächerliche mehr in den comischen, bisweilen übertriebenen Einfällen des Dichters, als in der Sache selbst: und wenn wir alles Belustigende und Ergötzende in den Comödien des Terentius auszeichnen wollten, so würde sich finden, daß dieser fürtrefliche Comödienschreiber sehr selten dabey die Absicht gehabt hat, Thorheiten lächerlich zu machen. Dieses kann eine der Absichten seyn: und ofte hat die Comödie die Zuschauer auf Unkosten der Thoren oder andrer Personen, die der Verfasser gehaßt hat, lachen gemacht; nur geschieht dieses nicht in jeder guten Comödie.
– Non satis est risu diducere rictum
Auditoris: & est quaedam tamen hic quoque Virtus.1
Jede auf der Schaubühne vorgestellte Handlung, die Personen von Verstand und Geschmak angenehm unterhält, ohne sie in starke ernsthafte Leidenschaften zu setzen, und das Gemüth durch heftige Empfindungen hinzureissen, ist eine gute Comödie. Je feiner und geistreicher aber, und je lehrreicher zugleich dieses geschieht, desto grösser ist der Werth derselben für Zuschauer von feinem Geschmak.
[213] Will man also den Charakter und die Beschaffenheit der Comödie näher bestimmen, so därf man nur mit einiger Aufmerksamkeit untersuchen, was uns in den Handlungen, in den Sitten, in den Charakteren und dem Betragen der Menschen auf eine lehrreiche Art unterhält, und, ohne den Grund des Herzens aufzurühren, interessant ist.
Aristoteles giebt von der Comödie einen Begriff, der dem, was sie zu seiner Zeit war, angemessen ist. Er setzt ihr Wesen in der Vorstellung dessen, was in dem Charakter und in den Handlungen der Menschen ungereimt, tadelhaft und verkehrt ist. Wir setzen es in der Abbildung dessen, was das menschliche Leben, was die Charaktere, die Sitten, die Handlungen ergözendes und unterhaltendes haben. Wir haben hinlängliche Erfahrung, daß vernünftige und tugendhafte Handlungen, natürliche Sitten, Charaktere, in denen nichts ungereimtes, nichts verkehrtes ist, uns sehr vergnügen können; und wir sehen, daß schon die römische Comödie sich dieses edlern Stoffes bedienet hat. Die sittliche Welt hat mehrere Seiten, von denen wir sie mit Vergnügen ansehen. Selbst die blos thierische Natur hat in Handlungen und Sitten schon etwas ergözendes für uns: warum sollte es nicht weit mehr interessant für uns seyn, Menschen bey den so mannigfaltigen Vorfallenheiten des Lebens handeln zu sehen? Jedes sittliche Gemählde, das uns Menschen nach ihren wahren Charakteren zeiget, jede Scene des Lebens, wobey wir die Empfindungen, Gedanken, Anschläge, Unternehmungen der Menschen ruhig beobachten können, ist für einen nachdenkenden Zuschauer ein ergözender Anblik. Warum wollten wir dem Mahler der Sitten verbieten, uns andre, als lächerliche Scenen vorzulegen? Warum sollten wir die liebenswürdige und die vernünftige Seite des Menschen mit weniger Lust sehen, als die verkehrte und ungereimte?
Es kann von ungemeinem Nutzen seyn, wenn man uns die Thorheiten der Menschen in ihrem wahren Lichte zeiget;2 sollte es aber weniger nützlich seyn, uns durch Beyspiele von vernünftigem Betragen, von edler Sinnesart, von Rechtschaffenheit, von jeder im täglichen Leben nöthigen Tugend so zu rühren, daß wir dauerhafte Eindrüke davon behielten? Man kann unmöglich befürchten, daß das Schöne und Gute weniger Eindruk zum Vergnügen mache, als das Lächerliche, da wir sehen, daß selbst Plautus und Moliere nirgend fürtreflicher sind, als wo sie ernsthaft gewesen. Man lasse also der spottenden und lachenden Comödie ihren Werth, und behalte die Schaubühne auch für diejenige offen, die ohne Lachen, durch edlere Gemählde ergözet, die uns die menschliche Natur auf der schönen und anmuthigen Seite zeiget.
Auch lasse sich niemand durch die Besorgniß einiger Kunstrichter, daß durch die edlere Comödie die Schranken zwischen dem tragischen und dem comischen weggenommen werden und zweydeutige Mittelarten entstehen, die man weder zur Comödie noch Tragödie rechnen könne, irre machen. Die Natur kennt solche Schranken nicht. So wenig man uns sagen kann, wo das Hohe sich von dem Niedrigen, das Grosse von dem Kleinen trennt, oder auf welcher Stelle das Lied an die Ode, oder die Ode an das Lied gränzet, so wenig hat die Critik das Recht nach den Gränzen zwischen der Comödie und der Tragödie zu fragen. Sie sind nicht in dem Wesen, sondern in Graden unterschieden.
Die Grundregel, die der comische Dichter beständig vor Augen haben muß, ist nicht die, nach welcher Aristophanes sich allein scheint gerichtet zu haben: Spotte und erweke Verachtung und Gelächter; sondern diese: Mahle Sitten und zeichne Charaktere, die für denkende und empfindende Menschen interessant sind. Dem zufolge wird er über die Sitten der Menschen in allen Ständen genaue Beobachtungen anstellen, um sie mit Wahrheit und Lebhaftigkeit abzubilden. Was er darin tadelhaft findet, wird er durch feinen Spott zu bessern suchen, was er schön und edel bemerkt, wird er in einem reizenden Lichte zeigen, und wir werden durch seine Gemählde empfinden lernen, was in den Sitten frey, schön, edel, groß, und was darin ungereimt, gezwungen, sclavisch, niedrig und lächerlich ist. Wir werden unsre Zeitgenossen, und jeder sich selbst in einem Lichte sehen, das uns verstattet, ein unpartheyisches Urtheil über unsre Sitten zu fällen. Er wird sich ein Hauptstudium daraus machen, die verschiedenen Charaktere der Menschen genau kennen zu lernen; er wird bemerken, wie dieselben durch die Lebensart, durch die äusserlichen Verbindungen, durch den Wolstand, durch Pflicht und durch andere Umstände modificirt werden. Er wird Charakter, Pflicht, Leidenschaften und Situationen der Menschen gegen einander in Streit bringen, und uns auf [214] denselben höchst aufmerksam machen. Ofte wird er uns den Streit der Vernunft gegen die Leidenschaften zeigen. Er wird sowol dem Schalk als dem Heuchler die Maske abreissen, und beyde in ihrer wahren Gestalt für unser Gesicht bringen. Den rechtschaffenen Mann aber wird er in den mancherley verworrenen Umständen des Lebens in einem Lichte zeigen, wodurch wir von Hochachtung gegen ihn durchdrungen werden. Alles Gegenstände, die an sich höchst interessant sind, und durch die Kunst des Dichters es noch mehr werden. Denn werden ihm auch die mancherley Zufälle des menschlichen Lebens, das Verhalten der Menschen von verschiedener Gemüthsart bey denselben, eine sehr reiche Quelle zu den interessantesten Gemählden geben.
Der Stoff zur Comödie ist so mannigfaltig, daß verschiedene merklich von einander abgehende Arten der Comödie daher entstehen können. Es würde nicht ohne Nutzen seyn, wenn diese Arten näher bestimmt, und jeder Art besondere Beschaffenheit umständlich aus einander gesetzt würde. Diejenigen, darin hauptsächlich alles auf die vollkommene Auszeichnung eines Charakters ankommt, könnte man Comödien der Charaktere nennen. Von dieser Art haben wir sehr viele: wie den Geizigen, den Ruhmräthigen, den Lügner den Mann nach der Uhr, u. d. gl. Diese Gattung allein ist an Stoff beynahe unerschöpflich, da die Mischung der Charaktere selbst unendlich verschieden ist. Es sind noch ungemein viel Charaktere, die, ob sie gleich interessant sind, von keinem Dichter besonders behandelt worden.
Man hat für die Historienmahler aus der Geschichte, aus den Dichtern und aus den Romanen interessante Scenen zu historischen Gemählden zusammen gesucht: weit wichtiger wäre es für die comische Schaubühne, noch nicht behandelte merkwürdige Charaktere zu sammeln.
Zu dieser Gattung der Comödie ist die Handlung so zu wählen, daß die Umstände, in welche die Hauptperson versetzt wird, ihrem Charakter auf mancherley Weise entgegen stehen: der Misantrop muß, wie Diderot sagt, sich in eine Coquette, und Harpagon in ein armes Mädchen verlieben. Die meisten Kunstrichter wollen haben, der comische Dichter soll entgegengesetzte Charakter neben einander stellen, damit sie sich durch den Gegensatz desto besser heben: aber der angeführte scharfsinnige Mann hat gründlich gezeiget, daß diese Regel keinen Grund habe, und daß der Contrast in dem Widerstreitenden zu suchen sey, das die Situationen, die vorübergehenden Leidenschaften mit dem Charakter haben. Vornehmlich aber ist dieses wichtig, daß in solchen Stüken nicht mehr, als ein Hauptcharakter vorkomme, dem alles übrige untergeordnet sey. Dieses ist eine Einheit, die noch weit wesentlicher ist, als die Einheit der Zeit und des Orts. Die vollkommenste Ausführung des Plans in einer Comödie dieser Art würde diese seyn: Ein Mensch würde in eine Situation gesetzet, die einen völligen Conflikt mit seinem Charakter macht. Also müßte entweder der Charakter den Umständen nachgeben, oder in diesen müßte durch die, dem Charakter gemässe Handlungen, eine solche Wendung hervorgebracht werden, daß der Charakter am Ende sein Recht behielte: das ist; entweder würde der Charakter über die Situation der Sachen; oder die Sachen über den Charakter den Sieg erhalten.
Es ist leicht zu sehen, wie ein solcher Plan, wenn er recht gut ausgeführt wird, ein immerwährendes Interesse vom Anfang bis zum Ende in der Handlung unterhält, und wie mannigfaltige Abwechslung der Vorstellungen noch überdem, durch die Nebenpersonen erwachsen würden. Etwas von einer solchen Behandlung sieht man in dem Tartüffe des Moliere; aber sein Geiziger ist gar nicht nach dieser Art behandelt, und auch dieserhalb sehr weit unter jenem. Denn den Charakter so behandeln, daß alle Augenblike eine neue, in der Haupthandlung nicht gegründete Situation, die mit dem Charakter streitet, entstehet; giebt eine aus blos einzeln, keinen wahren Zusammenhang habenden Scenen bestehende Comödie. Es ist allemal ein Fehler gegen die Einheit der Handlung, wenn der Dichter etwas anbringt, das nicht aus der Lage der Sachen in der Haupthandlung entsteht, wenn es gleich genau in dem Charakter der handelnden Personen ist; denn es führet immer von der Haupthandlung ab. So ist das, was Terenz im Eünuchus in dem ersten Auftritt der dritten Handlung anbringt, zwar gut, um den Charakter des Thraso zu bezeichnen; aber es fällt ganz ausser die Handlung.
Bey dieser Art der Comödie kann man die Absicht haben, durch seltsame Charakter blos zu belustigen, oder häßliche verhaßt und verächtlich, oder edle und gute in ihrem liebenswürdigen Lichte zu zeigen. Also ist die Comödie der Charaktere eines sehr [215] verschiedenen Charakters und vieler Mannigfaltigkeit fähig.
Eine andre Art ist die Comödie der Sitten, die zur Absicht hat, ein wahrhaftes und lebhaftes Gemählde gewisser sich auszeichnender Sitten, vor das Auge der Zuschauer zu bringen. So kann man die Sitten des Hofes, die Sitten der Reichen, die Sitten ganzer Völker vorstellen. Denn obgleich in allen Gattungen der Comödie Sitten vorkommen, so würde man doch von denjenigen mit Recht eine besondere Gattung machen, die solche Hauptgemählde gewisser Sitten zum Hauptaugenmerk hätten. So ist z. E. die in England mit so grossem Beyfall aufgenommene Beggars Opera des Gay, darin die Sitten des niedrigsten Standes der Menschen, der herumschweifenden Bettler, gemahlt werden. Die satyrischen Schauspiele der Griechen waren Comödien der Sitten, weil darin die Sitten der Satyren abgebildet wurden.
Diese Art der Comödie ist einer sehr grossen Annehmlichkeit und einer grossen Mannigfaltigkeit des Charakters fähig. Die Sitten verschiedener Stände und Völker gehören unter die angenehmsten und interessantesten Gegenstände der Betrachtung. Es giebt lächerliche, verwünschte, aber auch naive, liebenswürdige, uns bis zur Entzükung reizende Sitten. Es kann auch nicht so sehr schweer seyn, die Handlung so zu wählen, daß die Sitten, die gemahlt werden sollen, durch dieselben in einem guten Licht erscheinen. Was für grossen Nutzen solche Gemählde, ohne das Ergötzende derselben mitzurechnen, haben können, läßt sich so leicht einsehen, daß es überflüßig wäre, diesen Punkt aus einander zu setzen. Ein jeder sieht, um nur ein einziges Beyspiel anzuführen, wie wichtig es seyn könnte, die Sitten einer gewissen Classe der nichtswürdigsten Menschen, so wie Hogarth dieselben in den berühmten Kupferstichen, die unter dem Harlots Progress bekannt sind, vorgestellt hat, auf die Schaubühne zu bringen. Den Nutzen einer solchen Vorstellung beschreibet Terentius nach seiner Art fürtreflich, in folgender Stelle:
Id vero est, quod ego mihi puto palmarium
Me repperisse, quo modo adolescentulus
Meretricum ingenia & mores posset notare:
Mature ut cum cognorit, perpetuo oderit.
Quae dum foris sunt, nihil videtur mundius,
Nec magis compositum quidquam, nec magis elegans:
Quae, cum amatore suo cum coenant, ligurriunt.
Harum videre ingluviem, sordes, inopiam,
Quam inhonestae solae sint domi, atque avidae cibi
Quo pacto ex jure hesterno, panem atrum verrent:
Nosse omnia haec, salus est adolescentulis.3
Dazu aber würde freylich erfodert, daß sowol Dichter als Schauspieler, grosse Zeichner und Mahler wären. Es scheinet, daß die Comödie der Sitten, die wichtigste Gattung des Drama sey.
Eine andre Gattung könnten die Comödien ausmachen, deren Hauptabsicht ist, eine einzige merkwürdige Situation in allem, was sie Gutes oder Böses hat, vorzustellen. Dahin gehörten sowol allgemeine Situationen, wie die wäre, da ein Vater einige ungerathene Kinder hätte; die Situation eines dürftigen Menschen; einer gewissen Lebensart; eines Standes; als auch besondere Situationen, darin man durch gute oder schlechte Handlungen versetzt worden.
Es scheinet eben nicht gar schweer, für jede Situation eine Handlung auszudenken, wobey der Dichter Gelegenheit bekommen könnte, die gewählte Situation in einem lebhaften Lichte zu zeigen. Nichts aber würde mehr beytragen, das Gute und Böse des menschlichen Lebens lebhaft zu erkennen, als diese Gattung.
Die geringste Art scheinet die Comödie zu seyn, darin die Handlung weder in dem innern noch äussern Zustand der handelnden Personen gegründet ist, sondern durch seltsame Begebenheiten, wunderbare Zufälle und Verwiklungen interessant wird; da mancherley unerwartete, ausserordentliche und zum Theil abentheuerliche Dinge nach einander erfolgen und Verwirrungen verursachen, die den Geist in beständiger Aufmerksamkeit unterhalten, und da die ganze Handlung durch eine unerwartete Auflösung ein End erreicht. Diese Art ist die leichteste, und erfodert den wenigsten Verstand. Denn es ist sehr leicht, eine Menge durch einander laufender Zufälle zu erdenken, die eine Handlung, die man eben hat vornehmen wollen, verwirren, und daher zu verschiedenen seltsamen Verwiklungen Gelegenheit geben. Indessen ist diese Gattung zur Belustigung und zur Abwechslung gut, und kann allerhand sehr artige Scenen auf die Bühne bringen.
Aus diesen wenigen Anmerkungen läßt sich hinlänglich abnehmen, was für ein weites Feld einem comischen Dichter offen steht, was für mannigfaltiges[216] Vergnügen und was für Nutzen dieser Zweig der Kunst geben kann.
Alle vorhergehenden Anmerkungen betreffen den Inhalt der Comödie überhaupt. Bey genauer Untersuchung der Sachen würde sich, vielleicht zeigen, daß dieselbe ihren Werth nicht sowol von der Hauptmaterie, als von der guten Behandlung bekomme. Von dem besten Stük, das jemals auf die Bühne gebracht worden, könnte mit Beybehaltung der Fabel, der Anordnung und fast aller Umstände, ein ganz schlechtes Stük gemacht werden: so wie etwa ein unverständiger Uebersetzer aus der Ilias, mit Beybehaltung aller darin vorkommenden Begebenheiten und Beschreibungen, eine elende Epopee, oder ein schlechter Mahler nach dem besten Gemählde des Raphaels eine Copey machen würde, die das Auge eines Kenners keinen Augenblik vergnügen könnte.
Hieraus läßt sich abnehmen, daß die Erfindung und Einrichtung der Fabel und des Plans bey weitem nicht die Hauptsache sey. Diese Dinge machen den Cörper der Comödie aus, der allerdings seine gute Gestalt und wolabgemessene Glieder, aber auch ein Leben und eine denkende und empfindende Seele haben muß. Sie zeiget sich in den Reden, in den Gesinnungen und in den auf das genaueste bestimmten Eindrüken, welche die vorkommenden Sachen auf die Gemüther der handelnden Personen machen. Ein verständiger Zuschauer besucht die comische Schaubühne nicht sowol wegen der merkwürdigen Situationen oder seltsamen Vorfälle, die darin vorkommen, dergleichen er sich in der größten Mannigfaltigkeit selbst erdenken kann, als um den Eindruk zu beobachten, den sie auf Menschen, deren Genie und Gemüthsart etwas merkwürdiges hat, machen. Er will die Stellung, die Gebehrden, die Gesichtszüge der Personen, ihre Reden und jede Aeusserung einer, durch die Umstände gereizten Seele, wahrnehmen.
Aus diesen Betrachtungen entstehen die wahren Regeln und Maximen, nach denen der comische Dichter zu arbeiten hat. Die allgemeinste und wichtigste Regel scheinet die zu seyn, daß alles, was die handelnden Personen reden oder thun, vollkommen natürlich sey. Der Zuschauer muß bey jeder dramatischen Vorstellung vergessen, daß er etwas durch Kunst veranstaltetes sehe; nur denn, wenn er gar keinen Begriff, weder von dem Dichter, noch von dem Schauspieler, als Schauspieler hat, genießt er die Lust der Vorstellung ganz. So bald ihm das geringste vorkommt, wobey er ansteht, ob der Dichter oder der Schauspieler völlig in der Natur geblieben sey, so wird er von dem Schauplatz der Natur auf eine durch Kunst gemachte Bühne versetzt, wo er aus einem Zuschauer ein Kunstrichter wird. Dadurch wird jeder Eindruk, den das Schauspiel auf ihn macht, plötzlich geschwächt, weil er aus einer würklichen Welt in eine eingebildete herüber gebracht wird.4
Wenn schon die Ungewißheit, ob jedes, was wir sehen und hören, würklich vorhanden sey, oder uns nur vorgespiegelt werde, eine so nachtheilige Würkung thut; wie vielmehr wird denn nicht das offenbar Unnatürliche beleidigen? Daher läßt sich erklären, warum wir so sehr verdrießlich werden, wenn man die handelnden Personen will lustig seyn lassen, wo nichts zu lachen ist, oder wenn der Dichter überhaupt etwas von uns erzwingen will; wenn er Einfälle, Gedanken und Empfindungen, die er etwa bey gewissen Gelegenheiten gehabt hat, andern Menschen, die weder seine Sinnesart haben, noch sich in seiner Lage befinden, in den Mund legen will. Was kann abgeschmakter seyn, als daß Plautus z. B. einem ernsthaften Liebhaber, dem seine Schöne entrissen worden, diesen frostigen Scherz in den Mund legt:
Ita mihi in pectore & in corde facit amor incendium,
Ni lacrumae os defendant, jam ardeat credo caput.
Jede Rede, jedes Wort, das nicht auf die ungezwungenste Weise aus der Gemüthsart der redenden Person, und den Umständen darin sie ist, folget, wird anstößig.
Aber nicht blos die Gedanken, Empfindungen und Handlungen der Personen, sondern auch der Ausdruk ihrer Reden muß höchst natürlich seyn. Wir müssen auf der Bühne jeden vollkommen so sprechen hören, wie das Original, das er vorstellet, sprechen würde. Ein einziger zu hoher, zu gekünstelter oder verstiegener, oder nicht in dem Charakter der redenden Person liegender Ausdruk, kann einen ganzen Auftritt verderben. Besonders muß dieses Natürliche in dem Ton der Unterredung, da mehrere Personen mit einander sprechen, getroffen seyn, wenn nicht das ganze Stük frostig werden soll. Dieses ist eines der schweersten Stüke der comischen Kunst. Schon in dem gemeinen Umgang sind gar [217] wenig Menschen, die in dem Ton der Unterredung etwas interessantes haben. Die meisten drüken sich langweilig, unbestimmt und ganz kraftlos aus. Daher kommt es ofte, daß der Dichter, der es gern besser machen will, ins Unnatürliche, Gezwungene oder Methodische verfällt. Der in Deutschland überhaupt noch so sehr wenig ausgebildete gute Ton, und das wenig interessante in den täglichen Gesellschaften, ist vielleicht ein Hauptgrund, des noch schwachen Zustandes der deutschen Comödie. Wie wol es in diesem Stük den Schauspielern noch mehr, als den Dichtern mangelt. Folgende Anmerkungen des Horaz enthalten das wesentliche, was über die Schreibart und den Ton in der Comödie kann gesagt werden.
Est brevitate opus, ut currat sententia neu se
Impediat verbis lassas onerantibus aures.
Et sermone opus est modo tristi, saepe jocoso
Defendente vicem modo Rhetoris, atque Poetae
Interdum Urbani, parcentis viribus, atque
Extenuantis eas consulto.5
So nothwendig es ist, daß in dieser Gattung jedes einzele natürlich sey, so sehr wichtig ist es auch, daß alles interessant sey. Weh dem comischen Dichter, dessen Zuschauer währender Vorstellung nur einen langweiligen Augenblik haben. Und doch kann die Handlung selbst nicht in jedem Augenblik ihrer Dauer lebhaft oder merkwürdig seyn. Es kommen nothwendig geringere Auftritte, Neben-Personen, kleinere, der Handlung keine Hauptwendung gebende Vorfälle, vor die Augen des Zuschauers. Auch diese Nebensachen müssen, jede in ihrer Art, interessant seyn.
Man weiß, wie schlechte Dichter, und bisweilen auch gute, wenn sie sich vergessen, dergleichen weniger wichtige Sachen interessant zu machen suchen. Sie mischen fremde episodische Scenen ein; sie geben einigen Nebenpersonen poßirliche Charaktere, damit sie den Zuschauer, so ofte nichts zur Handlung gehöriges vorkommt, durch ihre Einfälle unterhalten können. Daher entstehen die meisten im Grund abgeschmakten Auftritte zwischen schalkhaften Bedienten; daher haben sich gewisse poßirliche Charaktere, der Harlekin, der Scarmuz u. d. g. als Dinge, die in jeder Comödie nothwendig wären, eingeschlichen. Daß dergleichen episodischen Auftritte, etwa in den Häusern, währender Zeit, da die Herrschaft in einer interessanten Handlung begriffen ist, vorfallen; oder daß auch bey den Hauptpersonen, in der Natur selbst episodische Zwischen-Scenen vorkommen, rechtfertiget den Dichter nicht, selbige mit in seinen Plan zu nehmen. Er soll uns die Dinge nicht so, wie sie täglich geschehen, mit allen gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Nebensachen, sondern so, wie sie zu der lebhaftesten Belustigung und zum vollesten Vergnügen eines Zuschauers von Verstand und Geschmak geschehen sollten, vorstellen.
Dieser Fehler, die leer scheinenden Stellen der Handlung mit episodischen Gegenständen auszufüllen, so wie der andre, wodurch die Scenen langweilig werden, kommt insgemein von einem Mangel des Verstandes und der guten Laune des Verfassers der Stüke, der entweder diese wesentlichen Eigenschaften eines comischen Dichters nicht im gehörigen Grad besitzt, oder sie bisweilen nicht anwendet. Wer in diesem Fache glüklich seyn will, der muß mehr, als irgend ein andrer Künstler, reich an Gedanken und Vorstellungen seyn. Wenn ihm bey den, in dem Verlauf der Handlung natürlicher Weise vorkommenden Sachen, nichts beyfällt, als was jedem Menschen dabey auch beyfallen würde, wenn sein Verstand nicht tieffer, als ein gewöhnlicher Verstand, in die Sachen hineindringt, wenn das, was geschieht, auf seine Einbildungskraft und Empfindungen keine andre, als gewöhnliche oder alltägliche Eindrüke macht; so mag er die Zuschauer damit verschonen: diese wollen auf der Schaubühne Menschen sehen, die bey allen Vorfällen, in allen Situationen und Umständen sich von der Seite des Verstandes, des Wizes oder der Empfindungen in einem interessanteren Lichte zeigen, als der gemeine Hauffe der Menschen. Dergleichen Menschen aber hört und sieht man immer gerne; denn wenn gleich die Geschäfte und Verrichtungen, darin man sie sieht, an sich nichts interessantes haben, so werden die Auftritte durch ihre Art zu denken und zu empfinden interessant. Verstand, Witz, Laune, Charakter, sind Dinge, die überall, auch in den gemeinesten Auftritten des Lebens, unsre Aufmerksamkeit reizen. Das geringste, das ein poßirlicher Mensch thut, belustiget; und so wird jedes Wort eines Menschen von vorzüglichem Verstand oder Wiz, mit Vergnügen gehört. Daraus folget denn, daß auch die Nebenauftritte, wenn sie nur würklich in der Handlung liegen, unterhaltend genug werden können. Es [218] ist so gar möglich, Auftritte, wo die Handlung völlig stille steht, die einigermaassen nur in fugam vacui, damit die Scene nicht ganz leer sey, eingeführt werden, ganz wichtig zu machen. Man kann sie dazu anwenden, daß man eine oder ein paar Personen ihre Gedanken über das, was bereits geschehen ist, oder über die gegenwärtige Lage der Sachen, oder über das was noch geschehen soll, über die Charaktere anderer Personen äussern läßt. Diese können Betrachtungen anstellen, wodurch das Lehrreiche und Unterrichtende, das in der Handlung liegt, in dem hellesten Licht erscheinet. Freylich muß der Dichter Verstand genug haben, anstatt des gemeinen und alltäglichen, feine und treffende Anmerkungen zu machen, die moralischen oder philosophischen Wahrheiten ein Licht und eine Kraft geben, wodurch sie auf immer lebhaft und unvergeßlich bleiben. Dergleichen Scenen sind die eigentlichen Stellen, wo die richtigsten Sentenzen, Maximen, und Beobachtungen, die von allen verständigen Kunstrichtern unter die wichtigsten Gegenstände der Dichtkunst gerechnet werden6, in ihrem vollen Licht erscheinen können. Es ist in der That kaum eine wichtige philosophische oder moralische Wahrheit, oder Lebensregel, oder Beobachtung über Menschen und Sitten, kaum eine von den praktischen Wahrheiten, die jeder Mensch beständig vor Augen haben sollte, die der comische Dichter in solchen Auftritten nicht sollte in einem Lichte zeigen können, in welchem sie höchst überzeugend und treffend sind. Für Zuschauer, die etwas höheres als die Belustigung des Auges und der Phantasie suchen, kann der ruhigste Auftritt wichtig werden. Nur in dem niedrig comischen muß jeder Augenblik mit Handlung angefüllt seyn.
Ueberhaupt ist die Comödie zu lehrreichen und unterrichtenden Auftritten von dieser Art sehr viel bequemer, als das Trauerspiel. Tragische Auftritte und Begebenheiten äussern sich in dem Leben selten, da hingegen täglich Geschäfte vorfallen, denen Verstand, Klugheit, Mäßigung der Leidenschaften, Kenntniß der Welt, Rechtschaffenheit, jede einzele Tugend, einen erwünschten Fortgang geben, oder darin das Gegentheil dieser Eigenschaften, Verwirrung und Unordnung verursachet. Jedem Menschen, der blos in den gewöhnlichen moralischen oder bürgerlichen Verbindungen stehet, kommen fast täglich Fälle vor, bey denen sein Betragen gegen andere und seine ganze Art zu denken und zu handeln von einiger Wichtigkeit wird. So wie unser Körper täglich verschiedenen Zufällen ausgesetzt ist, so ist es auch unser moralischer Zustand: wir sind keinen Tag vor Processen, vor Beleidigungen, die man uns anthut, vor Zwistigkeiten mit andern Menschen, vor Feindschaften, vor Betrügereyen, sicher; und kaum vergeht ein Tag, da wir nicht nöthig haben, um mancherley Verdruß oder Verwirrung zu vermeiden, bald aus Klugheit nachzugeben, bald mit guter Art standhaft zu seyn, und andern Menschen, die wir nicht beleidigen dürfen, oder doch nicht beleidigen wollen, entgegen zu handeln. Bald müssen wir uns selbst, bald andere besänftigen; itzt andere von etwas überzeugen, denn von ihnen Vorstellung annehmen und mit Unpartheylichkeit untersuchen; itzt andre Menschen versöhnen, denn uns versöhnen lassen; Veniam dare petereque vicissim.
Welcher Mensch von Vernunft und Nachdenken wird so gleichgültig, man möchte sagen, so brutal seyn, daß er nicht wünschte, für Geschäfte und Vorfälle, von denen seine Ruhe, sein guter Name, seine Ehre, und ofte das ganze Glück seines Lebens abhängt, richtige und wolgezeichnete Muster vor sich zu haben, die ihm auf eine einleuchtende Art zeigen, was er hier zu thun und dort zu vermeiden habe? Vergeblich sucht er in den Büchern der Moralisten Unterricht und Rath; sie reden zu allgemein, er wendet ihre Lehren nicht mit Zuverläßigkeit auf die ihm vorkommenden Fälle an. Nur die comische Bühne kann ihm für jeden Auftritt des Lebens die wahren Muster des Guten und des Bösen, des Vernünftigen und Unvernünftigen geben; dabey zeichnet sie ihm die Fälle so genau mit allen Umständen bestimmt vor, daß er nicht blos sieht, was er zu thun hat, sondern wie er es thun soll; sie giebt ihm nicht blos das spekulative, sondern das zum Leben allein nützliche praktische Urtheil.
Es kann niemand zweifeln, daß alle diese wichtige Gegenstände, deren hier Erwähnung geschieht, nicht die eigentliche Materie der Comödie seyen: also kommt es nur auf den Verstand und das Genie des comischen Dichters an, durch eine gute Behandlung derselben höchst lehrreich, und folglich für nachdenkende Menschen höchst interessant zu seyn. Wie aber nach diesen Begriffen die Comödie nichts anders ist, als die praktische Philosophie durch Handlungen [219] ausgedrukt, so kann nur der mit Fortgang für die comische Bühne arbeiten, der ausser den Talenten des Dichters, auch die Eigenschaften eines wahren praktischen Philosophen hat. Hier gilt es vorzüglich was Horaz sagt:
–– Neque enim concludere versum
Dixeris esse satis. ––
Denn blos poetische Talente sind zu solcher Arbeit von gar geringer Hülfe. Wer nicht das ganze sittliche Leben des Menschen mit Leichtigkeit übersieht, wessen Blike nicht tief in die menschliche Natur hineingedrungen, wer nicht die verborgensten Winkel des Herzens erforschet hat, wer nicht wahre Weisheit, Tugend und Rechtschaffenheit in allen Gestalten und Formen kennt, und nicht alle psychologischen und moralischen Ursachen des Unverstandes, der Unsittlichkeit und jeder Thorheit ergründet hat, der kann kein vollkommener comischer Dichter seyn.
Darum wundre man sich nicht über die Seltenheit der zu dieser Gattung erfoderlichen Talente. Nur die ersten Köpfe einer Nation haben Stärke genug, dieses Feld zu bearbeiten. Noch kommt es hier nicht auf das Genie allein an; denn ohne grosse Erfahrung ist es unzulänglich, den Foderungen der comischen Bühne genug zu thun. Die hiezu nöthige Kenntniß kann durch kein Studium im Cabinet erlangt werden: man muß, um sie zu bekommen, nothwendig die Menschen in ihren mannigfaltigen Verhältnissen und in den mancherley Geschäften des Lebens gesehen haben, und auch selbst mit in dieselben verwikelt gewesen seyn. Wem dieses mangelt, der kann seine ganze Lebenszeit alle Regeln der comischen Schaubühne studirt haben, ohne eine wahrhaftig gute Scene hervorzubringen im Stande zu seyn. Die Regeln sind nur für den gut, der die nöthigen Materien zu einer regelmäßigen Bearbeitung vorräthig hat.
Es wäre nach dem, was bereits hier und da in diesem Artikel über die Natur der Comödie angemerkt worden, sehr überflüßig, noch besonders von ihrem Nutzen zu sprechen, da aus dem angeführten schon hinlänglich erhellet, daß keine andre Dichtungsart ihr den Vorzug der Wichtigkeit streitig machen könne. Daß die comische Bühne nirgend, und in Deutschland am wenigsten, das ist, was sie seyn sollte, ist blos der Nachläßigkeit derer zuzuschreiben, die das Schiksal der Künste in ihren Händen haben, und die Wichtigkeit dieser herrlichen Erfindung, die Menschen zugleich zu belustigen und zu unterrichten, nicht einsehen. Dieses benihmt aber der Wichtigkeit der Sache selbst so wenig, als der schlechte Zustand der öffentlichen Lehrämter, wodurch die Bürger des Staats zur wahren Moralität, und die Jugend zur Zucht, Vernunft und Sitten sollten angeführt werden, an dem die unbegreifliche Nachlässigkeit derer, die die Länder regieren, Schuld hat, diesen Veranstaltungen ihre Würde benimmt. Man sieht die Bühne als eine Lustbarkeit an. Da sie es unstreitig ist, und, ohne von ihrer belustigenden Kraft das geringste zu verlieren, einen höchst wichtigen Einfluß zur Ausbreitung der Vernunft und Rechtschaffenheit, zur Vertilgung der Thorheit und zur Heilung der Verderbniß haben kann; so ist es eine eben so grosse Barbarey, sich dieser Vortheile nicht zu bedienen, als es seyn würde, ein Kriegsheer zu blossen Lustbarkeiten zu halten, und ihm deswegen blos hölzerne Waffen zu geben.
Man hat keine zuverläßige Nachrichten von der Zeit und dem Orte der Erfindung des comischen Schauspiels. Die Athenienser eigneten sich dieselbe zu. Indessen hat Aristoteles schon angemerkt, daß man den eigentlichen Anfang und Fortgang desselben nicht so sicher wisse, als den, welchen die Tragödie gehabt hat. Eben dieser Philosoph berichtet, daß Epicharmus und Phormys, beyde aus Sicilien, zuerst eine bestimmte Handlung in die Comödie eingeführt haben. In Athen aber soll Crates, der nur wenig Jahre vor dem Aristophanes gelebt hat, die förmliche Comödie, die eine Handlung hat, von jenen nachgeahmt haben. Vor ihnen mag sie also irgend eine Lustbarkeit gewesen seyn, wie die heutigen Fastnachts- oder Aschermittwochs-Lustbarkeiten: wie denn fast alle freye Völker zu allen Zeiten etwas dergleichen gehabt haben. Aus einer solchen Lustbarkeit, wobey vielleicht, wie jetzo noch an verschiedenen Orten geschieht, von einigen zum Possenreissen aufgelegten Personen, öffentlich allerhand die Vorbeygehenden antastende Reden geführt worden, kann die Comödie ihren Anfang genommen haben. Die älteste Form derselben in Athen scheinet noch nahe an ein solches Possenspiel zu gränzen. Aristophanes wirft seinen Vorgängern und selbst seinen Zeitverwandten vor, daß sie Gaukeleyen machen, um Kinder um Lachen zu bringen, und daß ihre Stüke meist aus Possen bestehen. Wir werden bald einen [220] Umstand bemerken, der diesen schlechten Anfang der Comödie in völlige Gewißheit setzen wird. Es kann auch seyn, daß die Comödie ihren Ursprung von Freudenfesten genommen, welche nach Einsammlung der Feldfrüchte einem freyen Volke so natürlich sind. Allem Vermuthen nach sind die ersten Lustspiele, aus denen hernach die völlige Comödie entstanden ist, blos persönliche Satyren gewesen; vielleicht der Knechte gegen ihre Herren. Man kann um so viel weniger hieran zweifeln, da die förmliche Comödie anfänglich blos Personalsatyren zum Grund gehabt hat.
In Athen hat die Comödie sich in drey verschiedenen Formen gezeiget. Die alte Comödie, nach der ersten uns bekannten Form, ist um die 82 Olympias aufgekommen. Horaz nennt drey Dichter, die sich darin hervorgethan haben; den Eupolis, Cratinus und Aristophanes. Wir haben nur von dem letzten noch einige Stüke, woraus wir uns einen Begriff von dieser Comödie machen können. Die Handlung ist von würklichen, damals neuen Begebenheiten hergenommen, die Personen werden nach ihrem wahren Namen genennet, und vermittelst der Masken wurd sogar ihre Gestalt, so viel möglich, nachgeahmt. Sie führte lebende und sogar bey der Vorstellung gegenwärtige Personen auf. Dabey war sie ganz satyrisch. Wer irgend eine wichtige Thorheit, es sey in Staatsgeschäften, oder in andern Angelegenheiten, begangen, oder wer übel gehandelt, die Geschäfte der Republik nicht gut geführt, oder wem sonst der Dichter übel gewollt hat, der wurd darin öffentlich zur Schau ausgestellt und gemißhandelt. Selbst die Regierung, die politischen Einrichtungen und die Religion wurden bisweilen verlacht. Horaz beschreibt diesen Charakter der alten Comödie auf folgende Weise:
Eupolis atque Cratinus, Aristophanesque poetae
Atque alii quorum Comoedia prisca virorum est,
Si quis erat dignus describi, quod malus aut fur,
Quod moechus soret, aut sicarius aut alioqui
Famosus, multa cum libertate notabant.7
Demnach war diese Comödie eine beständige Satyre über die Sitten und Handlungen der Zuschauer. Die mechanische Einrichtung der Fabel kommt dabey wenig in Betrachtung. Die Hauptsache waren die beissenden Spöttereyen über den Charakter und über die Aufführung der Athenienser. Ofte war der Inhalt allegorisch; Wolken, Fröschen, Vögel, Wespen, wurden als Personen eingeführt.
Man wundert sich jetzo darüber, daß damals den Comödienschreibern eine so ausgelassene Freyheit verstattet worden, da es heute zu Tage einem sehr übel bekommen würde, wenn er den geringsten Bürger auf der Schaubühne beschimpfte. Insbesondre kann man sich kaum vorstellen, daß Aristophanes ungeahndet das ganze atheniensische Volk, das ist, seine Zuschauer selbst, gemißhandelt, ihnen ihre Narrheit auf die beissendste Art vorgeworfen hat. Man hat gemeint, die Athenienser hätten eine solche unwiderstehliche Lust an witzigen Spöttereyen gehabt, daß sie es gut geheissen, auch wenn sie noch so beleidigend gewesen, nur damit sie lachen könnten. Der Pater Brümoy meinet, daß den Dichtern diese Freyheit aus Politik verstattet worden, und daß die Vornehmen sich gerne mißhandeln lassen, damit das Volk über dem Lachen vergessen möchte, ihre Aufführung ernsthafter anzusehn. Aber alle diese Auflösungen scheinen nicht hinlänglich zu seyn, und zum Theil sind sie falsch. Denn daß dem Volke selbst die persönliche Satyre anstößig gewesen sey, ist daraus abzunehmen, daß diese Freyheit durch ein öffentliches Gesetz ist eingeschränkt worden. Daß es sogar sehr empfindlich geworden sey, wenn ein Dichter sich unterstanden, die Regierung zu tadeln, sieht man aus dem Beyspiel des Dichters Anaximandrides, der zum Tode verurtheilt worden, wegen eines einzigen satyrischen Verses gegen die Regierung, der doch viel weniger sagt, als tausend Stellen des Aristophanes. Erwähnter Dichter soll in einer Comödie folgenden Vers des Euripides
Ἥ φύσις ἐβoλεθ' ᾑ νόμων oδὲν μέλει.
auf folgende Weise parodirt haben:
Ἥ πόλις ἐβoλεθ' ᾑ νόμων oδὲν μέλει,
Die Regierung hat es befohlen, und kehrt sich nicht an die Gesetze.
Woher hatte denn Aristophanes so viel Freyheit?
Die wahre Auflösung dieser Sache scheinet aus der ursprünglichen Form und den ersten Rechten der Comödie herzuleiten. Diese war dem Vermuthen nach, wie wir schon angemerkt, zuerst nichts anders, als eine grobe Lustbarkeit, die vermuthlich nur an Bachusfesten8 erlaubt gewesen, und darin bestanden, daß ein Trup Lustigmacher sich an einen Ort hingestellt, oder vielleicht durch die Strassen der Stadt geschwärmt, um die Vorbeygehenden mit [221] Schimpfwörtern anzugreifen. Dieser Muthwillen gehörte mit zu der Festfreyheit, und blieb hernach der sogenannten alten Comödie; so daß Aristophanes auf der Schaubühne, an den festlichen Tagen, da die Comödien aufgeführt wurden, Dinge sagen durfte, die er gewiß auf der Strasse, oder an andern Tagen, ohne schweere Strafe nicht würde gesagt haben. Man konnte ihn deshalb nicht belangen, weil ein Gesetz oder eine alte Gewohnheit diese Freyheit rechtfertigte. Diese Muthmassung wird noch dadurch bestätiget, daß die Freyheit der alten Comödie durch ein förmliches Gesetz aufgehoben worden, welches nicht nöthig gewesen wäre, wenn sie nicht vorher durch ein Gesetz oder etwas eben so mächtiges, wäre gut geheissen worden.
Erwähntes Gesetz brachte die zweyte Form der Comödie auf, welche die mittlere Comödie genennt wird. Die nunmehr aristocratisch gewordene Regierung in Athen verboth, würklich lebende Personen aufzuführen. Man stellte also wahre Begebenheiten unter verdekten oder fremden Namen vor, sonst behielt die Comödie die vorige beissende Art. Sie war also sehr wenig von der ersten unterschieden, weil die Handlung und Personen so geschildert wurden, daß niemand sie verkennen konnte. Aristophanes und andre, die in der mittlern Comödie geschrieben haben, wußten also das Gesetz zu hintergehen, und blieben eben so ausgelassen wie vorher; nur mit dem Unterschied, daß ihre Personen nicht mehr unter ihren wahren Namen erschienen. Da also das Gesetz nicht kräftig genug war, die Ausgelassenheit der Dichter einzuschränken, so wurd endlich durch ein neues Gesetz die Art der Comödie völlig verändert.
Dieses gab zu der neuen Comödie der Griechen Gelegenheit. Sie durfte keine würkliche Begebenheit mehr zum Grund der Handlung nehmen. Die Personen und Sachen mußten erdichtet seyn, so wie sie in der heutigen Comödie sind. Da nun dergleichen erdichtete Begebenheiten sehr viel weniger Reizung haben, als das Würkliche, was man selbst erlebt hat, so mußten die Dichter den Abgang dieser Reizung durch die künstlichen Verwiklungen und alle mechanische Bearbeitung des Plans ersetzen. Dadurch wurd also die Comödie erst zu einem wahren Kunstwerk, das nach einem Plan und nach Regeln mußte bearbeitet werden, Unter den Griechen hat Menander den größten Ruhm in der neuen Comödie erlangt, und wie es scheint, fürtrefliche Meisterstüke auf die Bühne gebracht. Die Fragmente davon geben uns einen hohen Begriff von der Fürtreflichkeit dieses Dichters, und lassen uns den Verlust seiner Werke desto lebhafter empfinden.
Es scheinet, daß in dem eigentlichen Griechenland nur Athen die rechte Comödie gehabt habe. Ich besinne mich nicht, irgendwo gelesen zu haben, wie lange sie gedauret. Die Römer fiengen erst viel später, nämlich im 514 Jahr der Stadt, oder in der 135 Olympias an, diese Spiele einzuführen. Sie wurden auch an heiligen Feyertagen gespielt, und, wie Livius berichtet, als Mittel zur Versöhnung der erzürnten Götter angesehen9. Sie empfiengen sie von den Etruskern. Bey was für einer Gelegenheit aber diese sie eingeführt, oder von welchem Volke sie nach Etrurien gekommen sey, ist unbekannt. Die ersten Comödiendichter in Rom waren Livius Andronicus, Nävius und nach ihm Ennius, welche zugleich Dichter und Schauspieler waren. Die Form ihrer Comödie ist unbekannt. Cicero urtheilte, daß die Comödien des Livius nicht könnten zum zweytenmal gelesen werden10. Kurz auf den Ennius folgten Plautus und Cäcilius; diese nahmen ihre Comödien, so wie Terentius, der nach ihnen gekommen ist, aus den griechischen Dichtern der neuern Comödie, die sie zum Theil frey übersetzten. Zu des Augustus Zeiten war Afranius vorzüglich der Comödie halber berühmt, von dem aber nichts übrig geblieben. Er unterscheidete sich vom Terentius darin, daß seine Personen Römer waren, da jener nur griechische Personen aufgeführt hat.
Die römische Comödie wurd nach der Verschiedenheit der Personen, in verschiedene Arten eingetheilt. Sie hatten Comoedias praetextas, Trabeatas, Togatas und Tabernarias. Die beyden erstern hatten ihre Namen davon, daß sie Personen, die in den vornehmsten öffentlichen Aemtern stunden, und die ihrer Kleidung halber Praetextati und Trabeati hiessen, vorstelleten. Die Togata führte Personen in der Toga auf, welches die Kleidung der vornehmen Privatpersonen war. In der Tabernaria wurden die Personen aus dem gemeinen Haufen genommen. Von dieser Comödie waren wieder zwey Arten, die Atellana, welche ihren Namen von der Stadt Atella hatte, und die Palliata von dem griechischen Mantel, womit die spielenden Personen gekleidet waren, also genennt. [222] Von dem ersten Anfang der neuen Comödie wissen wir wenig zuverläßiges. Wir vermuthen, daß entweder in Italien sich etwas von der römischen Comödie durch alle Jahrhunderte der mittlern Zeiten, erhalten habe, und daß nachher, da der Geschmak wieder anfieng etwas empor zu kommen, die Comödie wieder nach und nach sich der alten Form genähert habe. Es kann aber auch wol seyn, daß sie bey einigen neuen Völkern ohne Nachahmung, ohngefähr so entstanden ist, wie ehemals in Griechenland. Es verlohnt sich auch kaum der Mühe, in der Untersuchung über den Ursprung und den Fortgang der Comödie unter den neuern Völkern, über das XVI. Jahrhundert hinauf zu steigen, da man weiß, daß die Schaubühne dieses Jahrhunderts nichts, als elende und ganz unförmliche Possenspiele gezeiget hat. Indessen verdienet doch angemerkt zu werden, daß schon unter dem Pabst Leo X. der berühmte Machiavel ein Paar Comödien verfertiget hat, in denen der Geist des Terentius nicht ganz vermißt wird, und daß sogar eine noch ältere französische Comödie, von der Gattung des niedrig Comischen, l'Avocat Patelin genannt, sich noch bis auf diesen Tag auf der französischen Schaubühne erhält. Erst mit dem XVII. Jahrhundert bekam die Comödie wieder eine erträgliche Gestalt; wiewol anfänglich die größte Schönheit desselben in listigen Ränken, seltsamen Zufällen, Verkleidungen und Verkennung der Personen, und in nächtlichen Abentheuern gesucht wurd. In dieser Art haben sich vorzüglich die spanischen Dichter hervorgethan.
Endlich kam um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Comödie in einer bessern, und der Würde dieses Schauspiels anständigern, Gestalt hervor. In Frankreich brachte Moliere Stüke auf die Bühne, davon verschiedene werden gespielt werden, so lange die comische Schaubühne selbst bestehen wird. Das gegenwärtige Jahrhundert hat die Comödien von ernsthaftem, zärtlichen und ins Traurige fallenden Inhalt hervorgebracht. Aber auch in den höhern Comischen scheint man noch nicht überall das Vorurtheil, daß die Comödie ein Possenspiel sey, abgelegt zu haben, da man noch immer in den ernsthaftesten Stüken lustige Bediente und näkische Cammermädchen antrift.
1 | Hor. serm. I. 10. |
2 | S. ⇒ Lächerlich. ⇒ Spott. |
3 | Eunuch. A. V. sc. 4. |
4 | S. ⇒ Natürlich |
5 | Sermon I, 10. |
6 | S. ⇒ Denksprüche. |
7 | Serm. I. 4, 1-5. |
8 | S. Art. ⇒ Aristophanes. |
9 | Ludi sceuici inter alia cœlestis irae placamina instituti dicuntur. Primi scenici ex Hetruria acciti. |
10 | Livianae fabulae non satis dignae quae iterum legantur. de Clar. Orator. |
Buchempfehlung
Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro