Schön [1]

[372] Schön, wird im Sprachgebrauche des gewöhnlichen Lebens häufig Alles genannt, was durch seine wahrgenommene od. vorausgesetzte Angewessenheit an die Begehrungen Neigungen u. Bedürfnisse[372] des Menschen einen wohlgefälligen Eindruck macht. So spricht der Gutschmecker von einer schönen Speise, der Landwirth von schönem Dünger, der Kaufmann von einem schönen Geschäfte ebenso wie der Kunstfreund von einem schönen Gemälde od. einer schönen Statue. Man bemerkt jedoch leicht, daß das Wort in den letzteren Beispielen einen wesentlich anderen Sinn in Anspruch nimmt, als in den ersteren. Für die genauere Feststellung des Begriffs ist daher unerläßlich, die Art der Bevorzugung, welche das Schöne im Gegensatz zu dem Gleichgültigen u. Häßlichen in Anspruch nimmt, wenigstens von der zu unterscheiden, deren Gegenstand das Lustbringende (die Begierde Befriedigende) u. das Nützliche ist. Hie Luft, welche in der Befriedigung einer Begierde liegt, ist abhängig von dem Vorbandensein dieser Begierde; ohne sie würde sie nicht eintreten; für den, welcher nicht begehrt, ist der Gegenstand werthlos, u. der Werth, welchen er für den Genießenden hat, wurzelt nicht sowohl in dem Gegenstande, als vielmehr lediglich in der Beziehung desselben zu dem begehrenden Subjecte. Das Nützliche ist das, was einem fremden, außer ihm liegenden, meistentheils ebenfalls von den Begehrungen u. Bedürfnissen der Menschen abhängenden Zweck dient; auch sein Werth ist daher nur ein beziehungsweiser (relativer); während das Schöne sich dadurch charakterisirt, daß es Gegenstand eines von der Begierde unabhängigen (unwillkürlichen), dem Gegenstande selbst ohne Beziehung auf einen außer ihm liegenden Zweck geltenden u. somit objectiven u. allgemeingültigen Wohlgefallens ist. Von der Anerkennung dieser Merkmale sind auch die wissenschaftlichen Untersuchungen über das Schöne ausgegangen, welche den Mittelpunkt der in neuerer Zeit Ästhetik (s.d.) genannten Wissenschaft ausmachen. Schon, Plato legte auf den Gegensatz des Schönen zu dem, was lediglich die Begierde befriedigt, den größten Nachdruck; er suchte den Begriff desselben dadurch zu bestimmen, daß er auf seine Verwandtschaft mit dem Guten, als dem Genügenden, keines Anderen Bedürftigen hinwies. Gleichwohl sind die wissenschaftlichen Üntersuchungen über das Schöne so lange zu keiner recht selbständigen Bedeutung gekommen, als nicht das Gebiet seiner absichtlichen Darstellung, das der Schönen Kunst, zum Gegenstande specieller Erörterungen gemacht wurde; das Mittelalter hatte dafür kein Interesse od. reproducirte nur das, was aus dem Alterthum überliefert war, u. erst allmälig u. vorzüglich seit dem 18. Jahrh. ist die Untersuchung über das Wesen des Schönen Gegenstand vielseitiger u. lebhafter Verhandlungen geworden. Die in der Wolf'schen Schule herrschend gewesene Bestimmung, daß Schönheit sinnlich angeschaute Vollkommenheit, od. auch Einheit in der Mannigfaltigkeit sei, trat sehr bald vor der Art zurück, in welcher Kant in der »Kritik der Urtheilskraft« sich dieses Gegenstandes zu bemächtigen suchte. Kant fixirte vor allem die Thatsache, daß das Schöne Gegenstand eines uninteressirten, allgemeinen u. nothwendigen Wohlgefallens sei, bei welchem der gefallende Gegenstand ohne Vorstellung eines bestimmten Zwecks doch als zweckmäßig gedacht werde. Die letzte Bestimmung, daß das Schöne durch die Form seiner Zweckmäßigkeit ohne die Vorstellung eines bestimmten Zweckes gefalle, hatte ihren Grund darin, daß es der ganzen Richtung der Denkweise Kants näher lag zu fragen, wie das in der Auffassung des Schönen. sich ankündigende eigenthümliche Wohlgefallen psychologisch entstehe, als zu untersuchen, an welche Beschaffenheit des Gegenstandes selbst die Schönheit gebunden sei. Den psychologischen Grund dieses Wohlgefallens am Schönen glaubte Kant in dem freien Spiel unserer Erkenntnißkräfte, in der Übereinstimmung zwischen der Thätigkeit der Phantasie u. den Forderungen des Verstandes zu erkennen, welche der schöne Gegenstand in uns anrege: an welche in dem Gegenstande selbst, unabhängig von dem dadurch angeregten Subjecte, liegende Bedingungen eine solche Wirkung desselben gebunden sei, unterließ er näher zu untersuchen. In den nachfolgenden philosophischen Systemen hielt die Lehre vom Schönen mit den idealistischen Steigerungen u. Umbildungen der ursprünglichen Lehre Kants, in welcher namentlich auch Schiller den Anstoß zu seinen ästhetischen Arbeiten gefunden hatte, ziemlich gleichen Schritt. Beruht das Wesen des Schönen auf einer Harmonie zwischen Anschauen u. Denken, Einbildungskraft u. Verstand, Sinnlichkeit u. Vernunft, so lag es für den subjectiven Idealismus Fichte's, welcher ebenso den Stoff, wie die Form der Erscheinungswelt von dem Ich producirt werden ließ, nahe, das Schöne nicht in der Reihe der dem Subjecte sich darbietenden Gegenstände, sondern unter den Erzeugnissen des Ich selbst zu suchen; das Schöne ist das in welchem das Subject sich der Identität seiner entgegengesetzten Vermögen, der Einheit des Überempirischen u. Empirischen, des Geistigen u. Sinnlichen, des Idealen u. Realen bewußt wird; das Genie des Künstlers ist der Interpret dieser Einheit, seine Werke ihr Ausdruck, u. es gibt eigentlich nichts Schönes außerhalb der Kunst. In ähnlicher Weise faßte der absolute Idealismus Schellings u. Hegels das Schöne als eine der Erscheinungsformen des Absoluten auf; als die Darstellung des Unendlichen im Endlichen, der Idee in der Erscheinung, als die Identität zwischen Gehalt u. Form, Gedanke u. sinnlicher Darstellung. Diesen Versuchen gegenüber, das Wesen des Schönen durch eine Definition zu erschöpfen, welche über die specifische Eigenthümlichkeit dessen, was ein ästhetisches Wohlgefallen hervorruft, keinen Aufschuß gibt, hat Herbert (s.d.) geltend gemacht, daß die Idee der Schönheit, der allgemeine Begriff des Schönen, möge man ihn so od. anders bestimmen, in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit dessen, was sich ihr als Prädicat aneignet, ebenso unfruchtbar sei, als etwa der allgemeine Begriff des Wahren u. Guten für die Beantwortung der Frage, was wahr u. was gut sei. Wo ein Gegenstand der Natur od. ein Product der Kunst uns ein reines ästhetisches Wohlgefallen ablocke od. aufnöthige, müsse vor allem nachgewiesen werden, was an ihm, dem Gegenstande selbst, gefalle. Die nähere Untersuchung zeige nun, daß, wo ein reines Geschmacksurtheil eintrete, der Gegenstand niemals ein schlechthin einfacher, sondern ein irgend welche Verhältnisse in sich enthaltender, u. daß diese Verhältnisse eigentlich dasjenige seien, um deren willen ihm das Prädicat der Schönheit beigelegt werde. Herbart fordert daher von einer Untersuchung über das Schöne, daß diese Verhältnisse in den verschiedenen Gebieten, in denen Schönes thatsächlich sich vorfindet, aufgesucht u. bestimmt nachgewiesen werden. Am bestimmtesten ist dies bisher bei dem musikalisch [373] Schönen geschehen, welches zunächst nirgends anders, als in den Verhältnissen gleichzeitiger u. succesiver Töne u. Tonreihen liegt; in ähnlicher Weise ist in der Architektur u. der Plastik das Schöne immer an bestimmte Verhältnisse der Gestalt gebunden; in der Malerei kommen dazu noch die Verhältnisse der Farben u. der verschiedenen Art der Beleuchtung. (Vgl. E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen, 2. Aufl. Lpz. 1858; F. W. Unger, Die bildende Kunst, Götting. 1858.) Bei weitem verwickelter werden diese Untersuchungen bei dem poetisch Schönen, indem der Poesie das ganze unermeßliche Reich der Empfindungen u. Gedanken, der Gefühle u. Entschließungen anheimfällt, in denen der Mensch sich als leidend u. handelnd findet; daher das ganze Reich sittlicher Verhältnisse in dem Gebiete poetischer Verhältnisse mit eingeschlossen ist. Überhaupt ist jedes ästhetische Ganze, eine Landschaft ebenso wie ein Tonstück od. ein Drama, ein größeres od. kleineres System solcher Verhältnisse, welche sich gegenseitig tragen, bedingen, zu einem gegliederten Ganzen zusammentreten, u. dadurch ihm seine ästhetische Einheit geben; die reine Freude, die Begeisterung, welche das echte Kunstwerk erweckt, ist die Totalwirkung, welche aus der Verknüpfung aller in ihm liegenden ästhetischen Verhältnissen hervorgeht. Aber so wie es für den, welchen in dieser Weise die Macht der Schönheit umströmt, unmöglich ist im Augenblicke des ästhetischen Genusses selbst die Quellen desselben ins Einzelne zu zergliedern, so ist es andererseits eine falsche Forderung, daß eine wissenschaftliche Untersuchung über das Schöne denselben Zauber der Anmuth od. der Begeisterung, dieselben Gefühle der Freude od. des Schmerzes, der Wehmuth od. des Jubels hervorrufen solle, in welche die Auffassung des Schönen selbst uns versetzt. Übrigens gibt es verhältnißmäßig nicht allzuviele Kunstwerke, welche sich ganz u. vollständig in dem reinen Elemente der unvermischten Schönheit aufbauen; keine Kunst kann es ganz vermeiden, die ästhetische Empfindung durch pathologische Effecte zu wecken u. zu unterstützen; nur ist die Stärke solcher pathologischer Effecte nicht mit der Reinheit des ästhetischen Gehaltes zu verwechseln. Was in der Wirklichkeit gefällt, entzückt, hinreißt, thut dies oft mehr in Folge mannigfaltiger psychischer Erregungen, als mittelst des an sich leidenschaftslosen ästhetischen Urtheils, u. darin liegt im Allgemeinen der Grund, daß die Ideale der Schönheit bei verschiedenen Völkern u. auf verschiedenen Cultürstufen sich verschiedenartig gestalten u. dadurch Modificationen unterliegen, deren specielle Charakteristik eine der wichtigsten Aufgaben der Kunstgeschichte (s. d.) ist. Vgl. außer den allgemeinen Werken über die Ästhetik (s.d.): Crousaz, Traité du beau, Amst. 1724; E. A. Nicolai, Von der Schönheit des menschlichen Körpers, Halle 1747; Hutcheson, Inquiry into the original of our ideas of beauty and virtue, Lond. 1738; Edm. Burke, Philos. inquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful, Lond. 1756; Hogarth, Analysis of beauty. Lond. 1753; Donaldson, Elements of beauty, Lond. 1787; André, Essay sur le beau, Par. 1763; Spaletti, Sopra la bellezza. Rom 1765; Marcenay de Ghuy, Essay sur la beauté, Par. 1770; I. Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen u. Erhabenen, 1766; Delbrück, Das Schöne, Berl. 1800; Ad. Müller, Von der Idee der Schönheit, ebd. 1897; Carus, Proportionslehre der menschlichen Gestalt, Lpz. 1854; Hay, The science of beauty, Land. 1859; Symonds, The principles of beauty, ebd. 1857.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 372-374.
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