Nach dem Ursprung des Worts bedeutet es einen Klang, in dem man zwey sich nicht sanft genug vereinigende Töne unterscheiden kann; also einen Klang, dem es an gehöriger Harmonie fehlt, oder das Gegentheil der Consonanz. Wie aber das Consoniren nichts absolutes ist, sondern von der vollkommenen Harmonie zweyer im Unisonus gestimmten Sayten allmählig abnimmt, bis man endlich zwischen den zwey Tönen mehr einen Streit, als eine Uebereinstimmung empfindet; so läßt sich nicht mit Genauigkeit sagen, wo das Consoniren zweyer Töne aufhöre und das Dissoniren anfange, wie bereits im Art. ⇒ Consonanz ist erinnert worden.
Damit die für die Musik wichtige Materie von den Dissonanzen deutlich und gründlich abgehandelt werde, soll erstlich der Begriff der Dissonanz, so genau als es sich thun läßt, fest gesetzt, hernach die in der heutigen Musik vorkommenden Dissonanzen angezeiget, zuletzt aber, wie dieselben zu brauchen und zu behandeln sind, gelehrt werden.
So wie die Harmonie oder das Consoniren aus einer solchen Uebereinstimmung zweyer Töne entsteht, die sie in einen Klang vereinigen, in dem man die Verschiedenheit der Töne ohne Wiedrigkeit fühlt, so entsteht das Dissoniren aus einer gewaltsamen Vereinigung zweyer Töne, die einander zuwiderstreiten scheinen. Man merkt nicht nur die Verschiedenheit der beyden Töne in dem Klang, sondern zugleich etwas widriges, das ihrer Vereinigung entgegen ist. Dabey ist dieses offenbar zu fühlen, daß diese Wiedrigkeit zunimmt, je näher die beyden Töne in Ansehung ihrer Höhe an einander kommen. Nur wenn sie sich so nahe kommen, daß man sie für einerley hält, so wird das Dissoniren in ein völliges Harmoniren verwandelt.
Läßt sich hieraus nicht abnehmen, daß das Dissoniren aus etwas Widersprechendem in der Empfindung entstehe? Wenn diejenige Dissonanz die wiedrigste ist, in welcher die beyden Töne in Ansehung der Höhe nur wenig aus einander sind, so scheinet es, daß das Urtheil gelenkt werde, sie für einerley zu halten, da die Empfindung das Gegentheil fühlen, und in sofern in dem Klang eine Unvollkommenheit empfinden läßt. Darin scheinet das Dissoniren etwas ähnliches mit der Wiedrigkeit zu haben, die wir allemal bey den Sachen empfinden, die das nicht sind, was sie nach unserm Urtheil seyn sollen.
Man kann für gewiß annehmen, daß wir die verschiedenen Höhen der Töne eben so klar empfinden, als wir die Verschiedenheit in der Länge an neben einander liegenden Linien sehen. Darin liegt der Grund der gar nicht neuen Beobachtung, daß man die Consonanzen und Dissonanzen aus dem Verhältnis der Töne beurtheilen könne. Wie wir nun bey zwey neben einander liegenden Linien mit Leichtigkeit entdeken, daß die eine nur die Hälfte, oder zwey Drittel, oder drey Viertel der andern sey, und indem wir dieses entdeken, uns gar leicht beyde in einer vereiniget, und dennoch jede besonders und in bestimmter Verhältnis gegen die andre vorstellen können, so ist es auch mit den consonirenden Tönen beschaffen. So bald aber zwey neben einander liegende Linien beynahe gleich groß sind, so daß wir die Länge, um welche die eine die andre übertrifft, gegen das Ganze nicht mehr abmessen, und also nicht sagen können, die kürzere sey um 1/4 oder 1/5 oder 1/6 kleiner, als die längere, so sind wir geneigt zu urtheilen, sie sollten gleich seyn, alsdenn macht der offenbare Augenschein, daß sie es nicht sind, eine wiedrige Würkung auf uns. [262] Wenn diese Bemerkungen wahr sind, und sie scheinen es in der That zu seyn, so folget daraus, daß das Dissoniren zweyer Töne eigentlich darin liegt, daß man in dem aus beyden zusammengesetzten Klang etwas widersprechendes empfindet, und einer der beyden Töne das nicht ist, was er einem dunkeln Urtheil nach seyn sollte. Indem wir C und D zwey nahe an einander liegende Töne zugleich hören, so entsteht aus ihrer nahen Uebereinkunft das dunkele Urtheil, daß sie gleich hoch seyn sollten; die Empfindung aber widerspricht diesem Urtheil. Dieses empfinden wir noch lebhafter, wenn wir C und Cis zugleich hören, weil das Urtheil, daß beyde einerley Ton seyn sollten, noch gewisser wird.
Es zeiget sich hiebey noch ein Umstand, der diese Muthmaaßungen merklich bestätiget. Man kann ohne irgend etwas wiedriges zu empfinden, die ganze diatonische Tonleiter C, D, E, F, G, A, H, c, herauf und herunter singen, ohne das geringste wiedrige darin zu empfinden. Warum haben zwey nahe an einander liegende Töne C und D, wenn sie auf einander folgen, nichts wiedriges, und warum haben sie es nur, wenn sie zugleich gehört werden? Ist es nicht deßwegen, weil man im ersten Falle gleich merkt, daß es verschiedene Töne seyn sollen; im andern aber urtheilet, sie sollten einerley seyn? Hieraus aber würde die Erklärung, die wir vom Dissoniren gegeben haben, ihre völlige Bestätigung bekommen.
Ohne Zweifel fällt jedem, der dieses ließt, dabey diese Folge ein, daß nach dieser Erklärung keine Töne gegen einander dissoniren, als die, welche um weniger als eine Terz aus einander sind, weil bekannt ist, daß die Terz nichts wiedriges mehr hat. Hieraus wird man einen Einwurf gegen unsre Erklärung des Dissonirens machen. Man wird sagen, daß verschiedene von allen Harmonisten für Dissonanzen erkannte Intervalle vorkommen, die größer sind als die Terz, wie die falsche Quint, die Septime und die None, die unmöglich deßwegen wiedrig klingen, weil man sie mit dem Grundtone, mit dem sie zugleich klingen, für einerley zu halten versucht wird.
Dieser Einwurf läßt sich leicht heben. Man muß nur die Beobachtung vor Augen haben, daß jeder Grundton auch das Gefühl seiner Octave, und, wiewol etwas weniger merklich, seiner Quinte erwekt. Die Septime dissonirt nicht gegen den Grundton, sondern gegen die Octave, der sie zu nahe liegt. Aus eben diesem Grunde wird die Quarte, die sonst alle Eigenschaften einer vollkommenen Consonanz hat, verdächtig, weil sie der Quinte zu nahe kommt. Warum dieses bey der Sexte, die der Quinte eben so nahe liegt, nicht geschehe, ist freylich nicht klar genug. Vielleicht vermag die schöne Harmonie der Quarte, welche die Sexte vom Grundtone mit der Terz desselben macht, daß das, ohnedem nicht starke, Gefühl der Quinte noch mehr verdunkelt wird, und die Sexte also nichts wiedriges hat. Dieses sey von der Natur der Dissonanz gesagt.
Es folget hieraus, 1) daß jedes Intervall, das um weniger, als eine Terz vom Grundton oder dessen Octave absteht, dissonire. 2) Daß ohne Rücksicht auf den Grundton oder dessen Octav zwey Töne, die um weniger als eine Terz aus einander liegen, wenn gleich jeder für sich mit dem Grundton consonirt, dennoch unter sich dissoniren.
Aus dem ersten Schlusse erkennen wir, daß die Secunden und Septimen des Grundtones, in Absicht auf diese und auf seine Octave, die eigentlichen Dissonanzen seyen; aus dem zweyten aber, daß, wo Terz und Quart, Quint und Sexte zugleich vorkommen, wenn sie gleich beyde gegen den Grundton oder seine Octave consoniren, eine von beyden eine Dissonanz sey. Thut man nun noch hinzu, daß jeder Ton, der das lebhafte Gefühl einer mit dem Grundton enge verbundenen Consonanz erwekt, der er selbst sehr nahe liegt, gegen diese dissonire, so begreift man auch deutlich, warum die falsche Quinte dissonirt; weil sie nämlich das Gefühl der wahren Quinte erwekt.
Wir haben nunmehr zu untersuchen, wie der Gebrauch der Dissonanzen in der Musik aufgekommen ist. Nachdem der mehrstimmige Gesang eingeführt worden, fanden sich auch nach und nach die Veranlasungen dazu. Die natürlichste scheinet die Ausfüllung der Intervalle, durch welche eine hohe Stimme ihren Gesang fortführte. Jederman fühlt, wie natürlich es ist, wenn der Gesang um eine Terz steigt oder fällt, durch die Secunde in die Terz zu steigen oder zu fallen. Wenn aber die tiefere Stimme inzwischen ihren ordentlichen Gang behält, so werden die Töne, die man im Durchgang berühret, nothwendig gegen sie dissoniren. Fast eben so natürlich ist es auch, daß man anstatt einen Ton zweymal hinter einander, wie die Melodie es erfodert, anzugeben, auf den zweyten durch einen Vorschlag, [263] von dem halben Ton über oder unter ihm komme, da denn dieser Vorschlag ebenfalls eine Dissonanz ausmacht. Man sehe folgende Beyspiele:
Hier ist allemal auf der guten Zeit des Takts die Harmonie völlig consonirend; nur in dem Uebergang von der ersten Zeit des Takts auf den zweyten kommen in den obern Stimmen Töne vor, die gegen die Grundstimme, die inzwischen liegen bleibet, dissoniren. Da diese Durchgänge dem Gesang natürlich sind, so brauchte man sie, ob sie gleich mit dem Baß dissonirend gefunden wurden. Wegen der Geschwindigkeit des Ueberganges wird die consonirende Harmonie nur einen Augenblik unterbrochen, und sogleich auf den folgenden Schlag mit einer doppelten Annehmlichkeit wieder hergestellt.
Diese Art der Dissonanzen scheinet die erste zu seyn, auf die man gefallen ist. Man nennet sie itzt durchgehende Dissonanzen. Sie sind aber von zweyerley Art. Entweder stehen sie auf der guten Zeit des Takts, und kommen den Consonanzen, in die sie in der schlechten Zeit eintreten, zuvor, und werden alsdenn Wechselnoten genennt; oder sie fallen auf die schlechte Zeit des Takts, und gehen in der folgenden guten Zeit in Consonanzen über; jene sind etwas härter als diese.1 Eine solche Dissonanz kann in der nächsten Zeit über sich oder unter sich treten, wie im ersten und zweyten Beyspiel zu sehen ist. Damit aber das, was solche Durchgänge würklich im Gesang angenehmes haben, durch das Dissoniren nicht verdorben werde, so müssen diese dissonirende Töne schnell durchgehen, und in der nächsten Zeit des Takts muß die consonirende Harmonie wieder hergestellt seyn. Kommen sie im gemeinen oder langsamen Takt vor, so können sie nicht länger als ein Achteltakt, beym Allabreve oder der geschwinden Bewegung aber, nicht länger als Viertel seyn. Sonst sind diese durchgehende Dissonanzen keiner andern Regel unterworfen; weder sie selbst sind an einen völlig bestimmten Gang gebunden (wie in dem ersten und zweyten Beyspiel zu sehen, wo die Quarte das eine mal zurük in die Terz, das andre mal in die Quinte tritt,) noch wird der Baß durch sie in seiner Fortschreitung gehemmet, also behalten in dem angeführten Beyspiel sowol die obern Stimmen als der Baß, jede gerade den Gang, den sie, wenn diese durchgehende Dissonanzen weggeblieben waren, würden behalten haben. Daher kommt es auch, daß dergleichen Dissonanzen nicht in Betrachtung kommen, wenn von den Regeln die Dissonanzen zu behandeln die Rede ist.
Wollte man aber solche Durchgänge länger anhalten, zumal auf guten Zeiten des Takts, wo die Töne einen Accent oder Nachdruk bekommen, so würde das Dissoniren schon so empfindlich seyn, daß man gezwungen würde, der Harmonie einen bestimmten Gang zu geben, wodurch die Unordnung wieder gut gemacht würde. Dieses wird aus folgendem Beyspiel klar werden.
Man kann zu den hier angezeigten obern Stimmen den Baß auf mehr als einerley Art setzen. Nach dem Accord C bey a kann man im Basse G oder H nehmen, um hernach in C zu schliessen. Hat man aber, wie bey b auf dem zweyten Schritt der obern Stimmen im Basse den Ton C einen Vierteltakt liegen lassen, und dadurch das Dissoniren empfindlich gemacht, so ist nun kein ander Mittel diese Unordnung wieder gut zu machen, als daß man den Baß um einen Grad unter sich treten lasse. Dadurch wird der dissonirende Baßton C zu einem Vorschlag, [264] der die Harmonie nur eine zeitlang aufgehalten, und dadurch ein Verlangen nach ihr erwekt hat, welches auf der nächsten Zeit des Takts würklich befriediget wird. Jeder andre Gang des Basses würde anstößig seyn.
Diese Art der Dissonanz ist also eine Verzögerung oder Aufhaltung einer Harmonie, die das Ohr erwartet, und die durch die Aufhaltung einen grössern Reiz bekommt. Es liegt, wie leicht zu sehen ist, in der Natur dieser Dissonanz, daß sie schon zum voraus das Gefühl der Consonanz mit sich führet, folglich, daß sie ganz nahe an derselbe liege, und nur einen kleinen Schritt dahin zu thun habe. Es ist also nothwendig, daß sie in der nächsten Harmonie diesen Schritt thue. Dieses ist also der Ursprung einer zweyten Art der Dissonanzen, die man Vorhälte oder Verzögerungen nennt, und die schon strengern Regeln, als die durchgehenden Dissonanzen unterworfen sind.2
Man hat gemerkt, daß sie gar zu hart wären, wenn sie ohne alle vorhergegangene Veranlasung einträten. Wenn man von dem vorhergehenden Beyspiel den Baß so setzen wollte:
so würde der dissonirende Ton C ohne alle Veranlasung, als ein fremder, nicht hiehergehöriger wiedriger Ton eintreten, von dessen Erscheinung gar kein Grund anzugeben ist. Dergleichen plötzliche Unordnungen sind dem natürlichen Zusammenhang unsrer Vorstellung zuwider. So aber, wie der Baß bey b steht, da der dissonirende Ton C in der vorhergehenden Zeit des Takts schon vorhanden gewesen, und seine Fortschreitung nur verzögert, da inzwischen die obern Stimmen ihren Gang fortsetzen, merkt das Ohr, daß die aus der Verzögerung entstehende Unordnung bald kann gehoben werden. Daraus sah man, daß dergleichen dissonirende Vorhalte nur dann könnten angebracht werden, wenn sie in der vorhergehenden Harmonie schon vorhanden gewesen, oder, wie man sich insgemein ausdrukt, gelegen haben.
Also erfodert diese Dissonanz zwey Bedingungen; sie muß vorher liegen, und hat nachher ihre genaue bestimmte Fortschreitung; das heißt in der Kunstsprache: sie muß vorbereitet seyn und aufgelößt werden. Die Vorbereitung besteht darin, daß sie in die consonirenden Töne übergehet, an deren Stelle sie steht, oder deren Eintritt sie aufgehalten hat.
Von diesen Dissonanzen ist noch zu merken, daß sie ihrer Natur nach, um sich von blos durchgehenden Dissonanzen zu unterscheiden, und zugleich die Erwartung der darauf folgenden Consonanz desto lebhafter zu erweken, auf die guten oder nachdrüklichen Zeiten des Takts fallen, und sich auf den schlechten Zeiten auflösen.3 Indem sie aber auf die gute Zeit des Takts fallen, und vorher schon müssen gelegen haben, so entstehen daher die Bindungen. Dieses und was von ihrer Vorbereitung und Auflösung angemerkt worden, wird aus der unten bey gefügten Tabelle der Dissonanzen noch deutlicher werden. Wir merken von diesen Dissonanzen nur noch dieses an, daß wir ihnen in diesem Werk den Namen der zufälligen Dissonanzen gegeben haben, weil sie nur eine zeitlang die Stelle der Consonanzen, in welche sie eintreten, einnehmen, und sonst in dem Fortgang der Harmonie nichts ändern. Durch diesen Namen unterscheiden wir sie von den Dissonanzen, von welchen so gleich soll gesprochen werden, die wir wesentliche Dissonanzen nennen.
Diese dritte Gattung der Dissonanzen können deßwegen wesentliche genennet werden, weil dieselben nicht wie die vorhergehenden, blos eine zeitlang die Stellen der Consonanzen, in die sie übergehen, einnehmen, sondern eine ihnen eigene Stelle behaupten, und den consonirenden Accorden hinzugefügt oder eingemischt werden.
Den Ursprung des Gebrauchs dieser Dissonanzen hat der Herr d' Alembert auf eine sehr natürliche Weise erklärt, indem er angemerkt, daß sie allemal auf der Dominante eines Durtons, in welchen man schliessen will, nothwendig werden. Folgende Beyspiele werden dieses deutlich machen.
[265] Man setze, daß man in C dur auf der Dominante den Dreyklang zur Harmonie genommen habe, wie hier bey 1 und 2, von da aber in dem Hauptton C schliessen wolle; so wird man leicht begreifen, daß die Septime nothwendig müsse zu Hülfe genommen werden, um die Harmonie nach dem Hauptton zu lenken. Denn ohne diese Septime ist nichts vorhanden, das das Gehör nach dem Schluß in C lenkt; man kann in G stehen bleiben, oder von da hingehen, wo man will, weil ein völlig consonirender Accord die Fortschreitung der Harmonie ganz unbestimmt läßt. Ferner ist auch offenbar, daß man bey dem Dreyklang auf G ungewiß ist, in welchem Haupttone man sich befindet, in dem diese Harmonie sowol der Dominante des Tons C dur, als dem Ton G als Hauptton zukommt.
Diese doppelte Ungewißheit oder Unbestimmtheit in Ansehung der Harmonie und Fortschreitung wird gehoben, so bald man eines der Intervalle des Dreyklanges verläßt, und die Septime dafür nimmt. Denn diese läßt das Gehör nicht länger im Zweifel, daß der Accord, den man hört, der Accord auf der Dominante des Haupttones C dur sey, weil der Hauptton G dur in seiner Tonleiter nicht F, sondern Fis hat. Eben so würde man im dritten Beyspiel, in dem man auf den Accord G kommt, den Ton F aus dem vorhergehenden Accord liegen lassen, um den Accord auf G, als den Accord auf der Dominante des Haupttones C dur zu bezeichnen. Da nun aber diese hinzugefügte Septime stark dissonirt, so entsteht die Nothwendigkeit, sie in der nächsten Harmonie in eine Consonanz übergehen zu lassen. Weil nun der Schluß in den Hauptton geht, dessen Quarte die Septime der Dominante ist, so tritt sie natürlicher Weise einen Grad unter sich in die Terz des folgenden Grundtones.
Diese Dissonanz wird in den verschiedenen Umkehrungen des Septimenaccords bald zur Quinte, bald zur Terz, bald zum Grundton4, wie aus der Tabelle, wo zugleich die Vorbereitungen und Auflösungen dieser wesentlichen Dissonanz deutlich angezeiget sind, zu sehen ist.
Dieses sind also die drey Arten der Dissonanzen, und die Gelegenheiten oder Veranlasungen, durch welche ihr Gebrauch eingeführt worden. Die zweyte Art oder die Vorhalte dienen, die consonirende Harmonie aufzuhalten, um das Verlangen nach derselben zu erweken, zugleich aber haben sie, vermittelst der Bindungen, auf den Gang des Taktes einen Einfluß, in dem sie die Takte in einander verschlingen, und dadurch die Aufmerksamkeit unaufhörlich reizen: die dritte Art, nämlich die wesentlichen, hintern die Ruhe, die man sonst bey der Harmonie des Dreyklanges finden würde, leiten das Gehör nach dem Schlusse auf der nächsten Harmonie, und können, wenn sie in verschiedenen hintereinander folgenden Accorden angebracht werden, die Empfindung in einer langen Erwartung halten.
Also kann man überhaupt sagen, daß die Dissonanzen viel Lebhaftigkeit in die Musik bringen, und wichtige Hülfsmittel zum guten Ausdruk sind; da sie enge Verbindungen, Aufhaltungen, Verwiklungen, Erwartungen und Täuschungen des Gehörs erweken.
Endlich ist noch ein Fall zu bemerken, wodurch bisweilen bey Ausweichungen auch Dissonanzen von einer besondern Art entstehen, nämlich die übermäßigen Intervalle. Nichts ist geschikter einen Ton anzukündigen, als das subsemitonium desselben, oder seine grosse Septime. Wenn man daher ganz schnell in einen Ton hineintreten will, so kann dieses füglich dadurch geschehen, daß man in dem vorhergehenden Accord plötzlich seine grosse Septime als einen fremden Ton hören läßt; daher entstehen die übermäßigen Dissonanzen, wovon die Beyspiele in der folgenden Tabelle zu sehen sind.
Tabelle der Dissonanzen,
in welcher ihre Verhältnisse und ihr Gebrauch deutlich zu erkennen sind.
I. Die übermäßige Prime und in der Umkehrung die verminderte Octave.
Sie ist eigentlich der Unterschied zwischen der großen und kleinen Terz, folglich nach ihrem reinen Verhältnis 24/25; kommt aber in unserm System in viererley Verhältnissen vor.
[266] Die beyden letzten Arten sind zu groß, um als übermäßige Primen gebraucht zu werden; das Ohr empfindet die kleine Secunde.
Diese Dissonanz wird gebraucht
1) durchgehend in den obern Stimmen: da man die natürliche Octave oder Prime in einem Accord bey liegendem Basse verläßt, und sie um einen halben Ton erhöht nimmt, um dadurch, als durch ein Subsemitonium in den nächsten Ton darüber zu gehen, als:5
2) Auf folgende Weise, da die Erhöhung im Basse geschieht, und die natürliche Octave in den obern Stimmen gelegen hat.
Auch hier wird sie zum subsemitonio des über ihr liegenden halben Tones, in den sie herauftritt.
II. Die kleine Secunde, und in der Umkehrung die große Septime.
Sie macht den halben Ton aus, so wol den großen, als den kleinen, und kommt in viererley Verhältnissen vor.
Die kleine Secunde kommt in der dritten Verwechslung des Septimenaccords, der die große Septime hatte, vor. Die Dissonanz ist im Basse, und tritt in der Auslösung einen Grad unter sich.
Die große Septime wird als eine wesentliche Dissonanz dem Dreyklang auf einer Dominante hinzugefügt, und tritt in der Auflösung einen Grad unter sich in der Terz des Grundtones;
sie kommt aber auch in den oberen Stimmen, als [267] ein Vorhalt der Octave vor, in welche sie herauftritt.
Sie ist hier, so wie die Quarte eine zufällige Dissonanz, die man auf der ersten Hälfte des Takts behält, weil sie schon gelegen hat.
Die große Septime geht also über sich, wenn sie ein Vorhalt der Octave ist, und unter sich, wenn sie die wesentliche oder hinzugefügte Septime ist.
III. Die große Secunde, und in der Umkehrung die kleine Septime.
Diese Secunde ist das Intervall eines ganzen, sowol großen als kleinen Tones, und kommt in dreyerley Verhältnissen vor.
Diese Dissonanzen werden eben so, wie die beyden vorhergehenden gebraucht. Nämlich in der dritten Verwechslung des Septimen Accords:
Als eine wesentliche Septime auf der Dominante:
Als ein Vorhalt der Sexte, in welche sie übergeht:
IV. Die übermäßige Secunde, und in der Umkehrung die verminderte Septime.
Ihr Verhältnis ist eigentlich 64/75 C-Dis, auf dem temperirten System aber kommt sie in folgenden Verhältnissen vor.
Die beyden letzten Arten sind aber unbrauchbar, weil sie würklich kleine Terzen sind.
Sie entsteht aus einer Verwechslung des Septimen Accords, in welchem austatt der natürlichen kleinen Terz die große genommen wird. Nämlich, wenn dieser Septimen Accord, mit vorgehaltener None und Verwandlung der kleinen Terz in die große,
[268] erstlich so umgekehrt wird, daß die Terz in den Baß kommt; so entsteht daher dieser Accord mit der verminderten Septime, die in die Sexte, deren Vorhalt sie ist, übergeht,
durch nochmahlige Verwechslung aber, da die Septime in den Baß gesetzt wird, entsteht dieser Accord der übermäßigen Secunde.
Diese übermäßige Secunde wird, wie alle übermäßige Dissonanzen, als das Subsemitonium des nächsten Grundtones gebraucht, und geht deswegen über sich, wie auch in folgendem Beyspiel.
V. Die verminderte Terz, und in der Umkehrung die übermäßige Sexte.
Diese Terz ist völlig unbrauchbar, weil sie, auch wo sie am größten ist, als Cis- b E, das Verhältniß 8/9 hat, und folglich eine wahre Secunde ausmacht. In der Umkehrung aber, als übermäßige Sexte kommt sie vor, wie in folgendem Beyspiel zu sehen ist.
VI. Die verminderte Quarte, und in der Umkehrung die übermäßige Quinte.
Ihr reines Verhältnis wäre 25/32, sie kommt aber in dem temperirten System in folgenden Verhältnissen vor.
alle kleinere, z. E.
u. s. f. sind nicht als Quarten zu brauchen, weil sie reine große Terzen 4/5 sind.
Diese Quarte kommt als ein Vorhalt der Terz vor, und wird deswegen vermindert, weil ihr Grundton im Basse, da er das Subsemitonium des folgenden Tones abgeben soll, um einen halben Ton höher genommen worden.
Als übermäßige Quinte kommt sie auf folgende Art vor:
[269] Nach dem Accord auf C in dem ersten Takt sollte der Accord E kommen, als der Dominante des Haupttones, mit der Septime und vorgehaltenen Sexte, und auf diesen Accord müßte an statt der kleinen Terz G die große Gis als das Subsemitonium von H, genommen werden. Statt dieses Accords aber wurd seine zweyte Verwechslung genommen, und noch dazu im Basse die Untersecunde C, die schon lag, vorgehalten; auf diese Weise ist der vorhergehende Gang, eigentlich aus diesem entstanden.
VII. Die reine Quarte, die, als ein Vorhalt der Terz, eine zufällige Dissonanz ist, und überall wo sie gelegen hat, der Terz kann vorgehalten werden.
VIII. Die übermäßige Quarte, und in der Umkehrung die falsche Quinte.
Ihr eigentliches Verhältnis ist 32/45, sie kommt aber in folgenden Verhältnissen vor:
Sie kommt als übermäßige Quarte vor, wenn in der dritten Verwechslung des Septimen Accords die kleine Terz des wahren Grundtones in die Große verwandelt worden, damit sie das Subsemitonium des folgenden Tones werde, wie hier.
Der zweyte Accord auf C ist eigentlich die dritte Verwechslung des Septimen Accords auf D als der Dominante von G, da an statt der natürlichen kleinen Terz F, die große Fis genommen worden.
Als falsche Quinte zeiget sie sich hier:
In den beyden Accorden, wo sie hier vorkommt, hätte natürlich im Basse F müssen genommen werden, welches in Fis verwandelt worden, damit es als Subsemitonium des folgenden Grundtones gehört würde.
IX. Die None.
Wird allemal als ein Vorhalt der Octave gebraucht, und kann überall vorgehalten werden, wo sie liegt.
1 | S. ⇒ Durchgang. |
2 | S. ⇒ Vorhalt, ⇒ None, ⇒ Quarte. |
3 | Es giebt aber einige Fälle, da ihre Auflösung bis in die folgende gute Zeit, oder bis in den folgenden Takt verzögert wird, wovon im Artikel ⇒ None und ⇒ Quarte Beyspiele vorkommen. |
4 | S. ⇒ Septime. |
5 | Diese durchgehende Dissonanzen machen Sänger und Spieler oft, ohne daß sie ihnen vorgeschrieben werden. Sie erweken eine desto lebhaftere Erwartung des folgenden Tones. Man hat sich aber in Acht zu nehmen, daß es nicht gegen die Natur der Tonart geschehe. So könnte man in C dur aus A nach H nicht durch A gehen, weil dieses A zu keinem einzigen in der Tonleiter des C dur liegenden Ton, ein Intervall ist. Hingegen kann man in C dur aus F durch Fis nach G gehen, weil Fis die große Terz der Secunde des Grundtones ist. |
Buchempfehlung
Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht
282 Seiten, 13.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro