Melodische aufeinander folgende Säze, die mehr oder weniger Aehnlichkeit unter einander haben. Insgemein werden sie nach dem lateinischen Ausdruk Imitationen genennt. Man bringet sie so wol in einer, als in mehreren Stimmen, bald mit strengerer, bald mit weniger genauer Aehnlichkeit an, und nennet sie deswegen strenge, oder freye Nachahmungen. Jene kommen meistens in Fugen und fugirten Sachen, diese in allen figurirten Tonstüken vor.
Wenn einmal ein melodischer Saz gefunden worden, der den Charakter der Empfindung, die man ausdrücken will, hat; so muß auch jeder ihm mehr oder weniger ähnliche Satz, etwas von diesem Charakter an sich haben. Und da die singende Sprach in Ansehung der Mittel sich bestimmt auszudrüken, unendlich eingeschränkter ist, als die redende; so mußte sie, um einen hinlänglichen Vorrath melodischer Gedanken von gutem Ausdruk zu bekommen, sich des Mittels der Nachahmung bedienen, um in einer Melodie die Einheit des Charakters zu erhalten. Tonsezer von fruchtbarem Genie wissen zwar in einer Melodie mehrerley ganz verschiedene, aber im Charakter ähnliche Gedanken anzubringen: dennoch können sie die Nachahmungen nicht wol entbehren, und würden es auch nicht thun, weil es angenehm ist, denselben Gedanken in mehrern Wendungen und in verschiedenen Schattirungen zu hören. [798] Darum muß jeder Tonsezer sich der Nachahmungen auf eine geschikte Weise zu bedienen wissen. Am nothwendigsten aber sind sie in solchen Stüken, wo mehrere Hauptstimmen sind, wie in Duetten, Terzetten, in Trio und dergleichen Stüken. Denn ohne sie würde in diesen vielstimmigen Tonstüken entweder blos eine Hauptstimme seyn, welcher die andern nur zur Begleitung dieneten, oder es würde in den verschiedenen Hauptstimmen keine Einheit des Charakters angetroffen werden. Es ist also höchst nöthig, daß der Tonsezer in den Nachahmungen wol geübt sey.
Mehrere ähnliche Säze zu finden, ist nun zwar an sich sehr leichte; aber wenn man dabey die erfoderliche Verschiedenheit der Harmonie beobachten und zugleich harmonisch rein setzen will, so stößt man gar oft auf nicht geringe Schwierigkeiten. Es braucht gar keine große Kenntniß zu sehen, daß dieser kurze Saz:
auf folgende Weise könne nachgeahmt werden.
Aber beyde nach einander sezen, und einen Baß von guter Harmonie dabey anbringen, kann nur der Harmoniste.
Man kann jungen Tonsezern besonders in unsern Zeiten, da man sich die Kunst so sehr leicht vorstellt, nie genug wiederholen, daß sie sich mit anhaltendem Fleiß im reinen Contrapunkt üben; weil dieses das einzige Mittel ist in Nachahmungen glüklich zu seyn. Zuerst also muß man sich im einfachen Contrapunkt festsezen, und zu einer gegebenen Stimme zu einem Cantus sirmus mehrere, nach den Regeln des reinen Sazes, bald in gerader, bald in verkehrter Fortschreitung, bald in eben so viel, bald in mehrern Noten verfertigen. Nur dadurch wird man zur guten Behandlung der Nachahmungen vorbereitet. Ist man hierin hinlänglich geübet, so muß man mit eben dem anhaltenden Fleiße die Uebungen im doppelten Contrapunkt vornehmen, durch den man unmittelbar die genauesten Imitationen erhält. Ohne lange Vorbereitung durch Ausübung beyder Arten des Contrapunkts ist es nicht möglich wahre Nachahmungen gut anzubringen. Denn daß sich einige seichte Tonsezer einbilden, sie haben Nachahmungen gemacht, wenn sie einen nichtsbedeutenden Saz vermittelst kahler und zerriger Versezungen (Transpositionen) des Basses in den Stimmen abwechselnd wiederholen, wie in diesem Beyspiel
zeuget von ihrer Unwissenheit. Dergleichen vermeinten Nachahmungen dienen zu nichts, als ein Stük desto geschwinder abgeschmakt zu machen. Nicht viel besser sind die Wiederholungen eines Gedankens im Einklang oder in der Octave, ohne Veränderung der zum Grunde liegenden Harmonie, wie etwa folgendes:
Wahre Nachahmungen lassen uns einerley Stellen mit andern Harmonien, und mit veränderten Melodien andrer Stimmen hören, und dadurch bekommen sie ihre Annehmlichkeit. Man kann mit der Nachahmung in verschiedenen Intervallen, in der Secunde, Terz, Quart u.s.w. eintreten, und muß mit diesen Eintritten gehörig abzuwechseln wissen. Dazu aber ist, wie schon gesagt worden, die Wissenschaft des doppelten Contrapunkts unumgänglich nothwendig; weil eben dadurch diese verschiedenen [799] Eintritte erhalten werden, wie aus folgenden Beyspielen erhellet.
Der Saz, der hier mit (a) bezeichnet ist, wird bey (b) im Contrapunkt der Octave genau nachgeahmet; bey (c) in dem Contrapunkt der Terz, und bey (d) im Contrapunkt der Decime. Dadurch erhält man den Vortheil, daß derselbe Saz in der Nachahmung fremd klinget, und daß die verschiedene Modulation dem Tonstük bey der Einheit der Gedanken die gehörige Mannigfaltigkeit verschaffet. Wir können jungen Tonsezern keinen bessern Rath hierüber geben, als das wir sie auf das fleißige Studiren der Graunischen Duette verweisen, wo sie die vollkommensten Muster der strengen Nachahmung bey dem schönsten Gesang, und der ungezwungensten Modulation antreffen.
In den Fugen ist es eine Hauptregel, daß jeder Zwischengedanken sich auf die Hauptsäze, den der Führer, oder der Gefährte hat, beziehen sollen. Dieses wird dadurch erhalten, daß man die Töne dieser Zwischensäze aus der Harmonie oder dem Gesang der Hauptsäze nihmt, wodurch die freye Nachahmung entsteht. Man sehe das im Artikel ⇒ Fuge stehende Beyspiel, wo am Ende des vierten Takts ein solcher Zwischensaz angeht, der eine freye Nachahmung des Führers ist.
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