Jedes Werk, das einen bestimmten Endzwek hat, muß, wenn es vollkommen seyn soll, in seiner Materie und in seiner Form, so beschaffen seyn, wie die Erreichung des Endzweks es erfodert. Indem der Urheber eines solchen Werks den Endzwek desselben, die Würkung, die es thun soll, vor Augen hat, überleget er, durch welche Mittel der Endzwek zu erhalten sey. Wann er die Mittel entdeket hat, so sucht er auch die beste Anordnung, nach welcher eines auf das andere folgen müsse. Durch diese Ueberlegung bestimmt er die Haupttheile seines Werks, nach ihrer materiellen Beschaffenheit, und die Ordnung, in der sie auf einander folgen müssen. Dieses wird der Plan des Werks genennt. Wenn z.B. der Endzwek eines Redners ist, uns von der Wahrheit einer Sach zu überzeugen; so überlegt er, was für Vorstellungen dazu gehören, diese Ueberzeugung zu bewürken. Dadurch erfindet er die verschiedenen Säze und Vorstellungen, von denen in seinem gegenwärtigen Falle die Ueberzeugung abhängt, das ist er erfindet einen Vernunftschluß, aus dessen deutlichem Vortrag die Ueberzeugung erfolgen muß. Nun überlegt er auch nach den Umständen die beste Form dieses Schlusses, und findet endlich, es sey zu Erreichung seiner Absicht nöthig, daß die Hauptsäze A, B, C, u.s.w. deutlich entwikelt werden, und daß sie in der Ordnung A, B, C u.s.w. oder C, B, A auf einander folgen müssen. Izt ist der Plan der Rede entworfen. Auf ähnliche Weise wird jeder andre [904] Plan gemacht; der allemal anzeiget, was für Haupttheile zu einem Werk erfodert werden, und in welcher Ordnung sie stehen müssen. Wenn dieses gefunden worden, so kommt es hernach darauf an, jeden Theil so zu machen, wie er nach dem Plan seyn soll, und denn alle in der festgesezten Ordnung zu verbinden.
Also ist bey jedem Werke von bestimmtem Endzwek die Erfindung des Plans die Hauptsach, ohne welche das Werk seinen Zwek nicht erreichen kann. Indessen zeiget der Plan nur, was zum Werke nöthig sey, und es ist gar wol möglich, daß er sehr wol erfunden ist, und doch gar nicht, oder schlecht ausgeführt wird; weil es dem Erfinder desselben, an der nöthigen Wissenschaft und Kunst fehlet, das was nöthig wäre, würklich darzustellen. Sowol in mechanischen, als in schönen Künsten ist es möglich, daß ein der Kunst unerfahrner die Haupttheile des Planes zu erfinden, oder anzugeben weiß, es kann auch seyn, daß er die Anordnung derselben zu bestimmen im Stand, und bey dem allen doch völlig untüchtig ist, diesen Plan auszuführen. So könnte der gemeineste Handwerksmann, der ein Haus will bauen lassen, gar wol Ueberlegung genug haben zu bestimmen, aus wie viel und aus was für Stüken das Haus bestehen sollte; denn er weiß, was er braucht; vielleicht aber würde er sie sehr ungeschikt anordnen. Und wenn er auch überhaupt noch eine gute Anordnung in Absicht auf die Bequämlichkeit anzugeben vermöchte; so könnte es leicht seyn, daß diese Anordnung dem Ganzen eine sehr unschikliche Form geben würde.
Hieraus läßt sich abnehmen, daß gewisse zum Plan gehörige Dinge, außer der Kunst liegen, und durch richtige Beurtheilung auch von einem der Kunst völlig unerfahrnen, könnten bestimmt werden; hingegen andere nur von Kenntniß und Erfahrung in der Kunst, abhangen. Wir müssen aber diese Betrachtungen, besonders auf die Werke der schönen Kunst anwenden.
Zuerst scheinet dieses eine Untersuchung zu verdienen, ob jedes Werk des Geschmaks nothwendig nach einem Plan müsse gemacht seyn. Der Plan wird durch die Absicht bestimmt, und je genauer diese bestimmt ist, je näher wird es auch der Plan. Nun giebt es Werke der Kunst, die keinen andern Zwek haben, als daß sie sollen angenehm in die Sinnen fallen, deren einziger Werth in der Form besteht. Eine Sonnate und viel andre kleine Tonstüke, eine Vase, die blos zur Ergözung des Auges irgend wohin gesezt wird, und viel dergleichen Dinge, haben nichts materielles, das eine bestimmte Würkung thun sollte. Hier hat also kein andrer Plan statt, als der auf Schönheit abziehlet. Die Absicht ist erreicht, wenn ein solches Werk angenehm in die Sinnen fällt; sie sind im engesten Verstand Werke des Geschmaks, und blos des Geschmaks, an deren Verfertigung das Nachdenken und die Ueberlegung, in so fern sie außer dem Geschmak liegen, keinen Antheil haben.
Wie groß und weitläuftig ein solches Werk auch sey, so ist bey dessen Plan allein auf Schönheit zu sehen, alle Theile müssen ein wolgeordnetes Ganzes machen. In den Theilen muß Mannigfaltigkeit und gutes Verhältnis anzutreffen seyn; die kleinesten Theile müssen genau verbunden, und in größere Hauptglieder angeschlossen; alles muß wol gruppirt, und nach dem besten metrischen Ebenmaaße abgepaßt seyn. Jeder Fehler gegen diesen Plan ist in solchen Werken ein wesentlicher Fehler; weil er durch nichts ersezt wird. So müssen in der Musik alle Stüke, die keine Schilderungen der Empfindung enthalten, mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Harmonie und Melodie gearbeitet seyn, als Arien, oder Gesänge, welche die Sprache der Leidenschaften ausdrüken; der Tanz der nichts Pantomimisches hat, muß in jeder kleinen Bewegung weit strenger, als das pantomimische Ballet, nach allen Regeln der Kunst eingerichtet seyn. In Gemählden von wichtigem Inhalt, übersiehet man kleinere Fehler gegen die vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das Colorit; aber in kleinen Stüken, deren Inhalt nichts interessantes hat, muß alles vollkommen seyn.
Ganz anders verhält es sich mit Werken, deren Inhalt schon für sich merkwürdig, oder wichtig ist. Der Plan der Schönheit, der in jenen Werken das einzige Wesentliche der ganzen Sach ist, kann hier als eine Nebensach angesehen werden. Doch kann man ihn auch nicht, wie selbst gute Kunstrichter seit einiger Zeit unter uns scheinen behaupten zu wollen, ganz aus den Augen sezen; wo nicht ein Werk völlig aufhören soll ein Werk der schönen Kunst zu seyn. Es fängt izt beynahe an unter den deutschen Kunstrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen Kunstregeln mit Verachtung zu sprechen, und eben diese Kunstrichter sind sehr nahe daran den Wörtern [905] Theorie, Plan, Kunstregel, Kunstrichter eine schimpfliche Bedeutung zu geben. Wir müssen dieses unter die übrigen Sünden unsrer Zeit rechnen, die allemal von Leuten begangen werden, die zwar zu viel Gefühl und Nachdenken haben, um, wie der gemeine Haufe, sich an gewöhnliche Formulare zu binden; aber sich zu wenig Mühe geben, bis auf den wahren Grund der Dinge einzudringen, um von dort aus, als aus dem einzigen zuverläßigen Augenpunkt, die Sachen zu übersehen.
Wer sagt, daß ein Künstler, der im Stand ist, wie etwa Shakespear, durch die große Wichtigkeit der Materie zu intereßiren, alle Kunstregeln verachten müsse, spricht ohne die Sachen genugsam überlegt zu haben. Nach seiner Maxime müßte er nothwendig die neueren Mahler vermahnen, etwas so steifes und kunstmäßiges, als die Perspektiv ist, zu verachten und wegzuwerfen, weil die Alten, die sie nicht beobachtet haben, einzele Figuren weit schöner und nachdrüklicher gezeichnet haben, als die Neueren. Er müßte behaupten, daß es in vielen Antiken, wo alle zum Inhalt des Gemähldes gehörige Figuren, ohne andere Verbindung und Gruppirung auf einer geraden Linie neben einander gestellt sind, eine Schönheit mehr ist, daß alle blos auf die Kunst gehende Regeln in solchen Stüken übertreten sind. Er müßte sagen, daß in der Musik eine Phantasie, von einem Bach, oder Händel, mehr werth sey, als jedes andre Werk derselben Virtuosen, wo die Regeln des Takts und des Rhythmus, auf das sorgfältigste beobachtet sind. Er müßte endlich auch behaupten, daß ein gothisches Gebäude, das durch Kühnheit und Größe in Verwundrung sezet, mehr werth sey, als die Rotonda, oder der Tempel des Theseus in Athen. Diese Folgen sind unvermeidlich, so bald man Werke von großer Materieller Kraft, von allen Banden der schönen Kunst freysprechen will.
Aber es ist Zeit, daß wir auf die nähere Betrachtung des Plans solcher Werke kommen. Laßt uns sezen, ein Künstler habe in der Geschicht eine Begebenheit, oder eine Handlung sehr merkwürdiger Art angetroffen, wobey Personen von großer Sinnesart, Anschläge, Thaten und Unternehmungen von großer Kühnheit, und andre sehr wichtige Dinge von sittlicher und leidenschaftlicher Art, vorkommen, und diesen wichtigen Stoff habe er gewählt, um ein Trauerspiehl, eine Epopöe, oder ein großes historisches Gemählde daraus zu machen. Hier entstehet also die Frage, was er in Absicht auf den Plan dabey zu überlegen habe.
Das erste wird wol seyn, daß er suchen wird, sich selbst über alles was er bey der Sache fühlt, so viel als möglich ist, Rechenschaft zu geben, alles darin so klar, als möglich, zu bestimmen; die nächsten Ursachen der Würkung der Dinge auf sich zu erforschen, und denn auf den Charakter des Gegenstandes überhaupt Achtung zu geben; ob er schlechthin groß sey, und nichts, als Bewundrung erweke, oder ob er bey der Größe eine Hauptvorstellung des Guten, oder des Bösen mit sich führe; ob er vorzüglich den Verstand, oder das Herz angreife, oder nur die Phantasie reize.
Dergleichen Ueberlegungen helfen den Hauptbegriff und die Hauptabsicht des Werks etwas näher zu bestimmen; denn es wird sich dabey bald zeigen, ob aus diesem Stoff ein Werk zu machen sey, darin das Pathetische, das Zärtliche, das Wunderbare das den Verstand, oder die Phantasie, oder die Empfindung ergreift, oder irgend ein andrer Hauptcharakter herrschen werde. Nachdem nun ein Hauptcharakter bestimmt worden, wird sich auch die Absicht des ganzen Werks daher bestimmen lassen. Der Künstler wird finden, daß eine Art des Eindruks darin herrschend seyn soll; daher wird er sehen, wenn sein Stoff eine Handlung ist, daß am Ende derselben der Eindruk befestiget und dauerhaft bleiben müsse. Und so wird ein wahrhaftig verständiger Künstler, nicht eben, wie einige vom Heldendichter gefodert haben, eine Lehre, die durch die Handlung, wie durch eine Allegorie erkennt wird, aber doch eine andere, nach Beschaffenheit des Stoffs mehr oder weniger bestimmte Hauptwürkung zur Absicht machen. Außer dieser aber muß er nothwendig die allen Werken der Kunst gemeine Absicht haben, daß das was er vorstellt so klar, als möglich, gefaßt werde, daß nirgend etwas den allgemeinen Geschmak beleidigendes darin vorkomme, wodurch die Aufmerksamkeit gehemmt werden könnte.
Hieraus nun, läßt sich auch abnehmen, was bey einem solchen Werk in Ansehung des Planes zu thun sey. Weil hier das Materielle des Stoffs die Hauptsach ist, so wird zuerst an den Plan zu denken seyn, wodurch die Erzählung, oder Vorstellung Wahrheit und natürlichen Zusammenhang bekommt. Der Künstler muß nachdenken, wie alles einzurichten sey, [906] daß das, was er geschehen läßt, aus dem vorhandenen erfolgen könne; daß die Handlungen der Personen aus der Lage der Sachen, und aus ihrem Charakter folgen, daß die Charaktere selbst wahrhaft oder in der Natur gegründet scheinen; daß endlich der Ausgang der Sachen so erfolge, und daß alles darauf ziehle den Haupteindruk zu machen, den der Stoff auf den Künstler selbst gemacht hat, und dem zu gefallen er sein Werk unternommen hat. Ueberall wird der Künstler darauf bedacht seyn, daß keine Lüken bleiben, wodurch der Zusammenhang der Dinge würd unterbrochen, und das, was geschieht unbegreiflich werden; daß nichts überflüßiges da sey, von dem kein Grund anzugeben ist, u.s.w. Also wird er nach einem Plan seine Materie ordnen, und das Einzele darin erfinden, oder wählen.
Nachdem alles Nöthige herbeygeschaft und geordnet worden, wird er nun an den Plan der Schönheit denken. Da er aber einen Stoff bearbeitet, der auch ohne äußerliche Schönheit gefällt, so hat er nicht nöthig diese so genau zu beobachten, als bey einem gleichgültigen Stoff nöthig wäre. Er opfert dem äußern Ansehen keine materielle Schönheit auf, und wenn nicht beyde zugleich bestehen können, so giebt er dieser den Vorzug. Da es aber offenbar ist, daß durch die Schönheit der Form, auch die innere Schönheit einen größern Nachdruk bekommt, so wird ein Künstler von Geschmak sich allemal Mühe geben, jene so weit zu erreichen, als es mit dieser bestehen kann. Daß dieses der wahre Geschmak der Natur selbst sey, läßt sich daraus abnehmen, daß jeder Mensch, der etwa in der Geschichte von der Größe, Hoheit oder Liebenswürdigkeit eines Charakters eingenommen wird, allemal der Person, die diesen Charakter hat, in seiner Phantasie auch ein äußerliches Wesen beylegt, das mit jenem am besten übereinzustimmen scheinet. Jedermann ist geneigt den jüngern Scipio sich unter einer hohen, aber liebenswürdigen Gestalt vorzustellen, und jedermann, der die innere Größe des Sokrates bewundert, würde sich sehr unangenehm betroffen finden, wenn man eine Figur, die etwas gemeines, oder gar verächtliches hätte, für die wahre Abbildung dieses Philosophen ausgäbe.
Demnach erfodert der gute Geschmak eine sorgfältige Bearbeitung des Plans, sowol der Materie, als der Form: und je vollkommener beyde zugleich seyn können, je fürtreflicher wird das Werk. Freylich verzeihet man der innern Fürtreflichkeit halber, einen äußerlichen Fehler. Man siehet Figuren vom Hannibal Carrache, die bey dem unangenehmsten Colorit, durch die Hoheit des Charakters im höchsten Grade gefallen, und in antiken Gemählden und flachem Schnizwerk findet man historische Vorstellungen, die bey gänzlichem Mangel der mahlerischen Anordnung, und Uebertretung aller perspektivischen Regeln, ein großes Wohlgefallen erweken; weil jede Figur redend ist. Aber wer wird leugnen, daß solche Vorstellungen nicht einen Grad der Fürtreflichkeit mehr hätten, wenn ohne Abbruch des Innern, auch das Aeußere dabey vollkommener wäre?
Buchempfehlung
Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro