[6] Fanatismus (von fanum, Göttertempel) hieß ursprünglich der Zustand eines Gottbegeisterten, wird aber gewöhnlich zur Bezeichnung der Schwärmerei oder Leidenschaft für gewisse falsche Begriffe gebraucht und ist deshalb vom Enthusiasmus, einer begeisterten Leidenschaft für edle und erhabene Zwecke, zu unterscheiden, obwol nicht selten ein schneller Übergang von diesem zu jenem stattfindet. Am meisten haben übersinnliche Begriffe, die leicht misverstanden werden und den Willen irreleiten können, zur Schwärmerei Veranlassung [6] gegeben. So gibt es politische, moralische und religiöse Schwärmer. Das mit Hast und Ungestüm verlangte Ziel ihrer Bestrebungen zeigt entweder Überspannung oder völlige Thorheit. Ost sind es nur leere Einbildungen und Träume, nach denen der Schwärmer strebt und die er für Wahrheiten und Erkenntnisse hält. Am häufigsten und furchtbarsten ist der Religionsfanatismus. Die von ihm Ergriffenen berufen sich, wie die Mystiker (s. Mysticismus) auf innere Offenbarungen, himmlische Entzückungen u.s.w., unterscheiden sich aber von diesen durch die Leidenschaft, womit sie auch Andere für ihre Ideen zu gewinnen suchen, und durch einen keinen Widerstand, selbst den Tod nicht scheuenden Trotz und Eigensinn. Der Fanatismus gibt dem Geiste eine gewaltige Kraft, die ihn zu den kühnsten Thaten fähig macht, wie dies z.B. die Eroberungszüge der ersten mohammedan. Völker beweisen, welche in der That unwiderstehlich waren. Das tiefsinnige Temperament soll vorzüglich zur Schwärmerei geneigt sein, doch hat diese sich auch vielfach bei Nationen geäußert, denen ein lebhaftes Temperament eigenthümlich ist, wie bei den Juden, Arabern und Spaniern. Eine lebhafte und feurige Einbildungskraft, eine durch Sinnlichkeit befangene Vernunft und Schwachheit des Denkvermögens sind die Quellen dieser Geisteskrankheit. Um sich vor ihr zu hüten, muß der Mensch der Vernunft die Herrschaft über die Einbildungskraft überlassen und sich gewöhnen, nie nach Gefühlen und dunkeln Vorstellungen, sondern immer erst nach reiflicher und kalter Überlegung, selbst gegen seine Gefühle, zu handeln, so oft er diese für irrig erkennt oder der Gegenstand seiner Neigungen nicht erlaubt und gut ist. Ein beständiger Umgang mit der wirklichen Welt und Kenntniß der Natur und ihrer Kräfte, besonders aber der Grenzen des menschlichen Wissens und der menschlichen Kraft sind wirksame Vorbeugungsmittel gegen Schwärmerei und Fanatismus, dagegen aber auch Verweichlichung des Körpers, Abgeschiedenheit von aller menschlichen Gesellschaft, anhaltende Beschäftigung mit gewissen Einbildungen Beförderungsmittel derselben. Der Schwärmer gebraucht zuletzt seine Einbildungen als Gründe seiner Handlungen, und am schwersten ist die religiöse Schwärmerei zu heilen, die nicht durch die Erfahrung widerlegt werden kann.