[1037] Schön. (Schöne Künste)
Die Untersuchung über die Natur und Beschaffenheit des Schönen, die an sich schon schweer genug ist, wird dadurch noch beträchtlich schweerer gemacht, daß das Wort vielfältig von Dingen gebraucht wird, die gefallen, ob wir gleich von ihrer Beschaffenheit nichts erkennen. Wir müssen also vor allen Dingen versuchen den eigentlichsten und engesten Sinn des Worts zu bestimmen.
So gewiß es ist, daß alles Schöne gefällt, so gewiß ist es auch, daß nicht alles, was gefällt, im eigentlichen Sinn schön genennt werden kann. Das Schöne macht nur eine von den mehreren Gattungen der Dinge, die gefallen, aus, und um sie von andern unterscheiden zu können, müssen wir diese Gattungen alle betrachten. Wir wollen aber, ohne uns in schweerfällige und tiefsinnige Speculationen einzulassen, blos bey dem stehen bleiben, was die allgemeine und tägliche Erfahrung darüber an die Hand giebt.
Diese lehret uns ohne Zweydeutigkeit, daß einige Dinge uns gefallen, oder Vergnügen erweken, ob wir gleich von ihrer Beschaffenheit nicht den geringsten Begriff haben. Von dieser Gattung sind alle Gegenstände, die blos einen angenehmen Reiz in die Gliedmaaßen der Sinnen verursachen, an dem die Ueberlegung und die Kenntnis der Beschaffenheit des Gegenstandes, der ihn verursachet, nicht den geringsten Antheil haben. Im Grunde haben wir in diesem Fall nicht an der Sache, die uns das Vergnügen macht, sondern blos an der Empfindung, die sie bewürkt, unser Wolgefallen. Wir wissen so gar ofte nicht wo der Gegenstand, der uns dieses Vergnügen macht, ist, noch was er ist; wir empfinden und lieben blos seine Würkung, ohne uns mit ihm selbst zu beschäftigen. Dies ist um so viel unzweifelhafter, da wir mehrere Arten dieses Vergnügens mit den Thieren gemein haben, die sich gewiß nie bey Betrachtung der Gegenstände, die auf sie würken, aufhalten. Diese Dinge haben eine unmittelbare, oder doch nahe mittelbare Beziehung auf unsre Bedürfnisse, und machen eigentlich die Classe aus, der man den Namen des Guten gegeben hat. Nur Kinder sagen von Speisen, sie schmeken schön; wer mehr unterscheiden gelernt hat, sagt, sie schmeken gut.
Hingegen giebt es auch Dinge, die nicht eher gefallen, bis man sich eine deutliche Vorstellung von ihrer Beschaffenheit gemacht hat. Zuerst beschäftigen sie blos den Verstand, und erst hernach, wenn dieser eine gewisse Beschaffenheit an ihnen deutlich erkennet, fangen sie an zu gefallen. Wer nicht im Stand ist, nachzudenken, oder jene Beschaffenheit einzusehen, dem bleiben sie völlig gleichgültig. In diese Classe gehört alles, was durch Vollkommenheit [1037] gefällt, wie die Maschinen, die so verständig eingerichtet sind, daß sie dem Zwek völlig entsprechen; ingleichem, was durch Wahrheit gefällt, wie ein Beweis, darin die einzelen Begriffe und Säze so verbunden sind, daß eine völlige Ueberzeugung aus ihrer Vereinigung entsteht.
Nun giebt es noch eine dritte Classe der Dinge, die Wolgefallen erweken. Diese liegt zwischen den beyden vorhergehenden so in der Mitte, daß sie etwas von der Art der einen und der andern an sich hat. Die Beschaffenheit der Gegenstände reizt unsre Aufmerksamkeit; aber ehe wir sie deutlich erkennen, ehe wir wissen, was die Sachen seyn sollen, empfinden wir ein Wolgefallen daran. Diese Gegenstände machen unsers Erachtens die Classe des eigentlichen Schönen aus.
Eine nähere Betrachtung dessen, was jede dieser drey Classen der Dinge, die uns gefallen, besonderes und eigenthümliches hat, läßt uns bald folgendes bemerken 1. Das Gute gefällt uns wegen seiner materiellen Beschaffenheit, oder wegen seines Stoffs; der ohne Rüksicht auf seine Form, eine natürliche Kraft hat, unmittelbar angenehme Empfindungen zu erweken. 2. Das Schöne gefällt uns, ohne Rüksicht auf den Werth seines Stoffes, wegen seiner Form, oder Gestalt, die sich den Sinnen oder der Einbildungskraft angenehm darstellt, ob sie gleich sonst nichts an sich hat, das den Gegenstand in andern Absichten brauchbar machte. 3. Das Vollkommene gefällt weder durch seine Materie, noch durch seine äußerliche Form, sondern durch seine innere Einrichtung, wodurch es, ein Instrument, oder Mittel wird, irgend einen Endzwek zu erreichen. Wir können uns diese dreyfache Beschaffenheit an einem Diamant vereiniget vorstellen. Nach seinem Werth im Handel, gehört er in die Classe des Guten; nach seinem Glanz und dem Feuer der Farben die darin spiehlen, in die Classe des Schönen; nach seiner Härte und Unzerstörbarkeit in die Classe des Vollkommenen.
Es ist aber hier der Ort nicht diese drey Classen der Dinge, die Gefallen erweken, näher zu betrachten, und das, was jede von der andern unterscheidet, genau anzuzeigen. Nur den eigentlichen Charakter des Schönen haben wir hier näher zu entwikeln.
Einige Philosophen haben gelehret, die Schönheit sey nichts anders, als Vollkommenheit, in so fern sie nicht deutlich eingesehen, sondern nur klar, aber völlig verwikelt gefühlt werde. Aber diese Erklärung ist nicht allgemein wahr. Es giebt, wie wir hernach sehen werden, eine Schönheit, die diesen Charakter hat; aber nicht alles Schöne ist von dieser Art. Die Vollkommenheit einer Sache läßt sich weder deutlich erkennen, noch undeutlich fühlen, wenn man nicht entweder bestimmt weiß, oder doch mit einiger Klarheit fühlet, was die Sache seyn soll. Dieses ist aus dem Begriff der Vollkommenheit klar.1 Nun giebt es unzählige Dinge, die wir Schön nennen, ob wir gleich nicht den geringsten Begriff von ihrer Bestimmung haben, und weder erkennen, noch fühlen, was sie eigentlich seyn sollen. Doch könnte man sagen, das Schöne sey die Vollkommenheit der äußern Form, oder Gestalt. Ob wir nun gleich die besondern Gestalten, als der Thiere und Pflanzen, nicht nach der jeder eigenen Vollkommenheit beurtheilen können, da wir das besondere Ideal, was jede seyn soll, nicht besizen; so wissen wir doch überhaupt, daß die mannigfaltigen Theile, in ein wolgeordnetes Ganze sollten vereiniget werden, und in so fern haben wir einen allgemeinen Begriff von Vollkommenheit der Form.
Nach diesen vorläufigen Erläuterungen, wollen wir versuchen, den Begriff des eigentlichen Schönen, so viel uns möglich seyn wird, zu entwikeln. Es intereßirt also durch seine Form, blos in so fern sich dieselbe den Sinnen, oder der Einbildungskraft angenehm darstellt, ohne Rüksicht auf seinen Stoff, oder auf seine mechanische Beschaffenheit, nach der es, als ein zu gewissem Gebrauch bestimmtes Instrument angesehen wird. Für den Eigennüzigen ist Schönheit nichts; weil man sie durch bloßes Anschauen genießt; für den speculativen Kopf, ist sie etwas sehr geringes, weil ihre Beschaffenheit nicht deutlich kann erkennt werden. Der Liebhaber des Schönen steht zwischen dem blos Materiellen, ganz sinnlichen Menschen, und dem, der blos Geist und Verstand ist, in der Mitte. An diesen gränzt er wegen des Wolgefallens, das er an Speculationen der Einbildungskraft hat, und an jenen, weil er lüstern ist, nach feinern Reizungen der Phantasie.
Aber wie muß jene Form, wodurch das Schöne gefällt, beschaffen seyn? Auch in Ansehung dieser liegt das Schöne dergestalt zwischen dem Guten und dem Vollkommenen, daß es an beyde gränzet. Ein Theil seines Werthes, wird durch unmittelbares aber [1038] feiners Gefühl bestimmt, wie der Werth des Guten, und ein Theil aus Erkenntnis, die aber beym Schönen nicht bis auf die Deutlichkeit steiget. Darum wär es ein vergebliches Unternehmen, die völlige Entwiklung seiner Beschaffenheit zu suchen.
Doch ist es nicht so, wie das Gute, daß man außer dem unmittelbaren Gefühl seiner Würkung gar nichts daran erkennte; nur muß man nicht eine völlig deutliche Entwiklung seiner Beschaffenheit verlangen, wie man sie von dem Vollkommenen geben kann. Wenn wir bey blos klaren Begriffen stehen bleiben, so läßt sich allerdings von der Form, daran die Phantasie Gefallen findet, verschiedenes angeben.
So viel ich davon habe bemerken können, lassen sich die Eigenschaften des schönen auf drey Hauptpunkte bringen. 1. Die Form im Ganzen betrachtet, muß bestimmt, und ohne mühesame Anstrengung gefaßt werden. 2. Sie muß Mannigfaltigkeit fühlen lassen, aber in der Mannigfaltigkeit Ordnung. 3. Das Mannigfaltige muß so in Eines zusammenfließen, daß nichts Einzeles besonders rühret. Wir wollen so gut wir können, diese drey Hauptpunkte etwas näher entwikeln.
1. Daß ein Gegenstand, der uns durch sein äusserliches Ansehen gefallen soll, ein Ganzes, und nicht ein Bruchstük von einem Ganzen seyn müsse, ist anderswo hinlänglich gezeiget worden2, daß er wol begränzt und bestimmt in die Sinnen, oder in die Phantasie fallen müsse, ist daher leicht abzunehmen, daß das Ungewisse in seiner Begränzung uns zweifelhaft macht, ob es ganz sey, und daß es der Klarheit der Vorstellung schadet. Die Ungewißheit, ob man eine Sache recht sehe, oder nicht, hat nothwendig etwas Beunruhigendes, folglich Unangenehmes an sich. Daß der Gegenstand ohne mühesame Anstrengung müsse gefaßt werden, ist nicht weniger klar; weil jede Bestrebung, so lange man ungewiß ist, ob sie das Ziehl erreichen werde, etwas unangenehmes hat.
Dieses lezte ist aber nicht so zu verstehen, daß das Schöne nothwendig auf den ersten Blik, ohne Anstrengung von Seite des Beobachters in die Augen fallen müsse. Vielmehr geschieht es gar ofte, daß durch vorhergegangene Bemühung die Sache richtig zu fassen, das Vergnügen des Anschauens desto lebhafter wird. Der Sinn jenes Ausspruchs ist dieser, daß die Gestalt der Sache, wenn es gleich Mühe gekostet hat, sie zu fassen, nun, da sie einmal gefaßt worden, ohne anhaltendes Bestreben gefaßt werde. Man sieht hieraus zugleich, warum nicht jedes Schöne jedem Menschen gefällt. Ein kurzsichtiger, der ein großes Gebäude nicht auf einmal übersehen kann, wird es nicht schön finden. Je ausgedehnter die Kraft ist, etwas bestimmt zu fassen, je fähiger ist man auch Schönheit zu empfinden, die geringeren Kräften nicht fühlbar sind.
Daß die Größe der Schönheit von jedem nach dem Maaße seiner Fähigkeit mehr oder weniger auf einmal zu fassen, geschäzt werde, und daß das, was für ungeübte, sowol innere als äußere Sinnen, die höchste Schönheit ist, dem, dessen Geschmak eine weitere Sphäre umfaßt, nur mittelmäßig schön seyn könne, ist eine wichtige Bemerkung. Wenn wir dieses aus der Acht lassen, so stoßen wir bey der Untersuchung über die Schönheit auf Wiedersprüche, die nothwendig verwirren. Denn daß ein Mensch Schönheit findet, wo ein andrer sie zu vermissen glaubt, kommt gar nicht, wie man sich ofte fälschlich einbildet, daher, daß unsre Begriffe über das Schöne wankend wären, oder daß die Schönheit an sich nichts bestimmtes sey. Die Schönheit hat dieses mit der Größe gemein; einer findet klein, was einem andern groß scheinet, und ein im Ueberfluß erzogener Mensch nennt Armuth, was manchem andern Reichthum wäre. Darum fällt es keinem Menschen von Verstand ein, zu behaupten, ein geringer Grad der Größe, sey keine Größe, und ein geringes Vermögen, sey kein Vermögen. Warum sollte man denn sagen, ein geringer Grad der Schönheit sey keine Schönheit?
Was Aristoteles vom Schönen sagt, daß es weder sehr groß noch sehr klein seyn müsse, hat hierin seinen Grund. Was für uns zu groß oder zu klein ist, kann im Ganzen nicht ohne beständig anhaltendes Bestreben gefaßt werden.
2. Daß das Schöne Mannigfaltigkeit müsse fühlen lassen, ist auch leicht zu begreifen. Was einfach oder ohne Theil ist, kann wol auf die Empfindung aber nicht auf die Vorstellungskraft würken. Was aber blos Menge der Theile hat, ohne Verschiedenheit, kann kein Nachdenken, kein Verweilen der Vorstellungskraft bey dieser Menge veranlassen, weil die Theile nichts verschiedenes haben; die bloße Anzahl derselben hat keinen Reiz für die Phantasie, die sie nicht beschäftigen kann. Denn so bald sie einen gefaßt hat, hat sie zugleich alle gefaßt. [1039] Aber wo Mannigfaltigkeit da ist, da würkt jeder Theil etwas zum Ganzen. Man wird in eine angenehme Ueberraschung gesezt, zu sehen, wie so vielerley Dinge, doch nur ein Ding ausmachen. Damit aber das Mannigfaltige durch die Menge nicht verwirre, muß Ebenmaaß und Ordnung darin seyn. Diese würken Faßlichkeit in der Menge3.
3. Von diesem Mannigfaltigen muß kein Theil besonders und für sich rühren; weil er die Faßlichkeit des Ganzen hindern würde, indem er die Kraft der Aufmerksamkeit auf sich zöge. Darum muß, in Absicht auf die Größe der Theile, jeder ein gutes Verhältniß zum übrigen haben; und in andern Absichten z. E. Form, Farbe und andrer in die Sinnen oder Phantasie fallenden Eigenschaften, gute Uebereinstimmung oder Harmonie. Wo die Menge kleinerer Theile groß ist, da müssen sie in größern Gruppen zusammenhangen, damit man nicht das kleineste mit dem Ganzen, sondern mit dem Haupttheil, davon es ein Glied macht, zu vergleichen habe. Alles dieses ist in andern Artikeln weiter ausgeführt worden4. Dieses erlaubet uns die Eigenschaften des schönen hier blos anzuzeigen, ohne die Sachen weitläuftig auszuführen.
Wo alle diese Eigenschaften sich zusammen finden, da ist Schönheit: Aber darum noch nicht jene paradiesische oder himmlische Schönheit, deren Genuß Glükseeligkeit ist. Das Schöne, dessen Eigenschaften wir angezeiget haben, erwekt Wolgefallen; aber es bleibet in der Phantasie und berührt das Herz nur leicht und gleichsam an der Oberfläche. Nur Menschen ohne Herz und ohne Verstand, die ganz Phantasie sind, finden Befriedigung daran. Virtuosen von der leichtern Art, die gleichsam von Dünsten und Luft leben, und auch von bloßem Hauch der Luft in Bewegung gesezt werden, sprechen oft mit Entzüken von dieser Schönheit; die Täuschung macht sie schon seelig.
Im Grund ist dieses Schöne nur die äußere Form, oder das Kleid, in dem sowol gute als schlechte Dinge erscheinen können. Es giebt ihnen noch keinen inneren Werth, sondern dienet blos die Aufmerksamkeit zu reizen, daß man mit Wolgefallen auf diese schön bekleidete Dinge sieht.
Eine höhere Gattung des Schönen entsteht aus enger Vereinigung des Vollkommenen, des Schönen und des Guten. Diese erwekt nicht blos Wolgefallen, sondern wahre innere Wollust, die sich ofte der ganzen Seele bemächtiget, und deren Genuß Glükseeligkeit ist. Wir begnügen uns die Art und das eigentliche Wesen dieser Schönheit nur an einem besonderen Falle zu beschreiben, um ein sinnliches Bild davon zu geben, vermittelst dessen der Begriff dieser höhern Schönheit faßlich werde. Dieses Bild ist der Inhalt des folgenden Artikels.
Buchempfehlung
In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«
340 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro